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Full text of "Wibert von Ravenna (Papst Clemens III) : ein Beitrag zur Papstgeschichte"

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University  of  Toronto 


http://www.archive.org/details/wibertvonravennaOOkh 


WIBERT  VON  RAYENNA 

(PAPST  CLEMENS  IIL). 


EIN  BEITRAG  ZUR  PAPSTGESCHICHTE 


VON 


OTTO  KÖHNCKE. 


LEIPZIG, 

VERLAG  VON  VEIT  &  COMP. 
1888. 


l'il  'S(^ 


Meinem  hochverehrten  Lehrer  und  väterlichen  Freunde 


Herrn  Friedrieh  Reuter 


zu  Altena 


in   Dankbarkeit   zugeeignet. 


Yorbem  er  kling. 


JJer  vorliegende  Versuch,  das  Leben  Wiberts  von  Ravenna 
darzustellen,  verdankt  seine  Entstehung  einer  von  Herrn  Professor 
Brefslau  in  Berlin  gegebenen  Anregung.  Ich  fühle  mich  ge- 
drungen, demselben  für  die  mannigfache  Förderung,  welche  er 
meinen  Arbeiten  hat  angedeihen  lassen,  auch  an  dieser  Stelle 
meinen  lebhaften  Dank  auszudrücken. 

Der  Verfasser. 


±'19 


Inhalt. 


Seite 

Erstes  Kapitel. 
Genealogisches 1 

Zweites  Kapitel. 
Wibert  als  Kanzler  für  Italien .     .        8 

Drittes  Kapitel. 
Wibert  als  Erzbischof  von  Ravenna  bis  zu  seiner  Wahl  zum  Papst  ...       15 

Viertes  Kapit  el. 
Der  Tag  von  Brixen 35 

Fünftes  Kapitel. 
Von  der  AVahl  bis  zur  Inthronisation 41 

Sechstes  Ka23itel. 
Von  der  Inthronisation  bis  zum  Tode  Grregors  VII 52 

Siebentes  Kapitel. 
Vom  Tode  Gregors  VII.  bis  zum  Tode  Viktors  III 64 

Achtes  Kapitel. 

Von  der  Erhebung  Urbans  II,  zum  Papst  bis  zum  Abzüge  Heinrichs  IV. 

aus  Italien  im  Jahre  1097 75 

Neuntes  Kapitel. 
Vom  Abzüge  Heinrichs  IV.  aus  Italien  im  Jahre  1097  bis  zu  Wiberts  Tod       91 

Zehntes  Kapitel. 
Wiberts  Stellung  in  Italien  und  Deutschland 100 

Elftes  Kapitel. 
Wiberts  Stellung  zu  den  übrigen  Ländern  Europas 119 


YIIi  Inhalt. 

Seite 

Zwölftes  Kapitel. 
Schlufs 125 

Erster  Exkurs. 
Zu  der  Urkunde  Wiberts  vom  8.  Juni  1087 130 

Zweiter  Exkurs. 
Zu  der  Urkunde  Heinrichs  IV.  vom  12.  August  1092 132 


Erstes  Kapitel. 
Greiiealogisclies. 

Um  die  Wende  des  9.  Jahrhunderts  siedelte  sich  ein  angesehener 
Mann  ans  der  Grafschaft  Lucca,  Siegfried  mit  Namen,  in  der  Lom- 
bardei an  und  wurde  in  seiner  neuen  Heimat  Stammvater  eines  weit- 
verzweigten, mächtigen  Geschlechtes  ^.  Von  seinen  drei  Söhnen  grün- 
dete der  mittlere,  Adalbert,  auch  Atto  genannt '-,  Canossa  und  er- 
warb als  Anhänger  Ottos  I.  umfangreiche  Besitzungen  und  die  Graf- 
schaft über  Reggio.  Modena  und  Mantua,  denen  sein  Sohn  und  Erbe 
Thedald  ''  Brescia  und  Ferrara  hinzufügte.  Thedalds  Sohn  und  Nach- 
folger wiederum  ist  der  aus  Heinrichs  III.  Zeiten  bekannte  Mark- 
graf Bonifaz  von  Toskana*;  mit  seiner  Tochter  zweiter  Ehe  aber, 
Mathilde  ^  der  bekannten  grofsen  Gräfin,  der  unermüdlichen  Yor- 
kämpferin  der  kirchlichen  Interessen,  starb  diese  Linie,  das  Haus 
der  Markgrafen  von  Canossa,  wie  es  Brefslau  zuerst  genannt  hat, 
im  Jahre  1115  aus  ^. 

Die  beiden  anderen  Söhne  Siegfrieds  von  Lucca,  Siegfried  und 
Gerard,  liefsen  sich  in  Parma  nieder.     Donizo  berichtet " : 
Est  primus  dictus  Sigefredus  et  Atto  secundus, 
Filius  et  parvus  vocitatur  quippe  Gerardus. 
Und  weiterhin: 

Ipsius  nati  locupletati,  falerati, 
Divisi  prorsus  coeperunt  stare  seorsum. 
Fiunt  Parmenses  duo  fratres,  ambo  potentes, 
Dat  Guibertinam  minimus.  primus  Baratinam, 
Progenies  ambae  grandes  et  honore  micantes. 


1  Donizo  1,  96  £f.  SS.  XII,  354  f.        ^  j)on.  1,  120  £f.  SS.  XII,  355. 

3  Don.  1,  430  ff.  SS.  XII,  360  f.  •*  Don.  1,  452  ff.  SS.  XH,  361. 

^  Don.  1,  1143  ff.  SS.  XII,  374. 

^  Aufser  Donizo  dienen  als  Quellen  für  die  Genealogie  dieses  Hauses  neben 
gelegentlichen  Erwähnungen  bei  Schriftstellern  zahlreiche  Urkunden.  Eine  aus- 
führliche Darstellung  giebt  Brefslau,  Jahrb.  Konrads  II.  I,  431  ff. 

"  Don.  1,  100  f.  u.  112  ff.  SS.  XII,  354  f. 

Köhncke,  Wibert  v.  R.  1 


2  Genealogisches. 

Der  älteste  Sohn  also  ist  Ahnherr  der  Baratt!^,  der  jüngste, 
Gerard,  Stammvater  der  Wiberti.  Der  letzteren  Familie  wurde  der 
Gegenpapst  Wibert  zuerst  von  Affo  -  zugewiesen ,  der  die  älteren 
Meinungen  bereits  genügend  beseitigte.  Seiner  Vermutung  schlofs 
sich  neuerdings  Brefslau  '^  an.  Was  aber  bisher  nur  Vermutung 
war,  läfst  sich  zur  Gewifsheit  erheben  durch  ein  freilich  schon  Affo 
bekanntes,  aber  unbeachtet  gebliebenes  Zeugnis  '^.  In  den  Jahren 
1163  und  1164  nämlich  fanden  gelegentlich  eines  Prozesses  zwischen 
dem  Kapitel  von  Parma  und  den  Wiberti  um  den  Besitz  des  Schlosses 
Meletolo  vor  dem  kaiserlichen  Notar  Albert  mehrfache  Zeugen- 
verhöre statt.  Eine  der  dabei  aufgenommenen  Urkunden  aus  dem 
Jahre  1164  bietet  den  gewünschten  Beweis  in  folgender  Aussage 
des  Priesters  Albert:  quod  vidit  teuere  Albertum,  filium  Guiberti 
Meletulum,  et  vidit  Teutum  clericum  de  Fontanella  colligere  usu- 
fructum  per  papani  Guibertum,  et  Obicinum  per  illos  de  Baila,  et 
Gaudolum  maleorum  per  Albertum  filium  Guiberti,  et  postea  au- 
divi  dicere,  quod  ipsi  tenebant  per  precarium  ab  ecclesia  Sanctae 
Maria e  .... 

Ohne  sich  erst  diese  sichere  Grundlage  für  seine  Arbeit  ge- 
schaffen zu  haben,  unternahm  endlich  jüngst  Graf  Riant'',  nach 
Mitteilungen  des  Grafen  Malaguzzi  den  Stammbaum  Wiberts  von  Ra- 
venna  genauer  zu  ermitteln.  Leider  ist  seine  Leistung  durch  zahl- 
reiche Flüchtigkeiten  und  Irrtümer  entstellt  ^. 

An  die  Spitze  seiner  Reihe  stellt  er  als  direkten  Nachkommen 
Gerards  Wido  I.  „de  comitatu  Parmae".  gestorben  vor  1009,  mit 
seinen  Söhnen  Frogerius  und  Albert,  von  denen  er  den  ersteren  als 
Stammvater  der  Herren  von  Correggio  bezeichnet.     Dafür  beruft  er 


^  Über  diese  sagt  einiges  Affo,  Storia  di  Parma  I,  228  f. 

2  Affo  a.  a.  0.  II,  66. 

^  Brefslau,  Mitteilungen  des  Instituts  für  österr.  Geschichtsforschung  VI,  122. 

•*  Eine  Urkunde  aus  dem  Kapitel- Archiv  von  Parma  (saec.  XII,  No.  73)  von 
1164.  Fragmente  bei  Affo  a.  a.  0.  II,  91  u.  114  Anm.  (an  beiden  Stellen  ist 
No.  72  Druckfehler)  und  bei  demselben,  Memorie  dei  scritt.  Parmig.  I,  34  Anm. 

^  In  der  Revue  des  questions  historiques  XXXIV,  247  ff.  1883. 

^  Dafs  in  seiner  Anmerkung  16  zum  Stammbaum  statt  Wibert  III.  genannt 
wird  Wibert  II.,  mag  auf  einem  Druckfehler  beruhen,  wie  vielleicht  auch  in 
Anm.  3  das  Citat  Annali  di  Como  II,  232  statt  838.  Dreimal  aber  nennt  er 
den  Verfasser  dieser  Annalen  Zatti  statt  Tatti,  beruft  sich  in  Anm.  1  auf  eine 
Urkunde,  die  weder  am  angegebenen  Orte  steht  noch  den  angegebenen  Inhalt 
hat.  Kurz  vorher  leitet  er  die  Wiberti  von  Siegfried  II.  her,  statt  von  Gerard. 
Übersehen  hat  er,  dafs  die  in  Anm.  9,  11  u.  12  angezogene  Schenkungsurkunde 
von  1092  bei  Muratori,  Ant.  Ital.  I,  427  und  bei  Affarosi,  Memorie  di  San  Pro- 
spero  I,  401  schon  gedruckt  ist.  Auf  sachHche  Irrtümer  komme  ich  im  Text 
zurück. 


Genealogisches.  3 

sich  auf  eine  Urkunde  von  980  bei  Tiraboschi  ^  und  auf  desselben 
Dizionario  topografico  -.  In  letzterem  steht  eben  nur,  dafs  Frogerius 
Stammvater  der  Herren  von  Correggio  gewesen  ist.  Das  erste  Citat 
ist  falsch  und  enthält  auch  nicht,  was  Riant  angiebt.  Es  ist  viel- 
mehr die  Urkunde  bei  Tiraboschi  I,  173  No.  153  vom  5.  Oktober 
1009  gemeint,  laut  welcher  Frogerius  und  Adalbert,  Söhne  weiland 
Widos  de  Comitatu  Regiense  (nicht  Parmensi)  der  Michaelskirche 
in  Correggio  gewisse  Güter  schenken.  Wie  man  hieraus  auf  einen 
Zusammenhang  mit  den  Wiberti  schliefsen  kann,  verstehe  ich  nicht ; 
der  einzige  Anhalt  —  ein  wie  schwacher  aber  —  könnte  sein,  dafs 
1015  ^  das  Haupt  der  Wiberti  Albert  heifst,  während  hier  ein  Sohn 
Widos  den  Namen  Adalbert  trägt.  Indes  Riant  hat  einfach  eine 
Behauptung  Früherer  wiederholt,  ich  vermute,  eine  Anmerkung  Mu- 
ratoris  zu  Donizo  trägt  die  Schuld  ^,  dieser  aber  schweigt  über  seine 
Gewährsmänner.  Schon  Affö  hat  Widerspruch  erhoben  ^  und  auch 
neuerlich  ist  Bigi  nicht  imstande  gewesen ,  einen  Zusammenhang 
aufzufinden  ^  Nach  ihm  hat  zu  der  von  mir  bekämpften  Annahme 
der  Umstand  Anlafs  gegeben,  dafs  die  Gräfin  Mathilde  im  Kriege 
mit  Heinrich  IV.  vorübergehend  Correggio  besetzte ,  damit  nicht 
die  Herren  der  Stadt  zum  Kaiser  übergingen.  AVie  man  von  da 
zu  den  Wiberti  gelangen  will,  ist  mir  erst  recht  unverständlich. 
Kurz,  wir  haben  es  mit  einer  ganz  unbegründeten,  willkürlichen 
Annahme  zu  thun. 

Eine  Prüfung  des  verbleibenden  Teils  des  Stammbaums  ist  leider 
nicht  durchweg  möglich,  da  sechs  Urkunden  des  Archivs  von  San 
Prospero  in  Reggio,  auf  die  sich  Riant  stützt,  nicht  veröffentlicht 
sind  l  Da  es  mir  aber  nicht  angezeigt  erscheint,  Riant  ohne  wei- 
teres zu  folgen,  will  ich  suchen,  auch  ohne  dies  Material  zu  wahr- 
scheinlichen Resultaten  zu  kommen. 


^  Tiraboschi,  Cod.  diplom.  Moden,  hinter  seinen  Memorie  storiche  Modenesi 
I,  145. 

2  s.  V.  Correggio.         ^  Tatti,  Annali  di  Como  II,  838. 

^  Muratori  in  Donizonem  1,  115  (dat  Gruibertinam  etc.)  SS.  rerum  Ital.  V, 
346  Anm.  24:  ex  hac  Hnea  processisse  Guibertum  Parmensem ,  Ravennatem 
archiepiscopum  ac  deinde  pseudopapam  famosum  Gregorii  VII.  papae  tempo- 
ribus,  simulque  famiUam  principum  Corrigiensium,  quae  paucos  ante  annos,  fe- 
minis  tantum  superstitibus,  omnino  desiit:  sunt  qui  scribunt,  eorumque  sententiae 
facile  me  adjungerem. 

'"  Affö,  Memorie  I,  33. 

*  Bigi  in  den  Atti  e  memorie  delle  deputazioni  Moden,  e  Parm.  III,  213 
Anm.  2. 

'  Es  sind  das  Schenkungsurkunden  von  1007,  1052,  1090,  1091,  1098  (zwei). — 
Taccoli,  Memorie  stör.  Reggione,  war  mir  nicht  zugänglich. 

1* 


4:  Genealogisches. 

Im  Jahre  1015  ^  schenkt  Heinrich  II.  dem  Kloster  San  Abondio 
in  Como  die  im  Veltlin  gelegenen,  von  ihm  konfiszierten  Besitzungen 
Alberti  Parmensis  filiorumque  eins  scilicet  Uuiborti  et  Sigefredi. 
Im  Gegensatz  zu  ihren  canusinischen  Verwandten  hatten  sie  näm- 
lich dem  nationalen  König  Arduin  angehangen.  Ohne  Zweifel  dürfen 
wir  in  ihnen  Wiberti  sehen,  worauf  aufser  dem  Zusatz  Parmensis 
auch  der  Umstand  führt,  dafs  alle  drei  Namen  in  der  Familie  üblich 
sind.  Auf  Grund  einer  nicht  veröffentlichten  Urkunde  von  1007 
werden  bei  Riant  Irmgard  als  Alberts  Gemahlin,  Lanfrank  als  ein 
dritter  Sohn  aufgeführt,  indes  fallen  beide,  wie  auch  Siegfried,  aus 
der  weiteren  Betrachtung  heraus. 

In  zwei  Urkunden  von  1051  -  nun  begegnet  Berta  filia  qu.  Au- 
berti  marchioni  et  relicta  qu.  Viberti.  Von  ihr  hat  ein  gewisser 
Gezo  einen  Acker  zu  Gorgo  und  zwei  Knechte  gekauft,  überläfst 
aber  beides  der  Abtei  San  Prospero.  Ferner  finden  wir*^,  dafs  im 
Jahre  1091  Albertus  filius  quondam  Giberti  de  comitatu  parmense 
dersel])en  Abtei  Waldung  und  Wiesen  ebenfalls  in  Gorgo  überweist, 
die  das  Kloster  zur  Befriedigung  seines  Bedarfs  benutzen  sollte. 
Derselbe  Albert,  Sohn  Wiberts,  schenkt  am  6.  September  1100^ 
pro  itinere  Sancti  Dei  sepulcri,  d.  h.  unmittelbar  vor  seinem  Auf- 
bruch in  das  heilige  Land  eben  dieser  Abtei  eine  Mühle  Aviederum 
zu  Gorgo.  Es  ergiebt  sicli  somit,  dafs  Albert  ein  Sohn  AViberts 
und  der  Bertha  aus  dem  Hause  der  Otbertiner '"^  war,  dafs  sein 
Vater  indes  schon  1051  nicht  mehr  lebte. 

Im  Jahre  1092*'  a])er  verfügen  zu  Gunsten  von  San  Prospero 
auch  Adelaxe  filia  Ugoni  comes  et  relicta  quondam  Uuidonis  de 
comitato  Parmense  et  Uuido  filius  Alberti,  wohl  auch  guilia  nurus 
mea  (die  Urkunde  ist  lückenhaft  veröffentlicht)  für  ihr  eigenes  Seelen- 
heil wie  für  das  ihres  verstorbenen  Sohnes  Albert  über  sechs  Morgen 
Land  in  Gorgo :  auch  sie  gehören  derselben  Familie  an ;  nicht  die 
schwächste  Stütze  dieser  Behauptung  ist,  dafs  alle  bisher  Genannten 
über  Teile  stets  desselben  Besitztums  verfügen. 

Leider  fehlt  nun  eine  Urkunde  für  San  Prospero  von  1052  ', 
in  der  vermutlich  Wibert  und  Wido ,  Söhne  weiland  AViberts,  ge- 
nannt sind  ^ ;  hierin  wird  man  Kiant  ohne  Bedenken  folgen  dürfen. 

1  Tatti,  Annali  di  Como  II,  837  f.     Stumpf  1656. 

-  Affarosi,  Memoria  di  San  Prospero  I,  376  u.  377. 

3  Aliarosi  a.  a.  0.  I,  400.         '  Riant  a.  a.  0.  XXXIV,  252,  Urk.  No.  1. 

^  Vgl.  über  dieses  Haus  Brefslau,  Jahrb.  Konrads  II.  I,  414  fl". 

<*  Affarosi  a.  a.  O.  I,  401.         '  S.  u.  S.  7  den  Stammbaum. 

^  Wenn  diese  Urkunde  Albert  nicht  nennt ,  so  war  er  wohl  damals  noch 
nicht  mündig,  was  zu  einem  vorzeitigen  Tode  seines  Vaters  und  dazu,  dafs  wir 
ihm  noch  1100  begegnen,  vortreÖ'lich  stimmt. 


Genealogisches.  5 

Ist  dem  aber  so ,  so  nehme  ich  keinen  Anstand ,  Wido  mit  dem 
Gatten  Adelaxas,  Wibert,  den  Vater  Wiberts  und  AVidos,  mit 
Wibert,  dem  Vater  Alberts  und  Gatten  Berthas,  zu  identifizieren. 
Wir  sehen  dann  drei  Brüder  vor  uns.  Wibert,  Wido,  Albert :  Wido 
ist  1092  schon  gestorben,  Albert  nahm  1100  an  dem  Nachkreuz- 
zuge  der  Lombarden  teil  ^,  in  Wibert  aber  haben  wir  den  Gegen- 
papst Clemens  III.  (f  1100)  zu  erkennen. 

Eine  weitere  Frage  erhebt  sich :  ist  der  Wibert,  Sohn  Alberts, 
von  1015  (s.  o.  S.  4)  identisch  mit  Wibert,  dem  1051  nicht  mehr 
lebenden  Gatten  Berthas  ?  Dafür  läfst  sich  ein  Beweis  freilich  nicht 
erbringen,  mit  der  nackten  Wahrscheinlichkeit  wird  man  sich  be- 
gnügen müssen ,  gegen  die  Identität  spricht  nichts.  Da  Wiberts 
Vater  1015  noch  lebte,  er  selber  1051  schon  tot  war,  wird  er  ein 
hohes  Alter  nicht  erreicht  haben;  geheiratet  hat  er  jedenfalls  ziem- 
lich viel  später  als  1015. 

Die  Genealogie  von  den  drei  Brüdern  Wibert ,  Wido ,  Albert 
abwärts  ergiebt  sich  einfach.  Wibert  hinterliefs  als  Geistlicher 
keine  Nachkommen,  die  Widos  bietet  die  schon  erwähnte  Urkunde 
von  1092 -. 

Albert  hatte  drei  Söhne :  Hildebrand ,  Wibert  -^  und  Hugo. 
Hildebrand  und  Hugo  haben  die  Schenkungsurkunde  ihres  Vaters 
von  1091^  unterschrieben,  Wibert  nicht,  da  er  nach  einer  nicht 
publizierten  Schenkungsurkunde  seiner  Gattin  und  seines  Sohnes 
Wido  1091  bereits  tot  war.  Da  unter  den  Zeugen  der  Urkunde 
Alberts  von  1100'^  von  Söhnen  nur  Hildebrand  erwähnt  wird,  ist 
Hugo  wohl  zwischen  1091  und  1100  auch  gestorben. 

Endlich  erfahren  wir  aus  der  bereits  oben  (S.  2)  erwähnten  Ur- 
kunde von  1164,  dafs  Alberts  Sohn  Wibert  wieder  einen  Sohn  Albert 
hatte  ^ :  Albertus,  qui  fuit  appellatus  comes  Parmae,  fuit  pater  Gui- 
berti, et  Guibertus  pater  Alberti.  Diesen  Albert  bezeichnet  Riant 
als  Stammvater  der  Familie  Malapresa,  allerdings  ohne  strikten 
Beweis.  Aus  einer  Urkunde  bei  Affö  II,  378  ergibt  sich  freilich, 
dafs  ein  Malapresa  zu  den  AViberti  gehörte,  und  1134  '  wird  Albert 
Malapresa  von  dem  Bischof  von  Reggio  mit  verschiedenen  Gütern 
belehnt.     Das  mag  immerhin  dieser  Albert  sein. 

Die  eben  berührte  Notiz  aber  nötigt  uns ,  noch  eine  andere 
Frage  zu  stellen.  Der  ältere  Albert,  der  Kreuzfahrer,  —  denn 
dieser  ist  zu  verstehen,  da  er  auch  sonst  in  der  Urkunde  erscheint, 


1  Riant  a.  a.  0.  S.  252  ff.,  Urk.  No.  1 ;  vgl.  S.  6  f. 

2  Affarosi  a.  a.  0.  I,  401.         ^  Affö,  Storia  II,  114  Anm. 

*  Affarosi  a.  a.  0.  I,  400.        -^  Riant  a.  a.  0.  S.  252,  Urk.  No.  1. 

«  Affö  a.  a.  0.  II,  114  Anm.  '  Tiraboschi,  Cod.  diplom.  Moden.  III,  6. 


6  Genealogisches. 

und  da  zeitlich  sehr  wohl  stimmt,  dafs  er  mindestens  drei  Gene- 
rationen vor  1164  lebt  —  wurde  comes  Parmae  genannt;  nach  Affö 
und  Riant  ^  war  er  Graf  von  Parma.  Dagegen  spricht  aber,  dafs 
er  sich  weder  in  einer  Urkunde  von  1091  noch  in  der  vom  6.  Sep- 
tember 1100  selber  so  bezeichnet,  sondern  nur  als  de  comitatu  Par- 
mensi  -,  bezw.  de  civitate  Parme  'l  In  zwei  Generationen  nach  ihm 
finde  ich  keine  Spur  von  diesem  Titel.  Auch  beachte  man  den 
Ausdruck  „er  wurde  Graf  genannt",  der  nicht  geradezu  besagt,  dafs 
er  auch  Graf  war.  Zudem  läfst  sich  eine  andere  Familie  nach- 
weisen, welche  den  Grafentitel  von  Parma  führte. 

Am  28.  Februar  1050  begegnet  Jolicta  comitissa  filia  Uberti 
comitis  de  comitatu  Parmae  * ;  ein  Graf  Arduin  von  Parma  wohnt 
am  18.  Juni  1051  einem  Gericht  des  Markgrafen  Bonifaz,  am  9.  Fe- 
bruar 1055  einem  kaiserlichen  Gericht  in  Parma  bei  ^  und  macht 
am  13.  März  1058  der  Kathedrale,  am  21.  August  1054  und  am 
2.  November  1062  der  Abtei  San  Prospero  in  Reggio  Schenkungen  ■'. 
Von  seinem  Sohne  vermutlich  heifst  es  1090  in  einer  Urkunde : 
Ego  Ubertus  comes  filius  qu.  Arduini  itemque  comitis  de  comitatu 
Parmense  '^.  Den  Grafentitel  hatte  somit  die  Familie  der  Wiberti 
damals  noch  nicht. 

Nunmehr  erledigt  sich  auch  leicht  eine  Stelle  Alberts  von  Aachen, 
die  der  Herstellung  des  Stammbaums  der  Wiberti  entgegen  zu  stehen 
scheint.  Dieser  Schriftsteller  berichtet  am  Anfang  seines  8.  Buches 
über  den  Kreuzzug  der  Lombarden,  die  am  13.  September  1100 
unter  der  Führung  des  Erzbischofs  Anselm  von  Mailand  aufbrachen  ^ 
Wo  er  die  hauptsächlichsten  Teilnehmer  aufzählt  (8,  1),  findet  sich 
auch:  Wibertus  comes  civitatis  Parmae.  Und  8.  15  ist  „Wibertus 
de  Parma"  einer  der  Befehlshaber  des  fünften  Schlachthaufens  in 
der  Entscheidungsschlacht,  welche  im  Sommer  1101  zum  Rückzug 
führte.  Jene  von  Riant  veröffentlichte  Urkunde  vom  6.  September 
1100  '^   läfst   aber  gerade   einen  Albert  von  Parma   als  Teilnehmer 


1  Affü  a.  a.  0.  1.1,  114.    Riant  a.  a.  O.  S.  251.         -  Affarosi  a.  a.  O.  I,  400. 

3  Riant  a.  a.  0.  S.  252  ff.,  Urk.  No.  1. 

•*  Muratori,  Delle  anticliitä  Estensi  I,  24  S.  230. 

"  Affö  a.  a.  0.  II,  323  u.  325.  ^  ]yiuratori,  Ant.  Ital.  I,  423  u.  IV,  803. 

"  Margarini,  BuUarium  Casinense  II,  114  No,  119.  Vgl.  noch  drei  Urkunden 
aus  demselben  Jahre  bei  Muratori,  Ant.  Ital.  I,  422  u.  426  (davon  zwei  auch 
bei  Bacchini,  Istoria  di  Polirone,  App.  S.  33  u.  35). 

^  Albertus  Aquensis  8,  1  u.  15  in  Historiens.  occid.  des  croisades  IV,  559 
u.  568 :  cfr.  Ekkehardi  Hierosolymita  ed.  Hagenmeyer  22,  3.  Landulfi  iun.  hist. 
Mediolan.  c.  4.  SS.  XX,  22.  Notae  S.  Mariae  Mediolan.  SS.  XVIII,  385,  welche 
das  Datum  geben. 

ö  Riant  a.  a.  O.  S.  252  ff.,  Urk.  No.  1 ;  vol.  auch  die  Urkunde  vom  9.  Juli 


Genealogisches.  7 

des  Zuges  erscheinen.  Um  Übereinstimmung  herzustellen,  wollte 
Eiant  bei  Albert  von  Aachen  an  beiden  Stellen  mit  einer  aller- 
dings leichten  Änderung  Albertus  statt  Wibertus  schreiben.  Das 
wäre  freilich  notwendig ,  wenn  man  mit  Affö  ^  annehmen  müfste, 
dafs  dieser  Graf  Wibert  einer  der  Wiberti  gewesen  sei,  da  sich 
sonst  für  die  Genealogie  der  Familie  unüberwindliche  Schwierig- 
keiten ergäben.  Aber  diese  Annahme  ist  nicht  statthaft  eben  wegen 
des  Grafentitels,  und  viel  näher  liegt  die  Vermutung,  dafs  der  eben 
erwähnte  Graf  Ubertus  von  Parma  bei  Albert  von  Aachen  zu  ver- 
stehen ist,  wodurch  auch  die  Änderung  im  Text  unnötig  wird. 

Über  den  Besitz  der  Familie  läfst  sich  wegen  Mangels  des 
Materials  Genaueres  nicht  angeben ;  hatte  sie  auch  ihre  Güter  im 
Veltlin  1015  eingebüfst,  so  war  sie  später  jedenfalls  noch  in  den 
beiden  Grafschaften  Parma  und  Reggio  angesessen. 

Schliefslich  gebe  ich  den  Stammbaum  und  die  Quellen,  auf 
denen  er  beruht,  wobei  ich  in  Klammern  einschliefse,  was  auf  un- 
gedrucktes Material  zurückgeht. 

Albert  I.   [Gemahlin :  Irmgard].  - 

Siegfried ^  Wibert  I.*,  f  vor  1051^,  Gemahlin:  [Lanfrank]^ 

Bertha,  Tochter  des  Markgrafen  Otbert. 

I 

[Wibert  IL,  d.  i.  [Wido  I.]  ^  f  ^^or  1092,  Gemahlin:         Albert  II.  i^,  der 

Gegenpapst  Adelaxe,  Tochter^  des  Grafen  Hugo      Kreuzfahrer,  7  nach 

Clemens  III.,  [von  Sabionetta].  1100  [Gemahlin: 

t  1100]  \  Guldrade]. 


Albert  III.  '^,  f  1092,  Gemahlin :    Hildebrand  ^^      Wibert  LEI.  ^^  Hugo  " 

Julia  [Tochter  Widos].  [t  vor  1091,  Ge-    f  zw.  1091 

mahlin:  Bertha,        u.  1100. 
Tochter  Absons 
von  Brescia]  ^^. 

\ \ 

Wido  II.  »1  [Wido  III]  1'.     Albert  IV.  ^^  lebte 

1134,  Stammvater 
der  Malapresa. 


1163 :  Fragmente  bei  Affo  a.  a.  0.  II,  159  Anm.  b.  vollständig  bei  Riant  a.  a.  0. 
S.  254  f.,  Urk.  No.  2. 

1  Affö  a.  a.  0.  II,  122. 

-  Urkunde  Heinrichs  II.  bei  Tatti,  Ann.  di  Como  II,  838  [Schenkung  von 
1009  bei  Taccoli,  Mem.  stör.  Uegg.  II,  679]. 

3  Tatti  a.  a.  0. 

*  Tatti  a.  a.  0.  [Schenkung  von  1007  im  Archiv  von  San  Prospero]. 

^  2  Urkunden  von  1051  bei  Aöarosi,  Mem.  di  San  Prospero  I,  376  u.  377. 

«  [Schenkung  von  1007,  s.  Anm.  3]. 


8  Wibert  als  Kanzler  für  Italien. 

Zweites  Kapitel. 
Wibert  als  Kanzler  für  Italien. 

Aus  einer  angesehenen,  mit  den  Markgrafen  von  Canossa  und  den 
Otbertinern  nahe  verwandten  Familie  stammend,  ist  Wibert,  gleichen 
Namens  mit  seinem  Vater,  wohl  zwischen  1020  und  1030  in  Parma 
geboren  ^,  wo  er  gewifs  auch  seine  Bildung  erhalten  hat.  Er  wurde 
dem  geistlichen  Stande  bestimmt  und  ist  wohl  identisch  mit  dem  Pres- 
byter Wibertus,  den  zwei  undatierte  Urkunden  des  Bischofs  Cadalus 
von  Parma  ^  als  Zeugen  nennen.  Da  Cadalus  1046  ^  Bischof  wurde, 
stammen  sie  aus  den  Jahren  1046 — 57.  Gewifs  erlangte  Wibert  bei 
seinem  Bischof,  der  auch  einer  reichen  Familie  angehörte  ^,  eine 
Stellung  von  Einflufs,  er  begleitete  ihn  höchst  wahrscheinlich  mehr- 
fach nach  auswärts,  wie  wir  noch  sehen  werden. 

Nun  führte  in  Deutschland  nach  Kaiser  Heinrichs  III.  Tode 
(5.  Oktober  1056)^  für  dessen  minderjährigen  Sohn  Heinrich  zu- 
nächst die  Kaiserin  Agnes  die  Eegentschaft.  Unter  ihre  ersten  Re- 
gierungshandlungen  zählt  die  Ernennung  AViberts  zum  Kanzler  für 
Italien  ^.    Sein  Vorgänger  auf  diesem  Posten,  Günther,  wurde  Bischof 


8  ^  [Schenkung  von  1052  im  Archiv  von  San  Prospero]. 

ö  10  11  Schenkung  von  1092  bei  Affarosi  a.  a.  0.  I,  401  und  bei  Muratori, 
Ant.  Ital.  I,  427. 

12  Schenkungen  von  1091  bei  Affarosi  a.  a.  0.  I,  400  u.  von  1100  bei  Riant, 
Revue  des  questions  histor,  XXXIV,  252,  Urk.  No.  1.  Urkunde  von  1164  bei 
Affö,  Storia  di  Parma  II,  91  u.  114  Anm.  und  bei  demselben,  Memorie  dei  scritt. 
Parmig  I,  34  Anm.  [Schenkung  von  1091  u.  2  von  1098  im  Archiv  von  San 
Prospero]. 

1^  Schenkungen  von  1091  u.  1100,  s.  Anm.  12. 

1*  Desgl.  von  [1090]  u.  1091,  s.  Anm.  12.         '^  Urk.  von  1164,  s.  Anm.  12. 

1«  1'  [Schenkung  der  Witwe  Wiberts  III.  von  1091  im  Archiv  von  San 
Prospero]. 

18  Affö,  Storia  di  Parma  II,  114  Anm.  u.  378.  Tiraboschi,  Cod.  dipl.  Moden, 
hinter  den  Mem.  stör.  Modenesi  III,  6. 

1  Affö,  Memorie  I,  35;  vgl.  Don.  2,  121  SS.  XII,  382. 

2  Gedruckt  bei  Affö,  Storia  di  Parma  II,  316  u.  318  No.  16  (wo  Brefslau, 
Mitteüungen  des  Inst.  f.  österr.  Geschichtsf.  VI,  122  gewifs  richtig  Uuibertus 
für  Unibertus  schreibt)  u.  17. 

"^  Gams,  Series  episc.  744.        **  Bonizo  bei  Jaffe,  ßibl.  II,  645. 

5  Vgl.  Steindorff,  Jahrb.  Heinrichs  III.  II,  356. 

ö  Bonizo  642.  Aus  ihm  schöpft  der  früher  sogen.  Cardinalis  Nicolaus  Ara- 
gonensis,  jetzt  bei  Watterich,  Vitae  pontificum  I,  207  ff.  Vgl.  über  Wibert  bis 
1080  den  kurzen  Abrifs  bei  Martens,  Die  Besetzung  des  päpstlichen  Stuhls  unter 
Heinrich  III.  etc.  S.  199—203. 


Wibert  als  Kanzler  für  Italien.  9 

von  Bamberg,  wo  Adalbert  am  14.  Februar  1057  gestorben  war^, 
wonach  Wiberts  Ernennung  um  Ostern  (30.  Märzj  1057  anzusetzen 
sein  dürfte.  Agnes  mufs  Wibert  bereits  früher  kennen  gelernt  haben, 
auf  die  Gelegenheiten,  bei  denen  dies  geschehen  sein  kann,  macht 
Brefslau  aufmerksam '-.  Im  Februar  1054  war  Cadalus  gewifs  nicht 
ohne  Gefolge  auf  dem  Hoftage  von  Zürich  anwesend  -^ ;  und  am 
15.  Juni  1055  gab  Heinrich  III.  auf  seinem  zweiten  Romzuge,  an 
dem  auch  Agnes  teilnahm,  in  dem  Kloster  zu  Borgo  San-Genesio 
ein  Placitum  für  San  Prospero  in  Reggio  ab,  wobei  auch  Cadalus 
von  Parma  zugegen  war  ^. 

Von  Wiberts  Thätigkeit  als  Reichskanzler  geben  noch  9,  davon  2 
im  Original  erhaltene  Urkunden  Zeugnis,  welche  die  Rekognitions- 
formel  Wibertus  cancellarius  vice  Annonis  archicancellarii  tragen  '"*. 
Vielleicht  käme  noch  eine  zehnte  hinzu  für  den  Patriarchen  von 
Aquileja,  die  verstümmelt  überliefert  ist^.  Dies  bleibt  aber  fraglich, 
da  selbst  das  Jahr  1060  nicht  feststeht,  und  es  sich  um  Güter  in 
Istrien  handelt,  eine  Rekognition  durch  den  Kanzler  für  Deutsch- 
land also  nicht  ausgeschlossen  ist.  Eine  Zusammenstellung  der  Ur- 
kunden nach  Zeit.    Ort   und  Empfängern   möge  hier  Platz  finden: 

2554.    12.  Juni  1058.    Augsburg;  für  das  Bistum  Padua. 

2556.  1 

g_„_"   [  15.  Juni  1058.    Augsburg;  für  das  Bistum  Cremona. 

2584.  13.  April  1060.    Goslar;  für  das  Bistum  Novara. 

2596  a.  31.  Oktober  1061.  Schachen  bei  Waldshut;  für  das 
Kloster  San  Sisto  in  Piacenza. 

2612.  24.  Oktober  1062.  Augsburg;  für  das  St.  Andreaskloster 
in  Freising  betreffend  Güter  in  Istrien. 

2617.  16.  Dezember  1062.  Regensburg;  für  den  Patriarchen  von 
Aquileja. 

2621.  24.  Juni  1063.    Allstädt;  für  das  Erzbistum  Ravenna. 

2978.  1058—1063;  für  das  Bistum  Como. 

Obwohl  die  Stellung  eines  Kanzlers  politisch  von  grofser  Be- 


^  Jaffe,  Bibl.  Y,  556.  Stumpf,  Reichskanzler  II,  174.  Giesebrecht,  Deutsche 
Kaiserzeit  III,  60  u.  1089  ff.  (stets  nach  der  4.  Aufl.  citiert). 

-  Brefslau,  Mitteilungen  des  Inst,  für  österr.  Geschichtsf.  VI,  122  ff. 

^  Vgl.  Steindorff,  Jahrb.  Heinrichs  III.  II,  261.  Ficker,  Forsch,  z,  Reichs- 
u.  Rechtsgeschichte  Italiens  IV,  88. 

*  Vgl.  Steindorff  a.  a.  0.  II,  299  u.  307.     Stumpf  2475. 

^  Vgl.  Brefslau  a.  a.  0.  VI,  122  f.  Es  sind  Stumpf  2551,  2556,  2557,  2584, 
2596  a,  2612,  2617,  2621,  2978. 

^  Stumpf  2585.  Stumpf  2759  ist  jedenfalls  nicht  in  Ordnung;  die  Urkunde 
ist  aus  Veriburgen  vom  2.  Januar  1073  datiert  und  hat  die  Rekognition:  Uuic- 
bertus  cancellarius  vice  Annonis  archicancellarii  recoo-novi. 


10  Wibert  als  Kanzler  für  Italien, 

deutung  war,  haben  wir  doch  nur  geringe  Spuren  von  Wiberts  An- 
teil an  den  Zeitereignissen  ^.  Diese  zusammenzustellen,  mufs  ich  mich 
begnügen. 

Wir  finden  Wibert  zunächst  als  kaiserlichen  missus  -  zu  Anfang 
1059  in  Italien,  wo  er  sich  am  Vorgehen  gegen  Benedikt  X.  beteiligte, 
den  Papst  des  römischen  Adels.  Der  im  Dezember  1058  in  Siena 
nach  vorausgegangener  kaiserlicher  Zustimmung  zum  Papst  gewählte 
Nikolaus  II.  (Bischof  Gerhard  von  Florenz)  berief  nämlich  zum 
Januar  1059  eine  Synode  nach  Sutri.  auf  der  über  Benedikt  ver- 
handelt wurde:  neben  Herzog  Gottfrieds,  wie  der  tuscischen  und 
lombardischen  Bischöfe  Anwesenheit  ist  auch  die  Wiberts  ausdrück- 
lich bezeugt  '^.  Er  zog  mit  nach  Rom  und  verliefs  die  Stadt  erst, 
nachdem  er  der  Inthronisation  Nikolaus*  II.  (24.  Januar  1059)  bei- 
gewohnt hatte.  Benedikt  indes  leistete  Widerstand,  mufste  in  Ga- 
leria  belagert  werden  und  unterwarf  sich  erst  auf  der  lateranensischen 
Synode  vom  April  1060  ^.  Nach  einer  Synodalurkunde  für  die  Abtei 
Leno  ^  war  Wibert  auch  hier  zugegen,  ohne  dafs  wir  mehr  als  eben 
diese  Thatsache  erführen. 

Nach  zwei  Einladungsschreiben  zu  der  Synode  von  1060  ^  sollte 
dieselbe  stattfinden  post  pascha  (26.  März  1060),  genauer  in  tertia 
septimana  post  pascha,  d.  i.  in  der  AYoche  vom  9.  bis  15.  April 
1060".  Wiberts  Anwesenheit  steht  urkundlich  fest;  gleichwohl  ist 
eine  Urkunde  vom  13.  April  1060  aus  Goslar^  für  das  Bistum  No- 
vara  von  ihm  rekognosziert:  ein  neuer  Beweis,  dafs  der  Kanzler  mit 


^  Die  Kenntnis  derselben  mufs  ich  natürlich  voraussetzen;  ich  verweise  auf 
Giesebrecht,  Geschichte  der  deutschen  Kaiserzeit,  Band  3,  und  gebe  nur  kurze 
Übersichten  zur  Orientierung. 

2  Vgl.  Ficker,  Forsch,  z.  Reichs-  und  Rechtsg.  Ital.  II,  1.  Derselbe  weist 
nach,  dafs  für  den  missus  bisweilen  der  Ausdruck  nuntius  vorkomme.  Dann 
wird  durch  den  gefälschten  Königsparagraphen  der  sogenannten  kaiserlichen 
Fassung  des  Wahldekrets  von  1059,  wo  es  heifst :  mediante  eins  nuntio  Longo- 
bardiae  cancellario  W(iberto) ,  bestätigt ,  dafs  Wibert  1059  missus  war.  Der 
Fälscher  mufs  ein  genauer  Kenner  der  Verhältnisse  jenes  Jahres  gewesen  sein. 
(Vgl.  S.  11  ff.) 

3  Bonizo  642. 

•*  Giesebrecht  III,  42  f.  u.  1085  ff.  läfst  ihn  sich  schon  April  1059  unter- 
werfen. Entscheidende  Gründe  dagegen  bei  Scheffer-Boichorst,  Die  Neuordnung 
der  Papstwahl  etc.  S.  50.  Vgl.  Jaffe-Löwenfeld,  Regesta  pontificum  Romanorum 
I,  556  u.  563. 

'"  Zaccaria,  Badia  di  Leno  104  ff.  Jaffe-L.  L  562.  Die  Urkunde  nennt  unter 
den  Anwesenden:   Wiberto  serenissimo  imperiali  cancellario. 

«  Jaffe-L.  4411.  4412. 

'  Diese  Bestimmung  würde  auf  die  Synode  von  1059,  die  am  13.  April  ver- 
sammelt war.  nicht  passen,  da  Ostern  1059  auf  den  4.  April  fiel. 

8  Stumpf  2584. 


Wibert  als  Kanzler  für  Italien.  H 

der  Ausfertigung  der  Urkunde  persönlich  nichts  zu  thun  zu  haben 
braucht.  Die  materielle  Erledigung  kann  ja  vor  Wiberts  Abreise 
stattgefunden  haben. 

Inzwischen  aber  ist  sein  Name  mit  einer  sehr  bestrittenen  An- 
gelegenheit verknüpft :  er  findet  sich  in  dem  berühmten  Wahldekret 
Nikolaus'  II.  vom  13.  April  1059  ^ ;  ich  mufs  diese  Frage  hier  be- 
rühren, ohne  dafs  ich  auf  eine  erneute  Untersuchung  derselben  in 
ihrem  ganzen  Umfange  mich  einlassen  kann. 

Es  ist  bekannt,  dafs  das  Dekret  in  zwei  Fassungen  auf  uns  ge- 
kommen ist,  welche  man  als  päpstliche  und  kaiserliche  bezeichnet. 
Scheffer-Boichorst  hat  endgültig  erwiesen,  dafs  die  päpstliche  Fassung 
die  echte,  die  kaiserliche  zu  Parteizwecken  gefälscht  ist.  In  der 
letzteren  aber  begegnet  der  Name  Wiberts,  während  er  in  der  ersteren 
fehlt.  Der  Satz,  auf  den  es  ankommt,  lautet  in  der  päpstlichen 
Fassung:  Salvo  debito  honore  et  reverentia  dilecti  filii  nostri  Hen- 
rici,  qui  inpraesentiarum  rex  habetur  et  futurus  Imperator  deo  con- 
cedente  speratur,  sicut  iam  sibi  concessimus  et  successoribus  illius, 
qui  ab  hac  apostolica  sede  personaliter  hoc  ius  impetraverint.  In 
der  kaiserlichen  heifst  es  abweichend :  sicut  iam  sibi  mediante  eins 
nuntio  Longobardiae  cancellario  W(iberto)  concessimus,  et  succes- 
sorum  illius,  qui  ab  hac  apostolica  sede  personaliter  hoc  ius  impe- 
traverint -. 

Dieser  Satz  hat  nun  eine  verschiedene  Auslegung  erfahren.  Auf 
der  einen  Seite  steht  Scheffer-Boichorst,  dem  sich  Grauert  und 
Panzer  angeschlossen  haben  ^.  Er  bezieht  die  Worte  sicut  iam  sibi 
concessimus  etc.  auf  eine  besondere  vorsynodale  Verleihung  an  Hein- 
rich, die  wir  nicht  näher  kennen,  so  dafs  aus  dem  Wahldekret  selbst 
über  den  Umfang  des  königlichen  Pechtes  sich  nichts  ergiebt;  hoc 


^  Die  umfangreiche  Litteratur  bis  1879  findet  sich  bei  Scheffer-Boichorst, 
Die  Neuordnung  der  Papstwahl  unter  Nikolaus  II. ,  Strafsburg  1879,  S.  4  u.  5. 
Was  seitdem  hinzugekommen  ist,  ist  zusammengestellt  in  der  jüngsten  Arbeit, 
welche  sich  mit  diesem  Gegenstande  beschäftigt: 'Fetzer,  Voruntersuchungen  zu 
einer  Geschichte  des  Pontifikats  Alexanders  II.,  Strafsburg  1887,  S.  3. 

^  Ich  erinnere  auch  an  die  in  den  beiden  Fassungen  verschiedene  Stellung 
dieses  Satzes. 

Die  päpstliche  Fassung  ist  übrigens  gedruckt  bei  Scheffer-Boichorst  a.  a.  0. 
S.  14  ff.,  die  kaiserliche  S.  27  ff. 

Über  unseren  Paragraphen,  den  sogen.  Königsparagraphen,  handeln  die 
Neueren:  Scheffer-Boichorst  a.  a.  0.  S.  91 — 108.  Grauert,  Histor.  Jahrbuch  der 
Görres-Gesellschaft  I,  568—579.  Martens,  Die  Besetzung  des  päpstlichen  Stuhls 
unter  Heinrich  III.  und  Heinrich  IV.  S.  98—109.  Fetzer  a.  a.  0.  S.  14-17 
u.  24-31. 

^  Letzterer  in  „Papstwahl  und  Laieninvestitur  zur  Zeit  Papst  Nikolaus"  IL''. 
Separatabdruck  aus  dem  Histor.  Taschenbuch  1885  S.  10. 


12  Wibert  als  Kanzler  für  Italien. 

ius  geht  dann  wieder  auf  sicut  iam  sibi  concessimus.  Jeder  König 
hat  sich  von  neuem  um  dieses  Recht  zu  bewerben,  und  die  Verleihung 
bleibt  der  Kurie  anheimgestellt;  es  hätte  ebenso  gut  ein  für  allemal 
bewilligt  werden  können,  so  dafs  trotz  Martens  107  bei  Schetfer  S.  41 
kein  lapsus  calami  vorliegt  ^ 

Dieser  Auslegung  steht  die  von  Martens  (S.  104  ff.)  und  Fetzer 
(S.  28  ff.)  gegenüber.  Sie  beziehen  sicut  iam  sibi  concessimus  und 
hoc  ius  auf  qui  futurus  imperator  speratur  und  glauben  also,  dafs 
Nikolaus  vor  dem  April  1059  Heinrich  schon  die  Kaiserkrone  ver- 
sprochen habe.    Der  honor  debitus  ist  nach  Fetzer  der  Patriciat. 

Mir  scheinen  zunächst  die  Grründe  nicht  stichhaltig,  aus  denen 
sie  von  Scheffers  Auslegung  abgegangen  sind.  Ich  finde  darin,  dafs 
concessimus  und  concedente  verschiedene  Objekte  haben,  keine  Härte, 
glaube  auch  nicht,  dafs  die  Häufung  der  Ausdrücke  für  die  Ver- 
pflichtung der  Kurie  gegenüber  dem  Kaiser  störend  empfunden  wird. 
Der  honor  wird  als  debitus  bezeichnet,  weil  er  Heinrich  bereits  ver- 
liehen ist.  Und  wenn  sich  auch  die  kaiserliche  Partei  nie  auf  eine 
vorsynodale  Verleihung,  sondern  stets  auf  das  Wahldekret  berufen 
hat,  nun,  gerade  durch  unseren  Satz  wird  erstere  gewissermafsen  zu 
einem  integrierenden  Bestandteil  des  Dekrets  gemacht.  Wie  Fetzer 
an  eine  Bestätigung  des  Patriciats  denken  konnte,  verstehe  ich  nicht, 
diese  Würde  wurde  Heinrich  III.  von  den  Römern  verliehen  und  ist 
von  der  Kirche  in  einem  Rechtsakt  nie  anerkannt  worden.  Und  be- 
zieht man  die  Konzession  auf  das  Kaisertum,  was  soll  eine  spezielle 
Bestimmung  über  dieses  in  einer  Papstwahlordnung?  Endlich  dürfte 
sich  schwerlich  nachweisen  lassen,  dafs  das  imperium  als  ius  be- 
zeichnet werden  kann.  Diese  Auslegung  scheint  mir  zu  Schwierig- 
keiten zu  führen  -,  während  die  Scheffersche  plan  ist. 

Die  Erteilung  von  Rechten  bei  der  Papstwahl  an  jeden  einzelnen 
König  steht  also  im  Belieben  der  Kurie.  Alles  aber,  was  diese  zu- 
gestand, war  ein  formelles  Konsensrecht  nach  vollzogener  Wahl  vor 
der  Inthronisation  '■' ;  während  die  kaiserliche  Fassung  doch  Bestä- 
tigung des  Kandidaten  fordert.  In  jedem  Falle  ist  die  von  Hein- 
rich III.  durchgesetzte  einfache  Ernennung  des  Papstes  durch  den 
Kaiser  kraft  seines  Amtes  als  Patricius  Roms  damit  abgethan,  eine 
grofse  Minderung  der  kaiserlichen  Rechte  eingetreten. 


^  Das  Wort  personaliter  bedeutet  „für  ihre  Person",  nicht  „in  eigner  Person". 

^  Noch  andere  Gründe  gegen  dieselbe  führt  Scheffer-Boichorst  S.  41  f.  an; 
vgl.  aber  Martens  S.  103  und  Fetzer  S.  26. 

^  S.  Scheffer-ßoichorst  S.  97  ff.,  gegen  dessen  Ausführungen  nichts  Ent- 
scheidendes geltend  gemacht  worden  ist. 


Wibert  als  Kanzler  für  Italien.  13 

Somit  bleibt  alles  besteben,  was  Scheffer-Boichorst  ^  über  die 
Unmöglicbkeit  einer  Yermitteliing  Wiberts  gesagt  hat,  der  betreffende 
Passus  der  kaiserlichen  Fassung  ist  hineingefälscht.  Heinrich  IV. 
selber  hat  nämlich  stets  seine  mit  dem  Patriciat  verbundenen  Rechte 
aufrecht  erhalten ;  und  der  Vertreter  des  deutschen  Hofes  würde 
sich  gewifs  nicht  dazu  verstanden  haben,  die  Erteilung  des  Konsens- 
rechtes vom  päpstlichen  Belieben  abhängig  zu  machen  -.  Ich  halte 
für  erwiesen,  dafs  wir  es  mit  einem  einseitigen  Vorgehen  der  Kurie 
zu  thun  haben,  welche  vielleicht  gleichzeitig  mit  dem  Wahldekret 
aus  eigener  Machtvollkommenheit,  ohne  den  Kaiser  oder  seine  Vor- 
münder zu  fragen,  diesem  in  einer  besonderen  Urkunde  die  Rechte 
zuwies,  die  er  nach  ihrer  Anschauung  in  Zukunft  noch  ausüben  sollte  ; 
eine  Hinweisung  auf  diese  Verleihung  wurde  dann  in  das  eigentliche 
Wahldekret  aufgenommen.  Xikolaus  und  sein  Ratgeber  Hildebrand 
wufsten  eben  die  augenblickliche  Schwäche  der  weltlichen  Macht 
wohl  zu  nutzen.  Der  Umstand,  dafs  Heinrich  weitergehende  An- 
sprüche erhob,  als  ihm  auch  in  der  kaiserlichen  Passung  des  Dekrets 
zugebilligt  werden,  macht  es  weiter  unmöglich,  daran  zu  denken,  dafs 
Wiberts  Name  offiziell  hineingefälscht  sei.  Da  aber  der  Fälscher 
gegenüber  den  päpstlichen  Ansprüchen  die  Rechte  des  Königs  wesent- 
lich ausdehnte,  mochte  es  ihm  geraten  scheinen,  seinem  Werk  einen 
stärkeren  Rückhalt  dadurch  zu  geben,  dafs  er  den  Namen  des  da- 
maligen Kanzlers  und  späteren  Hauptes  der  kaiserlichen  Partei  gleich- 
sam als  Zeugen  anrieft.     Soviel  über  diese  so  oft  erörterte  Frage. 

Seit  dem  April  1060  verschwindet  Wibert  für  1^  o  Jahre  aus 
unserer  Überlieferung.  Unterdessen  Avar  Nikolaus  IL  am  27.  Juli 
1061  gestorben,  und  der  römische  Adel  erbat  sich  einen  Papst  von 
Heinrich  IV.  Das  war  ganz  gegen  Hildebrands,  des  leitenden  Geistes 
der  römischen  Kirche.  Absichten,  am  1.  Oktober  1061  liefs  er  den 
Bischof  Anselm  von  Lucca  wählen  und  als  Alexander  IL  inthroni- 
sieren, ohne  sich  um  die  Kaiserin  zu  kümmern.  Darob  grofse  L^nzu- 
friedenheit  in  Rom,  noch  gröfsere  unter  den  lombardischen  Bischöfen. 


1  a.  a.  0.  S.  106  S.  und  Beilage  1  S.  119  ff. 

2  Nach  Scheffer-Boichorst  S.  119  ff.  hätte  der  Kardinal  Stephan  die  Be- 
schlüsse der  Synode  dem  deutschen  Hofe  übermitteln  sollen,  wäre  aber  sehr  un- 
gnädig behandelt  und  gar  nicht  vorgelassen  worden.  Fetzer  hat  S.  43 — 51  u. 
73 — 76  Scheffers  Ansetzungen  zu  erschüttern  gesucht,  ohne  dafs  es  ihm  nach 
meiner  Ansicht  gelungen  ist.  Leider  mufs  ich  mir  eine  eingehende  Erörterung 
dieser  Frag-e  hier  versao^en. 

^  Fetzer  a.  a.  0.  S.  5  ist  der  einzige  seit  Scheffer-Boichorst ,  der  die  von 
mir  verworfenen  Worte  für  einen  Bestandteil  des  Originals  hält ;  seine  Gründe 
aber  stehen  und  fallen  mit  der  Annahme  oder  Verwerfung  seiner  Auslegung  des 
Königsparagraphen. 


14  AVibert  als  Kanzler  für  Italien. 

die  wesentlich  Gegner  der  Kirchenreform  waren.  Anselm  aber  war 
der  geistige  Urheber  der  Pataria,  einer  gegen  Simonie  und  Niko- 
laitismus  gerichteten  frondierenden  Bewegung  in  den  lombardischen 
Bischofsstädten.     Bei  dieser  Gelegenheit  tritt  Wibert  wieder  hervor. 

Auf  seinen  Antrieb  ^  nämlich  fand  eine  Versammlung  der  lom- 
bardischen Bischöfe  statt,  auf  welcher  beschlossen  wurde,  man  wolle 
keinen  Papst  anerkennen,  der  nicht  ex  paradiso  Italiae,  d.  h.  aus  der 
Lombardei  stamme,  mit  anderen  Worten  ein  Gegner  der  kirchlichen 
Reform  sei.  Auch  sie  wandten  sich  an  die  Kaiserin  und  legten  dar, 
wie  die  kaiserlichen  Rechte  bei  der  Wahl  Alexanders  gröblich  mifs- 
aclitet  worden  seien.  Ob  Wibert  unter  den  Gesandten  war,  ist  aus 
Bonizo  nicht  ersichtlich.  So  bleibt  auch  unsicher,  ob  er  an  jener 
Synode  von  Basel  teilnahm,  auf  welcher  am  28.  Oktober  1061 
Alexander  für  einen  Eindringling  erklärt,  und  Bischof  Cadalus  von 
Parma  von  Agnes  und  Heinrich  zum  Papst  ernannt  wurde.  Den- 
noch kann  man  wohl  ganz  eigentlich  Wibert  als  den  Vater  des  so 
entstandenen  Schismas  und  der  Wahl  gerade  seines  Bischofs  be- 
zeichnen,  die  wie  keine  andere  ihm  zum  Vorteil  gereichen  konnte. 

Von  nun  an  war  er  im  Interesse  des  Cadalus  thätig,  er  begleitete 
ihn  auf  seinem  ersten  Zuge  nach  Rom  (März— Mai  1062)'-;  allerdings 
ist  nur  die  Thatsache  seiner  Anwesenheit  und  zwar  durch  Benzo 
bezeugt,  dem  man  dies  wohl  glauben  darf  ^.  Cadalus,  im  ganzen  vom 
Glück  begünstigt,  verfehlte  sein  Ziel  lediglich  durch  das  Dazwischen- 
treten des  kaiserlichen  Statthalters  Herzog  Gottfried,  der  auf  eine 
kaiserliche  Entscheidung  verwies :  dies  wurde  verhängnisvoll  für  jenen. 
Denn  inzwischen  war  gegen  Pfingsten  1062  während  Wiberts  Ab- 
wesenheit in  Deutschland  der  bekannte  Königsraub  von  Kaiserswert 
verübt  worden.  An  Agnes'  Stelle  trat  zunächst  ein  Regiment,  dessen 
Seele  die  Erzbischöfe  von  Köln  und  Mainz  Avaren,  das  aber  schon 
im  Sommer  1063  durch  die  Reichsregentschaft  der  Erzbischöfe  Anno 
von  Köln  und  Adalbert  von  Bremen  ersetzt  wurde.  Die  neue  Re- 
gierung war  Alexander  günstig,  von  dem  die  Verschworenen  allein 
Nachsicht  erwarten  konnten,  und  die  Tage  von  Augsburg  (Oktober 
1062)  und  Mantua'(31.  Mai  1064)  vernichteten  des  Cadalus  Hoffnungen. 

Schon  längere  Zeit  vorher  hatte  Wibert  sein  Schicksal  erreicht. 
Der  Sturz  der  Kaiserin  mufste  auch  seine  Stellung  stark  erschüttern, 
doch  hielt   er  sich  noch  bis  zum  Sommer  1063,    Avurde   dann  aber 


^  Bonizo  645. 

2  Cfr.  Ann.  Altah.  1062  SS.  XX,  812.    Benzo  2,  13  SS.  XI,  612  ff.    Bonizo  646. 

3  Benzo  SS.  XI,  616.  Der  Jude  Leo  redet  die  Römer  an:  Certi  sumus  de 
vohmtate  regis  per  Albensem  episcopum,  regis  silentiarium ;  nunc  vero  cum  Bar- 
mensi  electo  audivimus  esse  cancellarium. 


Wibert  als  Erzbiscliof  von  Ravenna  bis  zu  seiner  Wahl  zum  Papst.       15 

seines  Amtes  entsetzt  K  Die  letzte  von  ihm  rekognoszierte  Urkunde 
ist  aus  Allstädt,  24.  Juni  1063  datiert  2,  schon  am  27.  September 
begegnen  wir  seinem  Nachfolger  Gregor  von  Vercelli  ^.  Die  Gründe 
der  Absetzung,  welche  Bonizo  nicht  angiebt,  sind  unschwer  zu  erraten. 
Vermutlich  hat  sich  Wibert  nach  Parma  zurückgezogen,  wo 
auch  Cadalus  seit  1064  unbeachtet  lebte;  für  9  Jahre  (1063 — 72) 
ist  er  völlig  verschollen.  Schon  als  Kanzler  aber  hat  er  seine  hervor- 
ragende Anhänglichkeit  an  die  kaiserliche  Sache  gezeigt,  und  schon 
als  Kanzler  hatte  er  seinen  ersten  Zusammenstofs  mit  Hildebrand. 


Drittes  Kapitel. 

Wibert  als  Erzbiscliof  roii  ßaYeima  bis  zu  seiner  IValil 

zum  Papst. 

Im  Winter  1071/72  starben  kurz  nacheinander  zwei  hervor- 
ragende Geistliche  der  kaiserlichen  Partei  in  Italien,  nämlich  der  ehe- 
malige Gegenpapst  Cadalus  von  Parma,  wahrscheinlich  Ende  1071  ^, 
und  Erzbischof  Heinrich  von  Ravenna,  einer  seiner  Hauptanhänger, 
am  Anfange  von  1072  vor  dem  22.  Februar  '^. 

Er  liefs  seine  Diözese  in  grofser  geistiger  Bedrängnis  zurück. 
Seit  etwa  1065  war  er  im  Banne  gewesen  *'  und  hatte  auch  die  Ea- 
vennaten  in  diesen  verstrickt,  da  sie  ihn  nicht  verlassen  wollten :  er 
ist  dann  auch  im  Banne  gestorben '.  Gleich  nach  dessen  Tode 
sandte  nun  Papst  Alexander  den  Kardinal  Petrus  Damiani,  der  aus 
Ravenna  gebürtig  war,  dorthin,  um  die  Stadt  von  der  Exkommuni- 
kation zu  befreien,  was  der  alte  Mann,  wie  berichtet  wird,  zu  grofser 
Freude  der  Bürger  auch  ausführte  ^.    In  diese  soeben  in  den  Schofs 


1  Bonizo  647.        ^  stumpf  2621.         ^  Stumpf  2630. 

*  Bonizo  654.        ^  Bonizo  654.     Ann.  Altah.  1072  SS.  XX,  824. 

^  Vielleicht  war  er  auf  der  Synode  gebannt  worden,  die  nach  Jaffe-L.  4565 
u,  4566  im  Jahre  1065  gehalten  worden  ist.  Der  Grund  ist  nicht  recht  klar; 
er  soll  nach  Griesebrecht  III,  107  nicht  auf  dem  Konzil  von  Mantua  erschienen 
sein  (so  auch  Ewald  im  Neuen  Archiv  V,  335  Anm.  3) ;  ich  habe  nicht  ermitteln 
können,  worauf  diese  Behauptung  beruht. 

'  Vgl.  Jaffe-L.  4578  u.  4624.  Ann.  Altah.  1068  SS.  XX,  818.  Vita  Petri 
Damiani  auct.  Joanne  Laudensi  c.  21  u.  22  in  Petri  Damiani  opera  ed.  Caietanus^ 
Paris  1743,  I,  vita,  S.  XVII.     Petri  Damiani  ep.  1,  14  opp.  ed.  Caj.  I,  11. 

^  Auf  dem  Rückwege  gelangte  er  nur  bis  Paenza,  wo  er  am  Fieber  er- 
krankte und  am  22.  Februar  1072  sein  Leben  beschlofs;  vgl.  über  diese  Vor- 
gänge des  näheren  die  vita  Petri  Damiani  seines  Schülers  und  Begleiters  Jo- 
hannes Laudensis  c.  21  u.  22,  s.  Anm.  7.  Als  Todestag  ist  der  22.  Februar 
festzuhalten,  denn  Johannes,  der  Augenzeuge  war,  giebt  an,  Petrus  sei  am  Tage 
cathedra  Petri  gestorben;   so  auch  Bernold  1072  SS.  V.  429.   während  derselbe 


16      Wibert  als  Erzbiscliof  von  Kavenna  bis  zu  seiner  Wahl  zum  Papst. 

der  Kirche  zurückgekehrte  Stadt  sollte  nun  Wibert  als  Erzbischof 
einziehen,  und  das  kam  so  ^ 

Nach  Cadalus'  Tode  begab  er  sich  an  den  Hof  und  bemühte 
sich  eifrig  um  den  Bischofsstuhl  seiner  Heimat  Parma,  wofür  er 
reichliche  Bitten  und  angeblich  auch  Geschenke  aufgewendet  haben 
soll.  Er  Avar  zu  ungelegener  Zeit  gekommen,  denn  nach  Erzbischof 
Adalberts  am  16.  März  1072  erfolgten  Tode  war  sein  Gegner  Anno 
wieder  am  Hofe;  gegenüber  einer  starken  unter  Geistlichen  und 
Laien.  Deutschen  und  Italienern  wider  ihn  sich  erhebenden  Strömung 
vermochte  er  sich  nicht  durchzusetzen,  und  nicht  er,  sondern  ein 
Eberhard  aus  Köln  wurde  durch  Annos  Einüufs  Bischof  von  Parma  ^. 
Da  wollte  es  sein  Stern,  dafs  seine  alte  Gönnerin,  die  Kaiserin  Agnes, 
vorübergehend  am  Hofe  eintraf;  am  25.  Juli  1072  kam  sie  in  Worms, 
wo  sich  Heinrich  damals  aufhielt,  an  ^.  Trotz  aller  Wandlungen  im 
übrigen  hatte  sie  ihrem  früheren  Kanzler  die  alte  Gunst  erhalten, 
sie  warf  jetzt  ihren  Einflufs  für  ihn  in  die  AVagschale  und  bewirkte, 
dafs  Wibert  das  erledigte  Erzbistum  Ravenna  erhielt  ^.  So  war  ihm 
eine  viel  bedeutendere  Stellung,  die  nächste  nach  Rom,  zu  teil  ge- 
worden, als  ursprünglich  in  seinen  Gedanken  lag. 

Nicht  lange  vor  der  Fastenzeit  1073  hielt  er  mit  grofser  Pracht 
—  er  war  ja  ein  vermögender  Mann  —  seinen  Einzug  in  die  ihm 
anvertraute  Metropole  und  begab  sich  dann  nach  Rom,  um  die  Kon- 
sekration zu  erhalten  •\  Am  20.  Februar  hatte  er  Ravenna  noch 
nicht  verlassen,  denn  an  diesem  Tage  stellte  er  daselbst  eine  Ur- 
kunde aus  ^,  in  der  er  sich  electus  archiepiscopus  nennt,  damals  also 
fehlte  ihm  die  Konsekration  noch.  Auch  kam  er  erst  nach  der 
Fastensynode  von  1073  in  Rom  an,  wo  er  bis  nach  Ostern  (31.  März) 
verweilte.  In  seiner  Begleitung  befand  sich  der  eifrig  kaiserlich 
gesinnte  Bischof  Dionysius  von  Piacenza,  der  sich  mit  Gregor  von 
Vercelli  hervorragend  an  der  Wahl  des  Cadalus  beteiligt  hatte  '. 

In  Rom  mufste  es  AVibert  noch  schwerer  werden,  seine  Ziele 
zu  erreichen,  als  am  kaiserlichen  Hofe.  Alexander  konnte  unmöghch 
den  bösen  Dienst  vergessen  haben,  den  ihm  Wibert  durch  die  Be- 


Bernold  in  seinem  Nekrologium  (SS.  Y,  391)  den  21.,  ßerthold  1072  (SS.  V,  275) 
den  23.  Februar  verzeichnet. 

1  Bonizo  655.     Giesebrecht  III,  187  f. 

2  Adam  von  Bremen  3,  34  SS.  VII,  348  u.  Giesebrecht  III,  1093. 

3  Lambert  1072  SS.  V,  190. 

^  Bonizo  655.  Ann.  Augustani  1072  SS.  III.  128.  Ann.  Altah.  1072  SS.  XX,  824. 
ö  Bonizo  655  cfr.  681.     Giesebrecht  HL  188. 

ö  Rubens,  Hist.  Ravenn.  298;    cfr.  Amadesi,  Antistites  Ravennates  II,  188. 
"  Petri  Damiani  epist.  1 ,  20  ad  Cadalum  in  den  opera  ed.  Caietanus  I,  19. 
Vgl.  Lehmgrübner,  Benzo  von  Alba  S.  4L 


"Wibert  als  Erzbiscliof  von  Ravenna  bis  zu  seiner  "Wahl  zum  Papst.      17 

günstigung  des  Cadalus  erwiesen  hatte,  konnte  auch  eine  Sinnes- 
änderung nicht  wohl  annehmen  und  weigerte  sich  in  der  That  lange, 
die  Konsekration  zu  erteilen  ^  Aber  Wibert  hatte  sich  einen  mäch- 
tigen Fürsprecher  in  der  Person  des  Kardinal- Archidiakonen  Hilde- 
brand zu  erwerben  gewufst.  Bonizo  beschuldigt  ihn  deshalb  der 
Heuchelei;  und  in  der  That  erfolgte  die  vollständige  Unterwerfung 
Wiberts  gewifs  nicht  aus  innerer  "Überzeugung,  sondern  nur  unter 
dem  Drucke  äufserer  Verhältnisse.  Für  die  Zukunft  mufste  er  ge- 
wisse Veri:)flichtungen  eingehen  ;  noch  läfst  der  Brief,  durch  welchen 
ihm  Gregor  VII.  nochmals  seine  Wahl  zum  Papst  anzeigt  -,  an  zwei 
Stellen  die  gepflogenen  Verhandlungen  erkennen.  Danach  will  sich 
Wibert  Eom  im  allgemeinen  und  Hildebrand  insbesondere  erkenntlich 
zeigen,  und  macht  allgemeine  Zusagen  über  gesandtschaftlichen  Ver- 
kehr zwischen  Rom  und  Kavenna.  Kenntnis  der  Menschen ,  will 
mir  vorkommen,  war  nicht  die  stärkste  Seite  Hildebrands;  wenn  er 
dachte,  sich  durch  seine  Handlungsweise  den  zweitangesehensten 
Kirchenfürsten  Italiens  aufrichtig  und  dauernd  verpflichtet  zu  haben, 
so  täuschte  er  sich,  wie  er  wohl  auch  die  bindende  Kraft  des  AVibert 
auferlegten,  gleich  zu  besprechenden  Eides  überschätzte.  Hildebrands 
Drängen  nachgebend,  verstand  sich  endlich  der  Papst  zur  Gewährung 
der  Konsekration,  nicht  ohne  ihn  darauf  aufmerksam  zu  machen, 
dafs  er  die  Folgen  werde  zu  tragen  haben.  ,.Ego  quidem  iam  delibor 
et  tempus  resolutionis  meae  instat.  tu  vero  eins  senties  acerbitatem,-' 
soll  er  zu  ihm  geäufsert  haben.  Auch  liefs  er  Wibert  einen  Eid 
leisten,  wie  er  bisher  von  einem  Erzbischof  von  E-avenna  noch  nicht 
gefordert  worden  war. 

Allerdings  war  in  Italien  seit  dem  Ende  des  6.  Jahrhunderts 
ein  Eid  der  Bischöfe  üblich  -^  dessen  Hauptzweck  aber  „nicht  die 
Sicherung  des  Gehorsams  gegen  den  römischen  Bischof,  vielmehr 
die  Verhinderung  schismatischer  Bewegungen  und  hochverräterischer 
Komplotte  gegen  das  römische  Reich'*  war.  Wiberts  Eid  aber  hat 
folgenden  Inhalt. 

Er  schwört  dem  römischen  Stuhle,  dem  Papst  Alexander  und 
dessen  Nachfolgern,  die  von  den  meliores  cardinales  erwählt  sind, 
Treue ;  er  wird  sich  nicht  in  Verschwörungen  gegen  sie  einlassen, 
Geheimnisse  aber,  die  ihm  anvertraut  sind,  nicht  zu  ihrem  Schaden 
verwenden.  Er  verspricht  seine  Unterstützung,  um  das  Gebiet  des 
heiligen  Petrus  ungeschmälert  zu  erhalten ;  römischen  Legaten  will 
er  stets  die  gebührende  Ehre  erweisen.     Wenn  er  zu  einer  Synode 

^  Bonizo  655. 

-  Gregom  VII.     ßegistrum  1,  3  bei  Jaffe,  Bibl.  II,  12;  Jaffe-L.  4774. 

^  Ygl.  Hinschius,  System  des  katholischen  Kirchenrechts  III,  199 — 204. 

Kühncke,  Wibert  v.  E.  2 


18      Wibert  als  Erzbiscliof  von  Raveuua  bis  zu  seiner  Wahl  zum  Papst. 

berufen  wird,  gelobt  er  zu  erscheinen,  aufser  wenn  er  eine  kano- 
niscbe  EntschuUligung  hat ;  allemal  aber  wird  er  zum  29.  Juni  entweder 
selber  nach  Rom  kommen  oder  eine  Gesandtschaft  dahin  abordnen. 
Bonizo  giebt  den  Inhalt  des  Eides  kurz  und  treffend  an  .  wie  uns 
die  erhaltene  Formel  gelehrt  hat^ 

Ein  solcher  Eid  aber  hat  eine  ganz  andere  Bedeutung,  wie  die 
früheren,  und  ist  in  dieser  Form  etwas  Singiilares,  einer  der  ersten 
Fälle  des  eigentlichen  Obedienzeides,  welcher  Unterwerfung  unter 
die  kirchliche  Politik  des  jeweiligen  Papstes  und  Unterstützung  der- 
selben heischt'-;  feste  Praxis  wurde  er  schon  im  Laufe  des  12.  Jahr- 
hunderts''. Seine  Form  blieb  w^esentlich  dieselbe,  wie  sie  schon 
bei  AVibert  vorliegt,  sie  wurde  nur  etwas  ausgestaltet.  Zum  Vor- 
bild hat  der  Lehnseid  gedient,  den  1059  Robert  Guiscard  Nikolaus  IL 
leistete"*. 

Nun  ist  noch  ein  z\Yeiter  angeblich  von  Wibert  geleisteter  Eid 
anderen  Inhalts  überlieferte 

Im  Register  Gregors  VII.  findet  sich  unter  3,  17tv**  ein  Eid. 
den  Bischof  Robert  von  Chartres  im  April  1076  in  der  St.  Peters- 
kirche am  Grabe  des  A])ostels  vor  angegebenen  Zeugen  abgelegt 
hat.  In  demselben  verpflichtet  er  sich,  vorkommenden  Falles,  einem 
])äpstlichen  Ijegaten  gehorchend,  auf  dessen  Geheifs  und  in  dem 
befohlenen  Zeitraum  sein  Amt  niederzulegen  ;  ferner  auch  sein  Bis- 
tum gut  zu  verwalten,  so  dafs  es  nicht  geschädigt  werde. 


^  Die  Eidesleisiuno"  ist  uns  ilurch  Uonizo  655  bekannt.;  eine  irrtümliche  Auf- 
fassung^ der  AVorte  desselben,  in  die  Stenzel,  Fränkische  Kaiser  1,  372 ;  Gfrörer, 
Gregor  VII.  II,  370  u.  374 ;  Hefele,  Konzilieutreschichte  ^  IV,  897 ;  Marteus,  Be- 
setzung des  päpstl.  Stuhls  277  gefallen  sind,  beseitigt  Giesebrecht  III,  1115. 

Dfifs  AVibert  einen  Eid  leistete,  sagen  unter  vielen  anderen  auch  Donizo  2. 
122  f.  SS.  XII,  382  (der  sich  aber  im  Papste  irrt);  Gcbluird  von  Salzburg  bei 
Hugo  Flav.  SS.  VIII,  459;  vita  Anselmi  c  18  SS.  XII,  18  etc. 

Die  erhaltene  Eidesformel  ist  gedruckt  in  Deusdedit ,  Collectio  canonum 
IV,  162  ed.  Martinucci  S.  503  u.  Giesebrecht  III,  1257. 

-  Die  beiden  anderen  hervorragenden  Fälle  des  11.  Jahrhunderts  sind  der 
des  Erzbischofs  Wido  von  Mailand  unter  Nikolaus  II.  und  der  des  Patriarchen 
Heinrich  von  Aquileja  1079  unter  Gregor  VII.,  s.  Hinschius  III,  202. 

^  Näheres  bei  Hinschius  a.  a.  0. 

*  Hinschius  a.  a.  O.  III,  204  Anni.  2  u.  3.  .TalVc^-L.  I,  561.  Auch  zu  ver- 
gleichen der  Lehnseid  Ilichards  von  Capua  vom  14.  September  1073  (Heg.  1,  21a 
bei  Jafte,  Bibl.  II,  36)  und  der  Ilobert  Guiscards  vom  29.  Juni  1080  (Reg.  8.  1  a 
bei  Jailc,  Bibl.  II,  426). 

^  Vgl.  zum  Folgenden:  Giesebrecht  III,  1238;  Ewald,  Histor.  Untersuch- 
ungen für  Arn.  Schäfer  S.  305;  Ewald,  Neues  Archiv  III,  156;  PlUigk-Harttung, 
NA.  VIII,  229  u.  241  u.  XI,  151;  Löwenfeld,  NA.  X,  321;  Wattenbacli,  Ge- 
schichtsquelleu'^  II,  201. 

«  Jafte,  Bibl.  II,  232. 


"Wibert  als  Erzbischof  von  Eavenua  bis  zu  seiner  Wahl  zum  Papst.      19 

Demselben  Eide  begegnen  wir  nun  bei  Deusdedit  ^  mit  der  Über- 
schrift :  Juramentum  eins,  qui  deponitur,  die  dem  Inhalt  nicht  ganz 
entspricht,  und  der  Bemerkung  ex  registro  septimi  papae  Gregorii 
cap.  Xnil  libri  III.  indes  nicht  ohne  Veränderungen.  Von  un- 
erheblichen Umstellungen  einzelner  Worte  können  wir  absehen. 
Eine  andere  Gruppe  von  Änderungen  scheint  aus  einem  und  dem- 
selben Gesichtspunkt  vorgenommen  zu  sein.  In  dem  Satze  pro- 
mitto  ....  et  beato  Petro  apostolorum  principi,  [cuius  corpus  hie 
requiescit,]  fehlen  bei  Deusdedit  die  eingeklammerten  Worte;  weiter- 
hin ist  Gregors  Name  durch  das  formelhafte  ille  ersetzt,  während  am 
Schlüsse  die  Beurkundungsformel,  die  Zeugen,  das  Datum  wegge- 
lassen sind.  Das  würde  auf  die  Annahme  führen,  es  sei  beabsich- 
tigt gewesen,  die  Formel  unter  Ausscheidung  aller  speziellen  Be- 
ziehungen zu  einer  allgemeinen  zu  machen.  Dem  bereiten  indes 
zwei  Abweichungen  Schwierigkeiten.  Aus  Robertus  ist  nämlich  bei 
Deusdedit  Guibertus .  aus  Carnotensem  episcopatum  Bavennatem 
archiepiscopatum  geworden,  und  am  Schlüsse  folgt  nach  accipiant 
der  ihm  eigenthümliche  Zusatz :  neque  aliquo  inveniam  -  studio,  ut 
Romano  legato  '^  resistatur.  Si(c)  me  Dens  (adiuvet  etc.).  Sollten 
wir  einen  zweiten  Eid  vor  uns  haben? 

Hier  spielt  eine  gelehrte  Streitfrage  herein,  die  in  den  letzten 
Jahren  Anlafs  zu  Erörterungen  gegeben  hat,  ob  nämlich  Deusdedit 
„das  päpstliche  Originalregister  oder  einen  Auszug,  der  reicher  war 
als  der  unsrige.  oder  das  Register  in  der  uns  erhaltenen  Gestalt 
benutzt'*  habe  ^.  Giesebrecht,  Jaffe,  Löwenfeld  glauben  an  die  Be- 
nutzung unseres,  Ewald  und  PÜugk-Harttung  an  die  eines  reicheren 
oder  des  Originalregisters.  Die  folgende  Untersuchung  ist  ein  Bei- 
trag zu  dieser  hier  natürlich  nicht  zu  erledigenden  Frage ;  unser 
Eid  hat  in  ihrer  Besprechung  eine  Rolle  gespielt. 

Giesebrecht  ^  meint,  es  sei  ohne  Zweifel  derselbe  Eid  wie  Reg.  3, 
IJa^  die  Änderungen  und  der  Zusatz  seien  von  Deusdedit  absicht- 
lich gemacht.  Ahnlich  Löwenfeld  *^ :  3,  17a  sei  zuerst  aller  direkten 
Beziehungen  entkleidet,  nachträglich  aber  habe  der  Schreiber  des 
Kodex  oder  Deusdedit  selber  seinem  Hasse  gegen  Wibert  Luft  ge- 

^  Deusdedit,  Collectio  canonum  IV.  162  ed.  Martinucci  S.  503  f.  (nach  Lö- 
wenfeld XA.  X,  311  unter  dem  Pontifikat  Viktors  III.  vollendet).  Pflugk- 
Harttung  XA.  VIII,  229. 

-  wofür  Ewald.  Histor.  Untersuchungen  305  gewifs  richtig  inveniar  schreibt. 

^  Giesebrecht  III,  1238  hat  im  cod.  Vatic.  3833  Romanae  legationi  gelesen; 
aber  sowohl  bei  Deusdedit  wie  bei  Pflugk-Harttung  steht  Romano  legato. 

*  Eine  Übersicht  über  die  Geschichte  der  Frage  giebt  Löwenfeld  XA.  X, 
314  ff.,  auch  in  der  2.  Auflage  der  Reg.  pont.  I,  598  und  Addenda  II,  712. 

•^  KZ.  III,  1238.        ^  XA.  X,  321. 


20      "NVibert  als  Erzbischof  von  Ravenna  bis  zu  seiner  "Wahl  zum  Papst. 

macht.  Besonders  aber  macht  er  darauf  aufmerksam,  dafs  3,  17a 
wirklich  der  Nummer  nach  gleich  3,  19  sei,  da  3,  18.  der  unter 
6^  17a  stehende  Eid  Berengars  von  Tours,  in  Jaffes  Ausgabe  des 
Begistrum  nicht  abgedruckt  sei. 

Auf  der  anderen  Seite  hält  Ewald  ^  Giesebrechts  Bedenken 
für  unbegründet,  ihm  scheint  dieser  Eid  Wiberts  an  3,  19  als  zwischen 
2,  42  und  5,  13  ganz  passend  zu  stehen.  Und  nach  Pfiugk-Hart- 
tung  -  habe  Deusdedit  sonst  nicht  zu  so  groben  Entstellungen  ge- 
griffen, ihm  als  Kanonisten  sei  es  mehr  auf  den  Inhalt  als  auf  die 
Namen  angekommen,  die  er  deshalb  auch  weggelassen  und  verkürzt 
habe.  Es  seien  eben  zwei  verschiedene  Eide,  nach  gleicher  Formel 
gearbeitet  und  nach  dem  Einzelfalle  etwas  verändert.  Wenn  die 
von  Deusdedit  citierte  Stelle  auch  diejenige  unseres  Registers  sei. 
so  könnten  an  dieser  ganz  gut  beide  Eide  auch  unter  derselben 
Nummer  gestanden  haben. 

Stimmt  nun  das  Citat  3.  19  wirklich  mit  unserem  Register,  wie 
Löwenfeld  behauptet?  Jaöe  '  bemerkt,  dafs  zwischen  3,  5  und  6  die 
Exkommunikation  Heinrichs  IV.  vom  Februar  1076  aus  3,  10a  ge- 
standen habe,  dafs  aber  die  Verschiedenheit  von  Tinte  und  Schrift 
zeige,  dafs  sowohl  dieses  Stück  wie  3,  6  später  eingefügt  seien. 
Darf  man  annehmen,  dafs  Deusdedit  diese  beiden  Nummern  in 
seinem  Kodex  nicht  hatte,  hingegen  den  nach  3,  17  fehlenden  Eid 
Berengars  vorfand,  so  käme  —  da  noch  3,  10a  einzuiügen  ist  — 
für  3,  17a  in  der  That  die  19.,  sonst  aber  die  21.  Stelle  heraus. 
Diese  Annahme  ist  aber  doch  zu  künstlich.  Immerhin  ist  merk- 
würdig, dafs  in  einem  codex  Ottobonianus  3057  unser  Eid  3,  17a 
wirklich  als  3,  21  citiert  wird'*,  sich  inhaltlich  mit  3,  17a  deckt  und 
dieselben  Namen  (Robertus ,  Carnotensis)  hat  ^  Die  Erklärung 
wäre  die,  dafs  in  dem  Kodex,  der  dem  Schreiber  des  Ottobonianus 
vorlag,  die  beiden  eben  erwähnten  Stücke  schon  nachgetragen  waren. 
Nach  alle  diesem  wird  der  Eid  Wibert  nur  bei  Deusdedit  zuge- 
schrieben.   Indes  lege  ich  auf  diese  Zählungen  und  Zahlenangaben 


1  Histor.  Untersuchungen  für  A.  Schäfer  305.       -  NA.  A^II,  241  u.  XI,  151. 

3  Bibl.  II,  211  Anm.  ^^■ 

4  Pflugk-Harttung  NA.  VIII,  229,  XI,  149  und  Iter  Italicum  140. 

•^  Giesebrecht  III,  1238.  Pflugk-Harttung,  Iter  140.  —  Freilich  wird  auch 
der  Eid  Berengars,  dem  die  Stelle  3,  20  zukäme,  als  8,  21  citiert.  —  Im  NA. 
III,  156  erwähnt  Ewald  noch  eine  Handschrift  (Rom,  Minerva,  1>.  V,  17  saec.  XI), 
die  unsern  Eid  auch  enthält :  ex  registro  YII.  Gregorii  pape  cp.  XVIIII,  lib.  III. 
Er  habe  mit  3,  17  a  der  JafTeschen  Edition  grofse  Ähnlichkeit.  Es  wäre  wün- 
schenswert, dafs  Näheres  darüber  bekannt  würde;  ich  kenne  aufser  dieser  Notiz 
nichts. 


Wibert  als  Erzbischof  von  Ravenna  bis  zu  seiner  AVahl  zum  Papst.      21 

SO  gut  wie  kein  Gewicht  ^ ;  ich  betrachte  lieber  die  Sache  und  frage : 
Ist  es  überhaupt  denkbar^  dafs  Wibert  diesen  zweiten  Eid  geleistet 
habe  ? 

Diese  Frage  kann  ich  nur  verneinend  beantworten.  Ich  sehe 
nicht,  welchen  Sinn  denn  dieser  Eid  neben  dem  vom  März  1073 
haben  soll.  Und  wenn  man  damals  Wibert  in  der  Lage,  in  die  er 
nun  einmal  geraten  war,  zu  einem  Eide  nötigen  konnte,  nachher 
ging  das  nicht  mehr  an ;  und  hätte  man  es  versucht,  so  ist  es  ganz 
undenkbar,  dafs  Wibert  sollte  darauf  eingegangen  sein. 

Die  Stellung  solcher  Stücke  im  Register  giebt  ja  keinen  sicheren 
Anhalt  für  ihre  zeitliche  Bestimmung ;  es  können  mehrere  gleich- 
artige Dokumente  aus  verschiedenen  Zeiten  unter  derselben  Xummer 
vereinigt  sein.  Wir  dürfen  also  nicht  behaupten,  dieser  angebliche 
zweite  Eid  sei  um  den  April  1076  —  dieses  Datum  würde  der 
Stelle  im  Register  entsprechen  —  geleistet  worden ;  dürften  wir  das, 
so  fiele  er  als  zu  jener  Zeit  ganz  unmöglich  erst  recht. 

Leicht  aber  ist  zu  erklären,  wie  bei  Deusdedit  die  Umwand- 
lung von  Robertus  und  Carnotensis  episcopatus  in  Guibertus  und 
Ravennas  archiepiscopatus  vor  sich  gegangen  ist ;  wer  diese  Namen 
eingesetzt  hat,  ist  nach  meiner  Meinung  dazu  verleitet  worden  durch 
den  Anfang  des  unmittelbar  vorhergehenden  Treueides  Wiberts :  Ego 
Guibertus  etc.,  mag  es  nun  ein  Schreiber  —  was  ich  glaube  —  oder 
Deusdedit  selber  gewesen  sein.  Auch  halte  ich  diese  Änderung  gar 
nicht  für  eine  Kundgebung  besonderen  Hasses,  sie  ist  unschuldig, 
denn  auf  die  Namen  kam  in  dieser  Sammlung  von  Kanones  ja 
nichts  an.  Was  den  Zusatz  am  Schlufs  angeht,  so  kann  die  Formel 
sie  me  Deus  etc.  am  Ende  eines  Eides  nicht  auffallen;  aber  auch 
die  Worte  neque  aliquo  inveniar  studio,  ut  Romano  legato  resista- 
tur  charakterisieren  sich  durch  den  ungefügen  Anschlufs  an  das 
Vorhergehende  nach  Form  und  Inhalt  als  späterer  Zusatz.  Man 
mag  diese  Worte  hinzugefügt  haben ,  weil  man  eine  Bestimmung 
der  Art  vermifste,  die  sonst  zum  eisernen  Bestand  römischer  Eide 
gehörte,  und  in  deren  Verletzung  der  Eidbruch  Wiberts,  der  dem 
Schreiber  vorschwebte,  mit  beruhte ;  man  bedachte  nicht,  dafs  eine 
solche  Bestimmung  wegen  der  speziellen  Verpflichtung  des  Schwö- 
renden im  Anfang  der  Formel  gewissermafsen  unnötig  geworden  war. 

Danach  scheint  mir,    dafs  man  die  Annahme,   Wibert  habe  je- 

^  Einmal  sind  Scbreibfehler  sehr  leicht  möglich;  zum  anderen  aber,  was 
wichtiger  ist,  werden  die  betreffenden  Autoren  wohl  selber  abgezählt  haben, 
wobei  erst  recht  Irrtümer  unterlaufen  konnten,  zumal  man  unsere  heutige  wissen- 
schaftliche Penibilität  damals  nicht  kannte,  die  Zwecke  der  uns  beschäftigenden 
Sammlungen  auch  keine  wissenschaftlichen  waren. 


22      Wibert  als  Erzbischof  von  Ravenna  bis  zu  seiner  Wahl  zum  Papst. 

mals  diesen  zweiten  Eid  geleistet,  von  der  Hand  weisen  mufs.  Trotz 
ihrer  Abweichungen  sind  die  Formeln  des  Registers  und  Deusdedits 
identisch,  und  auf  unseren  Eid  wird  man  sich  nicht  berufen  können, 
wenn  man  behaupten  will,  Deusdedit  habe  noch  ein  anderes  Register 
benutzt,  als  das  uns  erhaltene;  er  Avürde  vielmehr  zum  Beweise  des 
Gegenteils  beitragen. 

Wir  hatten  Wibert  in  Rom  verlassen,  nachdem  ihm  die  Kon- 
sekration in  aller  Form  erteilt  worden  war.  Noch  feierte  er  das 
Osterfest  1073  (31.  März)  am  päpstlichen  Hofe,  beurlaubte  sich  dann 
und  war  auf  der  Rückreise  noch  nicht  nach  Ravenna  gelangt,  als 
er  die  Nachricht  erhielt,  Papst  Alexander  sei  am  21.  April  1073 
verschieden  ^  Zu  seinem  Nachfolger  wurde  am  22.  Hildebrand  als 
Gregor  VIT.  gewählt ,  womit  das  Ereignis  sich  vollzogen  hatte^ 
welches  dieser  wohl  in  Rechnung  gezogen  hatte,  als  er  die  Weihe 
Wiberts  so  warm  befürwortete.  Vier  Tage  darauf,  am  26.  April, 
zeigte  er  diesem  seine  Wahl  in  einem  uns  erhaltenen  Schreiben  an  -. 

Er  zweifelt  nicht,  dafs  Wibert  den  Tod  Alexanders  bereits  er- 
fahren habe,  und  erzählt  die  Vorgänge  bei  seiner  Wahl,  ohne  sie  zu 
entstellen,  denn  deutlich  tritt  hervor,  dass  dieselbe  den  Bestim- 
mungen des  Wahldekrets  Nikolaus'  II.  nicht  Genüge  that.  Er  bittet 
dann  den  Erzbischof,  die  Liebe,  die  er  gerade  in  dieser  Zeit  zur 
römischen  Kirche,  speziell  zu  ihm  zu  hegen  versprochen  habe,  ihm 
nun  auch  zu  erzeigen,  wenn  nicht  seiner  Person,  dann  seiner  Würde ; 
er  möge  seine  Suffragane  und  die  Angehörigen  seiner  Kirche  zu 
Gebeten  für  ihn  anhalten.  Er  fordert  dieselbe  ungeheuchelte  Liebe 
von  Wibert,  die  er  zu  diesem  hat,  und  wünscht,  dafs  durch  den 
Frieden  und  die  Liebe  zwischen  den  Kirchenfürsten  Rom  und  Ravenna 
einig  und  verbunden  sein  möchten.  Er  wiederholt  endlich  den  schon 
mündlich  geäufserten  Wunsch,  durch  häufige  Gesandte  Freud'  und 
Leid  austauschen  zu  können. 

Der  Ton  dieses  Schreibens  ist  freundlich,  und  die  enge  Verbin- 
dung, in  welche  Rom  und  Ravenna  gebracht  werden,  mufste  Wiberts 
Eitelkeit  schmeicheln.  Doch  läfst  sich  eine  gewisse  Unsicherheit 
nicht  verkennen,  ob  Wibert  seine  Zusagen  wohl  auch  halten  werde ; 
die  Zeit  erst  konnte  lehren,  ob  er  durch  die  Befriedigung  seines 
Ehrgeizes  auf  der  einen,  durch  den  Eid  auf  der  andern  Seite  ge- 
nügend gefesselt  war.  Schon  bot  ihm  der  letztere  eine  Handhabe 
gegen  Gregor :  er  hatte  den  successoribus  electione  meliorum  cardi- 
nalium  intrantibus  geschworen. 


^  Bonizo  655, 

2  Reg.  1,  3  bei  Jaffe,  Bibl.  II,  12;  Jaffe-L.  4774.     Giesebrecht  III,  240. 


Wibert  als  Erzbischof  von  Ravenna  bis  zu  seiner  Wahl  zum  Papst.      23 

Schon  nach  Vj^  Monaten  erfuhr  das  Einvernehmen  beider  eine 
Trübung:  Gregor  erhob  Ansprüche  auf  die  Stadt  Imola.  deren  Bischof 
zu  den  Suffraganen  von  Eavenna  gehörte  ^  Wibert  verlangte  bei 
Antritt  seines  Amtes  von  der  Stadt  den  Treueid,  wogegen  ein  Teil 
der  Einwohner  bei  Gregor  Klage  erhob  mit  Berufung  darauf,  dafs 
man  dem  heiligen  Petrus  Fidelität  geschworen  habe.  Gregor  ging 
sofort  auf  die  Klage  ein,  da  es  eine  seiner  vornehmsten  Sorgen  war, 
den  Besitz  des  heiligen  Petrus  ungeschmälert  zu  erhalten  und  dort 
wiederherzustellen,  wo  er  Einbufse  erlitten  hatte.  In  diesem  Be- 
streben kannte  er  keine  Bücksichten.  Er  forderte  den  Grafen  Wido 
von  Imola  auf,  den  Streit,  wenn  möglich,  friedlich  und  ehrenvoll 
beizulegen,  eventuell  übertrug  er  ihm  den  Schutz  der  Stadt  gegen 
Wiberts  Bestrebungen  bis  zur  Ankunft  päpstlicher  Legaten.  Die 
Pille  wird  für  Wibert  etwas  versüfst  durch  einige  Höflichkeiten  und 
Schmeicheleien;  er  wird  als  tarn  prudens  vir  bezeichnet,  und  seine 
perspecta  dudum  fraterna  Caritas  et  sacerdotalis  honestas  wird  her- 
vorgehoben. Indes  die  Sache  blieb,  wie  sie  war;  und  am  Schlufs 
des  Briefes  heifst  es  sehr  deutlich:  Nos  equidem  cum  omnibus,  si 
fieri  potest,  pacem  habere  ardenter  cupimus,  sed  eorum  conatibus, 
qui  ad  iniuriam  sancti  Petri  cuius  servi  sumus  extendere  se  moliun- 
tur,  divina  adiuti  tam  virtute  quam  iustitia,  obviare  non  refugimus. 

Schärfe  läfst  sich  diesem  Vorgehen  nicht  absprechen;  und  ist 
es  schon  auffällig,  dafs  Gregor  so  gegen  einen  Mann  einschritt,  der, 
wie  er  wufste,  mächtig  und  ein  unzuverlässiger  Anhänger  war,  so 
erstaunt  man  geradezu,  wenn  man  hört,  dafs  der  Bechtsboden,  auf 
dem  Gregor  sich  bewegte,  ein  sehr  schwanker  war  -.  Seit  Karls  des 
Grossen  Zeiten  hatte  nämlich  der  Erzbischof  von  Bavenna  teils 
allerdings  durch  Usurpation,  teils  durch  päpstliche  Verleihung  nach 
und  nach  den  ganzen  Exarchat  erlangt;  seit  zwei  bis  dreihundert 
Jahren  hatte  die  Kirche  keine  Ansprüche  mehr  auf  denselben  er- 
hoben und  ruhig  geschehen  lassen,  dafs  die  deutschen  Kaiser  wie'der- 
holt  dem  Erzbischof  diesen  Besitz  bestätigten.  Die  Grafschaft  Imola 
kommt  dabei  schon  in  einer  Urkunde  Ottos  III.  vom  19.  Dezember 
999  vor.  Vordem  aber  hatte  allerdings  durch  Pippins  Schenkung 
Rom  den  Exarchat  besessen,  und  auf  diese  alten  Privilegien  ging 
nun  Gregor  zurück,  ohne  auf  eine  mehrhundertjährige  Entwickelung 
Bücksicht  zu  nehmen,  wie  er  es  auch  anderwärts  versuchte.  Über  den 
Ausgang  der  Angelegenheit  sind  wir  nicht  unterrichtet;  schwerlich 


^  Brief  Gregors  an  Graf  Wido  von  Imola  vom  1.  Juni  1073.  Reg.  1 ,  10 
bei  Jaffe,  Bibl.  II,  20;  Ja£fe-L.  4781.     Giesebrecht  III,  244. 

-  Vgl.  Ficker,  Forsch,  z.  Reichs-  und  Rechtsg.  Ital.  I,  251 ;  II,  315  u.  467. 
Martens,  Besetzung  des  päpstlichen  Stuhls  200. 


24      AVibert  als  .Erzbischof  von  Ravenna  bis  zu  seiner  AValil  zum  Papst. 

wird  Gregor  einen  Erfolg  erlangt  haben.    Auf  alle  Fälle  aber  mufste 
sich  Wibert  sehr  verletzt  fühlen. 

Aufserlich  schien  das  Verhältnis  ungestört.  Getreu  seinem 
Eide  erschien  Wibert  auf  der  Fastensynode  vom  März  1074  \  Der 
Priester  Bardo,  der  Biograph  Anselms  II.  von  Lucca,  ist  Augen- 
zeuge, dafs  er  im  Lateran-Palast  wohnte  und  in  den  Sitzungen  nach 
dem  Vorrecht  seiner  Kirche  den  Ehrenplatz  zur  Hechten  des  Papstes 
einnahm  -.  Nach  Bonizo  und  Bardo ,  freilich  zwei  eingefleischten 
Gregorianern,  habe  er  sich  geflissentlich  bemüht  zu  zeigen,  dafs  er 
ohne  Bückhalt  Gregor  als  Papst  anerkenne  'l  Als  nun  eine  Ange- 
legenheit verhandelt  wurde  ^,  die  zwischen  Cremona  und  Piacenza 
schwebte,  soll  Wibert  die  Stadt  Cremona  übel  bezichtigt  haben,  aber 
vor  versammelter  Synode  von  einem  jungen,  hervorragenden  Cremo- 
nesen,  mit  Namen  Dodo,  derart  widerlegt  worden  sein,  dafs  er  als 
Lügner  dagestanden  habe.  Panzer  ^  bringt  mit  dieser  Erzählung 
eine  Stelle  bei  Wido  von  Ferrara  in  Verbindung  ^,  wo  dieser  eine 
Schandgeschichte  von  einem  über  Ehebruch  ertappten  Geistlichen 
zu  Cremona  erzählt,  nobis  praesentibus  et  videntibus.  Ich  habe 
Panzers  scharfsinniger  Erörterung  nichts  hinzuzufügen  ",  der  diese 
Stelle  ohne  Zweifel  mit  Recht  dem  von  ihm  rekonstruierten  Briefe 
Wiberts  an  Anselm  von  Lucca  einreiht.  Das  heifst,  Wibert  ist  ein- 
mal in  Cremona  gewesen.  Obwohl  AVidos  Stelle  keinerlei  Anhalt 
zu  chronologischer  Bestimmung  bietet,  ist  es  eine  ansprechende  Ver- 
mutung, dafs  Wibert  eben  vor  dem  März  1074  in  Cremona  war  und 

1  Bonizo  656  u.  659;  cfr.  Jaffe-L.  I,  603.  Giesebrecht  III,  249  f.  Hefele, 
Konziliengesch.^  V,  45  u.  63  scheint  mir  unnötigerweise  von  ßonizos  Chrono- 
logie abzuweichen,  wenn  er  die  im  Text  erzählten  Vorgänge  auf  die  Fasten- 
synode von  1075  verschiebt. 

-  Bardonis  vita  Anselmi  c.  18  SS.  XII,  19. 

^  Hier  dürfte  es  am  Platze  sein,  zu  erwähnen,  dafs  man  die  synodale  Ur- 
kunde, durch  welche  das  Vorrecht  des  Erzbischofs  von  Ravenna,  zur  Rechten 
des  Papstes  zu  sitzen,  endgültig  geregelt  wird,  früher  auch  Wibert-Clemens  III. 
zuteilte,  während  sie  in  Wirklichkeit  Clemens  II.  gehört  und  vom  Januar  1047 
ist.  Es  ist  Ja£fe-L.  4141 ,  gedruckt  auch  bei  Cappelletti ,  Le  chiese  d'Italia  II, 
108,  der  sie  wie  auch  Rubeus  in  seiner  Historia  Ravenn.  283  richtig  Clemens  II. 
zuteilt.  Mansi  und  Migne  gaben  sie  sowohl  Clemens  II.  als  Wibert ,  Ughelli 
und  Cocquelines  Clemens  II.,  Muratori  Wibert.  Infolge  dieser  Verwirrung  reihte 
sie  Jaffe  in  der  1.  Aufl.  seiner  Regesten  bei  Clemens  II.  unter  No.  3147  und 
bei  Clemens  III.  unter  No.  3995  ein,  ein  Versehen,  das  Löwenfeld  in  der  2.  Aufl. 
beseitigt  hat.  Unter  den  gewifs  zahlreichen  Gründen,  die  ihn  zu  seiner  Ände- 
rung veranlafst  haben,  ist  schon  der  eine  durchschlagend,  dafs  Bischof  Poppo 
von  Brixen ,  nachmals  Papst  Damasus  II. ,  f  9.  August  1048 ,  noch  unter  den 
Lebenden  weilt. 

^  Bonizo  659.         ^  Panzer,  AVido  von  Ferrara,  Leipzig  1880,  S.  60  Anm.  1. 

«  Wido  Ferr.  1,  10  SS.  XII,  161.         '  Panzer  a.  a.  0.  S.  11 ;  23  Anm.  1 ;  59  f. 


Wibert  als  Erzbischof  von  Kavenna  bis  zu  seiner  Wahl  zum  Papst.      25 

sich  an  Ort  und  Stelle  informieren  konnte.  Auf  die  Art  seiner 
Vorwürfe  wird  man  auch  so  nicht  schliefsen  können,  und  gegen  die 
angeblich  so  glänzende  Widerlegung  durch  Dodo  mufs  man  bei 
Bonizos  Parteilichkeit  vorsichtig  sein  ^. 

Das  äufserlich  freundliche  Verhältnis  zu  Gregor  drückte  sich 
auch  darin  aus,  dafs  Wibert  nach  Schlufs  der  Synode  nicht  gleich 
nach  Ravenna  zurückkehrte,  sondern  bis  kurz  vor  Ostern  (20.  April) 
in  Rom  blieb  ^.  Gregor  war  damals  mit  weitaussehenden,  aber  nach- 
her fehlgeschlagenen  Plänen  gegen  die  Sarazenen  und  Robert  Guiscard 
beschäftigt^  und  suchte  Wibert  zur  Mitwirkung  heranzuziehen.  Dieser 
versprach,  am  Zuge  gegen  die  Normannen  teilzunehmen,  wollte  auch 
mit  Gregor  nach  Ostern,  d.  i.  nach  dem  20.  April,  etwa  im  Juni 
gegen  die  Grafen  von  ßagnorea,  südlich  von  Orvieto  in  der  Gegend 
des  Bolsener  Sees,  zu  Felde  ziehen.  Man  hört  aber  nicht,  dafs  er 
gekommen  sei,  und  kann  aus  der  Art,  wie  Bonizo  berichtet,  ent- 
nehmen, dafs  er  fernblieb,  was  ohne  weitere  Folgen  für  ihn  verlief, 
da  er  nicht  der  einzige  Schuldige  war,  und  Gregor  vom  Juni  bis 
September  1074  schwer  krank  lag. 

Indes  verweilte  Wibert  nicht  aus  Freundschaft  für  Gregor  so 
lange  in  Rom;  nach  Bonizo  machte  er  sich  gar  wie  Catilina  Frevler 
aller  Art  zu  Freunden'^,  indem  er  ihnen  Geld  gab  und  sie  durch 
einen  Eid  an  sich  fesselte.  Dazu  hätten  ihm  die  Predigten  Gelegen- 
heit geboten ,  welche  er  in  ganz  Rom  gehalten  habe.  So  habe  er 
z.  B.  die  Kirchendiener  von  St.  Peter  gewonnen,  die  sich  gegen  die 
fremden  Pilger  böse  Ausschreitungen  erlaubt  hatten,  und  denen  ihr 
schändliches  Handwerk  von  Gregor  gelegt  worden  war ;  ferner  hab- 
süchtige hohe  Geistliche,  die  in  ihrem  Treiben  von  Gregor  eben- 
falls gehindert  worden  waren.  Bonizos  Nachrichten  tragen  aber  den 
Stempel  der  Übertreibung  und  Unwahrhaftigkeit  an  der  Stirn;  nur 
so  viel  wird  man  aus  ihnen  entnehmen  dürfen,  dafs  Wibert  mit  all 
denen  Fühlung  zu  gewinnen  suchte,  die  mit  Gregor  unzufrieden  waren. 
Deren  gab  es  freilich  eine  grofse  Zahl  ^.  Unter  anderen  näherte  sich 
AVibert  dem  Sohn  des  Präfekten  Stephanus,  Cencius,  den  Bonizo 
als  einen  gefährlichen,  gewissenlosen  Menschen  bezeichnet^;  Cencius, 
früher  Anhänger  des  Cadalus,  hatte  sich  Gregor  VII.  in  den  ersten 
Zeiten  seines  Pontifikats  angeschlossen,   war  aber  bald  wieder  lau 


^  Martens,  Besetzung  des  päpstlichen  Stuhls  200,  hält  in  übertriebenem 
Skeptizismus  die  ganze  Nachricht  Bonizos  für  unglaubwürdig. 

2  Bonizo  659,  661.         '^  Vgl.  G-iesebrecht  III,  251  ff.         ^  Bonizo  661. 

^  Bonizo  660  f.     Giesebrecht  III,  332. 

^  Bonizo  646,  660  f.,  662,  664.  Annales  Romani  (1061)  SS.  V,  472.  Paulus 
Bernriedensis  c.  46,  47  bei  Watterich,  Vitae  pont,  I,  498  f. 


26      Wibert  als  Erzbischof  von  Ravenna  bis  zu  seiner  "Walil  zum  Papst. 

geworden.  Ende  1074  kam  es  zum  offenen  Bruch,  im  Februar  1075 
wurde  er  gefangen  genommen  und  zum  Tode  verurteilt,  dann  aber 
begnadigt. 

Nach  seiner  Rückkehr  aus  Rom  beschäftigte  sich  Wibert  mit 
den  Angelegenheiten  seiner  Diözese,  Kunde  haben  wir  fast  nur  von 
der  Verleihung  oder  Zurückstellung  von  Grundbesitz.     Am  3.  Mai 

1074  werden  ihm  Güter  refutiert^,  während  er  am  14.  Mai  dem 
Mönch  Johannes  in  Vertretung  des  Abtes  Petrus  von  St.  Benedikt 
in  Alpe  Bifurco  die  St.  Clemenskirche  im  Territorium  von  Forli 
mit  den  dazugehörigen  Gütern  verleiht  ^.     Ende  1074  und  Anfang 

1075  scheint  er  dann  seine  Diözese  bereist  zu  haben,  am  11.  De- 
zember 1074^  finden  wir  ihn,  Güter  in  Erbpacht  gebend,  in  Ar- 
genta  *,  am  20.  Januar  1075  in  Aureolum  bei  Faenza,  um  die  Juris- 
diktion der  Ravennatischen  Kirche  wiederherzustellen.  '"* 

Im  Jahre  1075  schlössen  sich  die  Gegner  Gregors  enger  zu- 
sammen, wobei  Wibert  als  Mittelpunkt  dieser  Bestrebungen  erscheint. 

Cencius  bewog  zunächst  den  Kardinalpriester  vom  Titel  des  hei- 
ligen Clemens,  Hugo  Candidus,  zum  Abfall  von  Gregor  ^  Dieser 
Hugo  Candidus,  ein  Lothringer  von  Geburt  und  Kardinal  seit  1049, 
hatte  eine  bewegte  Vergangenheit  hinter  sich  ",  war  Anhänger  des 
Cadalus  gewesen,  darauf  in  den  Schofs  der  Kirche  zurückgekehrt 
und  von  Alexander  II.  mit  Legationen  nach  Spanien  und  Gallien 
betraut  worden.  Nachher  hatte  er  besonders  zur  Wahl  Gregors 
beigetragen,  mufs  aber  dann  Gründe  zur  Unzufriedenheit  gehabt 
haben.  Ein  reinlicher  Charakter  war  er  nicht,  noch  auf  der  Fasten- 
synode 1073  wurde  er  der  Simonie  beschuldigt  ^  Die  Verleitung 
zum  offenen  Abfall  durch  Cencius  wird  vermutlich  nach  jenen  Fe- 
bruartagen stattgefunden  haben,  die  dem  letzteren  fast  das  Leben  ge- 
kostet hätten.  Hugo  soll  dann  vergebens  versucht  haben,  Robert 
Guiscard  und  die  Normannen  zu  einem  Zuge  gegen  Rom  aufzuhetzen, 
nach  seinem  Mifserfolg  aber  zu  Wibert  gegangen  sein  ^ 


^  Fantuzzi,  Monumenti  Ravennati  IV,  224.  Savioli,  Annali  Bolognesi  I,  2,  122. 

^  Mittarelli,  Annales  Camaldulenses  II,  365  u.  App.  250.  Cfr.  Mittarelli, 
Script,  rerum  Faventinarum  405  u.  Rubeus,  Hist.  Rav.  298, 

^  "Wo  ich  hinter  den  Citaten  Reg.  =  Regest  notiere,  giebt  Fantuzzi  nichts 
anderes  als  dies;  in  diesen  Fällen  kann  ich  nicht  dafür  einstehen,  dafs  die  Da- 
tierung richtig  berechnet  sei. 

4  Fantuzzi  a.  a.  0.  II,  419  No.  12  Reg.        ^  Rubeus  a.  a.  0.  299. 

6  Bonizo  662.       '  cfr.  ßonizo  634,  644,  651,  654—656.  Giesebrecht  III  passim. 

8  Bonizo  655.     Jaffe-L.  I,  592. 

^  Ich  gebe  hier  Bonizo  662  vor  dem  späteren  Paulus  Bernried,  c,  48 
(Watterich,  Vitae  pont.  I,  499)  den  Vorzug,  der  Hugo  Candidus  nicht  erwähnt, 
sondern  auf  Cencius  und  dessen  Sohn  auch  das  überträgt,  was  nach  Bonizo  des 


Wibert  als  Erzbischof  von  Ravenna  bis  zu  seiner  Wahl  zum  Papst.      27 

Der  Kreis  der  Gregorfeinde  schlofs  sich,  als  Wibert  Ende  1075 
von  Ravenna  aus  mit  dem  von  Heinrich  neu  ernannten  Erzbischof 
Thedald  von  Mailand,  dem  Haupte  der  lombardischen  Bischöfe,  in 
Verbindung  trat^  In  Mailand  hatte  die  gregorianische  Partei  im 
Mai  eine  schlimme  Niederlage  erlitten^,  in  deren  Verfolg  die  dor- 
tigen verwirrten  Verhältnisse  neu  geordnet  wurden.  Zwei  vorhandene 
Erzbischöfe  blieben  unberücksichtigt,  und  Heinrich  ernannte  Ende 
1075  einen  neuen,  dritten  in  der  Person  Thedalds,  dem  Investitur- 
verbote zum  Trotz.  Der  Erzbischof  mufste  so  zu  Gregor  in  Gegen- 
satz treten 'l  Gleich  nach  seiner  Einsetzung  wandte  sich  Wibert 
an  ihn,  zuerst  brieflich ;  dann  schickte  er  ihm  den  Hugo  Candidus. 
der  von  da  nach  Deutschland  ging  und,  mit  Wiberts  Anschauungen 
vertraut,  auf  dem  Wormser  Konzil  (24.  Januar  1076)  eine  Haupt- 
rolle spielte*. 

Gregor  VII.  hatte  der  Anfang  des  Jahres  1075  mit  Schwierig- 
keiten aller  Art  umgeben  gefunden :  die  Normannen  bedrohten  ihn, 
die  lombardischen  Bischöfe  mufste  er  unter  seine  Gegner  zählen, 
im  deutschen  wie  im  französischen  Klerus  gab  es  eine  starke  Partei, 
welche  den  Mafsregeln  gegen  Simonie  und  Nikolaitismus  sehr  abhold 
war.  Diese  Lage  der  Dinge  erkennt  Gregor  im  Eingange  seines 
Schreibens  an  AVibert  vom  4.  Januar  1075  offen  an'^  und  teilt  ihm 
zugleich  mit,  es  solle  zur  Bekämpfung  der  Widersacher  ,  wie  schon 
seit  einigen  Jahren  üblich,  in  der  Fastenzeit  und  zwar  in  der  ersten 
Woche  Ende  Februar  eine  Synode  gehalte-n  werden,   auf  welcher 


Hugo  Candidus  "Werk  war.  Cencius  sei  nach  Unteritalien,  sein  Sohn  zu  Wibert 
gegangen,  um  eine  gelegene  Zeit  zur  Gefangennehmung  und  Tötung  Grregors 
zu  verabreden.  Dies  sei  nach  den  Februartagen  1075  geschehen,  in  denen  es 
Cencius  so  übel  erging.  Fast  ein  Jahr  sei  der  Plan  der  Tötung  gehegt  worden 
(c.  49 ,  S.  500) ,  ehe  er  in  dem  beinahe  geglückten  Anschlag  des  Cencius  vom 
24.  Dezember  1075  (vgl.  über  diesen  Giesebrecht  III,  350  u.  1133;  Quellen  bei 
Jaffe-L.  I,  616)  zum  Ausbruch  gekommen  sei.  —  Das  ist  wohl  falscher  Pragma- 
tismus Pauls;  die  That  des  Cencius  halte  ich  für  eine  aus  persönlichem  Hafs 
hervorgegangene,  für  die  er  ganz  allein  verantwortlich  zu  machen  ist.  Wäre 
ein  heimlicher  Anteil  Wiberts  irgend  glaublich  erschienen,  so  hätte  uns  Bonizo 
davon  Kunde  gegeben,  er  spricht  aber  S.  665  nur  vom  Cencius;  und  dafs  er 
vorher  (S.  660)  1074  vom  Einverständnis  Wiberts  mit  Cencius  berichtet,  wird 
man  nicht,  wie  Martens,  Besetzung  des  päpstl.  Stuhls  203,  möchte,  als  eine  An- 
deutung der  Teilnahme  Wiberts  am  Dezember-Attentat  auffassen  dürfen. 

^  Bonizo  664.         "  Giesebrecht  III,  330,  344,  1133. 

3  cfr.  Reg.  3,  8;  9  bei  Jaffe,  Bibl.  II,  214—218;  Jaffe-L.  4968,  4969. 

*  Bonizo  664,  665.  Giesebrecht  III,  352  ff.  Martens,  Besetzung  des  päpstl. 
Stuhls  201.  Über  den  etwaigen  Einflufs  Wiberts  auf  die  Wormser  Ereignisse 
läfst  sich  nichts  mehr  herausbringen. 

^  Reg.  2,  42  bei  Jaffe,  Bibl.  II,  155  f. ;  Jafife-L.  4919.  Vgl.  Martens  a.  a.  0.  200  f. 


28      Wibert  als  Erzbischof  von  Ravenna  bis  zu  seiner  Wahl  zum  Papst. 

ZU  erscheinen  Wibert  in  durchaus  freundlichem  Tone  gebeten  und 
eingeladen  wird. 

Die  Synode  war  in  der  That  vom  24.-28.  Februar  1075  ver- 
sammelt ^^  und  viele  Strafen  wurden  auf  ihr  verhängt ;  von  Wibert 
aber  schweigt  das  Registrum. 

Indes  weifs  Bonizo-  zu  melden,  dafs  AYibert  entgegen  seinem 
Eide  nicht  erschienen  und  deshalb  vom  Amte  suspendiert,  über 
Hugo  Candidus  aber  die  Exkommunikation  verhängt  worden  sei. 
Gegen  diese  Nachricht  dürfte  das  Schweigen  des  Registers  nicht 
beweisend  sein,  denn  in  der  betreffenden  Nummer  ist  einleitend  be- 
merkt :  inter  cetera  decreta  quae  ibi  gesta  sunt,  und  auch  Berichte 
über  spätere  Synoden  (November  1078,  Februar  1079)  werden  sich 
als  unvollständig  erweisen.  Aber  die  noch  vorhandenen  Spuren 
lassen  erkennen,  dafs  die  Bestrebungen  Hugos,  welche  die  Exkom- 
munikation veranlafsten,  nach  dem  Februar  1075  fallen^.  Wibert 
wird  allerdings  der  Synode  ferngeblieben  sein ,  Gregor  aber  dies 
Vergehen  zunächst  nicht  bestraft  haben.  Als  nun  bald  darauf  die 
Verbindung  zwischen  Cencius,  Hugo  Candidus  und  AVibert  deutlicher 
wurde,  da  wird  er  vorgegangen  sein,  den  einen  gebannt,  den  anderen 
suspendiert  haben,  bei  letzterem  auf  das  unzweifelhafte  Delikt  zurück- 
gehend ,  dafs  er  auf  der  Synode  nicht  erschienen  sei.  Die  Strafe 
mag,  wie  Giesebrecht  annimmt,  im  Sommer  1075  ausgesprochen  sein. 
Sie  blieb  ohne  Wirkung,  denn  wir  sehen  Wibert  nach  wie  vor  sein 
Amt  verwalten,  hören  auch  nicht,  dafs  ihm  Schwierigkeiten  dabei 
erwachsen  wären.  Aus  der  nächsten  Zeit  wissen  wir  von  Urkunden 
vom  20.  (Rubens)  oder  22.  (Fantuzzi)  November  1075"*  und  vom 
8.  März  1076 '^  durch  welche  er  Güter  in  Russi  und  Ravenna  ver- 
schenkt oder  in  Erbpacht  giebt. 

Wir  sahen,  wie  Ende  1075  in  Norditalien  ein  antigregoriani- 
scher Ring  geschlossen  war,  kurz  bevor  die  Katastrophe,  der  offene 
Bruch  zwischen  Heinrich  IV.  und  Gregor  VII. ,  eintrat.  Das  ge- 
schah schon  Anfang  1076.  Durch  ein  Schreiben  Gregors^,  der  ge- 
rade anläfslich  der  Einsetzung  Thedalds  schärfer  vorging,  und  durch 
die  mündlichen  Erklärungen  der  dasselbe  überbringenden  päpstlichen 
Gesandtschaft  aufs  schwerste  gereizt,  liefs  Heinrich  am  24.  Januar 
1076  durch  ein  Konzil  der  deutschen  Bischöfe  zu  Worms  Gregor 
absetzen.     Dieser  antwortete  alsbald  auf  der  Fastensynode  von  1076 


1  Reg.  2,  52  a  bei  Jaffe,  Bibl.  II,  170;  Jafife-L.  I,  612.    Giesebrecht  III,  266. 

-  Bonizo  663.         «  yg-i    Giesebrecht  KZ.  III,  332,  334,  1131. 

■*  Rubeus,  Hist.  Ravenn.  299  Reg.  Fantuzzi,  Monum.  Ravenn.  1, 394  Xo.  67  Reg. 

^  Fantuzzi  a.  a.  0.  I,  394  No.  68  Reg. 

®  Jafife-L.  4972;  vgl.  über  diese  Vorgänge  Giesebrecht  III,  345 — 368. 


Wibert  als  Erzbischof   von  Ravenna  bis  zu  seiner  Wahl  zum  Papst.      29 

(14. — 22.  Februar)^  damit,  dafs  er  Heinrich  exkommunizierte,  ihm 
die  Ausübung  der  königlichen  Gewalt  untersagte  (d.  h.  ihn  vom  Amt 
suspendierte)  und  alle  Unterthanen  des  ihm  geleisteten  Eides  ent- 
band. Die  Folgen  sind  bekannt  ^  Nachdem  sich  in  Deutschland 
anfänglich  die  Dinge  für  Heinrich  günstig  gestaltet  hatten,  trat  ein 
Umschwung  ein,  der  zu  den  Tagen  von  Tribur-Oppenheim  (Oktober 
1076)  und  Canossa  (Januar  1077)  führte. 

An  dieser  Niederlage  des  Kaisertums  konnte  nichts  ändern,  dafs^ 
wie  vorauszusehen,  Norditalien  sich  Heinrich  in  demselben  Mafse 
freundlich  erwiesen  hatte ,  wie  Deutschland  feindlich  gesinnt  war. 
Nach  dem  Wormser  Konzil,  aber  vor  der  römischen  Synode  hatten 
die  lombardischen  Bischöfe  zu  Piacenza  '^  den  Wormser  Beschlüssen 
beigestimmt,  wofür  sie  auf  der  Fastensynode  wegen  Konspiration 
exkommuniziert  wurden.  Von  einer  Wirksamkeit  Wiberts  ist  zwar 
nicht  ausdrücklich  die  Rede,  doch  ist  sie  wahrscheinlich,  und  Wibert 
als  in  die  Exkommunikation  eingeschlossen  zu  betrachten  aus  fol- 
genden Erwägungen. 

Bonizo  *  erzählt  S.  673  den  zu  Pavia  1077  erfolgten  Tod  des 
Cencius  und  fügt  hinzu:  cuius  funus  Guibertus  cum  aliis  excommu- 
nicatis  mirabili  pompa  celebravit.  Diese  Stelle  genügt  Martens  ^ 
schon,  sich  für  die  Exkommunikation  Wiberts  im  Februar  1076  zu 
erklären,  sie  wird  aber  durch  andere  gestützt.  Am  28.  Januar  1078 
erliefs  Gregor  eine  Aufforderung  ^  an  Wibert,  seine  Suffragane  und 
andere,  sich  auf  der  nächsten  Fastensynode  zur  Verantwortung  zu 
stellen :  den  Angeredeten  wird  der  apostolische  Grufs  verweigert, 
was  darauf  hinweist,  dafs  sie  sich  im  Banne  befanden.  Entscheidend 
aber  ist  der  Wortlaut  der  auf  der  Fastensynode  1078  gegen  Wi- 
bert gefällten  Sentenz  ' :  Tedaldum  dictum  archiepiscopum  Mediola- 
nensem  et  Bavennatem  Guibertum  ....  ab  episcopali  omnino  sus- 
pendimus  et  sacerdotali  officio ;  et  olim  iam  factum  anathema  super 
ipsos  innovamus.  Es  ist  ganz  klar,  dafs  hier  von  der  Erneuerung 
eines  schon  früher  geschleuderten  Bannfluches  die  Bede  ist.    Meiner 


^  Ich  schliefse  mich  in  der  Datierung-  derselben  den  Regesten  von  Jaffe-L. 
I,  616  gegen  Giesebrecht  III,  359,  1134  an. 

2  Vgl.  Giesebrecht  III,  369—404. 

^  Vgl.  Giesebrecht  III,  357,  360,  1134.  Aufser  den  dort  angeführten  Zeug- 
nissen für  Piacenza  noch  Arnulf,  Gesta  archiepp.  Mediolan.  5,  7  SS.  VIII,  30. 

*  Bonizo  673.  Martens,  Besetzung  des  päpstl.  Stuhls  203,  giebt  irrig  an,  das 
Begräbnis  habe  in  Bavenna  stattgefunden;  Cencius  blieb  nach  seinem  mifs- 
glückten  Attentat  vom  24.  Dezember  1075  zunächst  in  der  Umgegend  von  Rom 
und  kam  erst  1077  nicht  zu  Wibert,  sondern  zu  Heinrich. 

ö  a.  a.  O.  201.        «  Reg.  5,  13  bei  Jaffe,  Bibl.  II,  303;  Jaffe-L.  5063. 

^  Reg.  5,  14  a  bei  Jaffe,  Bibl.  II,  305. 


30      Wibert  als  Erzbischof  von  ßavenna  bis  zu  seiner  AValil  zum  Papst. 

Annahme  scheint  indes  ein  Brief  des  Erzbischofs  Gebhard  von  Salz- 
burg an  Bischof  Hermann  von  Metz  ^  aus  dem  Jahre  1084  entgegen 
zu  sein,  in  welchem  es  von  Wibert  heifst:  Wibertus  quondam  Ra- 
vennas  archiepiscopus  ....  in  Bomana  synodo  inrecuperabiliter  de- 
positus  et  anathematizatus  est  .  .  .  . ;  nee  hoc  semel  in  una  synodo, 
sed  in  omnibus  synodis,  quotquot  iam  septennio  Bomae  celebratae 
sunt.  Nach  dieser  Stelle  wäre  die  erste  Exkommunikation  Wiberts 
erst  im  Jahre  1078  erfolgt,  und  das  ist  insofern  ganz  richtig,  als 
damals  zum  ersten  Male  nominatim  der  Bann  über  Wibert  verhängt 
wurde.  Auf  diesen  besonders  markanten  Vorgang  beruft  sich  natur- 
gemäfs  Gebhard,  während  er  den  Umstand,  dafs  sich  die  Censuren 
vom  Februar  1076  gegen  die  lombardischen  Bischöfe  auch  auf  Wi- 
bert bezogen,  übersehen  hat,  er  widerspricht  meinem  Ergebnis  also 
nicht.  An  Gregors  eigenem  Zeugnis  zumal  wird  man  nicht  rütteln 
können  -. 

Die  lombardischen  Bischöfe  und  Abte  beantworteten  ihre  Ex- 
kommunikation mit  einem  neuen,  Heinrich  freundlichen  Schritt.  Sie 
traten  auf  Betreiben  Wiberts,  der  hier  zuerst  genannt  wird  ^,  nach 
Ostern,  d.  h.  nach  dem  27.  März  1076  in  Pavia  zusammen  und 
bannten  ihrerseits  den  Papst  *. 

Auch  die  Bannung  Wiberts  blieb  zunächst  ohne  Folgen,  sein 
Sprengel  stand  zu  ihm.  Doch  suchte  er  sich  in  der  nächsten  Zeit, 
die  er  in  Bavenna  zubrachte ,  des  Beistandes  der  Grofsen  durch 
neue  Verleihungen  und  Bestätigungen  von  Gütern  auf  alle  Fälle 
zu  versichern.   So  bestätigte  er  am  11.  August  ^  im  Kloster  St.  Apol- 


1  bei  Hugo  Flav.  SS.  VIII,  459  und  im  codex  Udalrici  69  bei  Jaffe,  Bibl. 
V,  141. 

"  In  derselben  "Weise  erledigt  sich  Bernold  1080  SS.  V,  436,  wo  Wibert  an- 
läfslich  der  Wahl  von  Brixen  als  seit  drei  Jahren  unwiderruflich  abgesetzt  und 
exkommuniziert  bezeichnet  wird ;  Bruno  de  hello  Saxonico  c.  126  SS.  V,  381  f.  u.  a. 

3  Bonizo  670. 

*  Bonizo  670.  Arnulf,  Gesta  archiepp.  Mediolan.  5,  7  SS.  VIII,  30,  ohne 
Wibert  zu  nennen.     Gieseb recht  III,  365  u.   1135. 

"''  So  Amadesi,  Antistites  Ravenn.  II,  330.  Fantuzzi,  Monum.  Rav.  IV,  208. 
Rubens,  Hist.  Rav.  299  (aus  ihm  Mittarelli,  Ann.  Camald.  III,  329)  giebt  fälschlich 
den  2.  August  an.  Diese  Urkunde  hat  früher  Schwierigkeiten  gemacht,  Ama- 
desi a.  a.  0.  II,  175 — 180  hat  eine  lange  Auseinandersetzung  über  sie.  Sie  ist 
in  einer  beglaubigten  Abschrift  vom  August  1174  erhalten  und  dort  vom  11.  Au- 
gust 1043  datiert,  während  als  Aussteller  Erzbischof  Wibert  genannt  wird.  So 
geben  auch  die  Drucke  bei  Amadesi  und  nach  diesem  bei  Fantuzzi.  Am  11.  Au- 
gust 1043  regierte  aber  Erzbischof  Gebhard  (1027  —  15.  Februar  1044)  (Gams, 
Series  episc.  717).  Ferner  hat  das  Jahr  1043  nicht  die  Indiktion  14,  die  in  der 
Urkunde  angegeben  ist,  sondern  11.  Offenbar  ist  bei  der  Abschrift  ein  Ver- 
sehen vorgefallen ;  man  hat  die  Wahl  anzunehmen,  entweder  dafs  zweimal  statt 


Wibert  als  Erzbischof  von  Kayenna  bis  zu  seiner  Wahl  zum  Papst.      31 

linaris  in  Classe  eben  südlich  von  Ravenna  dem  Grafen  Gerhard 
und  dessen  legitimen  Söhnen  die  Stadt  Bertinoro  und  anderes,  wobei 
dessen  Verpflichtungen  gegen  ihn,  namentlich  auch  die  militärischer 
Natur,  aufs  genaueste  geregelt  werden.  Noch  Ende  1076  finden  wir 
ihn  in  seiner  Metropole,  am  24.  November  erhält  er  vom  Abt  Man- 
fred von  St.  Hilarius  in  Galliata  zwei  Burgen  im  Gebiet  von  For- 
limpopoli  zu  zeitweisem  Besitzet 

Da  erschien  zu  Anfang  des  Jahres  1077  König  Heinrich  unter 
seinen  getreuen  Norditalienern,  aber  nur,  um  sich  in  Canossa  vom 
Banne  lossprechen  zu  lassen.  Dadurch  fühlten  sich  seine  Anhänger 
l^reisgegeben ,  und  wenig  fehlte,  so  hätten  sie  sich  von  ihm  abge- 
wendet. Bald  aber  wurden  sie  durch  einige  Zwischenfälle  belehrt 
auf  wie  schwachen  Füfsen  das  Einvernehmen  zwischen  Papst  und 
König  stand,  und  wie  sie  sahen,  dafs  sich  die  eben  Versöhnten  täg- 
sich  mehr  voneinander  entfernten,  näherten  sie  sich  dem  Könige 
wieder. 

Auch  Wibert  ist  damals  zu  ihm  geeilt,  er  befindet  sich  nach- 
weislich in  Heinrichs  Umgebung  in  Pavia  Ende  März  oder  Anfang 
April  1077.  Neben  zahlreichen  anderen  geistlichen  und  weltlichen 
Herren  erscheint  er  nämlich  als  Intervenient  in  einer  königlichen 
Urkunde  für  den  Patriarchen  Sigehard  von  Aquileja^,  die  demselben 
die  Grafschaft  Friaul  verleiht  und  zu  Pavia  1077  ausgestellt  ist. 
Die  nähere  zeitliche  Bestimmung  ergiebt  Stumpf  2799,  aus  Pavia 
vom  3.  April  1077  datiert.  Ferner  berichtet  Bonizo^,  wie  schon 
berührt,  dafs  Wibert  und  die  anderen  Exkommunizierten  dem  Cencius, 
jenem  Attentäter  von  AVeihnachten  1075,  der  1077  in  Pavia  gestorben 
sei,  ein  prächtiges  Leichenbegängnis  ausgerichtet  hätten.     Cencius 


Gebhard  Wibert  und  statt  ind.  11  ind.  14,  oder  dafs  statt  1076  oder  1091 :  1043 
verschrieben  worden  ist ;  letzteres  dürfte  mehr  für  sich  haben.  In  Wiberts  erz- 
bischöfliche Zeit  fallen  nämlich  2  Jahre,  auf  welche  die  Indiktion  14  passen 
würde:  1076  u.  1091.  Ich  entscheide  mich  für  1076,  einmal,  weil  jeglicher  Bezug 
auf  die  päpstliche  Würde  Wiberts  fehlt  (etwa  tempore  domini  Clementis  papae 
oder  dergleichen) ,  dann ,  weil  Rubeus  auffailenderweise  den  Vorgang  richtig 
zum  Jahre  1076  erzählt.  Sollte  1590,  wo  das  Buch  desselben  gedruckt  wurde, 
das  Original  der  Urkunde  noch  vorhanden  gewesen  sein,  1783,  als  Amadesi 
herauskam,  nicht  mehr? 

1  Fantuzzi,  Mon.  Rav.  II,  349  No.  11  Reg.  u.  371  No.  59  Reg.,  hier  irrig 
zu  1070.  Rubeus,  Hist.  Rav.  300,  irrig  zu  1077,  die  Indiktion  führt  auf  den 
November  1076.  —  Eine  Urkunde  bei  Fantuzzi  a.  a.  0.  I,  394  No.  69  Reg.  lasse 
ich  beiseite,  sie  ist  angeblich  vom  5.  Februar  1077,  während  das  22.  Jahr  Hein- 
richs auf  1078  schliefsen  läfst;  Ausstellort  fehlt. 

^  Stumpf  2800;  denn  archiepiscopus  Umbertus  Ravennas  ist  natürlich  Wibert 
(Uuibertus). 

3  Bonizo  673;  cfr.  Berthold  1077  SS.  V,  290  f. 


32      AVibert  als  Erzbiscliof  von  Ravenna  bis  zu  seiner  AValil  zum  Papst. 

aber  war  nach  Pavia  gekommen,  um  mit  Heinrich  in  Verbindung 
zu  treten,  was  ihm  nicht  gelang.  Durch  seinen  Verkehr  mit  den  Ge- 
bannten konnte  Heinrich  natürlich  Gregors  Mifstrauen  nur  steigern, 
aber  er  verfiel  nicht  in  neue  Exkommunikation,  da  Gregor  ihm  nur 
den  kirchlichen  Verkehr  mit  den  lombardischen  Bischöfen  untersagt, 
Annahme  von  Hofdiensten  seitens  derselben  aber  gestattet  hattet 

Noch  ist  ein  Wort  von  der  angeblichen  zweiten  Zusammenkunft 
Heinrichs  mit  Gregor  und  Mathilde  zu  Bianello  (Anfang  Februar 
1077)  zu  sagen-.  Nach  Donizo  soll  dort  Heinrich  auf  Wiberts  Rat 
den  Vorschlag  gemacht  haben,  einen  Tag  zu  Mantua  anzusetzen,  zu 
welchem  Zwecke,  erfahren  wir  nicht.  Die  Absicht  dabei  soll  ge- 
wesen sein*  den  Papst  zu  fangen ;  das  erfuhr  aber  Mathilde  noch  im 
letzten  Augenblick,  und  der  Tag  kam  nicht  zustande.  Ich  halte 
diese  Erzählung  für  gang  unglaubwürdig,  sie  soll  nur  Mathildes 
Klugheit  in  das  gebührende  Licht  setzen;  es  scheint  mir  auch  ein 
fruchtloses  Bemühen,  einen  Kern  aus  der  Sache  herauszuschälen  und 
zu  verwerten,  wie  es  Giesebrecht  thut.  Höchstens  wird  man  Donizo 
zugeben  können,  dafs  Wibert  unter  den  zu  Reggio  versammelten 
hohen  Geistlichen  war,  um  dort  Heinrichs  Rückkehr  aus  Canossa 
zu  erwarten'^. 

Vom  Banne  war  Heinrich  in  Canossa  losgesprochen  worden, 
seine  Suspension  und  die  Lösung  seiner  Unterthanen  vom  Eide  war 
gar  nicht  zur  Sprache  gekommen^.  Hier  setzte  die  fernere  Aktion 
Gregors  ein :  er  beanspruchte  die  Entscheidung  über  das  Deutsche 
Reich  ;  um  diese  und  ihre  Verhinderung  drehten  sich  die  Dinge  von 
1077  bis  1080.  Die  am  15.  März  1077  in  Anwesenheit  päpstlicher 
Legaten  vollzogene  Wahl  Rudolfs  von  Rheinfelden  zum  König  ver- 
ursachte dreijährige  innere  Kämpfe  in  Deutschland.  Bald  zerfiel 
Heinrich  auch  wieder  mit  der  Kirche,  schon  am  12.  November  1077 
schleuderte  der  pästliche  Legat,  Kardinal  Bernhard,  in  Goslar  aufs 
neue  den  Bann  gegen  ihn.  Gregor  benahm  sich  zweideutig,  lange  ver- 
weigerte er  die  Anerkennung  dieser  Mafsregel,  schwankte  zwischen 
Heinrich  und  Rudolf,  verhandelte  mit  beiden,  sah  sich  aber  im  Laufe 
des  Jahres  1079  veranlafst,  engeren  Anschlufs  an  Rudolf  zu  suchen, 
und  trat  endlich  1080  aus  seiner  zuwartenden  Stellung  herauB,  da 
er  Gefahr  lief,  es  mit  beiden  Parteien  zu  verderben,  gewifs  auch  des 
ewigen  Hinhaltens,  der  Täuschungen  und  Mifserfolge  müde,  während 
das  ersehnte  Ziel,    die  päpstliche  Entscheidung  über  das  Deutsche 


'  Giesebrecht  III,  402  u.  1140. 

2  Bericht  bei  Donizo  2,  125  ff.  SS.  XII,  382;  vgl.  Giesebrecht  III,  423  u.  1144. 
^  Vgl.  Stenzel,  Geschichte  Deutschlands  unter  den  fränkischen  Kaisern  I,  414. 
^  Vgl.  Giesebrecht  III,  431—498. 


Wibert  als  Erzbischof  von  B-ayenna  bis  zu  seiner  Wahl  zum  Papst.      33 

Reichj  nicht  näher  rückte.  Die  Fastensynode  von  1080  brachte  am 
7.  März  den  entscheidenden  Schritt:  Gregor  stellte  sich  offen  auf 
Rudolfs  Seite;  Heinrich  wurde  von  neuem  exkommuniziert  und  förm- 
lich abgesetzt,  wieder  wurden  die  ünterthanen  ihres  Eides  entbunden. 

Sehen  wir  uns  nun  nach  Wiberts  Thaten  während  dieser  Zeit 
um,  so  bemerken  wir,  dafs  wir  in  den  ganzen  drei  Jahren  nichts 
anderes  von  ihm  erfahren,  als  dafs  er  fortwährend  exkommuniziert 
wurde.  Von  neuen  Vergehungen  gegen  Rom  hören  wir  nichts,  die 
gegen  ihn  verhängten  Strafen  bestanden  fort;  Gregor  aber  sah  sich 
veranlafst,  gegen  die  Anhänger  Heinrichs  in  Italien  eher  schärfer 
vorzugehen,  als  gegen  die  deutschen  und  gegen  Heinrich  selber. 

Am  28.  Januar  1078  erliefs  er  an  Wibert,  dessen  Suffragane 
und  eine  ganze  Reihe  anderer  Bischöfe  und  Abte  Norditaliens  eine 
Aufforderung  \  auf  der  nächsten  Fastensynode  zu  erscheinen,  die  in 
der  ersten  Fastenwoche  stattfinden  solle.  Den  i^ngeredeten  wird 
der  apostolische  Segen  vorenthalten  wegen  der  temeritas,  durch  die 
sie  die  römische  Kirche  beleidigt  hätten.  Dennoch  erwarte  diese 
immer  die  Rückkehr  in  ihren  Schofs.  Daher  ergehe  jetzt  diese  Ein- 
ladung zur  Synode  an  sie,  bei  Versprechen  der  Sicherheit  Leibes 
und  Gutes  und  mit  der  Zusicherung,  er,  Gregor,  werde  möglichst 
Milde  walten  lassen  und  nie  ungerecht  gegen  die  Angeredeten  sein, 
denn  ihr  und  ihrer  Ünterthanen  Heil  liege  ihm  mehr  am  Herzen, 
als  sein  eigener  Vorteil. 

Diese  verhältnismäfsig  milde  gehaltene  Aufforderung  begegnete, 
wie  vorauszusehen  war,  tauben  Ohren,  daher  denn  der  Papst  auf  der 
Synode  zu  Zensuren  gegen  die  Übelthäter  schritt.  An  der  Spitze 
der  langen  Reihe  der  am  3.  März  1078  mit  Strafen  Belegten  '^  stehen 
Erzbischof  Thedald  von  Mailand  und  Erzbischof  Wibert  von  Ravenna, 
die  hervorragendsten  Vertreter  der  kaiserlichen  Partei.  Wegen  un- 
erhörter Ketzerei  und  tlberhebung  gegen  die  katholische  Kirche 
werden  sie  aller  bischöflichen  und  priesterlichen  Funktionen  ent- 
hoben und  verfallen  von  neuem  dem  schon  einmal  über  sie  ausge- 
sprochenen Kirchenbann  'l  Dies  war  die  erste  namentliche  Ex- 
kommunikation AViberts,  rasch  folgten  ihr  andere,  und  es  bestätigt 
sich  für  diese  Jahre  die  Aussage  Gebhards  von  Salzburg  aus  dem 


1  ßeg.  5,  13  bei  Jaffe ,  Bibl.  II,  803;  Jaffe-L.  5063.  Giesebrecht  III,  458 
u.  1149. 

2  Ja£fe-L.  I,  625.  Acta  bei  Jaffe,  Bibl.  II,  305  (Reg.  5,  14  a).  Cfr.  Berthold 
1078  SS.  V,  308.     Giesebrecht  III,  459  u.  1149. 

^  Petrus  Pisanus,  Vita  Greg.  VII.,  bei  Watterich  I,  298,  wiederholt  wörtlich 
die  Registerangabe  und  giebt  aus  eigenem  "Wissen  nach  anathema  super  ipsum. 
renovavit  als  Grund  an:  eo  quod  vocatus  ad  synodum  venire  contempsit. 

Kühncke,  W^ibert  v.  E.  3 


34      Wibert  als  Erzbischof  von  Ravenna  bis  zu  seiner  Wahl  zum  Papst. 

Jahre  1084,  Wibert  sei  seit  1078  auf  allen  römisclien  Synoden  mit 
dem  Banne  belegt  worden. 

Freilich  findet  sich  in  den  Akten  der  nächsten  Synode,  der  vom 
November  1078,  davon  nichts  \  doch  scheint  seine  Angelegenheit 
vorgekommen  zu  sein.  Es  ist  nämlich  ein  Brief  Gregors  vom  25.  No- 
vember 1078  erhalten  ^,  in  welchem  er  allen  Einwohnern  von  Ravenna 
anzeigt,  dafs  Wibert,  dem  nunmehr  der  Buin  Bavennas  und  unheiliger 
Lebenswandel  vorgeworfen  werden,  auf  einer  römischen  Synode  un- 
widerruflich abgesetzt  worden  sei,  weil  er  sich  wider  den  heiligen 
Petrus  erhoben  habe  und  in  seinem  Ungehorsam  beharre.  Den 
Bavennaten  wird  geboten,  ihm  keinen  Gehorsam  mehr  zu  leisten, 
was  allerdings  nicht  gefruchtet  zu  haben  scheint.  Der  Suspension 
vom  März  wird  im  November  die  förmliche  Absetzung  gefolgt  sein, 
wobei  wohl  der  Bannfluch  wiederholt  wurde;  denn  es  wäre  doch 
wunderlich,  wenn  man  diese  Anzeige  vom  November  auf  die  März- 
synode beziehen  wollte  ^.  Auch  der  Synodalbericht  vom  Februar 
1079  *  tliut  Wiberts  keine  Erwähnung.  Für  ihn  tritt  das  Zeugnis 
des  sehr  glaubwürdigen  Berthold  ^  ein ,  gestützt  durch  Gebhards 
wiederholt  berührte  Aussage  und  in  etwas  durch  den  Wortlaut  der 
Sentenz  vom  7.  März  1080:  sententia  depositionis  et  excommuni- 
cationis  iam  plerumque  data.  . . .  Um  so  besser  sind  wir  durch  die 
Acta  von  der  Fastensynode  1080  unterrichtet,  derselben,  auf  der 
Heinrich  IV.  zum  zweiten  Male  gebannt  wurde.  Am  Schlufstage, 
dem  7.  März,  wurde  unter  vielen  anderen  auch  das  schon  oft  gegen 
Thedald  von  Mailand  und  Wibert  von  Ravenna  ergangene  Urteil 
der  Absetzung  und  Exkommunikation  bestätigt  ^.  Dies  war  die  letzte 
Exkommunikation  Wiberts,  bevor  er  Gegenpapst  Gregors  wurde. 

Indes  erwiesen  sich  diese  wiederholten  Verdammungen  als  wir- 
kungslos. Er  waltete  seines  Amtes  nach  wie  vor,  was  wir  aus  den 
freilich  geringen  Spuren,  die  auf  uns  gekommen  sind,  ersehen  können  : 


^  Reg.  6,  5b  bei  Jaffe,  Bibl.  II,  330. 

2  Reg.  6,  10  bei  Jaife,  Bibl.  II,  339;  Ja£fe-L.  5091. 

^  Auch  Petrus  Pisanus,  Vita  Greg.  VII.,  bei  Watterich  I,  299,  dem  dieser 
Brief  offenbar  vorlag,  bezieht  ihn  auf  die  Novembersynode  1078  und  erschliefst 
aus  ihm  eine  neue  Exkommunikation. 

Dafs  die  Suspension  Wiberts  auf  der  Fastensynode  nicht  gleich  der  Ab- 
setzung war,  scheint  mir  aus  dem  Wortlaut  der  Akten  hervorzugehen.  Es  heifst : 
Ravennatem  Guibertum . . . .  ab  episcopali  omnino  suspendimus  et  sacer- 
dotali  officio;  und  unmittelbar  darauf:  Arnulf  um  Cremonensem  ... .  ab  omni 
episcopali  officio  absque  spe  recui^erationis  deponimus. 

*  Reg.  6,  17  a  bei  Jaffe,  Bibl.  II,  355.         ^  Berthold  1079  SS.  V,  317. 

6  Jaflfe-L.  I,  634.  Acta  bei  Jaffe,  Bibl.  II,  399  (Reg.  7,  14a)  (ebenso  bei 
Petrus  Pis.,  Vita  Greg.  VII.,  bei  AVatterich  I,  302).     Giesebrecht  111,  492. 


Der  Tag  von  Brixen.  35 

sie  bestehen  in  nur  drei  Urkunden,  durch  welche  Güter  und  Rechte 
an  Private  verliehen  werden,  bezw.  vom  17.  Januar  1079  ohne  Aus- 
stellort K  vom  2.  März  1079  aus  Cesena  ^  und  vom  20.  Mai  1079  aus 
Ravenna  ^. 

Im  ganzen  sind  wir  imstande,  uns  von  dieser  Periode  Wiberts 
ein  deutlicheres  Bild  zu  machen,  als  von  seiner  Kanzlerzeit.  Wir 
sehen,  dafs  es  ihm  durch  Stellung,  Fähigkeiten  und  rasches,  ent- 
schlossenes Handeln  gelang,  eine  führende  Rolle  in  der  kaiserlichen 
Partei  Italiens  zu  spielen,  was  uns  die  Gegner  durch  die  Schärfe 
und  Häufung  ihrer  Strafen  nur  bestätigen. 


Viertes  Kapitel. 
Der  Tag  von  Brixen. 

Der  Bannfluch,  den  Gregor  am  7.  März  1080  gegen  Heinrich 
geschleudert  hatte,  that  seine  Wirkung  nicht. 

Für  Italien  war  dies  vorauszusehen  gewesen;  hier  unterliefsen 
überdem  die  Anhänger  Heinrichs  nichts,  um  Stimmung  für  ihn  zu 
machen.  Aus  Wiberts  Kreise  ging  zu  diesem  Zwecke  und  um  diese 
Zeit  jene  merkwürdige  Flugschrift  des  Petrus  Crassus  hervor'^,  der 
mit  einem  grofsen  Aufwand  theologischer  und  juristischer  Kennt- 
nisse nachzuweisen  sucht,  dafs  Gregor  unrechtmäfsig  gehandelt  habe, 
und  dafs  es  jetzt  Heinrich  zustehe,  ein  Konzil  zu  berufen,  um  über 
jenen  Gericht  zu  halten. 

Aber  auch  in  Deutschland  blieb  Heinrichs  Partei  unerschüttert ; 


1  Fantuzzi,  Mon.  Rav.  I,  394  No.  70  Reg. 

"  Fantuzzi  a.  a.  0.  I,  395  No.  71  Reg. 

3  Fantuzzi  a.  a.  0.  II,  422  No.  4  Reg.  u.  Y,  162  No.  23  Reg.  Die  Orts- 
angabe lautet:  in  domo  Tricollis  prope  ecclesiam  archiepiscopatus ,  das  wird 
in  Ravenna  sein.  Übrigens  bestätigt  Wibert  in  dieser  Urkunde  seinen  Bann 
über  einen  Bezirk  in  Cervia. 

Durch  einen  späten  Lokal-Berichterstatter,  den  Kanonikus  Tolosanus  zu 
Faenza  (f  1226),  haben  wir  Kunde  von  Kämpfen  zwischen  Ravenna  und  Faenza, 
es  werden  namentlich  zwei  Kriegszüge  von  1075  und  1080  erzählt.  Für  Wibert 
ergeben  aber  diese  Nachrichten  nichts.  Cfr.  Tolosani  chron.  c.  18  u.  43  bei 
Mittarelli,  Script,  rerum  Favent.  S.  27  u.  45.     Rubens,  Hist.  Rav.,  299  u.  306  f. 

^  Gedruckt  bei  Sudendorf,  Registrum  I,  22 — 50,  besser  bei  Ficker,  Ital. 
Forschungen  IV,  106—124;  vgl.  III,  112.  Vgl.  namentlich  AVattenbach,  Gre- 
schichtsquellen  II,  203  und  Griesebrecht  III,  499  u.  1153  f.  Entgegen  Meltzer, 
Gregor  VII.  und  die  Bischofswahlen-  S.  236  und  Panzer,  "Wido  von  Ferrara 
S.  44  halte  ich  daran  fest,  dafs  die  Schrift  kurz  vor  dem  Konzil  von  Brixen 
entstanden  sei;  an  einem  anderen  Orte  werde  ich  vielleicht  nächstens  Gelegen- 
heit haben,  diese  Ansicht  ausführlicher  zu  begründen. 

3* 


36  Der  Tag  von  Brixen. 

der  König  konnte  kräftig  vorgehen.  Am  31.  Mai  1080  beschlofs 
eine  Versammlung  von  19  deutschen  Erzbischöfen  und  Bischöfen 
in  Mainz  im  Einverständnis  mit  Heinrich  und  den  Fürsten^  Gregor 
für  abgesetzt  zu  erklären  und  an  seiner  Stelle  einen  neuen  Papst 
zu  wählen  ^.  Um  dem  weitere  Folge  zu  geben ,  wollte  man  am 
25.  Juni  1080  in  Brixen  zusammenkommen,  wohin  ein  königlicher 
Befehl  die  geistlichen  und  weltlichen  Grofsen  berief. 

Da  uns  das  von  dieser  Versammlung  beschlossene  Absetzungs- 
dekret Gregors  vorliegt,  so  können  wir  über  entgegenstehende  An- 
gaben betr.  Zeit,  Ort  und  dergleichen  hinweggehen  -.  Zur  vorher 
bestimmten  Zeit  (25.  Juni)  trat  man  in  Brixen  in  der  bischöflichen 
Kirche  zusammen  ^. 

Das  Dekret  ^  trägt  29  Unterschriften,  an  letzter  Stelle  die  König 
Heinrichs,  an  erster  die  des  einzigen  anwesenden  römischen  Kar- 
dinals '^,  unseres  Hugo  Candidus,  der  sich  aber  anmafslich  genug  im 
Namen  aller  unterschreibt.  Drei  Erzbischöfen  begegnen  wir ,  aus 
Italien  Thedald  von  Mailand  und  dem  Patriarchen  Heinrich  von 
Aquileja,  aus  Deutschland  Liemar  von  Bremen.  Unter  24  Bischöfen 
sind  17  norditalienische,  darunter  Dionysius  von  Piacenza,  Milo  von 
Padua,  Eberhard  von  Parma,  Boland  von  Treviso,  ein  burgundischer, 
Burchard  von  Lausanne,  und  6  deutsche :  Konrad  von  Utrecht, 
Diedo  von  Brandenburg,  Rupert  von  Bamberg,  Meginward  von  Frei- 
sing, Norbert  von  Chur,  Altwin  von  Brixen.  Aufser  diesen  hohen 
Geistlichen  waren  noch  Erzbischof  Wibert  von  Ravenna^  der  als 
designierter  Papst  nicht  unterschrieben  hat,  und  Bischof  Benno  von 
Osnabrück  anwesend.  Mit  diesem  hat  es  eine  besondere  Bewandt- 
nis ' :  er  versteckte  sich  nämlich  während  der  entscheidenden  Ver- 
handlungen in  einer  Altarnische,  deren  Vorhang  er  zuzog,  und  kam 
so  um  die  Unterschrift  herum ;  er  wählte  diese  goldene  Mittelstrafse, 


^  Vgi.  Giesebreclit  III,  501,  die  Quellen  1153.  —  Für  die  ganze  Zeit  von 
1080-1100  sind  die  ßegesten  von  Jaffe-L.  I,  649—655  und  IL  713  u.  751  f.  zu 
vergleichen. 

"  z.  ß.  über  eine  Stelle  in  Norberti  vita  Bennonis  c.  22  SS.  XII,  72,  an  der 
die  Versammlung  nacli  Pavia  verlegt  wird,  während  Marianus  Scottus  1079  SS. 
V,  561  Wiberts  Wahl  auf  den  24.  Juni  ansetzt. 

3  Norbert!  vita  Bennonis  c.  22  SS.  XII,  72  f. 

*  Die  Druckangaben  s.  bei  Stumpf  2821  (Reichskanzler  II ,  235  u.  535) ; 
Schlufs  auch  bei  Ekkehard  1080  SS.  VI,  203  f.  Ich  benutze:  cod.  Udalr.  64 
bei  Jaffe,  Bibl.  V,  133. 

Über  die  Vorgänge  auf  der  Versammlung  vgl.  Giesebrecht  III,  502—504 
u.  1153  f. 

•^  bestätigt  durch  Bonizo  676  u.  681;  vita  Anselmi  c.  19  SS.  XII,  19. 

«  Cfr.  Benzo  1.  6  praef.  SS.  XI,  656.    Urkunde  Stumpf  2822  vom  26.  Juni  1080. 

"'  Norberti  vita  Bennonis  c.  22  SS.  XII,  72  f. 


Der  Tsicr  von  Brixen.  37 

um  es  mit  keiner  Partei  zu  verderben,  denn  er  war  ein  vorsichtiger 
Mann.  Sonach  wären  1  Kardinal,  4  Erzbischöfe,  25  Bischöfe  oder 
im  ganzen  30  hohe  Geistliche  anv^resend  gewesen,  und  weiter  will 
wohl  auch  das  Dekret  nichts  sagen,  wenn  es  von  einem  triginta 
episcoporum  conventus  spricht^,  die  dann  im  Gegensatz  stehen  zu 
dem  optimatum  exercitus.  Daher  ist  es  nicht  nötig  anzunehmen  ^, 
dafs  noch  zwei  Bischöfe  etwa  aus  ähnlichen  Bedenken,  wie  Benno 
sie  hegte ,  ihre  Unterschrift  verweigert  hätten  ■^.  Die  geringe  Be- 
teiligung der  deutschen  Bischöfe  könnte  auffallen,  zwei  von  ihnen, 
Liemar  von  Bremen  und  Rupert  von  Bamberg,  waren  gar  bisher 
als  königliche  Gesandte  in  Italien  gewesen  und  kamen  von  dorther, 
nachdem  sie  die  lombardischen  Grofsen  zur  Versammlung  einge- 
laden hatten  *.  Indes  hatten  die  deutschen  Bischöfe  ja  schon  am 
31.  Mai  Gregor  abgesetzt,  und  auf  ihr  Votum  wird  im  Dekret  ge- 
rade in  dem  Abschnitte ,  der  Gregors  Absetzung  von  neuem  aus- 
spricht, ausdrücklich  Bezug  genommen  (Jaffe  S.  135):  legatis  ac 
litteris  freti  decem  et  novem  episcoporum,  die  sancto  preteriti  pen- 
tecostes  Mogontiae  congregatorum. 

Auch  weltliche  Fürsten  waren  nach  der  Aussage  des  Dekrets 
in  grofser  Zahl  zugegen ;  in  der  Frage  der  Anwesenheit  römischer 
Gesandten  aber  stehen  sich  die  Aussagen  beider  Parteien  schnur- 
stracks gegenüber. 

Die  Vertreter  der  päpstlichen  Partei  behaupten,  es  sei  kein 
römischer  Geistlicher  oder  Laie  in  Brixen  gewesen  —  Hugo  Can- 
didus  wird  als  Gebannter  von  ihnen  natürlich  nicht  anerkannt,  so 
Bonizo  ^ :  nullo  ibi  Romano  astante  clerico  vel  laico  und  noch  ein- 
mal :  nullo  Romanorum  clericorum  vel  laicorum  ibi  presente  vel 
consentiente.  Ahnlich  meint  der  Biograph  Anselms  von  Lucca^: 
Roma  non  quaeritur  nee  Romanus  aut  clerus  aut  populus.  Und 
unter  den  Vorwürfen,  welche  Viktor  III.  als  Vorsitzender  der  Sy- 


1  Die  Zahl  30  haben  auch  die  Annal.  Wirziburg.  1080  SS.  II,  245  (Ann. 
Hildesheim.  1080  SS.  III,  105)  mit  Anklängen  an  das  Dekret  und  Ekkehard  1080 
SS.  VI,  203,  der  aus  dem  Dekret ,  das  er  gleich  darauf  citiert ,  geschöpft  hat ; 
vgl.  Buchholz,  Chron.  Wirzib.  S.  45  und  ders,,  Ekkehard  von  Aura  S.  73. 

"^  wie  Griesebrecht  III,  503  thut,  da  das  Dekret  nur  die  Unterschriften  von 
28  Geistlichen  trägt. 

^  Benzo  lib.  6  praef.  SS.  XI,  656  thut,  als  ob  er  auch  dabei  gewesen  wäre ; 
es  heifst :  quorum  (der  römischen  Gesandten  nämlich)  assertioni  nemo  nostrum 
fuit  Didimus,  sed  unanimiter  quae  dicebantur  credidimus.  Es  bleibt  aber  für 
ihn  kein  Raum,  auch  findet  sich  sein  Name  unter  dem  Absetzungs-Dekret  nicht. 
Er  ist  mindestens  in  der  entscheidenden  Sitzung  nicht  gewesen.  Vgl.  Lehm- 
grübner,  Benzo  von  Alba  S.  7,  63  u.  65. 

^  Bonizo  675  f.        ^  Bonizo  676.         «  Vita  Anselmi  c.  19  SS.  XII,  19. 


38  I^er  Tag  von  Brixen. 

node  von  Benevent  (August  1087)  gegen  seinen  Gegner  Wibert 
schleudert^,  heifst  es:  nullo  cardinalium  episcoporum  praecedente 
iudicio,  nullo  ßomani  cleri  approbante  suffragio,  nullo  devoti  po- 
puli  fervore  adibito,  in  sancta  Romana  ecclesia  omnis  malitiae,  ne- 
quitiae,  et  perditionis  caput  est  factus.  Gegenüber  diesen  v^eifs  der 
kaiserlich  gesinnte  Benzo  von  Alba  -,  dafs  unter  den  Versammelten 
de  senatoribus  Romanorum  insignes  legati  gewesen  seien  ^,  die  ver- 
sichert hätten,  Heinrich  werde  sehnlich  erwartet.  Da  aber  Benzo 
über  seine  eigene  Anwesenheit  die  Unwahrheit  sagt,  so  ist  er  über 
die  anderer  ebenso  unglaubwürdig,  zumal  es  im  Interesse  der  kaiser- 
lichen Partei  liegen  mufste,  Wiberts  Wahl  als  mit  Beteiligung  der 
Römer  vorgenommen  darzustellen.  Es  wird  gemäfs  den  anderen 
Zeugnissen  kein  Römer  in  Brixen  zugegen  gewesen  sein. 

Wie  ging  nun  die  zusammengesetzte  Versammlung  vor?  Sie 
beschlofs  zuerst  noch  einmal  Gregors  Absetzung  und  unterschrieb 
das  darauf  bezügliche,  von  den  lächerlichsten,  aber  giftigsten  Be- 
schuldigungen Gregors  strotzende  Dokument,  welches  Hugo  Can- 
didus  abgefafst  hatte,  wie  er  in  seiner  Unterschrift  angiebt.  Dann 
wendete  man  sich  zum  zweiten  Teile  der  Verhandlungen,  der  schon 
in  Mainz  in  Aussicht  genommenen  Erhebung  eines  neuen  Papstes, 
mit  der  Heinrich  endlich  auf  die  von  päpstlicher  Seite  begünstigte 
Wahl  Rudolfs  von  Schwaben  zum  Gegenkönige   antworten   wollte. 

Während  die  Absetzung  Gregors  kaum  viel  Zeit  in  Anspruch 
genommen  haben  wird,  konnte  man  sich  über  seinen  Nachfolger 
nicht  so  rasch  einigen^.  Man  schwankte  zwischen  den  beiden  an- 
gesehensten Geistlichen  Oberitaliens,  Thedald  von  Mailand  und 
Wibert  von  Ravenna;  als  aber  Thedald  die  Annahme  der  ihm  zu- 
gedachten Würde  verweigerte  ^,  war  Wibert  der  einzig  mögliche 
Kandidat,  und  er  war  willens,  die  Bürde  auf  sich  zu  nehmen.  Die 
Besprechungen  dauerten  bis  in  den  Abend  ^,  doch  kam  man  noch 
an  demselben  Tage  zum  Abschlufs  '^. 

Nachdem  zwischen  dem  König  und  den  Bischöfen  eine  Einigung 

'  Petrus  Casin.  3,  72  SS.  VII,  752.         -  Benzo  lib.  6  praf.  SS.  XI,  656. 

'  Vgl.  Scheffer-Boichorst,  Neuordnung  der  Papstwahl  S.  76  u.  111. 

*  Wido  Ferr.  1,  20  SS.  XII,  165. 

"^  Von  Thedalds  Kandidatur  berichtet  Landulf,  Hist.  Mediol.  3,  32  SS.  VIII, 
99;  zum  Zweifel  sehe  ich  keinen  Grund.  —  Er  bezeichnet  Wibert  übrigens 
irrtümlich  als  Kardinal. 

ö  Norberti  vita  Bennonis  c.  22  SS.  XII,  73. 

"^  Norberts  Angabe  gegenüber  darf  man  die  Erwählung  Wiberts  wohl  nicht 
auf  den  26.  Juni  verschieben,  wie  Giesebrecht  III,  504  u.  1154  thut.  Da  Gre- 
gors Absetzung  wenig  Zeit  beanspruchte,  blieb  für  die  Verhandlung  über  die 
Neubesetzung  des  päpstlichen  Stuhls  genügend  Zeit  verfügbar. 


Der  Tag  von  Brixen.  39 

erzielt  war  \  schritt  man  zum  AVahlakt.  Als  römischer  Patricias 
designierte  Heinrich  Wibert  von  Ravenna  zum  Papst  an  Stelle 
Gregors  YII.  dadurch,  dafs  er  als  erster  und  entscheidend  ihm  seine 
Stimme  gab.  Zwar  gebunden  an  diesen  Ausdruck  des  königlichen 
Willens,  doch  in  aller  Form  wählten  ihn  dann  die  Bischöfe  zum 
Stellvertreter  Gottes  auf  Erden.  Dafs  in  dieser  Weise  vorgegangen 
wurde,  zeigt  eine  nähere  Betrachtung  der  Quellen. 

Zwar  die  Aussagen  der  Hauptbeteiligten  ergeben  diesen  That- 
bestand  nicht  deutlich.  Heinrich  bezeichnet  Wiberts  Erhebung  als 
sein  Werk;  nach  seinem  Einzug  in  Eom  und  seiner  Kaiserkrönung 
nennt  er  ihn  in  einem  Briefe  an  Bischof  Dietrich  von  Verdun  ^ 
electus  papa  noster.  Am  Ende  seines  Lebens  beklagt  sich  der  greise 
Kaiser  in  jenem  rührenden  Briefe  an  König  Philipp  I.  von  Frank- 
reich über  die  unwürdige  Behandlung,  welche  ihm  sein  Sohn  Hein- 
rich hatte  angedeihen  lassen'^;  in  demselben  erzählt  er,  dafs  am 
31.  Dezember  1105  zu  Ingelheim  der  päpstliche  Legat,  Kardinal- 
bischof Richard  von  Albano,  von  ihm  verlangt  habe  *,  er  solle  öffent- 
lich erklären :  me  iniuste  Hildebrandum  persecutum  fuisse,  Wicber- 
tum  iniuste  ei  superposuisse. 

Gregor  auf  der  anderen  Seite  äufsert  sich  auch  nicht  bestimmt; 
in  einem  Briefe  an  die  Bischöfe  Apuliens  und  Kalabriens  vom  21.  Juli 
1080  ^  bezeichnet  er  zwar  König  Heinrich  als  Vertex  et  auctor  pesti- 
feri  consilii,  nachher  aber  heifst  es  von  den  episcopi  praecipue  Lon- 
gobardorum :  pristinam  conspirationem  adversus  Dominum  et  sanctam 
universalem  aecclesiam  conati  sunt  innovare;  et  hominem  sacrilegum 
et  sanctae  Romanae  aecclesiae  periurum  nee  non  per  Universum  Ro- 
manum  orbem  nefandissimis  sceleribus  denotatum,  W(ibertum)  dici- 
mus  sanctae  Ravennatis  aecclesiae  devastatorem,  antichristum  sibi 
et  heresiarcham  constituere.  Gregor  sieht  somit  in  König  Heinrich 
den  Urheber  des  ganzen  Planes,  läfst  aber  auch  den  Bischöfen  ihr 
vollbemessenes  Teil  zukommen. 

In  den  übrigen  Berichten  erscheint  Wibert  zum  Teil  als  Er- 
nannter Heinrichs ;  so  bei  Bernold  ^,  in  der  vita  Anselmi '  und  bei 

^  Dafs  Heinrich  mit  den  Bischöfen  über  die  Person  des  Nachfolgers  ver- 
handelte, sagt  ausdrücklich  Wido  Ferr.  1,  20  SS.  XII,  165. 

2  Gesta  Trever.  SS.  VIII,  185  (Stumpf  2859). 

3  Der  Brief  ist  gedruckt  im  cod.  Udalr.  129  (Jaffe,  Bibl.  V,  241  ff.)  und 
bei  Sigeb.  1106  SS.  VI,  369  ff. 

*  Jaffe  a.  a.  0.  V,  245;  Sigeb.  SS.  VI,  371. 

^  Reg.  8,  5  bei  Jaffe,  Bibl.  II,  432  ff. ;  Jafte-L.  5177.  Den  Inhalt  des  Briefes 
giebt  Petrus  Pis.,  Vita  Greg.  VII,  bei  Watterich  I,  305  wieder. 

®  Bernold  1080  SS.  V,  436 :  Guibertum . . .  sibi ...  in  papam  . .  .  elegit. 

"^  Vita  Anselmi  c.  18  SS.  XII,  18 :  audet ...  in  papam  eligere  Wibertum. 
c.  19  SS.  XII,  19 :  talem ...  in  papam  elevat  Heinricus. 


4:0  Der  Tag  von  Brixen. 

Wido  von  Ferrara  ^  Auch  Marianus  Scottus  -  und  Sigebert  -^  schwei- 
gen von  einem  Anteil  der  Bischöfe,  brauchen  aber  bezeichnender- 
weise von  Heinrich  den  Ausdruck  designare. 

Einer  Reihe  anderer  Autoren  dagegen  gilt  Wibert  als  Erwählter 
der  Bischöfe,  sie  wissen  nichts  von  Heinrichs  Beteiligung ;  zu  diesen 
gehören  Ekkehard*,  Landulf '^,  Norbert  in  der  vita  Bennonis*^  und 
Hugo  von  Flavigny  \ 

In  der  Mitte  steht  Bonizo  ^  und  trifft  das  Richtige ,  wenn  er 
fast  in  demselben  Atem  sagt :  Hunc . .  elegit  sibi  rex  Heinricus  in 
pontificem  und  eligitur  Guibertus  in  Romanum  pontificem  a  consi- 
milibus.  Er  führt  uns  auf  den  rechten  Weg  und  zeigt  an,  dafs  wir 
die  mannigfaltigen  Angaben  unserer  Quellen  in  der  oben  (S.  39)  an- 
gegebenen Weise  zu  verstehen  haben. 

Von    den  Neueren    sprechen  Giesebrecht  '-^   und    die  Jaifeschen 


^  Wido  FeiT.  1,  20  SS.  XII,  165 :  Heinricus  rex,  universis  quos  habere  potuit 
adscitis  episcopis ,  Wibertum  . . .  in  apostolatum  promovit,  —  Cfr.  Gesta  Trev. 
cont.  I.  c.  10  SS.  VIII,  183 :  Wicbertum  . .  .  papam  fecit.  Will.  Malmesb.,  gesta 
pontif.  Angl.  1,  49  SS.  XIII,  136:  Gruibertus  electione  imperatoris  Theutonum  . .  . 
(sc.  causam  fulciebat.)  —  Auf  Paulus  Bernried.  c.  108  (Watterich  I,  538):  sta- 
tuam . . .  erexit ,  Gruibertum  scilicet  möchte  ich  nicht  viel  Grewicht  legen ,  die 
Stelle  ist  zu  allgemein  gehalten,  übrigens  offenbar  nach  dem  Briefe  Gebhards 
von  Salzburg  bei  Hugo  Flav.  SS.  VIII,  460  gemacht:  statuam  quam  Nabucho- 
donosor  erexit  adorare. 

2  Marianus  Scottus  1079  SS.  V,  561  f.:  Vugbertum . . .  facit  papam;  1081 
SS.  XIII,  79 :  Wigberdum  . .  .  papam  designavit. 

^  Sigeb.  1079  SS.  VI,  364 :  Gruicbertum  . . .  papam  designat. 

*  Ekkehard  1080  SS.   VI,  203 :   Wigpertum . . .   ipsi  subrogandum  eligebant. 

5  Landulf,  Hist.  Mediol.  3,  32  SS.  VIII,  99:  primates . . .  Guibertum  . . . 
elegerunt. 

^  Norberti  vita  ßennonis  c.  22  SS.  XII,  73:  (cum)  eiusque  in  locum  con- 
stituissent  Rawennatem  episcopum  . . . 

'  Hugo  Flav.  SS.  VIII,  459 :  . . .  apud  Brixiam,  ubi  congregati  aliqui  epis- 
coporum  . . .  elegerunt  Witbertum  heresiarcham  de  sui  similibus,  et . . .  apostatam, 
non  apostolicum  effecerunt. 

Wohl  durch  solche  Berichte  verleitet,  kam  dann  im  12.  Jahrhundert  Otto 
von  Freising  (gesta  Frid.  I.  1,  1  SS.  XX,  353)  dazu,  zu  schreiben:  Gwibertus  . .  . 
assensu  principis  Urbis  episcopus  creatur. 

Die  Thatsache,  dafs  AVibert  Papst  wurde,  ohne  nähere  Erwähnung  der  Um- 
stände haben  noch :  Ann.  August.  1080  SS.  III,  130.  Ann.  S.  Benigni  Div.  1078 
SS.  V,  42  (woraus  Ann.  Besuenses  1080  SS.  II,  249).  —  Mit  den  zahlreichen 
ganz  allgemein  gehaltenen  Angaben  über  Wiberts  Wahl  will  ich  niemanden  be- 
lästigen; herauszuheben  wäre  nur  noch  Deusdedit  contra  invas.  bei  Mai,  Nova 
bibl.  patrum  VII,  3,  82:  Heinricus  et  optimates  eins  elegere  prius  Parmensem, 
deinde  Guibertum,  wo  also  Heinrich  und  den  Optimaten  ein  freilich  nicht  näher 
definierter  Anteil  beigemessen  wird. 

«  Bonizo  676.        «  Giesebrecht  III.  504. 


Von  der  Wahl  bis  zur  Inthronisation.  41 

Eegesten  ^  von  einer  AValil  durch  die  Bischöfe  ;  Scheffer-Boichorst  ^ 
meinte,  dafs  Wibert  einfach  ernannt  worden  sei,  worin  ihm  Martens  ^ 
gefolgt  ist;  freilich  wurde  er  der  Sache  nach  ernannt,  der  Form  nach 
aber  gewählt. 

So  erhielt  Gregor  einen  Gegenpapst,  wie  Heinrich  einen  Gegen- 
könig hatte.  Die  römische  Kirche  konnte  sich  freilich  nun  und  nimmer 
mit  der  Art  seiner  Erhebung  einverstanden  erklären,  denn  dem  Wahl- 
dekret von  1059  entsprach  sie  in  keiner  Weise,  mag  man  die  kaiser- 
liche oder  die  päpstliche  Fassung  zu  Grunde  legen  ^,  und  um  sie  zu 
rechtfertigen,  mufste  die  wibertistische  Partei  später  zu  umfangreichen 
Fälschungen  päpstlicher  Dekrete  ihre  Zuflucht  nehmen  •^.  Man  war, 
wie  wir  gesehen  haben,  auf  die  Würde  des  Königs  als  Patricius  von 
Rom  zurückgegangen,  die  ihm  den  principatus  in  electione  pon- 
tificis  gewährte.  So  wie  in  Brixen  war  es  vor  1059  gehalten  worden ; 
aber  —  auch  da  begegnet  eine  beträchtliche  Unregelmäfsigkeit :  statt 
der  berechtigten  Wähler,  nämlich  statt  des  Klerus  und  Volkes  von 
Rom,  hatte  eine  nach  Zufall  zusammengesetzte  Versammlung  von 
Bischöfen  die  Wahl  vollzogen.  Indes  hatte  Heinrich  noch  1076  ein 
wenn  auch  nur  formelles,  jedenfalls  nicht  näher  definiertes  Konsens- 
recht (consilium)  der  Römer  anerkannt  ^,  und  nur  die  Macht  der 
Verhältnisse  zwang  ihn,  es  jetzt  unbeachtet  zu  lassen;  wir  werden 
sehen,  dafs  er  später  bemüht  war,  diesem  Mangel  der  Brixener  Wahl 
abzuhelfen. 

Fünftes  Kapitel. 
Ton  der  Walil  bis  zur  Inthronisation. 

Unmittelbar  nach  der  Wahl  scheinen  noch  in  Brixen  Imman- 
tation  und  Adoration  vollzogen  zu  sein.  Bei  Deusdedit  heifst  es 
einmal  ^ :  Rex  Heinricus  et  optimates  eins  elegere  prius  Parmensem, 
deinde  Guibertum,  induentes  eos  apostolicis  insignibus ;  und  auch 
Bonizo  meldet^:  Proh  dolor  omnes,  qui  ibi  aderant,  pseudoprophe- 
tam  adoravere  proni ....  Guibertus  vero  cum  suis  complicibus,  pa- 

1  Jaffe-L.  I,  649. 

^  Scheffer-Boichorst,  Neuordnung  der  Papstwahl  113,  bes.  Anm.  2. 

^  Martens,  Besetzung  des  päpstl.  Stuhls  203 — 207, 

■*  S.  hierüber  Scheffer-Boichorst  a.  a.  0.  S.  110  if. 

^  Vgl.  dazu  Bernheim  in  den  Forschungen  XV,  618  ff. 

^  Scheffer-Boichorst  a.  a.  0.  S.  112  nebst  Anm.  4.  Martens  S.  205  drückt 
sich  schief  aus,  nach  ihm  könnte  es  scheinen,  als  ob  Heinrich  mit  Absicht  die 
Ernennung  ohne  Hinzuziehung  der  Römer  vorgenommen  habe. 

'  Deusdedit  contra  invas.,  bei  Mai,  Nova  patrum  bibl.  VII,  3,  82. 

^  Bonizo  677. 


42  Von  der  Wahl  bis  zur  Inthronisation. 

palia  secum  deferens  indumenta,  intravit  Italiam.  Auch  gelobte 
Heinricli  auf  Anraten  des  Bischofs  Dionysius  von  Piacenza,  von 
Wibert  die  Kaiserkrone  empfangen  zu  wollen  ^,  zu  welchem  Ende 
er  ihn  bis  Pfingsten  1081  nach  Rom  führen  werde  -.  Noch  feierten 
beide  zusammen  in  Brixen  den  St.  Peter-  und  Pauls-Tag  (29.  Juni), 
dann  trennten  sie  sich;  Heinrich  ging  zur  Bekämpfung  der  Sachsen 
nach  Deutschland  —  in  Mainz  liefs  er  im  Herbst  Wiberts  Wahl  von 
den  deutschen  Bischöfen  bestätigen  '^  — ,  Wibert  und  seine  Gefährten 
betraten  Italiens  Boden  '^. 

Sein  Erzbistum  Bavenna  gab  Wibert  ebensowenig  auf,  wie  einst 
Cadalus  das  Bistum  Parma;  es  mufste  ihm  die  Mittel  gewähren  zum 
Kampfe  um  die  päpstliche  Würde,  die  er  noch  nicht  einmal  rite 
besafs,  da  die  Inthronisation  fehlte ;  auch  blieb  ihm  so  eine  Zuflucht 
gesichert  in  den  unausbleiblichen  Wechselfällen  eines  so  schwierigen 
Kampfes  ^.  Zum  Ausdruck  dessen  liefs  er  sich  am  26.  Juni  1080 
alle  Besitzungen  und  Gerechtsame  seines  erzbischöflichen  Stuhles 
von  König  Heinrich  aufs  neue  bestätigen  *' ;  eine  Neuverleihung  fand 
dabei  nicht  statt.  Als  Intervenienten  werden  die  Königin  Bertha 
und  Heinrichs  Sohn  Konrad  genannt;  und  Wiberts  neuer  Würde 
ist  in  seinem  Titel  schon  Rechnung  getragen :  Cunctis  pateat . .  nos . . . 
confirmasse  . . .  sanctae  Ravennati  ecclesiae  .  .  et  domno  Wigberto 
sancte  predicte  ecclesie  venerabili  archiepiscopo  nobisque  dilectis- 
simo  et  summe  sedis  electo  apostolico  .... 

Gregor  VII.  wurde  durch  die  Vorgänge  des  25.  Juni  1080  nicht 
entmutigt;  er  entfaltete  eine  um  so  regere  Thätigkeit,  die  sich  na- 
turgemäfs  auch  mit  Wiberts  Person  beschäftigte  '.  Er  hatte  zuerst 
vor,  persönlich  gegen  diesen  seinen  Hauptgegner  in  Italien  zu  Felde 
zu  ziehen  mit  Hülfe  u.  a.  auch  der  Normannen,  der  Herren  der 
Campagna  und  der  Fürsten  Tusciens;  nach  dem  1.  September  ge- 
dachte er  den  Zug  anzutreten,  doch  kam  derselbe  nicht  zustandet 


1  Bonizo  676.         ^  ßenzo  lib.  6  praef.  SS.  XI,  656. 

3  Bern.  1080  SS.  V,  436.     G-iesebrecht  III,  517  u.  1155.         *  Bonizo  677; 

5  Vgl.  Donizo  2,  833  f.  SS.  XII,  396. 

«  Stumpf  2822  und  Jafie-L.  I,  649  f.  Sachlich  genau,  im  Wortlaut  aber 
nicht  ganz  übereinstimmend  mit  Stumpf  2621 ,  der  Bestätigungsurkunde  Hein- 
richs IV.  für  Ravenna  vom  24.  Juni  1063,  zugleich  der  spätesten  erhaltenen 
Urkunde,  die  von  Wibert  als  Kanzler  rekognosziert  ist.  Indes  sieht  man,  dafs 
Stumpf  2621  vorgelegen  hat  und  nur  im  Wortlaut  stellenweise  etwas  verändert 
worden  ist. 

'  Vgl.  Giesebrecht  III,  508—516. 

^  Reg.  8,  7  bei  Jaffe,  Bibl.  II,  436;  Jaffe-L.  5179.  Dünzelmann,  Forschungen 
XV,  539,  der  diesen  Brief  in  das  Jahr  1081  setzen  will,  hat  mich  durch  seine 
Ausführungen  nicht  überzeugt.     Der  Grund,  von  dem  seine  Erörterung  ausgeht, 


Von  der  Wahl  bis  zur  Inthronisation.  43 

Als  dies  mifsglückt  war,  versuchte  er  den  Hebel  bei  "Wiberts 
Diözesanen  anzusetzen  und  diese  ihm  abtrünnig  zu  machen.  In  zwei 
Schreiben  vom  15.  Oktober  1080  forderte  er  die  Bischöfe,  Abte, 
Geistlichen  und  Laien  der  Marken  und  des  Exarchats  ^  und  die 
Geistlichen  und  Laien  von  Ravenna  —  denen  gegenüber  er  beson- 
ders hervorhebt,  wie  nahe  vor  allen  übrigen  Kirchen  ihm  die  von 
Ravenna  am  Herzen  liege  —  auf  ^,  dem  schon  so  lange  exkommuni- 
zierten Wibert,  der  nunmehr  in  den  schwärzesten  Farben  geschildert 
wird,  einen  Nachfolger  zu  setzen,  da  er  in  religiöser  wie  in  mate- 
rieller Hinsicht  das  Erzbistum  ruiniert  habe.  Um  dem  Nachdruck 
zu  geben,  habe  er  einige  Kardinäle,  darunter  den  Archidiakonus. 
gesandt.  Als  er  damit,  wie  zu  erwarten,  ebensowenig  ausrichtete  — 
man  wird  die  Gesandten  kaum  haben  Ravenna  betreten  lassen  — , 
schritt  er  zum  letzten :  er  ernannte  einen  neuen  Erzbischof,  mit  Na- 
men Richard.  Die  Anzeige  dieser  Ernennung  liefs  er  am  11.  De- 
zember 1080^  nach  Ravenna  gelangen  und  bat  um  kräftige  Unter- 
stützung des  neuen  Oberhirten.  Indes  hören  wir  nie  wieder  etwas 
von  Richard,  und  es  ist  deshalb  wahrscheinlich,  dafs  er  gar  nicht 
nach  Ravenna  hineingelangt  ist.  Auch  dieser  Versuch  Gregors  war 
fehlgeschlagen,  Wiberts  Stellung  in  Ravenna  Ende  1080  unerschüttert. 

Das  Jahr  1081  sollte  Heinrich  die  Kaiserkrone,  Wibert  die 
Inthronisation  bringen ;  aber  es  kam  anders,  als  sie  dachten  *. 

Am  14.  Januar  ist  Velbert  noch  in  Ravenna '\  Seine  Vassallen 
Graf  Hubald  und  Hugo,  Vater  und  Sohn,  verpflichten  sich  ihm  von 


ist  hinfällig.  Freilich  ist  ihm  zuzugeben,  dafs  in  8,  12  der  Satz  (Wibertus)  ex 
triennio  gladio  anathematis  sine  spe  recuperationis  percussus  est  sich  erst  auf 
die  definitive  Absetzung  im  November  1078  bezieht.  Aber  dafs  triennium  nicht 
notwendig  gleich  drei  vollen  Jahren  sein  mufs,  sondern  auch  von  einem  zu- 
sammenhängenden Zeitraum  gesagt  werden  kann,  der  ein  ganzes  Jahr  und  Teile 
von  zwei  anderen  Jahren  umfafst,  zeigt  z.  B.  Bern.  1083  SS.  V,  438.  Hier  be- 
zeichnet Bernold  die  E,ömer  als  iam  trienni  impugnatione  nimium  fatigati,  und 
die  Belagerung  dauerte  in  Wahrheit  vom  Winter  1081  bis  Sommer  1083.  Dieser 
Fall  ist  dem  unseren  ganz  analog. 

'  Reg.  8,  12  bei  Jaffe,  Bibl.  II,  441;  Jaffe-L.  5186. 

2  Reg.  8,  13  bei  Jaffe,  Bibl.  II,  443 ;  Ja£fe-L.  5187. 

3  Reg.  8,  14  bei  Jaffe,  Bibl.  II,  444;  Jaffe-L.  5189.  Den  Inhalt  dieses  Briefes 
giebt  Petrus  Pis. ,  Vita  Greg.  VII,  bei  Watterich  I,  305  wieder;  während  im 
Registrum  nur  der  Anfangsbuchstabe  R.  des  Namens  steht,  nennt  er  den  neuen 
Erzbischof  Richard.  Cfr.  Amadesi,  Antist.  Ravenn.  II,  194 — 197,  der  aber  ganz 
ohne  Grund  annimmt,  Richard  habe  vom  Dezember  1080  bis  Ostern  1081  den 
erzbischöflichen  Stuhl  von  Ravenna  behaupten  können. 

^  Vgl,  Giesebrecht  III,  526  ff. 

^  Fantuzzi,  Mon.  Rav.  II,  371  No.  60  Reg.  Cfr.  Rubeus,  Eist.  Rav.  307. 
Jaffe-L.  II,  751. 


44  Von  der  Wahl  bis  zur  Inthronisation. 

neuem;  vermutlich  sind  diese  nicht  die  einzigen  Grofsen,  die  er  an- 
gesichts der  jüngsten  Vorgänge  fester  an  sich  zu  ketten  bemüht  war. 

Gregor  hielt  in  der  Woche  vom  21.  bis  27.  Februar  in  Rom 
die  Fastensynode  ^,  auf  welcher  Heinrich  und  seine  Begünstiger  von 
neuem  exkommuniziert  wurden.  Dieses  Urteil  wird  in  einem  Schrei- 
ben Gregors  an  Altmann  von  Passau  und  Wilhelm  von  Hirschau 
dahin  erläutert  -,  dafs  alle  Exkommunizierten  von  neuem  exkom- 
muniziert seien:  also  auch  Wiberts  Bannung  war  bestätigt  worden. 

Einen  Monat  darauf,  Ende  März,  erschien  König  Heinrich  in 
Italien  und  war  Ostern  (4.  April)  in  Verona;  bei  ihm  weilte  Wibert, 
der  ihm  entgegengezogen  war  '^ ;  bald  brach  man  gemeinsam  von  dort 
gegen  Bom  auf  *.  Der  Zug  ging  zunächst  nach  Bavenna,  hier  waren 
beide  Anfang  Mai  und  gedachten  um  Pfingsten  (23.  Mai)  vor  Rom 
zu  lagern '". 

In  Bavenna  traf  Wibert  am  8.  Mai  eine  sehr  bedeutsame  Ver- 
fügung. In  einer  Urkunde  ^,  die  an  den  Kardinalpriester  Johannes, 
den  Priester  und  Propst  Petrus,  den  Diakonen  Berard  und  einen 
anderen  Petrus  in  Vertretung  sämtlicher  Kanoniker  gerichtet  ist, 
vereinigt  er  die  Diakonen ,  Subdiakonen  und  anderen  Grade  der 
Geistlichkeit  an  der  erzbischöflichen  Kirche  in  einem  Kanonikats- 
stift,  welches  er  aufs  reichste  unter  der  Bedingung  dotiert,  dafs  an 
einem  gemeinsamen  Leben  festgehalten  wird ;  dazu  ist  natürlich 
Voraussetzung,  dafs  die  Mitglieder  unverheiratet  sind  ".  Gemeinsames 
Leben  des  Klerus  war  im  9.  und  teilweise  noch  im  10.  Jahrhundert 
bei  den  bischöflichen  Kirchen  Regel  gewesen  ^;  aber  in  der  1.  Hälfte 
des  11.  hatte  man  diese  vielfach  lästige  Einrichtung  abgeschüttelt. 
Nun  kam  man  schon  in  der  2.  Hälfte  desselben  Jahrhunderts  auf 
sie  zurück  und  verschärfte  sie  dadurch,  dafs  jeder  Einzelbesitz  unter- 
sagt wurde.     So  auch  in  unserem  Falle,   der  überdies  zeigt,   dafs 

1  Ja£fe-L.  I,  638.  Acta  bei  Jaffe,  Bibl.  II,  452  (Reg.  8,  20  a).  Cfr.  Petrus 
Pis.,  Vita  Greg.  VII.,  bei  Watterich  I,  306. 

2  Reg.  8,  26  bei  Jafi'e,  Bibl.  II,  476;  Jaffe-L.  5206. 

3  Bern.  1081  SS.  V,  437.     Bonizo  677. 

■*  Vgl.  zu  Heinrichs  Romzügen  aufser  Giesebrecht  auch  Martens,  Die  Be- 
setzung des  päpstl.  Stuhls  S.  207—210. 

f»  Aus  dieser  Zeit  etwa  stammt  Reg.  8,  34  bei  Jaffe,  Bibl.  II,  485  au  Abt 
Desiderius  von  Monte-Casino ;  Jaffe-L.  5218. 

ö  Rubeus,  Hist.  Rav.  307  f.,  gedruckt  auch  bei  Bertoldi,  Memoria  storiche 
d'Argenta  I,  181.  Jaffe-L.  II,  751.  S.  Hinschius,  System  des  kathol.  Kirchen- 
rechts II,  50—58. 

'  Vielleicht  hat  Wibert  die  Einrichtung  von  Kanonikatsstiften  auch  bei 
seinen  Suffraganen  befördert;  so  linden  wir  ein  claustrum  canonice  in  Cesena 
in  einer  Urkunde  Wiberts  vom  22.  September  1097  bei  Fantuzzi  IV,  228. 

^  Hinschius,  Kirchenrecht  II,  54,  die  Belege  in  Anm.  3. 


Von  der  Wahl  bis  zur  Inthronisation.  45 

Wibert  persönlich  wohl  dem  Nikolaitismus  abgeneigt  war,  schwerlich 
wird  er  nur  eine  Demonstration  beabsichtigt  haben  ^ 

Von  Kavenna  ging  es  dann  nach  Rom  ^,  wo  Heinrich  und  Wibert 
mit  kleiner  Begleitung  am  Tage  vor  Pfingsten  (22.  Mai)  eintrafen  3; 
bekanntlich  mufste  der  König,  da  die  Römer  ihn  nicht  einliefsen, 
sein  Lager  auf  den  prata  Neronis  aufschlagen  und  hier  auch  das 
Pfingstfest  (23.  Mai)  feiern.  Wie  man  es  bei  den  vorhandenen  Mifs- 
lichkeiten  zu  begehen  habe,  darüber  fand  eine  eingehende  Beratung 
statt,  deren  Gang  uns  Benzo,  der  anwesend  war,  erzählt  hat  ^  Da 
an  diesem  Festtage  der  König  in  einer  Kirche  die  Krone  aufzusetzen 
und  darauf  in  feierlichem  Zuge  zur  Messe  in  eine  andere  zu  gehen 
pflegte,  war  man  in  nicht  geringer  Verlegenheit,  wie  dies  zu  bewerk- 
stelligen sei.  Da  soll  Wibert  den  Vorschlag  gemacht  haben,  die 
beiden  Kirchen  durch  zwei  Zelte  zu  markieren,  was  auch  ausgeführt 
wurde,  sich  aber  wenig  imposant  ausgenommen  haben  mufs. 

Unverrichteter  Sache  kehrte  Heinrich,  mit  ihm  Wibert  Anfang 
Juli  um  ^  und  begab  sich  in  die  Lombardei  zurück ;  am  10.  Juli  war 
er  in  Siena,  am  19.  und  20.  in  Lucca  ^,  wo  Wibert  einen  gewissen 
Petrus,  den  Heinrich  ernannt  hatte,  zum  Gegenbischof  gegen  Anselm 
weihte  '^.  Dann  ging  Wibert  nach  Ravenna,  wo  wir  ihm  am  1.  De- 
zember begegnen  ^:  an  diesem  Tage  giebt  er  nämlich  durch  Urkunde 
dem  Abt  Alberich  des  St.  Gaudentiusklosters  in  Sinigaglia  gewisse 
Güter  in  Erbpacht  ^. 


^  S.  Hinschius  a.  a.  0.  II,  57  f.  S.  57  Anm.  1  könnte  unser  Beispiel  passend 
hinzugefügt  werden. 

2  Hugo  Flav.  SS.  VIII,  460  weifs  gelegentlich  der  Jahre  1082,  1083  zu  be- 
richten, dafs  Heinrich  auf  dem  Wege  nach  Rom  alles  Mögliche  that,  um  seinem 
Papste  Anerkennung  zu  verschaffen.  Wer  diesem  nicht  durch  den  Fufskufs 
seine  Ehrerbietung  erzeigt  hatte,  wurde  zum  Kufs  des  Königs  nicht  zugelassen; 
zu  ersterem  aber  veranlafste  man  möglichst  jedermann. 

3  Bonizo  677.         *  Benzo  lib.  6  praef.  SS.  XI,  656  f.         »  Bonizo  678. 
«  Stumpf  2835,  2837,  2838. 

'^  Bardonis  vita  Anselmi  c.  10,  11  SS.  XII,  16;  cfr.  Fiorentini,  Memorie 
della  gran  contessa  Matilda  205  f. 

8  Fantuzzi,  Mon.  Rav.  II,  345  No  15  Reg.  u.  V,  162  f.  No.  24  Reg.  Jaflfe-L. 
II,  752  No.  5313«.  (1082  ist  dort  zu  berichtigen). 

^  Angeblich  haben  Heinrich  und  Wibert  etwa  im  April  1081  in  Pavia  eine 
Synode  gehalten,  auf  der  Dekrete  gegen  Simonie  und  Alienierung  von  Kirchengut 
erlassen  sein  sollen.  So  die  MG.  LL.  II ,  53 ;  Watterich ,  Vitae  pont.  1 ,  447 
Anm.  2 ;  Stumpf  2831  und  Nachtrag  S.  535.  Die  Acta  sind  aber  falsch  einge- 
ordnet; es  heifst  in  ihnen:  decrevit  sancta  synodus,  cui  interfuit  tercius  rex 
Heinricus,  und  das  ist  zweifellos  Heinrich  III.  Wobei  Giesebrecht  III,  1157 
sehr  richtig  auf  Ann.  Altah.  1046  SS.  XX,  803  und  Anm.  36  aufmerksam  macht, 
die  von  einer  Synode  and  einem  Reichstag  Heinrichs  III.  in  Pavia  im  Oktober 
1046   berichten;    vgl.   Steindorö'     Heinrich  III.    I,   308  f.     Ihrem  Inhalte   nach 


46  ^011  ^^ei"  Wahl  bis  zur  Inthronisation. 

Mitten  im  Winter  von  1081/82  trat  dann  Heinrich,  wiederum 
von  Wibert  begleitet  \  seinen  zweiten  Zug  nach  Rom  an  -,  fand  aber 
die  Thore  der  Stadt  abermals  verschlossen.  Mit  Anfang  der  Fasten- 
zeit (März,  April)  1082  begann  er  eine  regelrechte  Einschliefsung, 
der  er  selbst  aber  nur  in  der  ersten  Zeit  beiwohnte,  da  er  bald  nach 
Ostern  (24.  April)  das  Heer  verliefs  und  sich  nach  der  Lombardei 
begab. 

Wibert  blieb  zurück  und  nahm  sein  Hauptquartier  in  Tibur, 
dem  heutigen  Tivoli  ^.  Von  da  aus  liefs  er  Rom  während  des  ganzen 
Sommers  beunruhigen:  die  Umgegend  wurde  ausgeraubt,  was  sich 
von  Römern  ergreifen  liefs,  getötet ;  die  Saaten  den  Flammen  über- 
liefert, um  Hungersnot  hervorzurufen  *.  In  Rom  verhandelte  unter- 
dessen eine  Synode  (4.  Mai),  ob  man  Kirchengut  zum  Kampfe  gegen 
Wibert  verwenden  dürfe  ^,  und  verneinte  diese  Frage ;  da  halfen 
Mathilde  von  Canossa  und  ihr  Berater  Anselm  von  Lucca  mit  ihren 
Mitteln  aus  ®. 

Bald  nach  Ostern  1083  stiefs  Heinrich  wieder  zu  Wibert  '^,  um 
so  energischer  wurde  die  Belagerung  betrieben,  mit  dem  Erfolge, 
dafs  Anfang  Juni  die  Leostadt  mit  der  Peterskirche,  aber  ohne  die 
Engelsburg,  in  der  Gregor  weilte,  in  Heinrichs  Hände  fiel.  Noch 
liefs  sich  der  Papst  nicht  einschüchtern  ^,  schleuderte  vielmehr  am 
24.  Juni,  dem  Tage  Johannes  des  Täufers,  fast  von  Angesicht  zu 
Angesicht  gegen  Heinrich  IV.  und  Wibert  von  neuem  das  Anathem  ^. 

Trotz  seiner  Erfolge  aber  trat  Heinrich  bald  darauf  (Anfang 
Juli)  infolge  von  Verhandlungen  mit  den  Römern  und  Gregor  den 
Rückzug  nach  der  Lombardei  an^^  Da  diese  Verhandlungen  auch 
auf  Wiberts  Stellung  ein  klärendes  Licht  werfen,  müssen  wir  ihnen 
zwar  näher  treten,  indes  ist  dabei  die  Absicht  nicht,  sie  in  ihren 
durchaus  noch  nicht  überall  aufgeklärten  Einzelheiten  darzustellen, 


passen  die  Dekrete  sehr  gut  dahin.  —  Auf  Norberts  vita  Bennonis  c.  22  SS. 
XII,  72  kann  man  sich  nicht  berufen,  da  er  ohne  allen  Zweifel  die  Brixener 
Versammlung  im  Auge  hat ;  und  Stenzels  (I,  474)  aus  ihm  erschlossene  Meinung, 
dafs  Wibert  im  April  1081  in  Pavia  von  den  Lombarden  noch  einmal  als  Papst 
förmlich  anerkannt  worden  sei,  ist  in  der  Anm.  71  der  MG.  zu  Norbert  von  AVil- 
mans  schon  beseitigt  worden.  —  Ganz  falsche  Kombinationen  hat  Mansi  XX, 
477  f.  —  Von  Wibert  ist  überall  keine  Rede. 

1  Bon.  678.     Bern.  1082  SS.  V,  437.     Benzo  lib.  6  praef.  SS.  XI,  658. 

2  Giesebrecht  III,  542  ft'. 

3  Bon.  678.     Bern.  1082  SS.  V,  437.     Giesebrecht  III,  543  u.  1159. 
^  Bonizo  678.         ^  Jafte-L.  I,  642  u.  Addenda  II,  713. 

^  Giesebrecht  III,  544.         '  Vgl.  Giesebrecht  III,  543  ff'. 

8  Giesebrecht  III,  548  u.  1161. 

9  Bern.  1084  SS.  V,  441.     Cfr.  Jaft'e-L.  I,  645. 
10  Bern.  1083  SS.  V,  438.     Giesebrecht  III,  549. 


Von  der  AValil  bis  zur  Inthronisation.  47 

vielmehr  soll  nur  gegeben  werden,  was  im  ganzen  als  feststehend 
anzusehen  ist,  denn  dieses  genügt  für  unsere  Zwecke  ^. 

Durch  die  Eroberung  der  Leostadt  war  Gregors  Lage  sehr  prekär 
geworden,  zumal  die  Treue  der  Römer,  die  natürlich  die  Belagerung 
stark  empfanden,  ins  Wanken  geriet  -.  Dadurch  bedrängt,  begann 
Gregor  Unterhandlungen  mit  dem  König  anzuknüpfen,  auf  welche 
dieser  einging,  da  er  sich  mit  Rücksicht  auf  die  Erfolge  seiner  Waffen 
wohl  der  Hoffnung  hingab,  Gregors  Forderungen  würden  nicht  zu 
übertrieben  sein.  Es  kam  zu  einem  vorläufigen  Übereinkommen,  das 
für  Heinrich  jedenfalls  die  Bedingung  enthielt,  von  Rom  zunächst 
abzuziehen,  die  er  zu  seinem  Schaden  erfüllte  '^.  Weiter  verabredete 
man,  es  solle  Mitte  November  eine  Synode  zusammentreten,  um 
endgültig  den  Streit  zwischen  König  und  Papst  beizulegen ;  cuius 
sinodi  statuta  de  causa  regni  nee  Heinrico  nee  Romanis  immo  nuUi 
penitus  liceret  praevaricari,  sagt  Bernold  ^ 

Nebenher  gingen  geheime  Verhandlungen  Heinrichs  mit  einem 
Teil  der  Römer,  die  ihm  eidlich  versprechen  mufsten,  dafür  zu  wirken, 
dafs  er  innerhalb  15  Tagen  nach  seiner  Rückkehr  von  Gregor  ge- 
krönt werde.  Wollte  aber  der  Papst  dem  nicht  willfahren,  oder 
wäre  er  tot  oder  flüchtig,  so  gelobten  die  Römer,  im  Verein  mit 
dem  König  einen  neuen  Papst  zu  wählen.  Diese  Abmachung  war 
besonders  für  den  Fall  des  Scheiterns  der  Verhandlungen  mit  Gregor 
getroffen. 

Und  wirklich  führten  die  Versuche,  zu  einem  Frieden  zu  ge- 
langen, zu  keinem  Ergebnis.  Es  ist  nicht  sicher  zu  sagen,  wodurch. 
Bernold  weist  Heinrich,  Sigebert  und  Ekkehard  Gregor  die  Schuld 
zu.  In  der  That  scheint  der  Papst,  wenn  -man  Bonizo  hört,  öffent- 
liche Bufse  wegen  der  Exkommunikation  vom  König  verlangt  zu 
haben,  während  dieser  gewifs  erwartet  hatte,  mit  einem  geringeren 


'  Vgl.  über  dieselben  Griesebrecht  III,  549 — 555;  Panzer,  Wido  von  Ferrara 
40 — 43  und  Exkurs  I,  51 — 54;  Buchholz ,  Ekkehard  von  Aura  81 — 84.  Die 
Quellen  sind:  Bern.  1083  SS.  V,  438;  Ekkeli.  1083  SS.  VI,  205;  Sigeb.  1083 
SS.  VI,  364;  Bonizo  678  f.  Der  Eid  der  Römer  SS.  VIII,  461.  Ein  Schreiben 
Gregors  an  die  französische  Kirche  Ja£fe-L.  5259.  Aus  dem  8.  Buche  von  Gre- 
gors Registrum  die  Nummern  51  u,  58  a  (Jaffe,  Bibl.  II,  503  u.  516).  Über  das 
zweite  Manifest  Heinrichs  an  die  Römer  s.  u.  S.  48  Anm.  2. 

-  Bonizo  679.     Bern.  438.     Buchholz  S.  82. 

^  Dies  zeigt,  dafs  es  Heinrich  mit  dem  Versuch,  Frieden  zu  machen,  ernst 
war,  während  man  bei  Gregor  daran  zweifeln  kann ;  dieser  dachte  vielleicht  nur, 
sich  so  für  einige  Zeit  von  seinem  Gegner  zu  befreien. 

^  Bern.  438.  Mit  Buchholz  S.  83  halte  ich  Ekkehards  Angabe,  dafs  als 
Termin  für  die  Synode  der  erste  November  angesetzt  worden  sei ,  für  einen 
Irrtum,  entgegen  Panzer  S.  41,  der  zwei  verschiedene  Versammlungen  annimmt. 


48  Von  der  Wahl  bis  zur  Inthronisation. 

Preise  Gregor  genügen  zu  können.  Die  Zeit  vom  Juli  bis  November, 
während  welcher  kein  feindliches  Heer  vor  Rom  lag,  hatte  die  Geister 
wohl  auch  wieder  Mut  schöpfen  lassen,  so  dafs  man  bereits  bereute, 
im  Juli  so  weit  gegangen  zu  sein,  wie  geschehen  war.  Infolgedessen 
hielten  auch  die  Römer  ihren  Eid  nicht. 

Die  Synode,  welche  man  verabredet  hatte,  wurde  freilich  ge- 
halten, trotzdem  ihr  Heinrich  möglichst  Abbruch  zu  thun  suchte,  sie 
diente  aber  nur,  jeden  ferneren  Versuch  einer  Aussöhnung  zwischen 
den  kämpfenden  Mächten  unmöglich  zu  machen,  da  Heinrich  auf 
ihr,  wenn  auch  nicht  namentlich,  so  doch  deutlich  genug  bezeichnet 
von  neuem  gebannt  wurde  (20.  November  1083)  \ 

Diese  Vorgänge  gewähren  uns  nun  einen  Einblick  in  das  Ver- 
hältnis Heinrichs  zu  Wibert.  Schon  das  zweite  Manifest,  welches 
der  König  zu  Beginn  des  zweiten  Zuges  nach  Rom  (Winter  1081/82) 
an  Klerus  und  Volk  dieser  Stadt  erliefs,  gibt  uns  einen  Fingerzeig  -. 

In  ihm  ist  von  Wibert  gar  nicht  die  Rede  ^.  Folgende  Stellen 
sind  beachtenswert:  (Jaffe  S.  500)  Gregor  soll  auf  einem  Tage  vor 
Heinrich  erscheinen.  Si  (Gregorius)  debet  et  potest  esse  apostoli- 
cus ,  nos  sibi  obediemus.  Sin  autem,  in  vestro  arbitrio  et  nostro 
ecclesiae  provideatur  alius  ecclesiae  necessarius.  Und  Jaffe  S.  501 : 
Fiat  discussio  in  conspectu  ecclesiae.    Si  iustum  sit,  ut  apostolicum 


1  Jaffe-L.  I,  645. 

^  Es  ist  als  epist.  Bamb.  9  bei  Jafie,  Bibl.  Y.  498  gedruckt  und  wird  von 
Jaffe  a.  a.  0,,  von  Giesebrecht  III,  540 — 542  u.  1159,  von  Martens,  Besetzung 
des  päpstl.  Stuhls  208  auf  Ende  1081  Anfang  1082,  von  Panzer,  Wido  53  und 
ßuchholz,  Ekkehard  81  dagegen  in  1083  während  der  Verhandlungen  zwischen 
Heinrich  und  den  Römern  angesetzt.  Ich  schliefse  mich  der  ersteren  An- 
schauung an.  Freilich  sind  die  im  Manifest  sich  findenden  Anhaltspunkte  für 
eine  chronologische  Fixierung  gering.  Aber  (Jaffe  S.  499)  der  Abschnitt  Quem 
nos  videntes  et  diutius  ferre  nolentes ,  Romam  venimus  etc.  geht ,  scheint  mir. 
nur  auf  die  erste  Ankunft  Mai,  Juni  1081,  was  durch  die  letzten  Worte  des 
Absatzes  bestätigt  wird,  in  welchen  als  Zweck  des  Zuges  genau  derselbe  ange- 
geben wird,  wie  in  dem  ersten  ohne  Zweifel  zu  Beginn  des  ersten  Zuges  an- 
zusetzenden Manifeste  (cod.  Udalr.  66  bei  Jaffe,  Bibl.  V,  138):  die  Herstellung 
des  Friedens  zwischen  geistlicher  und  weltlicher  Macht.  S.  500  kann  wohl:  Ecce 
nos  Romam  Deo  propitio  veniemus  constituto  termino  nicht  füglich  gesagt  werden, 
wenn  Heinrich  schon  die  Leostadt  mit  der  Peterskirche  erobert  hat,  wie  es  doch 
1083  der  Fall  war.  Ein  Zug  nach  Rom  ist  beabsichtigt;  vom  Winter  1081  ab 
bis  zum  Sommer  1083  lag  nun  Heinrichs  Heer  beständig  vor  Rom,  wenn  er 
auch  nicht  immer  persönlich  anwesend  war ;  dann  folgen  die  Verhandlungen  mit 
den  Römern  und  ihr  Abbruch ;  zu  dem  Zuge  im  Herbst  1083  kann  das  Manifest 
nicht  erlassen  sein,  da  schon  seit  dem  Sommer  eben  die  Verhandlungen  schwebten, 
nach  der  Novembersynode  1083  ist  es  undenkbar,  es  bleibt  nur  der  zweite  Zug 
(Winter  1081/1082),  auf  den  alles  pafst. 

^  Vgl,  Martens,  Besetzung  des  päpstl.  Stuhls  208  f. 


Von  der  Wahl  bis  zur  Inthronisation.  49 

eum  habeatis,  ut  apostolicum  defendite.  Ut  furem  et  latebras  que- 
rentem  nolite  defendere.  Danach  will  Heinrich  eventuell  Gregor 
anerkennen,  ist  aber  dies  nicht  möglich,  im  Verein  mit  den  Römern 
einen  anderen  Papst  bestellen.  Des  Erwählten  von  Brixen  geschieht 
keine  Erwähnung,  damals  wohl  nur,  um  bei  den  Römern  keinen 
Anstofs  zu  erregen.  Immerhin  —  das  hebt  Martens  mit  Recht  her- 
vor —  war  in  einem  öffentlichen  Manifest  Wibert  mehr  oder  minder 
deutlich  desavouiert,  welche  Zusicherungen  immer  er  heimlich 
von  Heinrich  erhalten  haben  mochte.  Die  politischen  Verhältnisse 
mochten  ja  zu  einem  solchen  Verfahren  zwingen,  aber  für  einen  Mann 
in  Wiberts  Stellung,  für  das  Haupt  der  Christenheit  war  es  ganz 
gewifs  eine  „empfindliche  Demütigung". 

Es  sollte  1083  noch  schlimmer  werden.  Kaum  zeigte  sich  eine 
trügerische  Aussicht,  mit  Gregor  ins  reine  zu  kommen,  da  griff 
Heinrich  zu,  und  wäre  man  zum  Frieden  gelangt,  so  hätte  man  Wibert 
jetzt  unfehlbar  beiseite  geschoben.  In  der  That  liefs  Heinrich,  als 
er  gegen  den  November  ^  nach  Rom  zog,  Wibert  einfach  in  Ravenna 
zurück  -,  wohin  er  ihn  geschickt  hatte,  und  wo  wir  ihn  Urkunden 
ausstellend  noch  am  9.  und  30.  Dezember  finden  '\  Mochte  ihm 
Heinrich  auch  äufserlich  alle  Ehrerbietung  erweisen,  die  dem  Papste 
zukam,  politisch  war  er  nichts  anderes  als  ein  Werkzeug  des  Königs, 
ganz  abhängig  von  diesem.  Nur  Gregor  hatte  er  es  diesmal  zu 
danken,  dafs  er  seine  päpstliche  Würde  behielt*. 

Auch  die  ersten  Monate  des  Jahres  1084  sahen  Wibert  noch 
in  Ravenna;  verschiedene  datierte  und  —  da  er  in  diesem  Jahre 
nicht  wieder  nach  Ravenna  kam  —  die  undatierten  Urkunden  von 
1084  fallen  in  diese  Zeit,  iim  13.  und  23.  Januar  ^  gibt  er  Teile 
seines  Hofes  Rovitula  in  Erbpacht,  am  26.  überweist  er  ^  den  Brü- 
dern Hubert  und  Johannes  Land.  Nicht  näher  datiert  sind  eine 
Urkunde'^,  durch  die  er  Land  im  Gebiet  von  Ferrara  verpachtet, 
und  eine  andere  ^,  in  der  er  von  Bischof  Hugo  von  Faenza  Land 
erhält. 

Vor  dem  Monat  Februar  1084  kann  sonach  Wibert  nicht  wieder 


1  Ekkeh.  1083  SS.  VI,  205.         ^  5^^^.  1083  SS.  V,  438. 

3  Rubens,  Eist.  Rav.  309. 

■^  Vgl.  Martens,  Besetzung  des  päpstl.  Stuhls  208  f. 

^  Fantuzzi,  Mon.  Rav.  V,  163  No.  25  Reg.  u.  1,  395  No.  72  Reg.;  Jaffe-L. 
II,  752  No.  5317«. 

^  Rubeus,  Hist.  Rav.  309;  Jaffe-L.  5318.  Auch  am  22.  Januar  urkundet  er 
nach  Rubeus  309,  worüber  Näheres  nicht  bekannt  ist. 

'  Fantuzzi  a.  a.  0.  II,  383  No.  37  Reg. 

*  Mittarelli,  Script,  rerum  Faventin.  408,  daraus  Cappelletti,  Le  chiese  d'Italia 
II,  258. 

Köhncke,  "Wibert  v.  E.  4 


50  Von  der  Wahl  bis  zur  Inthronisation. 

ZU  Heinrich  gestofsen  sein ;  eine  entsprechende  Aufforderung  hat  er 
aber  gewifs  bald  nach  dem  20.  November  1083  erhalten.  Denn  wie 
Bernold  ^  berichtet,  überwinterte  Heinrich  im  Gebiet  von  Rom  und 
wartete  hier  auf  Wibert,  der  ihn  krönen  sollte,  da  alle  auf  Gregor 
gesetzten  Erwartungen  zunichte  geworden  waren.  Da  nun  in  den 
Februar  1084  der  Zug  nach  Campanien  und  Apulien  fällt  '^,  denke 
ich,  dafs  er  Heinrich  erst  auf  dem  Rückwege  von  da  nach  Rom 
wieder  erreicht  hat. 

Damals  weilte  an  des  Königs  Hofe  auch  Abt  Desiderius  von 
Monte -Casino,  der  sich  mit  Wibert  in  mannigfache  Erörterungen 
einliefs  ^.  Den  Entschlufs  zu  dieser  Reise  hatte  er  um  die  Zeit  der 
Synode  vom  November  1083  gefafst,  die  Ausführung  wird  aber  noch 
etwas  angestanden  haben  *.  Der  König  und  der  Abt  trafen  sich  in 
Albano,  südöstlich  von  Rom,  vielleicht  als  Heinrich  im  Begriff  stand, 
den  Zug  nach  Campanien  anzutreten.  Jedenfalls  möchte  dies  eher 
anzunehmen  sein,  als  dafs  die  Zusammenkunft  erst  im  März  nach 
der  Rückkehr  von  dort  stattgefunden  habe  ^.  Denn  da  Heinrich 
Mitte  März  in  Rieti  war  ^,  also  durch  das  Herzogtum  Spoleto  zog, 
und  da  er  am  21.  schon  vor  der  porta  Lateran ensis  stand  '^,  so  wird 
sich  ein  Aufenthalt  in  Albano  damit  schwer  vereinigen  lassen.  Auch 
ist  es  schon  nicht  recht  ersichtlich,  warum  zwischen  Entschlufs  und 
Ausführung  die  lange  Zeit  vom  November  1083  bis  Februar  1084 
verflofs,  und  diese  Schwierigkeit  wird  nicht  geringer,  wenn  man  noch 
einen  Monat  mehr  verstreichen  läfst. 

Dazu  blieb  Desiderius  längere  Zeit  am  Hofe,   wie  aus  Petrus 


1  Bern.  1084  SS.  V,  439.        ^  Ekkeh.  1084  SS.  VI,  205. 

3  Petrus  Casin.  3,  50  SS.  VII,  739  f.  Ich  billige  die  Erklärung  der  Stelle, 
welche  Panzer,  Wido  54—56  giebt,  durchaus,  wenn  ich  auch  mit  der  Darstellung 
S.  42  f.,  die  er  daraus  abgeleitet  hat,  mich  nicht  einverstanden  erklären  kann. 
Von  nochmaligen  Versuchen,  mit  Gregor  Frieden  zu  machen,  kann  keine  Rede 
sein.  Wenn  Petrus  Casin.  S.  739  berichtet,  die  Reise  des  Desiderius  und  der 
ihn  begleitenden  Normannen  sei  auch  in  der  Absicht  unternommen,  ut  causa 
fidelitatis  Romanae  ecclesiae,  de  pace  inter  pontificem  et  imperatorem  satagerent, 
so  sind  sie  damit  zu  spät  gekommen  und  jedenfalls  bei  Heinrich  einer  schroffen 
Ablehnung  begegnet. 

^  Die  Zeit  nach  dem  November  1083  steht  namentlich  fest  wegen  der  Er- 
wähnung Ottos  von  Ostia  (nachmals  Urban  II.)  am  Hofe  Heinrichs  (S.  740),  der 
erst  um  den  11.  November  1083  gefangen  genommen  wurde.  Freilich  ist  die 
Disputation  zwischen  Desiderius  und  Otto  sachlich  unmöglich,  wie  ich  mit 
Scheffer-Boichorst ,  Neuordnung  der  Papstwahl  92  f.,  und  Martens,  Besetzung 
des  päpstlichen  Stuhls  232,  glaube  [Hirsch,  Forschungen  VII,  82  Anm.  2  folgt 
einer  anderen  Chronologie]. 

^  So  Giesebrecht  III,  556.         «  Stumpf  2853. 

"  Vgl.  Giesebrecht  III,  1162  und  Buchholz,  Ekkehard  85. 


Von  der  Wahl  bis  zur  Inthronisation.  51 

Casinensis  deutlich  hervorgeht  ^,  vielleicht  hat  er  Heinrich  auf  seinem 
Zuge  begleitet.  Als  auch  Wibert  am  Hoflager  angekommen  war, 
soll  er  nach  Petrus  viel  mit  diesem  disputiert  haben,  einmal  über 
Nikolaus'  II.  Wahldekret.  Dann  aber  habe  er  ihn  scharf  getadelt, 
dafs  er  den  päpstlichen  Stuhl  usurpiert  habe ;  Wibert  habe  nicht 
vermocht,  sich  zu  rechtfertigen,  und  sich  schliefslich  darauf  zurück- 
gezogen, dafs  es  wider  seinen  Willen  geschehen  sei,  denn  hätte  er 
es  nicht  gethan,  so  hätte  ohne  allen  Zweifel  der  Kaiser  seine  Würde 
verloren,  und  das  habe  er  verhindern  wollen  -. 

Den  Anlafs  zu  Heinrichs  Rückkehr  aus  Unteritalien  aber  hatte 
eine  Gesandtschaft  der  Römer  gegeben,  die  ihm  in  allen  Dingen 
Gehorsam  gelobte;  Rom  war  der  Beschwerden  des  Krieges  über- 
drüssig; die  alte  Not  war  seit  dem  November  1083  wiedergekehrt. 
Des  Königs  Ziel  war  jetzt  erreicht^:  schon  am  21.  März  zog  er 
mit  Wibert  in  das  eigentliche  Rom  ein  und  nahm  vom  Lateran 
Besitz  ^. 


^  Petrui  Casin.  3 ,  50  SS.  VII ,  740 :  Super  haec  interim  quamdiu  ibi  per- 
mansit  Desiderius ....  cotidie  cum  eis  et  saepissime  contendebat  etc. 

^  Noch  vor  dem  21.  März  (Einnahme  von  Rom)  scheint  sich  Desiderius  be- 
urlaubt zu  haben  und  nach  Monte-Casino  zurückgekehrt  zu  sein ;  von  einer  Teil- 
nahme an  den  Ereignissen  der  letzten  Märztage  hört  man  nichts.  Nun  berichtet 
Petrus  Casin.  S.  740  von  der  durch  Jordan  von  Capua  vermittelten  Zusammen- 
kunft des  Königs  und  des  Abtes:  ita  flexit  se  (Desiderius)  ut  ipse  coram  prin- 
cipe (Jordane)  araicitiam  sibi  promitteret ,  et  de  Corona  imperiali  acquirenda 
illum  pro  suo  posse  adiuvaret,  salvo  tamen  ordine  suo.  Dafs  er  ein  solches  Ver- 
sprechen geleistet  habe,  bestätigt  er  durch  seine  eigene  Aussage  in  dem  Briefe 
Hugos  von  Lyon  an  die  Gräfin  Mathilde  bei  Hugo  Flav.  SS.  VIII,  466.  Heinrich 
konnte  dabei  an  Gregor  nicht  mehr  denken ,  für  Desiderius .  der  mit  Wiberts 
Erhebung  nicht  einverstanden  war,  nur  Gregor  in  Betracht  kommen.  So  Hirsch, 
Forschungen  VII,  81 ;  Panzer ,  Wido  42.  Giesebrecht  JII,  556  läfst  sich  über 
diese  Schwierigkeit  nicht  aus.  Ich  denke  mir:  das  absichtlich  allgemein  ge- 
haltene Versprechen  mufste  unwirksam  bleiben,  weil  jeder  es  nach  seinem  Be- 
dürfnis auslegte.  Als  die  Dinge  der  Entscheidung  nahten,  entfernte  sich  der 
schwache  Desiderius  lieber,  und  Heinrich,  mit  dem  Erreichten  zufrieden,  liefs 
ihn  ziehen.  Dennoch  verfiel  der  Abt  der  Exkommunikation  durch  Gregor,  zu 
welcher  sein  Verkehr  mit  Exkommunizierten  schon  einen  genügenden  Grund 
abgab.     Vgl.  Panzer,  Wido  47. 

^  Ekkeh.  1084  SS.  VI,  205.  Heinrichs  Brief  an  Bischof  Dietrich  von  Verdun 
in  den  Gesta  Trev.  SS.  VIII,  185  (Stumpf  2859).  Walram  de  unit.  eccl.  2,  7 
ed.  Schwenkenbecher  S.  50. 

*  So  Bern.  1084  SS.  V,  440  und  Ann.  Cavenses  1084  SS.  III,  190,  während 
Ekkeh.  1084  SS.  VI,  205  den  22.  März  als  Tag  des  Einzuges  bezeichnet.  Indes 
ist  der  21.  März  (dies  Sancti  Benedi cti)  nach  Heinrichs  eigener  Aussage  in  seinem 
Briefe  an  Dietrich  von  Verdun,  Gesta  Trev.  SS.  VIII,  185  (Stumpf  2859),  und 
nach  Stumpf  2854  festzuhalten.     S.  auch  Buchholz,  Ekkehard  86. 


52  Yon  der  Inthronisation  bis  zum  Tode  Gregors  YII. 

Sechstes  Kapitel. 
Yon  der  Inthronisation  bis  zum  Tode  Oreg:ors  YII. 

Gleich  nach  dem  EinzAige  in  Rom  wurde  in  die  Peterskirche, 
wie  es  scheint  ^  eine  Synode  berufen ,  welche  die  Beschlüsse  von 
Brixen  gewissermafsen  legalisieren  sollte.  Die  Römer  bestätigten 
zunächst  den  damals  gefafsten  Beschlufs  über  den  nunmehr  in  die 
Engelsburg  geflüchteten  Gregor,  der  von  neuem  abgesetzt  und  ge- 
bannt wurde  -.  Nach  Heinrichs  Brief  an  Dietrich  von  Verdun  ^  wäre 
das  geschehen  legali  omnium  cardinalium  ac  totius  populi  Bomani 
iudicio ;  das  mag  immerhin  übertrieben  sein,  gewifs  Avird  man  an- 
nehmen können,  dafs  ein  grofser  Teil  des  römischen  Volkes,  der 
langen  Kriegsnot  müde  und  von  Heinrich  den  Frieden  erhoffend, 
diesen  Mafsregeln  zugestimmt  hat*. 

Andererseits  läfst  sich  wahrscheinlich  machen,  dafs  Gregor  aufser 
vom  Volk  auch  von  einer  gröfseren  Zahl  Kardinäle  gerade  im  Früh- 
jahr 1084  nach  Heinrichs  Erfolgen  im  Stiche  gelassen  wurde  ^.  Lan- 
dulf berichtet  ^ :  Interea  Gregorius  sese  videns  a  civibus  et  a  quam- 
pluribus  cardinalibus  destitutum  etc.  Und  in  einer  der  bei  Suden- 
dorf veröffentlichten  Schriften  der  schismatischen  Kardinäle  heifst 
es  ' :  Tu  quoque  (sc.  Greg.  VII.),  postquam  irrevocabiliter  errasti, 
a  patribus  Romanae  ecclesiae  deseri  meruisti ,  a  quibus  Clemens 
papa  postmodum  canonice  invitatus  et  electus  non  apostolici  ponti- 
ficis  sed  heretici  et  fidei  catholicae  proditoris  supplantator  accessit. 
Unter  den  patres  Romanae  ecclesiae  sind  mit  Panzer  die  römischen 
Kardinäle  zu  verstehen.  Aufs  beste  stimmen  dazu  die  Angaben  des 
Kardinals  Beno^;   dieser  zählt  (Goldast  S.  1)  die  Namen  der  von 


^  Benzo  6,  6  SS.  XI,  666:  Synodus  hinc  congregatur  in  Petri  vestibulo; 
cfr.  IIb.  7  prol.  SS.  XI,  669:  elevatur  Kavennas  in  Petri  domicilio. 

2  Benzo  a.  a.  O.  Sigeb.  1084  SS.  VI,  364. 

3  Gesta  Trever.  SS.  VIII,  185 ;  Stumpf  2859. 

*  Die  unteritalienischen  Annalen,  z.  B.  Ann.  Cavenses  1083  SS.  III,  190, 
erheben  freilich  Widerspruch,  der  aber  niclits  bedeuten  kann :  Wibertum  absque 
consilio  et  voluntate  totius  Romanae  ecclesiae  i)apam  constituit.  Vgl.  dagegen 
vita  Hrci.  IV.  c.  6  SS.  XII,  276:  dementem  papam  ad  electionem  omnium  in- 
stituit.  —  Ann.  Yburg.  1084  SS.  XVI,  438:  Wicbertum  Ravennae  episcopum 
electione  cunctorum  constituit. 

^  Vgl.  Panzer,  Wido  44  f.  Anm.  1. 

«  Landulfi  hist.  Mediol.  c.  33  SS.  VIII,  100. 

'  Sudendorf,  Registrum  II,  34  S.  70  f. 

^  Beno  de  vita  et  gestis  Hiltebrandi  bei  Goldast,  Apologiae  S.  1.  Näheres 
bei  Panzer ,  Wido  45,  Vgl.  auch  Beno  S.  8  f . :  Mentimur  uisi  tredecim  cardi- 
nales  sapientiores  et  religiosiores,  ipse  archidiaconus  et  ipse  primicerius  et  niulti 


Von  der  Inthronisation  bis  zum  Tode  Gregors  VII.  53 

Gregor  Abgefallenen  auf,  wobei  er  Hugo  Candidus  ausläfst,  dagegen 
„cuncti  milites  banda  gestautes"  aufführt,  zwei  Umstände,  die  sehr 
für  einen  gemeinsamen  Übertritt  der  Genannten  im  Frühjahr  1084 
sprechen. 

Nach  Gregors  Absetzung  folgte  Wiberts  Wahl  in  der  Weise, 
wie  sie  vor  dem  lateranensischen  Wahldekret  von  1059  geübt  worden 
war,  und  wie  man  sie  analog  auch  in  Brixen  vollzogen  hatte  (s.  o. 
S.  38  ff.).  Heinrich  gab  als  Patricius  von  Rom  seine  Stimme  zu- 
erst und  entscheidend  ab;  was  folgte,  war  eine  Wahl  durch  clerus 
und  populus  in  aller  Form,  doch  nur  pro  forma.  Die  Wahl  von 
Brixen  wurde  nicht  einfach  bestätigt,  sondern  man  that,  als  ob  sie 
gar  nicht  vorhanden  wäre,  und  veranstaltete  eine  vollständige  Neu- 
wahl, gegen  die  ein  formaler  Einwand  nicht  erhoben  werden  konnte. 

Erklärlicherweise  spricht  Heinrich  selber  in  dem  Briefe  an 
Dietrich  von  Verdun  ^  von  dieser  Neuwahl  nicht,  denn  die  Worte 
[scias]  .  .  et  electum  papam  nostrum  dementem  in  sede  apostolica 
sublimatum  omnium  Bomanorum  acclamatione  beziehen  sich  meines 
Erachtens  auf  die  Inthronisation. 

Ganz  sicher  aber  ist  das  Zeugnis  Walrams  von  Naumburg-: 
ergo  cum  misereretur  Christus  ovibus  suis,  quibus  noluit  Hildebrant 
misereri,  relictis  eis,  fugit  in  Traianium,  quae  scilicet  munitio  hac- 
tenus  inexpugnabilis  dicta  est,  vulgo  domus  Theodorici.  Tum  qui- 
dem  Romana  ecclesia  elegit  Wigberdum  successorem  illi  fugitivo. 
Diese  Stelle  bezieht  sich  zweifellos  auf  die  Synode  von  1084.  Der- 
selbe Schriftsteller  ergänzt  seine  Aussage  an  zwei  anderen  Stellen, 
die  der  obigen  so  analog  sind,  dafs  sie  hierher  und  nicht  auf  die 
Brixener  Synode  bezogen  werden  müssen,  womit  sich  die  beachtens- 
werte Thatsache  ergiebt,  dafs  Walram  von  letzterer  überhaupt 
schweigt  •^.  An  der  einen  Stelle  *  heifst  es :  Ergo  quibus  ex  causis 
et  qua  necessitate  Wigberdus  papa  sit  electus,  supra  iam  diximus, 
qui  certe  per  eins,  quae  vere  est  Romana  ecclesia,  consensum  et  per 
suffragium  Henrich!  regis  eiusdemque  Romani  j)atritii  est  ordinatus  ^. 


alii  Lateranensium  clericorum,  quorum  iudicio  ex  privilegio  sanctae  sedis  totus 
subiacet  mundus,  apostasim  eins  intolerabilem  perpendentes,  ab  eins  communione 
recesserunt, 

1  Gesta  Trev.  SS.  VIII,  185;  Stumpf  2859. 

2  Walram  de  unit.  eccl.  2,  7  ed.  Schwenkenbecher  S.  51;   vgl.  2,   17  S.  71. 
^  Ewald,  Walram  von  Naumburg  S.  80,  spricht  sich  nicht  darüber  aus,  ob 

er  die  beiden  Stellen  zu  1080  oder  zu  1084  bezieht.  Die  Stelle  2,  6  führt  Jafife-L. 
I,  649  für  1080,  Panzer,  Wido  45  Anm.  1  für  1084  an. 

''  Walram  a.  a.  0.  2,  21  S.  80. 

^  Gleich  darauf  heifst  es  in  demselben  Kapitel :  Nunc  autem  Romana  ecclesia. 
et  patritius  'Romanorum  consenserunt  in  Wigberti  electione. 


54  Yon  der  Inthronisation  bis  zum  Tode  Gregors  VII. 

Diese  Stelle,  welche  ein  klares  Bild  von  dem  Wahlvorgange  giebt, 
wird  durch  die  andere  nur  scheinbar  widersprechende  bestätigt  ^ : 
Romana  ecclesia  ....  elegit  ....  Wigberdum  Ravennatis  ecclesiae 
ej^iscopum  ad  pastoralem  curam  Romani  pontificatus,  consentiente 
pariter  et  agente  rege  Henriche  eodemque  patricio  Romanae  ec- 
clesiae. Da  ferner  auch  Benzo  ^ ,  die  vita  Henrici  IV.  ^  und  die 
Annales  Yburgenses  *  von  einer  Wahl  in  Rom  sprechen,  so  leidet 
die  Neuwahl  wohl  keinen  Zweifel  ^ 

Darum  ist  nichts  natürlicher,  als  dafs  wir  eine  ganze  Reihe 
Nachrichten  haben,  die  Wibert  erst  mit  dem  Jahre  1084  Papst 
werden  lassen,  wobei  sie  seine  Erhebung  allein  Heinrich  zuschreiben. 
So  die  Annales  Einsidlenses  ^,  die  Ottenburani  ^,  die  Lütticher  ^  und 
die  Gruppe  der  unteritalienischen  Annalen  ^  nebst  den  Annales  Bene- 
ventani  ^^,  zahlreiche  andere,  allgemeiner  gehaltene  Angaben,  die  ich 
nicht  citiere,  die  aber  ganz  dasselbe  aussagen,  namentlich  alle  die 
Erhebung  AViberts  allein  als  Heinrichs  Werk  hinstellen. 

Am  Sonntage  —  dieser  Tag  war  Regel  ^^  —  nach  der  vollzogenen 


1  Walram  a.  a.  0.  2,  6  S.  49.     Vgl.  Zöp£fel,  Die  Papstwahlen,  S.  97  u.  98. 

2  Benzo  6,  6  SS.  XI,  666:  eligitur;  7  prol.  S.  669:  elevatur. 

^  Vita  Hrci.  IV.  c.  6  SS.  XII,  276:  dementem  papam  ad  electionem  om- 
nium  instituit. 

*  Ann.  Yburg.  1084  SS.  XVI ,  438 :  (Rex  Hrc.)  . . .  Wicbertum  Ravennae 
episcopum  electione  cunctorum  constituit  (aus  Ann,  Patherbr.  ed.  Sche£fer-Boi- 
chorst  S.  99), 

^  Allgemein  drücken  sich  aus  Ann.  August.  1084  SS.  III,  131 :  Romani . . . 
Wicpertum . . ,  receperunt.  Vgl.  auch  die  oben  S.  52  f.  aus  Sudendorfs  (Re- 
gistrum  beigebrachte  Stelle. 

^  Ann.  Einsidl.  1084  SS.  III,  146 :  Wigbertum  Ravennatem  archiepiscopum  . . . 
subrogavit. 

"^  Ann.  Ottenbur.  1084  SS.  V,  8:  Wigbertus  papa  factus  est  et  Clemens 
nominatus. 

^  Ann.  Laubienses  1084  SS.  IV,  21 :  Heinricus  rex  . . .  Cleinentem  subrogat.  — 
Ann.  Leod.  1083  SS.  IV,  29  -  Ann,  S.  Jacobi  Leod.  1084  SS.  XVI,  639:  Vic- 
bertus,  qui  et  Clemens,  papa  sufficitur. 

9  Ann.  Cavenses  1083  SS.  III,  190;  Ann.  Casin.  1082  SS.  XIX,  306;  Ann. 
Ceccan.  1083  SS.  XIX,  281 ;  danach  Petrus  Casin.  3,  50  SS.  VII,  739 :  Heinricus 
rex  iterum  Romam  veniens  porticum  S.  Petri  per  vim  cepit  et  ex  magna  parte 
destruxit.  Archiepiscopum  Ravennensem,  invasorem  apostolicae  sedis,  absque 
consilio  et  voluntate  totius  Romanae  ecclesiae  papam  constituit.  Die  chrono- 
logische Differenz  wird  auf  einem  Irrtum  beruhen;  denn  1084  wird  Wibert  gar 
nicht  wieder  erwähnt. 

^^  Ann.  ßenevent.  1084  SS.  III,  182:  Heinricus  Imperator  ordinavit  de- 
mentem papam  Romae,  qui  erat  archiepiscopus  Ravennae,  wollen  wohl  weiter 
nichts  sagen  als  die  anderen.  —  Vgl.  noch  Will.  Malmesb.,  Gesta  regum  Angl. 
3,  262  u.  266  SS.  X,  473  u,  475;  Gesta  pontif.  Angl.  1,  49  SS.  XIII,  136. 

1^  S,  Zöpffel,  Papstwahlen  250. 


Von  der  Inthronisation  bis  zum  Tode  Gregors  VII.  55 

Wahl,  es  war  der  Palmsonntag  (24.  März)  ^,  fand  dann  die  feierliche 
Inthronisation  Wiberts  statt,  der  den  Namen  Clemens  III.  ange- 
nommen hatte,  sicherlich,  um  damit  an  Clemens  II.,  den  ersten  der 
von  Heinrich  III.  ernannten  Päpste,  und  dadurch  indirekt  an  die 
Basis  seiner  Würde  zu  erinnern.  Erst  von  diesem  Tage  ab  rechnete 
er  die  Jahre  seines  Pontifikats,  und  ebenso  kommt  erst  von  nun  an 
seine  päpstliche  Würde  in  seinen  Urkunden  zum  Ausdruck. 

Diese  mufs  man  in  zwei  Gruppen  scheiden:  in  solche,  die  er 
als  Erzbischof  von  Pavenna  ausgestellt  hat,  und  andere,  die  von  ihm 
als  Inhaber  des  apostolischen  Stuhles  erlassen  wurden. 

Es  ist  mir  keine  erzbischöfliche  Urkunde  von  ihm  begegnet,  in 
der  er  je  nach  Gregors  Pontifikat  datiert  hätte,  auch  nicht  vor  1080. 
Nach  diesem  Jahre  verbot  sich  das  ja  von  selbst;'  aber  bis  1084, 
d.  h.  bis  zu  seiner  Inthronisation,  findet  sich  auch  keine  Hindeutung 
auf  seine  eigene  päpstliche  Würde,  nur  dafs  sich  dreimal  ein  servus 
servorum  Dei  zwischen  den  Namen  Wibertus  und  den  Titel  archiepis- 
copus  Pavennae  verirrt  hat '-.  Nach  der  Inthronisation  wird  in  der 
Datierung  gewöhnlich  ein  temporibus  domni  Clementis  pape  vermerkt, 
im  Text  aber  handelt  und  verfügt  dominus  Gibertus  archiepiscopus 
oder  wie  er  sich  sonst  bezeichnet,  als  ob  er  von  Papst  Clemens  weit 
verschieden  wäre.  Zwei  Beispiele  mögen  genügen,  eine  Urkunde 
vom  5.  April  1088  2;  Anno  domin.  ine.  1088  temporibus  domni  Cle- 
mentis papae  sedis  eins  anno  5.  sicque  imperante  domno  Henr.  filio 
qu.  Henrici  imp.  anno  5.  die  5.  mensis  Aprilis  ind.  11.  Rav.  domino 
sancto  et  meritis  beatissimo  atque  apostolico  patri  patrum  *  domno 
Yuiberto,  sanctae  cathol.  Ravenn.  eccl.  archiepiscopo  etc.,  und  eine 
zweite  vom  22.  September  1097^:  In  nomine  patris  et  filii  et  Spiritus 
sancti.    Anno  ab  incarn.  eins  1097  temporibus  domni  Clementis  pape 

et  Inrici  imperat.  die  22.  mensis  Septembris  ind.  6  in  urbe  Cesene 

Dum  sederet  dominus  Gibertus  archiepiscopus  sancte  Pavennatis 
ecclesie  in  claustro  Cesenatis  canonice  etc. 


1  Ekkeh.  1084  SS.  VI,  205. 

2  Am  8.  Mai  1081  (Rubens,  Hist.  Eav.  307  f.,  Bertoldi,  Mem.  stör.  d'Ar- 
genta  1 ,  181) ,  am  23.  Januar  1084  (Fantuzzi ,  Mon.  Rav.  1 ,  395  No.  72  Reg.) 
und  ohne  näheres  Datum  1084  in  einer  Ravennatischen  Angelegenheit,  also  vor 
dem  März  (Fantuzzi  a.  a.  0.  II,  383  No.  37  Reg.). 

3  Jaffe-L.  5327. 

*  Dafs  dies  keine  Bezeichnung  für  seine  päpstliche  Würde  ist,  beweist,  dafs 
er  genau  denselben  Titel  schon  am  14.  Mai  1074  führt;  s.  o.  S.  26  Anm.  2. 

^  Mittarelli,  Ann.  Camald.  III,  56.  Fantuzzi  a.  a.  O.  IV,  228.  —  Die  Bei- 
spiele lassen  sich  leicht  vermehren :  es  steht  z.  B.  ebenso  mit  Ja£fe-L.  5323,  5328, 
5338  und  den  daselbst  ohne  Nummer  ang-eführten  Urkunden  von  1090  u.  1098 
bei  Rubeus  314  und  Amadesi  II,  345  u.  346 ;  ersterer  hat  diese  Erscheinung  be- 
reits bemerkt  und  erwähnt. 


56  Von  der  Inthronisation  bis  zum  Tode  Gregors  VII. 

Päpstliche  Urkunden  sind  vor  der  Inthronisation  nicht  bekannt, 
denn  Jaffe-Löwenfeld  5319  kann  kaum  am  2.  März  1084  erlassen 
sein;  nachher  lautet  die  Formel,  wie  üblich:  Clemens  episcopus  ser- 
vus  servorum  Dei,  nur  ein  einziges  Mal  anders  ^ :  Clemens  ego  III. 
presul  Homanus  ^. 

Darf  man  nun  den  feierlichen  Akt  des  24.  März  1084,  wie  ich 
oben  (S.  55)  gethan  habe,  als  Inthronisation,  mufs  man  ihn  nicht 
vielmehr  als  Konsekration  bezeichnen?  Von  vornherein  ist  zu  be- 
achten: wer  zum  Papst  gewählt  wird  und  schon  im  Besitz  der 
Bischofsweihe  ist,  kann  nicht  noch  einmal  geweiht  werden,  es  giebt 
keine  Papstweihe  neben  der  Bischofsweihe ;  in  diesem  Falle  tritt  an 
die  Stelle  der  Konsekration  eine  einfache  Benediktion,  die  ganz 
Nebensache  ist.  Fehlt  dem  Neugewählten  aber  noch  die  höchste 
Weihe,  so  hat  er  sie  noch  zu  empfangen.  Inthronisation  indessen 
findet  in  jedem  Falle  statt  ^.  Gregor  VII.  z.  B.,  bis  zu  seiner  Wahl 
Kardinal-Archidiakon,  wurde  am  22.  April  1073  inthronisiert,  am 
29.  Juni  konsekriert *.  Ein  anderes  noch  schicke  ich  voraus:  es  war 
im  11.  Jahrhundert  noch  eine  durchaus  neue  Erscheinung,  dafs  ein 
Papst  der  Konsekration  nicht  bedurfte.  Denn  von  891  bis  1012 
wurden  nur  6  Bischöfe  zu  Päpsten  gewählt  '^;  erst  die  von  Heinrich  III. 
ernannten  waren  alle  Bischöfe,  dann  auch  ihre  Nachfolger  aufser 
Stephan  IX.  und  Gregor  VII.  Wenn  Fernerstehende  dadurch  sollten 
in  Verwirrung  geraten  sein,  so  wäre  das  nicht  zu  verwundern,  um 
so  weniger,  als  Konsekration  und  Inthronisation  in  dieser  Reihen- 
folge in  der  Regel  (wenn  auch  nicht  immer)  an  einem  und  demselben 
Tage  gleich  nacheinander  vorgenommen  wurden  ^. 


1  Jaffe-L.  5326. 

2  Urkunden  anderer  aus  den  Jahren  1080 — 1084  mit  einer  Beziehung  auf 
"Wiberts  Pontifikat  habe  ich  nur  eine  gefunden,  deren  Datierung  aber  fehlerhaft 
ist.  Sie  wird  erwähnt  bei  Rubeus,  Hist.  Rav.  309  und  ist  gedruckt  bei  Ama- 
desi,  Antist.  llav.  II,  347,  App.  No.  80.  Aussteller  ist  Abt  Gerhard  zu  Imola, 
dessen  Bischof  Suffragan  von  Ravenna  ist.  Der  Eingang  lautet:  Annus  ine. 
Jesu  Christi...  1084 (?)  Giberto  archiepiscopo  papa  electo  anno  3.  Inricus 
Inrici  iilius  in  Italia  regnante  annis  tribus  gratia  Dei  regi  die  16.  mensis  Maii 
(so  im  Druck  bei  Amadesi ;  bei  Rubeus :  XVI  Kai.  Apr.)  ind.  7  in  domo  S.  Ma- 
riae  in  Regula  in  civitate  Corneliensi. 

^  So  Hinschius,  Kirchenrecht  I,  291.  Sehr  entschieden  äufsert  sich  in  diesem 
Sinne  auch  Martens,  Besetzung  des  päpstlichen  Stuhls  41  ff.,  wo  er  einen  guten 
Überblick  über  diese  Frage  giebt;  während  Zöpfifel  in  der  3.  Abteilung  seiner 
Papstwahlen  (S.  233  ff'.)  Inthronisation  und  Konsekration  für  jeden  Papst  in 
Anspruch  nimmt.  S.  daselbst  u.  a.  S.  239  Anm.  12,  wo  die  schon  von  einer 
anderen  Seite  ausgesprochene  Martenssche  Ansicht  scharf  zurückgewiesen  wird. 

*  Jafi'e-L.  I,  598,  599.         ^  Vgl.  Martens  a.  a.  0.  42. 

«  Zöpff'el,  Papstwahlen  243  ff",  u.  257. 


Von  der  Inthronisation  bis  zum  Tode  Gregors  VII.  57 

Da  nun  Wibert  als  Erzbischof  von  Ravenna  im  Besitz  der 
höchsten  Weihe  war,  so  wäre  a  priori  anzunehmen,  dafs  er  am 
24.  März  1084  lediglich  inthronisiert  worden  sei.  Wir  haben  nach 
dieser  Richtung  indes  noch  eine  Prüfung  der  Quellen  vorzunehmen. 

Bonizo  schreibt  ^ :  Heinricus  ...  ad  dedecus  et  infamiam  totius 
ecclesiae  Guibertum  in  sede  sancti  Petri  ordinäre  constituit.  Et 
cum  non  haberet  episcopos  cardinales  sacerdotes  sanctae  Romanae 
ecclesiae,  nee  levitas,  nee  comprovinciales  episcopos,  quibus  mos  est 
papam  intronizare,  a  Mutinensi  episcopo  et  a  Bononiensi  et  a 
Cerviensi  in  sede  beati  Petri  intronizatus  est.  Er  redet  also 
nur  von  Inthronisation,  auf  die  er  auch  den  Ausdruck  ordinäre  an- 
wendet. Lediglich  von  intronizatio  berichten  Ekkehard  ^,  Sigebert^ 
und  Deusdedit^;  ferner  diejenigen  Quellen,  welche  den  vorgenom- 
menen Akt  als  collocatio  in  sede  Petri  bezeichnen,  denn  nichts 
anderes  ist  er,  also  Marianus  Scottus^,  Hugo  von  Flavigny  <^  und 
Donizo  "'.  Der  Ausdruck ,  den  Heinrich  IV.  in  seinem  Briefe  an 
Dietrich  von  Yerdun  braucht  ^,  ist  ziemlich  indifferent,  spricht  aber 
zunächst  nur  für  eine  collocatio  in  sede  Petri,  es  heifst :  [scias]  . . . 
et  electum papam  nostrum  dementem  in  sede  apostolica  subli- 
matum  omnium  Romanorum  acclamatione. 

Bernold  ^  verlegt  den  Akt,  um  den  es  sich  handelt,  irrtümlich 


1  Bonizo  679. 

2  Ekkeh.  1084  SS.  VI,  205:  Qui  (AVib.)  sequenti  dominica  per  multos  pon- 
tifices  apostolico  nomini  dicatus  nomenque  Clemens  accipiens,  reverenter  est 
intronizatu  s. 

^  Sigeb.  1084  SS.  VI,  364:  Guicbertus  Ravennarum  archiepiscopus  in  sedem 
apostolicam  intronizatus  Clemens  nominatur. 

^  Deusdedit  c.  invas.  2,  11  bei  Mai,  Nova  patr.  bibl.  VII,  3,  93:  Et  tandem 
suo  Simone  magis  pretio  quam  vi  inthronizato,  ab  eodem  imperialem  co- 
ronam  accepit.  [Nach  ihm  Petrus  Casin.  3,  70  SS.  VII,  751]. 

^  Marianus  Scottus  cont,  II,  1083  (wie  Gregors  Tod  1084  statt  1085  um 
ein  Jahr  verschoben)  SS.  V,  563:  Heinricus...  Wicbertum  in  sede  aposto- 
lica constituit  [wenn  dies  nicht  nur  heifsen  soll:  machte  zum  Papst]. 

^  Hugo  Flav.  1084  SS.  VIII,  461:  Heinricus  suum  papam  in  ecclesia 
sancti  Petri  sedere  constituit.  [Nach  ihm  Hugo  Flor,  de  mod.  Franc, 
regibus  SS.  IX,  392  zu  1084:  (Hrc.)  Ravennorum  archipresulem  ordinari  pre- 
cepit  et  in  ecclesia  sancti  Petri  sedere  constituit,  et  eum  dementem 
appellari  fecit.] 

'  Donizo  2,  216  f.  SS.  XII,  384: 
....  papam  statuens  ibi  turpem. 

In  cathedra  locat  hunc  (sc.  Wib.),  falso  Clemens  vocitatur. 
Cfr.  2,  228  ff.  SS.  XII,  384. 

8  Gesta  Trev.  SS.  VIII,  185;  Stumpf  2859.        ^  SS.  V,  438. 


58  Yon  der  Inthronisation  bis  zum  Tode  Gregors   VII. 

in  das  Jahr  1083  \  Zu  diesem  Jahre  berichtet  er  nämlich:  (Sicque) 
Guibertum  Ravennatem  . .  .  apud  Sanctum  Petrum  i  n  t  r  o  n  i  z  a  v  i  t. 
Anläfslich  der  Kaiserkrönung  Heinrichs  kommt  er  zum  Jahre  1084  ^ 
auf  Wibert  zurück,  dessen  Person  und  Handlungen  er  seinem  Stand- 
punkt angemessen  ziemlich  abfällig  beurteilt,  dabei  den  schon  öfter 
genannten  Brief  Gebhards  von  Salzburg  an  Hermann  von  Metz  aus 
dem  Jahre  1084  benutzend ^.  Er  sagt  ausdrücklich:  Hie  (sc.  Wib.) . . . 
sedem  Romani  pontificis . . .  praeterito  anno  invasit,  und  ändert  dieser 
Ansicht  entsprechend  eine  Stelle  des  Briefes.  Während  Gebhard 
gesagt  hatte :  (Wib.)  in  Romana  synodo  inrecuperabiliter  depositus 
et  anathematizatus  est  ab  apostolica  sede  et  ab  episcopis  totius 
ecclesiae;  nee  hoc  semel  in  una  synodo,  sed  in  omnibus  synodis,  quot- 
quot  iam  septennio  Romae  celebratae  sunt,  schreibt  Bernold  im 
übrigen  fast  wörtlich  so,  zum  Schlüsse  aber :  quotquot  iam  s  e  x  e  n  - 
nio  Romae  celebratae  sunt. 

Nun  werden  in  der  Einleitung  Hugos  von  Flavigny  zum  Briefe 
Gebhards  auf  den  in  Frage  stehenden  Akt  nacheinander  die  Aus- 
drücke promotio,  intronizatio,  execratio  bezw.  consecratio,  ordinatio 
angewendet.  In  bunter  Folge  kehren  dieselben  Bezeichnungen  (nur 
noch  vermehrt  um  das  Wort  benedictio)  in  Gebhards  Brief  und  an 
beiden  Stellen  Bernolds  wieder.  Man  darf  daraus  nicht  entnehmen, 
dafs  etwa  intronizatio  und  consecratio  identisch  seien;  es  liegt  viel- 
mehr Lässigkeit  im  Ausdruck  vor.  Da  gewöhnlich  beide  Akte  er- 
forderlich waren  und  auf  denselben  Tag  fielen,  war  man  gewohnt, 
die  Worte  intronizatio,  consecratio,  ordinatio  promiscue  zu  ge- 
brauchen; promotio  ist  einfach  gleich  intronizatio.  Jedenfalls  — 
soviel  glaube  ich  behaupten  zu  dürfen  —  widersprechen  diese  Stellen 
dem  nicht,  dafs  lediglich  eine  Inthronisation  stattgefunden  hat.  In 
derselben  Weise  sind  auch  zu  erklären  die  Nachrichten  der  Annales 
Augustani  1084^  :  Romani . .  .  Wicpertum  superpositum  receperunt 
et  0  r  d  i  n  a  V  e  r  u  n  t ,  Ciementis  nomine  imposito,  der  Annales  Ybur- 
genses  1084^:  Qui  mox  consecratus,  Clemens  est  nominatus  und 
Landulfs  ^:  electum  (sc.  Wib.) .  . .  summa  cum  devotione  consecra- 


^  Panzer,  Wido  51  f.  sieht  darin  eine  beabsichtigte  Verdrehung  der  That- 
sachen;  ich  kann  aber  nicht  finden,  wie  die  Inthronisation  illegaler  erscheint 
oder  damals  erschienen  wäre,  wenn  sie  1083,  als  wenn  sie  1084  erzählt  wird; 
es  ist  ein  chronologischer  Irrtum,  nichts  weiter. 

2  SS.  V,  440. 

^  Bei  Hugo  Flav.,  SS.  VIII,  459  und  im  cod.  üdalr.  69  bei  Jaffe,  ßibl. 
V,  141. 

^  SS.  III,  131.        "  SS.  XVI,  438. 

«  Landulfi  hist.  Mediol.  3,  32  SS.  VIII,  99. 


Von  der  Inthronisation  bis  zum  Tode  Gregors  VII.  59 

runt.  Schliefslicli  ist  noch  Benzo  zu  erwähnen  \,  der  an  den  beiden 
einschlägigen  Stellen  das  Wort  benedicere  braucht.  Dadurch  wird 
die  Annahme,  dafs  nur  Inthronisation  mit  einfacher  Benediktion  vor- 
genommen wurde,  in  bedeutsamer  Weise  gestützt;  ich  halte  sie  nun- 
mehr für  erwiesen. 

Dieser  ganzen  Argumentation  scheint  aber  eine  Nachricht  der 
Annales  Augustani  1083  zu  widersprechen,  welche  lautet-:  Saltem 
rex  Romam  ingressus,  cum  omni  humilitate  et  devotione  apostolorum 
limina  petens,  Wicpertum  dudum  superpositum  in  vigilia  apostolorum 
(28.  Juni)  in  sede  apostolica  constituit  ^.  Derselbe  Annalist  berichtet, 
wie  eben  mitgeteilt,  zu  1084*:  Bomani . .  .  Wicpertum  superpositum 
receperunt,  et  ordinaverunt,  Clementis  nomine  imposito.  Danach 
könnte  es  scheinen,  dafs  am  28.  Juni  1083  eine  Inthronisation,  am 
24.  März  1084  eine  Konsekration  Wiberts  stattgefunden  habe.  Denn 
in  sede  apostolica  constituit  wird  von  den  Chronisten  des  11.  und 
12.  Jahrhunderts,  freilich  nicht  häufig,  für  in  cathedra  beati  Petri 
collocavit  oder  dergleichen  gesagt  ^.  So  fafste  denn  auch  Giese- 
brecht  ^  den  Bericht  auf.  Ihm  meinte  Löwenfeld  '^  sich  nicht  an- 
schliefsen  zu  können  und  dachte  seinerseits  an  die  introductio  in 
Lateranense  patriarchium  und  die  collocatio  in  sede  post  altare,  über 
die  Zöpfiel^  ausführlich  redet.  Diese  Annahme  verbietet  sich  darum, 
weil  Heinrich  im  Jahre  1083  nur  in  den  Besitz  der  Leostadt  mit 
der  Peterskirche,  nicht  einmal  in  den  von  Trastevere,  geschweige  in 
den  der  Stadt  Bom  links  des  Tiber  gelangte;  da  in  letzterem  Teile 
der  Lateran  gelegen  ist,  so  konnte  Wibert  dort  nicht  introduziert 
werden  ^.  Freilich  kann  auch  ich  mich  mit  Giesebrecht  nicht  ein- 
verstanden erklären,  denn  an  Inthronisation  und  Weihe  ist  bei  Wibert 


^   Condempnato  incubone,  Ravennas  eligitur 
Orthodoxus,  qui  de  regum  traduce  producitur, 
Cesare  precipiente  papa  benedicitur. 
So  Benzo  6,  6  SS.  XI,  666.     Derselbe  7  prol.  SS.  XI,  669:  Remoto  itaque  noctis 
filio,  elevatur  Ravennas  filius  lucis  in  Petri  domicilio.     Quem  rex  benedici  pre- 
cipiens,  irnposuit  ei  nomen  Clemens. 

2  SS.  III,  130. 

^  Ann.  Ratispon.  1083  SS.  XVII,  584 :  Heinricus  . .  .  constituit  in  apostolica 
sede...  G-uibertum  unterstützen  diese  Nachricht  schwerlich;  ebensowenig'  die 
oben  (S.  54  Anm.  9)  citierte  unteritalienische  Annalengruppe.  Beide  berichten 
die  Thatsache  eben  nur  einmal,  und  es  liegt  näher,  einen  Irrtum  im  Jahr  an- 
zunehmen. 

*  SS.  III,  131.        5  Zöpffel,  Papstwahlen  248  f.         «  III,  548  u.  1161. 

^  Jaffe-L.  I,  650.         «  Papstwahlen  219  ff. 

^  Giesebrecht  III,  548.  •  Darüber  ist  ein  Zweifel  nicht  möglich;  vgl.  z.  B. 
Ann.  Cav.  1083  SS.  III,  190.     Bernold  1083  SS.  V,  438  u.  a. 


60  Von  der  Inthronisation  bis  zum  Tode  Gregors  VII. 

nicht  zu  denken ;  auch  Panzer  ^  kann  ich  mich  nicht  anschliefsen, 
der  (S.  46)  "Wibert  am  24.  März  1084  fälschlich  inthronisiert  und 
geweiht  werden  läfst  und  (S.  51)  die  Angabe  der  Augsburger  An- 
nalen  zu  1083  für  durchaus  ungenau  erklärt  und  verwirft.  Martens  ^ 
endlich  meint,  da  der  Verfasser  der  Annalen  zum  Jahre  1084  die 
Ordination  Wiberts  richtig  notiert  habe,  so  könne  er  bei  dem  Passus 
in  1083  unmöglich  an  die  eigentliche  locatio  in  sede  Petri  gedacht 
haben.  Er  versucht  (S.  215)  so  zu  erklären:  Der  Annalist  habe  sich 
mifsverständlich  ausgedrückt,  Heinrich  habe  ja  die  Peterskirche 
erobert  und  damit  erreicht,  dafs  Wibert  in  St.  Peter  kirchliche 
Funktionen  vornehmen  konnte.  Das  habe  der  Annalist  sehr  unge- 
eignet mit  constituere  in  sede  apostolica  bezeichnet. 

Man  könnte  an  eine  kihiigliche  Inthronisation  zu  denken  geneigt 
sein,  die  dann  nachher  wie  der  Tag  von  Brixen  totgeschwiegen 
worden  sei.  Aber  gerade  in  dieser  Zeit  eine  solche  anzunehmen, 
halte  ich  für  wenig  geraten,  da  Heinrich  in  Verhandlungen  mit  den 
Römern  begriffen  war  und  ja  daran  dachte,  Wibert  fallen  zu  lassen. 
Auch  war  der  28.  Juni  ein  Mittwoch,  der  29.  dagegen  ein  hoher 
Festtag ;  warum  wurde  dann  die  strenge  Vorschrift  ^,  dafs  die  In- 
thronisation an  einem  Sonntage  oder  hohen  Festtage  zu  erfolgen  habe, 
nicht  beachtet,  da  man  doch  nur  einen  Tag  hätte  zu  warten  brauchen  ? 
Und  so  neige  auch  ich  mich  dahin,  einen  sehr  unglücklichen  Aus- 
druck des  Annalisten  anzunehmen,  der  sich  wohl  nicht  bewufst  war, 
wie  leicht  seine  Worte  mifsdeutet  werden  konnten.  Es  soll  wohl 
nur  gesagt  sein,  dafs  an  dem  so  hohen  kirchlichen  Festtage  St.  Peter 
und  Paul  die  gottesdienstlichen  Funktionen,  die  ja  schon  am  Vor- 
abend beginnen,  von  Wibert  in  St.  Peter  verrichtet  werden  konnten. 

Ein  Punkt  ist  noch  zu  erörtern,  ehe  wir  die  Besprechung 
der  Inthronisation  abschliefsen  können.  Nach  Gebhard  von  Salz- 
burg stand  es  den  Kardinalbischöfen  von  Ostia,  Albano  und  Porto 
zu,  bei  der  Inthronisation  zu  assistieren;  diese  aber  gehörten 
nicht  zu  Heinrichs  Partei.  Deshalb  liefs  er  andere  eintreten,  nach 
den  einen  ^  die  Bischöfe  vcm  Modena  und  Arezzo,  die  beide  seit 
3  Jahren  ^  exkommuniziert  waren,  nach  den  anderen  ^'  die  Bischöfe 


^  Panzer,  Wido  46  u.  51 ;  vgl.  noch  Buchholz,  Ekkehard  86. 

^  Martens,  Besetzung  des  päpstlichen  Stuhls  214  f. 

^  Zöpffel,  Papstwahlen  250. 

*  Bern.  1083  SS.  V,  438;  1084  SS.  V,  480  nach  dem  Briefe  Gebhards  von 
Salzburg  an  Hermann  von  Metz  bei  Hugo  Flav.  SS.  VIII,  459  und  im  cod. 
Udalr.  69  bei  Jaffe,  Bibl.  V,  141. 

^  Nach  dem  Briefe  Gebhards  von  1084 ;  es  konnte  im  Februar  1081  geschehen 
sein,  s.  Reg.  8,  20  a  bei  Jaffe,  Bibl.  II,  452. 

«  Bonizo  679. 


Von  der  Inthronisation  bis  zum  Tode  Gregors  VII.  61 

von  Modena,  Bologna  und  Cervia,  also  drei  Suffragane  Wiberts. 
Indes  waren  nach  Bernold  ^  noch  reliqui  excommunicati  oder  reli- 
qui  heretici,  nach  Ekkehard  -  multi  pontifices  bei  der  Inthronisation 
beteiligt.  Fragt  man,  ob  Gebhard-Bernold  oder  Bonizo  zu  glauben 
sei,  so  wird  ein  non  liquet  die  Antwort  sein  müssen ;  ich  halte  eine 
Entscheidung,  mag  sie  nach  der  einen  oder  der  anderen  Seite  fallen, 
für  ganz  willkürlich  ^.  Übrigens  machte  diese  Inthronisation  durch 
Exkommunizierte  in  den  Augen  der  Gegner  den  Akt  natürlich  un- 
gültig. 

Der  feierlichen  Inthronisation  Wiberts  folgte  die  Kaiserkrönung 
Heinrichs  auf  dem  Fufse.  Nach  8  Tagen,  am  Ostersonntag,  den 
31.  März  1084,  erreichte  der  König  endHch  sein  lange  ersehntes 
Ziel:  Papst  Clemens  III.  setzte  ihm  und  seiner  Gemahlin  Bertha 
die  Kaiserkrone  aufs  Haupt  *.  Dies  Ereignis  ist  natürlich  fast  in 
allen  gleichzeitigen  Quellen  berichtet,  ein  Verzeichnis  der  hervor- 
ragendsten nur  gebe  ich  in  der  Anmerkung  ^,  während  ich  eine 
ganze  Beihe  unwichtigerer  und  allgemeinerer  Angaben  übergehe.  Nach 
der  Krönung  bezogen  Heinrich  und  Wibert  den  Lateran  und  weilten 
dort  einige  Zeit  ^. 

Nicht  lange  erfreuten  sie  sich  ungestört  ihres  Besitzes  ^.  Der 
bedrängte  Gregor  hatte  endlich  an  Bobert  Guiscard  Hülfe  gefunden. 
Der  streitbare  Normannenherzog,  der  die  Gefahr  für  sich  selber 
gröfser  werden  sah,  rückte  im  Mai  heran.  Heinrich,  der  sich  ihm 
nicht  gewachsen  fühlte,  zog  am  21.  Mai  ab,    die  Stadt  Bom  ihrem 

1  Bern.  1084  a.  a.  0.         ^  Ekkeh.  1084  SS.  VI,  205. 

^  Giesebrecht  III,  558  und  1163  folgt  Gebhard-Bernold,  Panzer,  Wido  46 
lieber  Bonizo.  Letzterem  würde  ich  mich  anschliefsen ,  wenn  ich  eine  Ent- 
scheidung treffen  müfste. 

*  Dafs  die  Römer  Heinrich  bei  der  Gelegenheit  auch  noch  zum  Patricius 
gemacht  hätten,  behaupten  Sigeb.  1084  SS.  VI,  365  und  die  vita  Hrci.  IV.  c.  6 
SS.  XII,  276.  Diese  Würde  besass  er  aber  schon  seit  der  Versammlung  von 
Basel  im  Oktober  1061  (Berth.  1061  SS.  V,  271;  Bern.  1061  SS.  V,  428;  Giese- 
brecht  III,  74). 

^  Das  vornehmste  ist  Heinrichs  Brief  an  Dietrich  von  Verdun :  Gesta  Trever. 
SS.  VIII,  185;  Stumpf  2859.  Dann  Ekkeh.  1084  SS.  VI,  205.  AVeiterhin: 
Ann.  August.  1084  SS.  III,  131;  Ann.  Einsidl.  1084  SS.  III,  146;  Ann.  Moso- 
magenses  1084  SS.  III,  162;  Ann.  Laub.  1084  SS.  IV,  21;  Ann.  Leod.  1083 
SS.  IV,  29  und  Ann.  S.  Jacobi  Leod.  1084  SS.  XVI,  639;  Ann.  Ottenbur.  1084 
SS.  V,  8;  Ann.  S.  Eucharii  Trev.  1084  SS.  V,  10;  Bern.  1084  SS.  V,  440; 
Sigeb.  1084  SS.  VI,  365;  Hugo  Flav.  SS.  VIII,  460;  Vita  Hrci.  IV.  c.  6  SS. 
XII,  276;  Ann.  Yburg.  1084  SS.  XVI,  438;  Walram  de  unit.  eccl.  2,  7  ed. 
Schwenkenbecher  S.  51;  Bon.  679;  Schrift  de  papatu  bei  Schefier-Boichorst, 
Neuordnung  der  Papstwahl  140 ;  Deusdedit  c.  invas.  2,  11  bei  Mai,  Nova  patrum 
bibl.  VII,  3,  93,  danach  Petrus  Casin.  3,  70  SS.  VII,  751. 

«  Bern.  1084  SS.  V,  440.     Bon.  679.         '  Vgl.  Giesebrecht  III,  559  ft". 


62  Voll  der  Inthronisation  bis  zum  Tode  Gregors  VII. 

Schicksal  überlassend.  Das  war  furchtbar  genug,  denn  die  dem 
Einzüge  der  Normannen  (28.  Mai)  folgenden  Tage  sind  durch  schreck- 
liche Greuel  bezeichnet.  Die  Römer  fafsten  einen  tiefen  Groll,  in 
erster  Linie  gegen  Gregor,  dann  aber  auch  gegen  Heinrich,  der 
seinen  Rückweg  unbeirrt  fortsetzte.  Die  Folgen  sollten  sich  später 
zeigen. 

Wibert  zog  mit  Heinrich  ab  und  begleitete  ihn  eine  Strecke, 
trennte  sich  aber  schon  in  den  nächsten  Tagen  von  ihm  und  begab 
sich  nach  Tivoli  ^,  von  wo  aus  er  ja  schon  im  Sommer  1082  Rom 
belästigt  hatte  -. 

Etwa  Ende  Juni  verliefs  auch  Robert  Guiscard  Rom  wieder 
und  nahm  Gregor  mit  sich,  zog  aber  zuerst  vor  Tivoli,  um  es  zu 
berennen  und,  wenn  möglich,  mit  der  Stadt  auch  den  Gegenpapst  in 
seine  Gewalt  zu  bekommen.  Wiberts  Geschick  hing  an  einem  Faden. 
Robert  verwüstete  die  Umgegend  schwer,  konnte  aber  Tivoli  nicht 
erobern,  da  die  Stadt  auf  ihre  starke  Besatzung  vertraute,  die  offen- 
bar aus  einem  von  Heinrich  zurückgelassenen  Teil  des  kaiserlichen 
Heeres  bestand.   Unverrichteter  Dinge  zog  Robert  Guiscard  weiter  '\ 

War  nun  die  Stimmung  der  Römer  ebensowohl  Heinrich  un- 
günstig, da  auch  er  an  ihrem  Unglück  schuld  war,  so  waren  sie  ihm 
gegenüber  doch  milder  gesinnt,  als  gegen  Gregor.  Das  erleichterte 
Wiberts  Rückkehr,  die  wohl  nicht  lange  auf  sich  warten  Hefs;  seine 
Anwesenheit  in  Rom  ist  noch  für  Weihnachten  1084  ausdrücklich 
bezeugt  ^,  dehnte  sich  also  sehr  aus. 

Der  gestürzte  Gregor  blieb  unversöhnlich ;  ohnmächtig,  wie  er 
war,  versammelte  er  doch  eine  Synode  seiner  Anhänger,  unter  denen 
namentlich  die  Kardinalbischöfe  waren,  in  seinem  Exil  Salerno  und 
konnte  sich  nicht  versagen,  noch  einmal  das  Anathem  gegen  Hein- 


1  Bonizo  680.  Hugo  Flav.  SS.  VIII,  463  (Brief  der  Gräfin  Mathilde)  (da- 
nach Hugo  Flor,  de  mod.  Franc,  reg.  SS.  IX,  392),  cfr.  Will.  Malmesb.,  Gesta 
regum  Angl.  3,  262  SS.  X,  473. 

2  Stumpf  gibt  in  den  Regesten  zu  No.  2858  (24.  Mai  1084  in  Eorgo  San  Va- 
lentano)  an:  „praesente  Heinrico  (imp.  cum  pont.  demente)",  offenbar  nach 
Mabillon,  Ann.  S.  Benedicti  V,  200.  Die  von  ihm  selber  in  den  Acta  imp. 
No.  320  gedruckte  Urkunde  zeigt  aber,  dafs  die  Annahme  der  Anwesenheit 
Wiberts  auf  einem  Irrtum  beruht.  Die  Urkunde  ist  nur  nach  dem  1.  Pontifi- 
katsjahre  Clemens'  III.  datiert. 

■■^  Wido  Ferr.  1,  20  SS.  XII,  166.  Giesebrecht  III,  563  u.  1164.  Lehmann- 
Danzig,  Das  Buch  Widos  von  Ferrara  89  möchte  diesen  Bericht  Widos  ver- 
werfen, wozu  kein  Grund  vorhanden  ist. 

^  Ann.  Saxo  1085  SS.  VI,  721.  cfr.  AVill.  Malmesb.,  Gesta  regum  Angl. 
3,  262  SS.  X,  474:  nachdem  er  Heinrichs  und  Wiberts  Abzug  erzählt  hat,  fährt 
er  fort :  vacua  ab  obsessoribus  Roma  legitimum  praesulem  accepit,  sed  nou  multo 
post  eadem  violentia  qua  prius  amisit. 


Von  der  Inthronisation  bis  zum  Tode  Gregors  VII.  63 

rieh,  Wibert  und  deren  Anhänger  zu  schleudern.  Dies  geschah  etwa 
im  Oktober  1084.  Um  seine  Sentenz  wirksamer  zu  verbreiten,  sandte 
er  nach  Frankreich  den  Kardinalbischof  Petrus  von  Albano,  nach 
Deutschland  den  Kardinalbischof  Otto  von  Ostia  ^  Dieser,  ein  höchst 
energischer  Mann,  that  sein  möglichstes,  um  Wibert  zu  schaden  und 
dessen  Anhänger  abtrünnig  zu  machen.  In  der  Woche  nach  Ostern 
(20.  April)  1085  hielt  er  in  Quedlinburg  eine  grofse  Synode  der  päpst- 
lichen Partei  ^,  der  auch  der  Gegenkönig  Hermann  von  Luxemburg 
anwohnte.  Am  Schlüsse  derselben  erging  eine  ganze  Reihe  von  Ana- 
themen gegen  Anhänger  der  kaiserlichen  Partei  in  der  Geistlich- 
keit, an  der  Spitze  gegen  Wibert  ^.  Otto  dachte  wohl,  ein  Anathem 
wirke  da,  wo  es  ausgesprochen  werde,  und  in  den  umgebenden  Landen 
unmittelbarer;  Wibert  war  in  Deutschland  noch  nie  gebannt  worden, 
stets  in  Italien,  wovon  man  immer  nur  aus  der  Ferne  gehört  hatte. 
Dies  Versäumnis  suchte  Otto  jetzt  gutzumachen,  erzielte  aber  keine 
Wirkung ;  die  Gegensätze  waren  schon  zu  tief  eingewurzelt,  als  dafs 
ein  Anathem  noch  jemand  hätte  erschrecken  oder  von  seiner  Partei 
abziehen  können. 

Kaum  fünf  Wochen  darauf,  am  25.  Mai  1085,  verschied  dazu  sein 
Auftraggeber,  Gregor  VII.,  in  Salerno  ^.  Bis  zum  letzten  Augen- 
blicke wahrte  er  seinen  Standpunkt  gegenüber  den  Gegnern.  Seinen 
Kardinälen  und  Bischöfen  erklärte  er  etwa  8  Tage  vor  seinem  Tode 
ausdrücklich,  er  absolviere  Heinrich  und  Wibert  nicht,  ebensowenig 
wie  diejenigen,  die  deren  Bestrebungen  in  hervorragender  Weise 
unterstützt  hätten ;  er  verpflichtete  sogar  die  Kardinäle  durch  Hand- 
schlag, diese  Absolution  ihrerseits  eventuell  nur  dann  zu  erteilen, 
wenn  sowohl  Heinrich  wie  AVibert  sich  demütigten  und  zuvor  ihre 
Würden  niedergelegt  hätten  ^. 


1  Bern.  1084  SS.  V,  441.  Ja£fe-L.  I,  646.  Giesebrecht  III,  568  u.  1164. 
Vgl.  Stern,  Zur  Biographie  des  Papstes  Urban  II.  S.  23  ff. 

^  Vgl.  Griesebrecht  III,  608  f.  u.  1169.  Böhmer- Will,  Regesta  archiepisco- 
porum  Maguntinensium  I,  219  f. 

3  Bern.  1085  SS.  V,  443.         ^  Vgl.  Giesebrecht  III,  573  u.  1165. 

^  Brief  Urbans  II.  im  cod.  Udalr.  71  bei  Jaffe,  Bibl.  V,  143  und  bei  Hugo 
Flav.  SS.  VIII,  466.  Vgl.  dazu  Hugo  Flav.  a.  a.  0.  und  Paulus  ßernried.  c. 
110  bei  Watterich  I,  539.  —  Im  übrigen  s.  Giesebrecht  III,  1165,  der  über  die 
verschiedenen  an  Gregors  Tod  sich  heftenden  Erzählungen  bereits  das  Genügende 
gesagt  hat. 


64  Vom  Tode  Gregors  VII.  bis  zum  Tode  A^iktors  III. 

Siebentes  Kapitel. 
Youi  Tode  Grregors  YII.  bis  zum  Totle  Viktors  III. 

Der  Tod  des  Hauptes  der  Gegner  soll  im  Lager  Wiberts  grofse 
Freude  erregt  haben,  waren  doch  die  Aussichten,  die  sich  eröffneten, 
unberechenbare!  Aber  sehr  merkwürdig  ist  es,  dafs  Wibert  trotzdem 
im  Sommer  1085  von  denßömern  genötigt  wurde,  aus  Rom  zu  weichen 
und  nach  Ravenna  zurückzukehren  ^.  Und  noch  merkwürdiger  ist  die 
Thatsache,  dafs,  obwohl  die  gegnerische  Partei  ein  volles  Jahr  ohne 
Haupt  und  völlig  zerfahren  war,  AVibert  die  ganze  Zeit  nicht  be- 
nutzte, um  sich  wieder  in  den  Besitz  Roms  zu  setzen,  und  dafs  über- 
haupt alle  Aussichten,  die  beim  Tode  Gregors  für  ihn  vorhanden 
schienen,  in  nichts  zerrannen. 

Über  die  Gründe  dieser  Erscheinung  können  wir  so  klar  nicht 
sehen,  wie  es  erwünscht  wäre.  Gewifs  ist  einer  derselben  Mathildes 
seit  dem  Tage  von  Sorbaria  (2.  Juli  1084)  langsam,  aber  stetig 
wachsende  Macht  in  Nord-  und  Mittelitalien.  Ein  anderer  aber  ist 
erst  neuerdings  herausgestellt  und  beleuchtet  worden :  herrschte  auch 
in  der  Partei  AViberts  nicht  diejenige  Zerfahrenheit  wie  in  der  gre- 
gorianischen, so  war  doch  nicht  die  wünschenswerte  Einigkeit  vor- 
handen. Dieses  Resultat  verdanken  wir  Panzers  Arbeit  über  das 
Buch  Widos  von  Ferrara  -.  Mit  dem  Ergebnis,  welches  er  S.  22 
über  die  Datierung  des  Traktates  aufstellt,  mufs  ich  mich  nach 
wiederholter  Prüfung  durchaus  einverstanden  erklären :  Wido  hat 
seine  Schrift  mit  Benutzung  einer  zwischen  V^^ibert  und  Anselm  von 
Lucca  gepflogenen  Korrespondenz  zwischen  dem  15.  März  und  dem 
24.  Mai  1086  verfafst  =1 


1  Bern.  1085  .SS.  V,  444.  Auch  vita  Hrei.  IV,  c.  7  SS.  XII,  276  ist  wohl 
hierher  zu  ziehen;  nachdem  bemerkt  worden  ist,  dafs  Heinrich  nach  Deutsch- 
land zurückgekehrt  sei,  heilst  es  hier  weiter:  Sed  nuUa  fortuna  longa  est;  nam 
hi  quos  imperator  Homae  praesidium  imposuerat,  aegritudine  correi^ti,  quam  et 
locus  et  tempus  intulerat  —  erat  enim  aestas  —  ne  uno  quidem  superstite 
mortui  sunt.  (Irrtum,  bezieht  sich  jedenfalls  auf  Udalrich  von  Godesheim  und 
dessen  300  Kitter,  die  Heinrich  im  Sommer  1083  in  der  Leostadt  zurückliefs. 
und  die  in  der  That  fast  alle  starben;  s.  auch  Buchholz,  Ekkehard  80.)  Tunc 
Roma  iugo  praesidii  sublato,  comjDos  arbitrii  sui  facta,  ad  ingenium  rediit,  et 
resumptis  adversus  imperatorem  armis,  jduIso  ajDOstolico  alium  constituit; 
nam  ille  prior  Gregorius  a  vita  decesserat.     S.  GiesebrechU  III,  586. 

2  Erschien  Leipzig  1880. 

^  Auch  Bernheim,  Gott,  gelehrte  Anz.  1881  S.  1520  und  Friedensburg. 
Histor.  Zeitschrift  XL VII,  496  haben  Panzers  Aufstellungen  fast  ohne  Ein- 
schränkung zugestimmt,  während  Löwenfeld  in  den  Papstregesten  I,  650  u.  652 
sich   ablehnender  verhält.     Gegen  ihn   richtet   sich  eine  Bemerkung  Panzers  in 


Vom  Tode  Gregors  VII.  bis  zum  Tode  Viktors  III.  65 

Als  Wibert  Rom  hatte  verlassen  müssen  und,  wie  es  scheint, 
zunächst  nicht  daran  denken  konnte,  es  wieder  zu  nehmen,  als  er 
sich  sonach  sagen  mufste,  dafs  seine  Lage  schon  jetzt,  wo  es  der 
Gegenpartei  an  Geschlossenheit  und  Kraft  so  sehr  mangelte,  wenig 
hoffnungsvoll  sich  anlasse,  dafs  sie  sich  nur  noch  verschlechtern 
könne,  wenn  die  Aussichten  der  Gegner  sich  auch  nur  um  weniges 
besserten  —  da  schrieb  Anselm  von  Lucca,  Mathildens  Berater,  an 
ihn  und  suchte  für  einen  neuen  Papst  dadurch  freie  Bahn  zu  schaffen, 
dafs  er  nach  dem  Tode  des  einen  dem  Konkurrenten  riet,  freiwillig 
zurückzutreten  ^  Wibert  indes  ging  auf  diesen  Vorschlag  nicht 
entfernt  ein,  der  wohl  auch  weniger  auf  seine  Person  als  darauf  be- 
rechnet war,  Uneinigkeit  unter  seinen  Anhängern,  den  entschiede- 
neren und  den  schwächeren,  hervorzurufen ;  er  antwortete  ausführlich 
und  legte  dar,  wie  er  die  Dinge  ansehe.  Seinen  uns  nicht  erhaltenen 
Brief  hat  Panzer  (S.  57 — 63)  mit  Glück  zu  rekonstruieren  versucht, 
er  hat,  soweit  er  eben  wiederherstellbar  ist,  im  wesentlichen  folgen- 
den Inhalt. 

Wibert  weist  zunächst  darauf  hin,  dafs  ein  grofser  Mangel 
bei  Hildebrands  Wahl  darin  bestehe,  dafs  sie  stattgefunden  habe 
absque  consensu  et  opera  christiani  principis  Heinrici  scilicet  im- 
peratoris  et  successorum  eins ;  wer  aber  ohne  diesen  Konsens  nach 
dem  Pontifikat  strebe,  sei  zufolge  dem  Dekret  Nikolaus'  II.  auf 
immer  dem  Anathem  verfallen  -;  dieses  Dekret  habe  er  mit  eigenen 
Augen  zu  Rom  gesehen  und  gelesen. 

Wenn  Gregor  aber  auch  rechtmäfsiger  Papst  gewesen  wäre,  so 
habe  er  sich  doch  selber  verdammt ,  denn  er  sei  von  Jugend  auf 
kriegerischem  Wesen  zugethan  gewesen  und  habe  sich  mit  Mord, 
Tempelraub  und  Meineid  befleckt.  Durch  viele  Citate  aus  Kirchen- 
schriftstellern erweist  Wibert,  dafs  der  Geistliche  mit  den  Waffen 
nichts  zu  thun  haben  dürfe,  und  entwirft  eine  beredte  Schilderung 
der  Kriege  und  der  mit  ihnen  verbundenen  Greuel,  welche  entgegen 
den  Satzungen  der  Kirche  Hildebrand  hervorgerufen  habe.     Nicht 


seinem  Aufsatz  „Papst wähl  und  Laieninvestitur  zur  Zeit  Papst  Nikolaus'  II.", 
Separatabdruck  aus  dem  Histor.  Taschenbuch  1885  S.  16  Anm.  3,  auf  die  Löwen- 
feld RP.  II,  713  geantwortet  hat.  —  Die  Benutzung  des  erhaltenen  Briefes  An- 
selms  ist  zweifellos,  die  der  anderen  Stücke  der  Korrespondenz  hat  Panzer  im 
höchsten  Grade  wahrscheinlich  gemacht.  Ich  kann  mich  sonach  im  wesentlichen, 
da  ich  nur  Wiederholungen  zu  bieten  hätte ,  darauf  beschränken,  Panzers  Re- 
sultate für  meine  Zwecke  zu  verwerten,  und  verweise  für  das  Nähere  auf  dessen 
Schrift. 

'  Vgl.  Panzer,  Wido  4  u.  48  ff. 

■^  Wibert  beruft  sich  auf  die  kaiserliche  Fassung  des  Dekrets;  s.  Scheffer- 
Boichorst,  Neuordnung  der  Papstwahl  95  f. 

Köhncke,  Wibert  v.  E.  5 


66  Vom  Tode  Gregors  VII.  bis  zum  Tode  Viktors  III. 

den  Krieg  hätte  er  gegen  diejenigen  heraufbeschwören  sollen,  welche 
nach  seiner  Meinung  Übelthäter  waren,  satis  erat,  si  more  decessorum 
suorum  et  secundum  normam  apostolicae  institutionis  sacrique  aeuan- 
gelii  peccantes  argueret,  si  secretius  conveniret,  causam  ad  medium 
duceret,  si  nee  sie  correctos  sicut  ethnicos  et  publicanos  haberet. 

In  allen  Zeiten  unerhört  sei  es,  dafs  Herzog  Rudolf,  seinen  Eid 
brechend,  das  Reich  seines  Herrn  einzunehmen  getrachtet  habe. 
Und  wenn  Hildebrand  zu  nichts  anderem  als  hierzu  seine  Hand  ge- 
boten hätte,  so  genügte  dies,  ihn  zu  verurteilen.  Denn  hätte  er 
nicht  dahinter  gestanden,  so  wäre  es  nicht  geschehen.  Des  Tempel- 
raubes habe  sich  Hildebrand  schuldig  gemacht,  weil  er  Rudolf  mit 
Geld  unterstützt  habe ,  das  eigentlich  der  Kirche  gehörte.  Weil 
endlich  die  Lösung  der  Unterthanen  Heinrichs  von  ihrem  Eide  den 
göttlichen  Gesetzen  widerspreche,  habe  sich  Hildebrand  in  den  Mein- 
eid jener  verstrickt  und  sei  selber  des  Meineids  schuldig. 

Weiter  war  von  der  Investitur  die  Rede,  die  für  den  Kaiser  in 
Anspruch  genommen  wird;  dann  von  Anselms  Stellung  zur  Gräfin 
Mathilde,  die  er  doch  nicht  länger  hintergehen,  täuschen  und  be- 
trügen solle;  auch  wird  ihm  der  Vorwurf  gemacht,  er  verabscheue 
die  Sakramente;  von  Interesse  ist  endlich  eine  Aufserung  W^iberts  ^, 
die  auch  sonst  bestätigt  wird-:  qui  universalis  ecclesiae  curam 
susci(e)pimus  licet  inviti. 

Der  Brief  zeigt,  dafs  Wibert  beweisen  wollte,  er  sei  Papst  ge- 
worden, als  Hildebrand  sich  selbst  seiner  Würde  schon  verlustig 
gemacht  habe,  und  daher  vollständig  rechtmäfsig  zu  seiner  Stellung 
gelangt.  Dem  zu  entgegnen,  hielt  Anselm  einen  zweiten  Brief  für 
nötig,  der  ganz  erhalten  ist  und  eine  schärfere  Sprache  führt  '\ 

Nach  wenigen  einleitenden  Bemerkungen  wendet  sich  Anselm 
gleich  zu  der  Behauptung  Wiberts :  als  er,  Wibert,  den  päpstlichen 
Stuhl  bestiegen  habe,  sei  dieser  frei  gewesen,  denn  Gregor  habe  sich 
seiner  unwürdig  gemacht.  Dem  gegenüber  stellt  Anselm  den  Satz 
hin,  Wibert  habe  gar  kein  Recht,  davon  zu  reden,  dafs  er  die  Lei- 
tung der  ganzen  Kirche  übernommen  habe.  Apostolica  enim  et 
universalis  ecclesia  suum  habebat  pastorem.  Die  wahre  Kirche  habe 
mit  Wibert  nichts  zu  schaffen.  Dies  gilt  Anselm  für  ausgemacht, 
der  Beweis,  den  er  noch  dafür  zu  erbringen  sucht,  ist  für  ihn  eigentlich 
überflüssig,  denn  er  sagt  (Canisius  205) :  Sicut  enim  iam  dictum  est, 


'  Panzer  63,  vgl.  SS.  XII,  3  u.  5. 

2  Cfr.  Ekkeh.  1100  SS.  VI,  219;  Petrus  Casin.  3,  50  SS.  Vll,  741.  Biicli- 
holz,  Ekkehard  135. 

^  Gredruckt  bei  Canisius,  Antiquae  lectiones  VI,  202,  nova  editio  III,  369. 
Im  Auszuge  SS.  XII,  3 — 5. 


Vom  .Tode  Gregors  VII.  bis  zum  Tode  Viktors  III.  67 

si  Gregorius  in  ecclesia  fuit,  qui  apud  te  etiam  constitit  et 
iudex  a  nullo  condemnari  potuit,  manifestum  est  te  ab 
ecclesiae  radice  praecisum  aruisse  nihilque  habere  potestatis  ac  iuris. 

In  ausführlichster  Weise  geht  Anselm  weiter  auf  den  Vorwurf 
ein,  Gregor  habe  sich  mit  Blut  befleckt,  weil  er  zu  weltlichen  Waffen 
gegriffen  habe,  um  seine  Gegner  zu  bekämpfen.  Wibert  sei  aber  ein 
Schismatiker,  diese  müfsten  verfolgt  werden  nicht  nur  mit  geistlichen, 
sondern  auch  mit  weltlichen  Waffen ;  durch  eine  grofse  Reihe  von 
Citaten  aus  den  Kirchenvätern  wird  nachgewiesen,  dafs  dies  durch- 
aus statthaft  sei,  ebenso  dafs  der  Besitz  der  Schismatiker  in  den 
der  wahren  Kirche  auch  auf  gewaltsamem  Wege  übergehen  dürfe. 

Dazwischen  weist  Anselm  gelegentlich  die  Behauptung  Wiberts 
ab,  dafs  er  die  Sakramente  verabscheue,  das  thue  er  nicht,  sondern 
nur  mit  den  schismatischen  Spendern  der  Sakramente  wolle  er  nichts 
zu  thun  haben,  auch  entziehe  sich  ihren  Händen  der  Nutzen  dieser 
heiligen  Handlungen. 

Freilich  müfsten  er  und  seine  Anhänger  wünschen,  dafs  die 
Schismatiker  überwunden  würden,  ihr  Hab  und  Gut  in  die  Hände 
der  Gerechten  überginge ;  aber  wenn  sich  auch  der  Gerechte  über 
den  Triumph  der  Sache  des  Herrn  freue,  doch  jammere  ihn  die  Strafe 
der  Verlorenen ;  und  schöner  wäre  es,  wenn  die  Nötigung  zu  solchen 
Kämpfen  nicht  bestände.  Die  Schuld  an  diesen  trage  aber  nicht 
die  Partei  Anselms.  Denn  da  Schismatiker  auch  mit  weltlichen 
Waffen  bekämpft  werden  dürften,  so  seien  ja  diese  der  Anlafs,  und 
auf  sie  falle  die  Schuld  zurück.  Sie  hätten  die  Kirche  zerrissen 
und  sie  der  weltlichen  Macht  unterworfen,  da  sie  dem  Kaiser  wider 
die  göttlichen  Gebote  die  Investitur  zugeständen.  Demzufolge  seien 
sie  verdammt  und  ein  Verkehr  mit  ihnen  gemäfs  den  Aussprüchen 
der  heiligen  Väter  nicht  möglich;  vielmehr  sei  es  seine,  Anselms, 
Pflicht,  ihnen  Widerstand  zu  leisten  und  zu  versuchen,  sie  zur  Um- 
kehr zu  bewegen.  Wenn  daraus  Ungemach  für  sie  entstehe,  so  komme 
das  nicht  auf  sein  Haupt. 

Dem  Umstände,  dafs  Wibert  nach  seiner  Aussage  sein  Amt  wider 
seinen  Willen  auf  sich  genommen  habe,  legt  Anselm  kein  Gewicht 
bei;  habe  er  damals  der  Gewalt  w^eichen  müssen,  seitdem  hätte  er 
längst  umkehren  können.  Endlich  antwortet  er  auf  die  Mahnungen 
Wiberts  wegen  Mathilde,  aus  denen  er  den  Vorwurf  fleischlichen 
Verkehrs  herausliest,  um  zum  Schlüsse  noch  einmal  einen  kräftigen 
Euf  zur  Reae  und  zur  Rückkehr  in  den  Schofs  der  einigen  Kirche 
an  Wibert  ergehen  zu  lassen. 

Man  sieht,  nicht  auf  alle  Punkte  Wiberts  geht  Anselm  ein, 
es  steht  zu  vermuten,  dafs  er  seine  Auffassung  im  allgemeinen  schon 


68  Vom  Tode  Gregors  VII.  bis  zum  Tode  Viktors  III. 

in  seinem  ersten  Briefe  dargelegt  hat  und  hier  nur  diejenigen  Punkte 
beleuchtet,  die  sein  Gegner  neu  vorgebracht  hat,  namentlich  also 
den  Vorwurf,  dafs  Papst  Gregor  sich  durch  seinen  Anteil  an  den 
weltlichen  Kämpfen  gegen  die  Gesetze  der  Kirche  vergangen  habe. 
Im  übrigen  bemerke  ich  noch  einmal,  dafs  bei  der  Lückenhaftigkeit 
unserer  Kenntnisse  absolute  Gewifsheit  über  Wiberts  Brief  zu  er- 
reichen nicht  möglich  ist. 

Anselms  Briefe,  von  vornherein  für  die  Veröffentlichung  bestimmt 
und  auf  sie  berechnet,  thaten  ihre  Wirkung.  Der  Kleinmut  regte 
sich  im  Lager  Velberts,  zumal  man  die  wenig  aussichtsvolle  Situation 
erwog;  viele  wären  jetzt  gewifs  gern  mit  heiler  Haut  davon  gCAvesen. 
Als  der  zweite  Brief  eintraf,  war  dazu  schon  die  Aussicht  vorhanden, 
dafs  die  Gegner  in  Bälde  ein  neues  Oberhaupt  erhalten  würden ;  man 
sprach  von  dem  versöhnlichen  Desiderius  von  Monte-Casino,  der  dann 
leicht  die  Männer  der  Mitte  aus  beiden  Lagern  auf  seine  Seite  ziehen 
konnte. 

Dieses  Schwanken,  diese  Streitigkeiten  im  Schofse  der  Partei 
selbst  erkennt  man  an  der  Einleitung  Bischof  Widos  von  Ferrara  ^ : 
In  meditullio  quadragesimae  nuper  exactae,  cum  apud  Ravennam 
domnus  Clemens  apostolicus  moraretur,  negociis  curiae  vehementer 
urguebar,  si  quando  tamen  sinebat  tempus  et  divertendi  locus  erat, 
conferebar  ad  studia  litterarum :  cum  interea,  nescio  quo  casu,  de 
eo  scismate  quod  nuper  emersit  orta  est  inter  fratres  contentio  quod 
Iltibrandinum  dicunt,  aliis  hoc  impugnantibus,  aliis  defendeutibus  cet. 

Um  den  Zwiespalt  zu  beschwichtigen,  erhielt  eben  Wido  von 
Wibert  und  den  entschiedener  gesonnenen  Bischöfen  den  Auftrag '-, 
eine  Denkschrift  auszuarbeiten,  die  uns  noch  vorliegt,  und  in  welcher 
die  eben  besprochene  Korrespondenz  benutzt  ist.  Sie  näher  zu  wür- 
digen, liegt  aufserhalb  des  Rahmens  dieser  Arbeit,  man  möge  dieser- 
halb  Panzer  nachlesen.  Sein  Resultat  fafst  Wido  selber  kurz  zu- 
sammen ^ :  Omnia  largiente  Deo,  sicut  proposui,  percucurri.  Restat 
quod  me  facturum  inicio  promisi  persolvam,  ut,  quod  mihi  de  hac 
re  visum  fuerit,  in  neutram  partem  propensior  explicem,  postquam 
utriusque  partis  allegationes  constat  a  me  comprehensas  esse.  Duo 
sunt,  quae  dampnatione  dignum  Ildibrandum  ostendunt:  quod  Rodul- 
fum  in  regem  creari  fecit,  et  Teutonicum  bellum  fieri  non  prohibuit. 
in  quo  sanguis  octo  milium  hominum  fusus  fuit.  In  eo  etiam  per- 
iurii  reatum  incurrit,  quod  iuramenti  vinculis  obligatos  Teutonicos 
sacramenti  religionem  violare  fecit.    In  eo  etiam  scismaticus  extitit, 


1  Wido  Ferr.  praef.  lib.  1  SS.  XII,  153.        -  SS.  XII,  153  u.  179. 
«  SS.  XII,  178  f. 


Vom  Tode  Gregors  VII.  bis  zum  Tode  Viktors  III.  69 

quod  indignorum  ministrorum  et  excommunicatorum  sacramenta 
polluta  docuit,  non  recipienda  mandavit^  nee  sacramenta  quidem 
dici  debere  perhibuitj  in  quibus  a  sanctorum  patrum  regulis  omnino 
dissensit. 

Unverkennbar  steht  Wido  auf  der  Seite  der  Entschiedeneren 
und  will  zeigen,  dafs  man  auf  seinem  Standpunkte  zu  beharren  habe^ 
denn  Wibert  sei  vollkommen  rechtmäfsig  Gregors  Nachfolger  ge- 
worden, da  dieser  durch  sein  Verhalten  seiner  Würde  verlustig  ge- 
gangen sei. 

Unter  diesem  Zögern  war  die  Zeit  seit  Gregors  Tode  verflossen, 
die  anscheinend  so  günstige  Aussichten  eröffnet  hatte.  Wenn  die 
Wirkung  von  Widos  Schrift  die  gewesen  sein  sollte,  dafs  sie  die 
Einigkeit  in  der  wibertistischen  Partei  wiederherstellte  und  den  Ent- 
schlufs  zu  kräftigerem  Vorgehen  ins  Leben  rief,  so  wird  derselbe 
gar  bald  wieder  geschwächt  worden  sein  durch  die  Nachricht  von 
der  am  24.  Mai  1086  in  Rom  vollzogenen  Wahl  des  Abtes  Desi- 
derius  von  Monte-Casino  zum  Papst.  Denn  die  bisherige  Unthätig- 
keit  der  Anhänger  Wiberts  dauerte  fort. 

Dieser  selbst  ist  bis  tief  in  die  erste  Hälfte  des  Jahres  1086 
in  Ravenna  nachweisbar,  man  mufs  ferner  annehmen,  dafs  er  diese 
Stadt  auch  in  der  anderen  Hälfte  von  1086  nicht  verlassen  hat. 

In  der  ersten  Fastenwoche  dieses  Jahres  (22. — 28.  Februar)  hielt 
er  in  der  Kathedrale  der  Erzdiözese,  Sanctae  Resurrectionis,  seine, 
soweit  uns  bekannt  ist,  erste  Synode  ^  Wir  haben  von  ihr  Kunde 
durch  eine  Urkunde  vom  27.  Februar,  an  deren  Schlufs  es  heifst-: 
Acta  sunt  haec  Ravennae  in  plenaria  synodo,  in  matrice  ecclesia, 
quae  dicitur  Agiae  Anastaseos,  anno  domin.  ine.  1086  etc.  Dafs  die 
Bezeichnung  plenaria  synodus  gebraucht  ist,  soll  wohl  andeuten,  dafs 
die  Synode  von  Papst  Clemens  III.,  nicht  von  Erzbischof  Wibert 
von  Ravenna  gehalten  wird;  dem  entsprechend  findet  sich  auch  in 
dieser  Urkunde  zum  ersten  Male  der  Titel :  Clemens  episcopus  servus 
servorum  Dei.  An  eine  erzbischöfliche  Urkunde,  an  eine  Diözesan- 
synode  kann  somit  nicht  gedacht  werden ;  dies  verbietet  sich  auch 
durch  die  Namen  der  Konsentierenden,  unter  denen  sich  zwei  Kar- 
dinäle und  die  Bischöfe  von  Padua  und  Vicenza  befinden  ^,  wie  durch 


^  Mansi  XX,  615  f. 

^  Jaffe-L.  5322.  Aufser  den  dort  sich  findenden  Druckangaben  noch  Frag- 
mente bei  Gloria,  Cod.  dipl.  Padov.  314  und  bei  Dondi  dalF  Orologio,  Diss.  lY, 
12,  beide  nach  Mittarelli. 

^  Bei  Mittarelli,  Ann.  Camald.  111,  39  finden  sich  drei  der  im  Text  als  an- 
wesend aufgeführten  Bischöfe  als  Zeugen  unterschrieben:  Roland  von  Treviso, 
Milo  von  Padua,  Ezzelin  von  Vicenza. 


70  Vom  Tode  Gregors  VII.  bis  zum  Tode  Viktors  III. 

die  Worte  des  Textes :  consideratis  privilegiis  decessorum  nostrorum 
Romanorum  pontificum.  Teilnehmer  an  der  Synode  waren  wiber- 
tistische  Kardinäle  und  Bischöfe  aus  Ober-  und  dem  östlichen  Mittel- 
italien (Fossombrone,  Cittä  di  Castello),  die  alten  Parteigänger.  Von 
den  Arbeiten  der  Synode  können  wir  weiter  nichts  aussagen,  als 
dafs  auf  ihr  eben  unsere  Urkunde  für  das  Erzbistum  Ravenna  aus- 
gestellt wurde,  dem  alle  Privilegien  bestätigt  werden,  die  es  von  den 
früheren  Päpsten  und  Kaisern  erhalten  hat.  Man  kann  nicht  umhin 
anzuerkennen,  dafs  Wibert  aus  allen  Kräften  und  im  besten  Sinne 
für  Ravenna  sorgte,  Heinrichs  Urkunde  von  1080,  die  Gründung  des 
Kanonikatsstiftes  von  1081  und  dieses  Privileg  von  1086  sind  des 
Zeugen. 

Mit  dieser  Synode  wird  ein  bei  Sudendorf  ^  zuerst  gedruckter, 
gänzlich  undatierter  Brief  Wiberts  an  einen  Kardinal  U.  zusammen- 
hängen -,  unter  welchem  man  seit  dem  Herausgeber  allgemein  und 
wohl  mit  Recht  Hugo  den  Weifsen  verstanden  hat.  Diesem  schreibt 
Wibert,  er  habe  erfahren,  dafs  die  andere  Jesabel  (d.  h.  die  Gräfin 
Mathilde  von  Canossa)  dem  Kardinal  arge  Feindseligkeiten  bereite, 
er  bitte  ihn,  dieselben  gering  zu  achten  und,  wenn  ihm  auch  etwas 
Schlimmes  begegne,  nicht  abzufallen;  dann  werde  der  himmlische 
Lohn  nicht  ausbleiben.  Im  Falle  der  Kardinal  zu  ihm  käme,  könne 
er  der  ehrendsten  Aufnahme  und  vertrauter  Freundschaft  sicher 
sein.  Deshalb  möge  er  einer  von  ihm,  Wibert,  beabsichtigten  Sy- 
node anwohnen,  mit  dem  Parmesischen  oder  mit  einem  anderen  Bi- 
schof zusammen  ^. 

Als  terminus  a  quo  für  diesen  Brief  hat  schon  Giesebrecht  "^ 
den  Tag  der  Schlacht  von  Sorbaria  (2.  Juli  1084),  wie  mir  scheint, 
sehr  passend  angenommen.  Dann  hat  Löwenfeld  in  den  Regesten 
ihn  nocli  in  das  Jahr  1084  gesetzt:  diese  Ansetzung  ist  vielleicht 
zu  berichtigen.  Denn  meines  Erachtens  ist  unter  der  Synode,  zu 
welcher  Hugo  berufen  wird ,  die  vom  Februar  1086  zu  verstehen, 
von  einer  anderen  ist  uns  in  dieser  Zeit  nichts  bekannt.  Auch  wurde 
Hugo  spätestens  im  Anfang  des  Jahres  1085  als  päpstlicher  Legat 
nach  Deutschland  geschickt,  wie  wir  noch  sehen  werden.  Sonach 
wäre  der  Brief  Ende  1085  geschrieben,  wozu  alle  Indicien  stimmen. 
Was  von  Mathilde  gesagt  wird,  pafst  auf  1085  in  ebenso  hohem, 
wenn  nicht  höherem  Grade  als  auf  1084,  denn  seit  Sorbaria  nahm 


1  Sudendorf,  Registrum  II,  37  No.  31.         ~  Jaffe-L.  5320. 

3  Bischof  Eberhard  von  Parma  starb  etwa  Mai  1085 :  Bern.  1085  SS.  V,  443. 
Sein  schismatischer  Nachfolger  hiefs  Wido  (seit  1085).  Garns,  Series  episco- 
porum  745;  cfr.  Ughelli,  Italia  sacra  II,  168. 

*  Giesebrecht  III,  1165. 


Vom  Tode  Gregors  "VII.  bis  zum  Tode  Viktors  III.  71 

ihre  Macht  noch  stetig  zu  ^  Der  Brief  zeigt  weiter  unverkennbare 
Besorgnis  vor  einem  Abfall  Hugos  zu  der  gegnerischen  Partei.  Nun 
safs  1084  noch  Gregor  VII.  auf  dem  aj)osto]ischen  Stuhl,  da  brauchte 
sich  Wibert  nicht  im  geringsten  um  Hugos  Treue  zu  sorgen.  1085 
aber  war  der  apostolische  Stuhl  erledigt,  die  eigene  Partei  nicht  einig, 
bei  einer  Neuwahl  liefs  sich  durch  eine  Schwenkung  vielleicht  ein 
persönlicher  Vorteil  erreichen,  und  so  lag  bei  dem  wandelbaren  und 
ehrgeizigen  Charakter  Hugos  die  Befürchtung  eines  Abfalls  bedeu- 
tend näher.  Es  ist  dann  zu  verstehen,  dafs  Wibert  ihn  in  seiner 
Nähe  zu  haben  wünscht,  die  Synode  bietet  einen  geeigneten  Anlafs, 
dies  zu  bewerkstelligen.  Indes  finden  wir  weder  ihn  noch  den  Bi- 
schof von  Parma  in  der  Urkunde  aufgeführt.  Da  sich  Hugo  der 
Weifse  sicher  nicht  unter  den  aliis  quampluribus  qui  fuere  prae- 
sentes  versteckt,  so  wird  es  ihm  nicht  möglich  gewesen  sein  zu  er- 
scheinen ;  vielleicht  haben  ihn  die  Anhänger  Mathildes  daran  ge- 
hindert, Genaueres  läfst  sich  nicht  sagen,  da  sein  ^Aufenthaltsort  un- 
bekannt ist  ^. 

Eine  Angelegenheit  mehr  lokaler  Bedeutung  fand  ihre  Regelung 
durch  Urkunde  vom  15.  Mai  1086  aus  Ravenna'l  Bischof  Siegfried 
von  Bologna,  Suffragan  und  eifriger  Parteigenosse  Wiberts,  war  samt 
seinem  Bruder  Boland  gestorben.  Der  Bischof,  seit  der  Fasten- 
synode 1079  exkommuniziert^,  war  bei  Wiberts  Inthronisation  be- 
teiligt gewesen  ^.  Um  nun  als  Lohn  für  treue  Dienste  ihr  Andenken 
zu  ehren  und  zu  erhalten,  schenkte  Wibert  dem  Nonnenkloster  St.  Ge- 
org zu  Ferrara  50  Morgen  Ackerland  in  Mutafenum  im  Gebiet  von 
Faenza,  wogegen  sich  die  Nonnen  verpflichteten,  täglich  zu  Ehren 
der  Genannten  eine  Andacht  zu  verrichten.  Diese  Mafsregel  ver- 
dient Anerkennung,  denn  sie  ist  ein  Zeichen  von  Pietät  und  von 
einer  Dankbarkeit,  die  sich  nicht  blofs  auf  die  Gesinnung  beschränkt, 
sondern  auch  in  Thaten  ihren  Ausdruck  findet. 

Ich  habe  bereits  erwähnt,  dafs  nach  einem  Jahre  Zwischenraum 
endlich  am  24.  Mai  1086  die  gregorianische  Partei  ein  neues  Ober- 
haupt erhalten  hatte  in  der  Person  des  Abtes  Desiderius  von  Monte- 
Casino  (Viktors  III.),  der  einer  versöhnlichen  Auffassung  zuneigte  ^\ 


1  Bern.  1085  SS.  V,  443.     Giesebrecht  III,  572  u.  586. 

2  Giesebrecht  III,  572  (2.  Hälfte  des  Jahres  1084)  sagt :  „Hugo  der  Weifse, 
der  in  der  Lombardei  zurückgeblieben  war,  hatte  sich  dort  nicht  mehr  für  sicher 
gehalten  und  sich  zu  Wibert  begeben."  Diese  Behauptung  scheint  sich  nach 
S.  1165  auf  den  eben  besprochenen  Brief  zu  stützen,  ist  aber  dann  nicht  haltbar. 

^  Jaffe-L.  5323,  auch  gedruckt  nach  Savioli  bei  Fantuzzi,  Mon.  Rav.  I,  304. 

4  Greg.  VII.  Reg.  6,  17  a  bei  Jaffe,  Bibl.  II,  355.         ^  Bonizo  679. 

6  Vgl.  Giesebrecht  III,  585—592  u.  1166.    Hirsch,  Forschungen  VII,  91—103. 


72  Vom  Tode  Gregors  VII.  bis  zum  Tode  Viktors  III. 

Die  Erhebung  war  ganz  wider  seinen  Willen  geschehen;  und  dafs 
er  sich  sträubte,  war  ihm  gar  nicht  zu  verdenken,  denn  er  war  seiner 
ganzen  Natur  nach  der  Ungeeignetste,  um  seine  Partei  wieder  zu 
Ansehen  zu  bringen,  alt,  schwächlich,  gutmütig.  Gleich  zu  Anfang 
wurde  ihm  in  der  neuen  Würde  schwül,  schnell  kehrte  er  wieder 
nach  Monte-Casino  zurück,  ein  ganzes  Jahr  verstrich,  ohne  dafs  man 
von  seiner  Existenz  als  Papst  etwas  Wesentliches  wahrnahm.  Mit 
dieser  Unthätigkeit  unzufrieden,  wollte  die  strengere  Partei  eine  von 
Viktor  nach  Capua  berufene  Synode  (Fastenzeit  1087),  die  über 
eine  Neubesetzung  des  päpstlichen  Stuhles  beraten  sollte,  benutzen, 
ihn  zu  verdrängen.  Das  litt  nun  sein  Ehrgeiz  nicht,  er  raffte  sich 
auf,  legte  wieder  die  päpstlichen  Insignien  an  und  machte  sich,  nach- 
dem er  noch  das  Osterfest  1087  (28.  März)  in  Monte-Casino  gefeiert 
hatte,  auf  den  Weg  nach  Eom,  um  sich  weihen  zu  lassen,  von  nor~ 
mannischen  Waffen  geschützt. 

Bis  hierher  hatte  Wiberts  Unthätigkeit  gedauert,  jetzt  aber  war 
der  letzte,  entscheidende  Augenblick  gekommen :  gelang  es  den  Gre- 
gorianern,  ihrem  Papst  die  Weihe  zu  verschaffen,  so  trübten  sich 
seine  Aussichten  auf  die  Zukunft  noch  mehr.  Und  so  ist  er  denn 
bereits  zur  Stelle  ^,  als  Viktor  Ende  April  vor  der  Leostadt  erscheint. 


^  Der  genaue  Zeitpunkt  der  Rückkehr  Wiberts  nach  Rom  ist  nicht  bekannt. 
Er  würde  sich  sicherer  bestimmen  lassen,  wenn  die  Datierung  von  Jaffe-L.  5319 
eine  zweifellose  wäre.  Diese  Urkunde  bestätigt  nach  einem  Privileg  Leos  IX. 
(Jaffe-L.  4166) ,  das  als  Vorlage  gedient  hat ,  die  Besitzungen  und  Rechte  der 
Kanoniker  zu  Verona  und  ist  zu  Ravenna  am  2.  März  1084  oder  1087  ausge- 
stellt. Gedruckt  ist  sie  bei  Ughelli,  Italia  sacra  V,  769  und  danach  bei  Migne 
CXLVIII,  827.  Ihr  Eschatokoll  lautet:  Actum  Ravennae,  anno  domin.  incar- 
nationis  1084,  indict.  VII.  Datum  per  manum  Roberti  card.  presb.,  anno  III. 
ordinationis  d.  Clementis  III.  papae,  VI.  Xon.  Mart.  feliciter.  Auf  1084  weisen 
Inkarnationsjahr  und  Indiktion,  wie  Löwenfeld  in  den  Papstregesten  ganz  richtig 
bemerkt.  Wenn  der  Datar  Robert,  wie  anzunehmen,  identisch  ist  mit  dem 
Datar  Bischof  Robert  von  Faenza  (Jaffe-L.  5334;  Bischof  schon  1086,  Strocchi, 
Serie  de  vescovi  Faentini  105),  so  spricht  auch  dies  für  1084,  da  er  hier  noch 
nicht  Bischof  genannt  wird  und  1084  ein  Bischof  Hugo  II.  von  Faenza  vor- 
kommt. S.  o.  S.  49  und  Strocchi  104.  Ebenso  sicher  aber  weisen  die  Worte 
anno  III.  ordin.  d.  Cl.  III.  papae  auf  das  Jahr  1087,  denn  nie  und  nirgends 
sonst  hat  Wibert  sich  selbst  vor  dem  24.  März  1084  Clemens  genannt,  noch  ist 
er  von  anderen  so  genannt  worden.  Mit  dem  bisher  vorliegenden  Material  ist 
eine  Entscheidung  unmöglich.  Anzunehmen,  dafs  zwischen  Handlung  und  Be- 
urkundung drei  Jahre  verflossen  seien,  scheint  mir  nicht  rätlich.  Eher  wäre 
an  eine  Interpolation  der  Worte  anno  III.  ordin,  d.  Cl.  III.  papae  zu  denken. 
Das  Original  der  Urkunde  ist,  soviel  ich  sehe,  nicht  erhalten;  der  einzige 
Ughelli,  den  Migne  abdruckt,  hat  sie  uns  überliefert,  seine  Akribie  ist  keine 
ersten  Ranges.  Eine  erneute  Prüfung  der  Überlieferung  der  Urkunde  ergäbe 
möglicherweise  Anhaltspunkte  zur  Lösung  der  Schwierigkeit. 


Vom  Tode  Gregors  VII.  bis  zum  Tode  Viktors  III.  73 

nachdem  er  bei  Ostia  über  den  Tiber  gegangen  war.  Gerade  der 
Leostadt  hatte  sich  Wibert  bemächtigt  und  St.  Peter  mit  seinen 
Bewaffneten  besetzt.  Sofort  aber  unternahmen  die  Viktor  beglei- 
tenden Normannen  den  Angriff,  die  Wibertisten  wurden  vertrieben, 
und  am  9.  Mai  fand  Viktors  Weihe  in  aller  Form  statt,  wie  es 
scheint,  unter  nicht  sehr  bedeutender  Beteiligung  der  Römer.  Aber 
schon  nach  8  Tagen  fühlte  er  sich  veranlafst,  sein  Monte-Casino 
wieder  aufzusuchen  ^  So  viel  hatte  er  erreicht,  dafs  in  formeller 
Beziehung  seiner  päpstlichen  Würde  kein  Vorwurf  zu  machen  war ; 
in  E/Om  hatte  er  sich  nicht  halten  können,  Wibert  hingegen  blieb  dort. 

Aber  schon  14  Tage  darauf,  Anfang  Juni,  traf  Viktor  wieder 
vor  Rom  ein  und  versuchte  von  neuem  sich  der  Stadt  zu  bemäch- 
tigen, diesmal  von  der  Gräfin  Mathilde  unterstützt  -.  Man  mufs  sich 
über  den  Mangel  an  Geschlossenheit  in  der  Partei  der  Gregorianer 
billig  wundern.  Anfang  Mai  sind  die  Normannen  in  Rom,  können 
sich  aber  nicht  behaupten  ;  Ende  Mai  ergeht  es  der  Grälin  Mathilde, 
wie  wir  gleich  sehen  werden,  ebenso.  Im  Verein  hätten  sie  Wibert 
wohl  vertreiben  können,  die  Normannen  scheinen  aber  keine  Lust 
gehabt  zu  haben,  nach  so  kurzer  Zeit  noch  einmal  nach  Rom 
zu  ziehen.  Es  fehlte  eben  ein  Vereinigungspunkt  für  alle  diese 
Elemente. 

Jetzt  gab  es  neue  Kämpfe.  Beide  Päpste  standen  sich  eine 
Zeitlang  bei  der  Peterskirche  gegenüber.  Für  Viktor  bezeugt  dies 
für  die  Zeit  vom  4.  bis  11.  Juni  Petrus  Casinensis^:  apud  eccle- 
siam  beati  Petri  octo  diebus  permansit.  Deinde  in  festivitate  sancti 
Barnabae  (11.  Juni)  super  altare  sancti  Petri  missam  sollemniter 
celebrans,  eadem  die  auxilio  et  ope  praefatae  comitissae  per  Trans- 
tiberim  Romam  intravit.  Wibert  aber  stellte  am  8.  Juni  1087  eine 
Urkunde  für  den  Abt  Libo  von  Selz  aus,  deren  Datierung  lautet : 
Datum  Rome  ad  S.  Petrum  VI.  Idus  Junii  anno  nostri  pontifi- 
catus  IV. '^. 

Da  Viktor  am  11.  Juni  in  St.  Peter  die  Messe  lesen  konnte, 
wird  sich  Wibert  infolge  von  nicht  glücklichen  Kämpfen  zwischen 
dem  8.  und  11.  Juni  zum  Rückzuge  genötigt  gesehen  haben.  In  der 
That  meldet  Bernold,  dafs  sich  Wibert  bei  Sancta  Maria  ad  Mar- 
tyres,  d.  h.  beim  Pantheon  verschanzt,  Viktor  aber  sein  Hauptquartier 


^  Petrus  Casin.  3,  68  SS.  VII,  749.  Kurze  Notiz  über  Viktors  Zug:  Ann. 
ßrunwilar.  1083  SS.  XVI,  725.  Falsch  ist  die  Angabe  der  Ann.  August,  (die 
diese  Vorgänge  überhaupt  in  kaiserlichem  Sinne  entstellen)  1087  SS.  III ,  132, 
Viktor  sei  absente  Wigberto  in  Rom  eingedrungen. 

2  Petrus  Casin.  3,  69  SS.  VII,  750.         ^  Petrus  Casin.  3,  69  SS.  VII,  750. 

^  Jaffe-L.  5326  im  Neuen  Archiv  II,  219.     S.  u.  Exkurs  I. 


74  ^^om  Tode  Gregors  VIT.  bis  zum  Tode  Viktors  III. 

auf  der  Tiberinsel  aufgeschlagen  habe  ^  Wenn  Bernold  diesen  Vor- 
gang als  Rückzug  Viktors  bezeichnet,  so  ergiebt  das,  zusammenge- 
halten mit  den  Worten  des  Petrus:  eadem  die  (11.  Juni)  ....  per 
Transtiberim  Romam  intravit,  dafs  Viktor  sich  auch  des  eigentlichen 
Rom  zu  bemächtigen  versuchte,  dafs  dieser  Versuch  aber  mifslang. 
Wibert  war  somit  auf  die  Stadt  links  des  Tiber  beschränkt,  Viktor 
besafs  Trastevere  und  die  Leostadt  mit  Peterskirche  und  Engelsburg, 
dazu  Ostia  und  Porto  -. 

Aus  dieser  Lage  suchte  Wibert  sich  Ende  des  Monats  zu  be- 
freien, er  machte  gegen  den  Peter-  und  Paulstag  (29.  Juni)  einen 
Versuch  namentlich  zur  Eroberung  der  Peterskiixhe  ^.  Ein  unver- 
muteter Angriff  der  Römer  auf  die  Leostadt  brachte  am  28.  Juni 
einen  grofsen  Teil  derselben  in  ihre  Hände,  nur  die  Peterskirche 
nicht,  auf  die  es  gerade  abgesehen  war.  Doch  drangen  Wiberts 
Anhänger,  die  denen  Viktors  an  Zahl  bedeutend  überlegen  waren, 
bis  unmittelbar  an  dieselbe  vor;  an  die  beiden  Haupttürme  an  der 
Vorderseite  wurde  Feuer  gelegt,  und  man  bemächtigte  sich  ihrer; 
viele  Viktorianer  zogen  sich  nach  Trastevere  oder  in  die  Engelsburg 
zurück,  den  eigentlichen  Dom  al)er  hielten  sie  besetzt.  Am  folgenden 
Tage,  dem  29.  Juni  (St.  Peter  und  Paul),  wurden  die  Feindselig- 
keiten nicht  fortgesetzt,  sei  es,  dafs  man  sich  nicht  stark  genug 
fühlte,  sei  es  aus  Scheu  vor  dem  hohen  Feste.  Sein  Ziel,  im  Dom 
die  Messe  zu  lesen,  erreichte  Wibert  nicht,  den  hielten  bis  zum  Abend 
die  Gegner;  er  mufste  sich  begnügen,  diese  Feier  in  einer  Kapelle 
der  heiligen  Maria  zwischen  den  Türmen  vorzunehmen.  Am  anderen 
Tage  indes  räumten  die  Gegner  den  Dom,  Wibert  reinigte  den  von 
ihnen  befleckten  Altar  und  las  die  Messe,  zog  sich  aber  schon  am 
1.  Juli  wieder  über  den  Tiber  zurück. 

Auch  weiterhin  wird  es  an  Kämpfen  nicht  gefehlt  haben,  am 
14.  Juli  finden  wir  Viktor  gar  im  Lateran  ^.  Indes  war  Wibert  in 
Rom  doch  ein  zu  gefährlicher  Gegner,  dessen  Überfälle  man  täglich 
gewärtigen  konnte,  und  der  über  eine  bedeutende  Zahl  von  An- 
hängern verfügte.  So  überliefsen  ihm  sein  Gegner  und  Mathilde 
das  Feld  bald  wieder,  Rom  war  Viktor  verloren. 

Um  so  sicherer  fühlte  er  sich  in  Unteritalien  und  versäumte 
nicht,  den  Spuren  seines  grofsen  Vorgängers  folgend,  von  hier  aus 


^  Bern.  1087  SS.  V,  446.  Den  Aufenthalt  auf  der  Tiberinsel  seit  dem  11.  Juni 
bezeugt  auch  Petrus  Casin.  3,  69  SS.  VII,  750. 

-  Petrus  Casin.  a.  a.  0. 

3  Petrus  Casin.  3,  69  SS.  VII,  750.  Angeblich  sollen  die  Römer  durch 
einen  Boten  des  Kaisers  ermutigt  worden  sein. 

'^  Er  stellt  hier  eine  Bulle  aus,  Jaffe-L.  5344  und  Addeuda  II,  713. 


Von  der  Erhebung  Urbans  II.  zum  Papst  bis  zum  Abzüge  Heinrichs  IV.  etc.    75 

Wibert  für  seiner  priesterlichen  Ehren  beraubt  zu  erklären  und  mit 
dem  Anathem  zu  belegen.  Das  geschah  auf  einer  fast  nur  von  der 
unteritalienischen  Geistlichkeit  besuchten  Synode  zu  Benevent  im 
August  1087  ^ 

Schon  wenige  Wochen  darauf,  am  16.  September  1087,  endete  er 
sein  Leben,  wieder  stand  die  gregorianische  Partei  vor  einer  Neuwahl. 


Achtes  Kapitel. 

Von  der  Erhebung  Urbans  II.  zum  Papst  bis  zum  Abzüge 
Heinrichs  IT.  aus  Italien  im  Jahre  1097. 

Es  ist  auffallend ,  dafs  die  Zeit  vom  16.  September  1087  bis 
12.  März  1088  verstreicht,  ehe  die  Wahl  eines  Nachfolgers  Viktors  III. 
stattfindet,  und  dafs  dann  der  AYahlort  nicht  Rom,  sondern  Terra- 
cina  ist.  Die  Partei  Wiberts  mufs  in  Rom  zu  mächtig  gewesen  sein, 
als  dafs  die  Wahl  dort  ausführbar  gewesen  wäre,  aber  nicht  mächtig 
genug,  um  sie  ganz  zu  hindern  '-.  Keinen  Augenblick  aber  war  man 
zweifelhaft,  dafs  man  überhaupt  einen  Nachfolger  wählen  wollte. 
Auch  hatte  Viktors  III.  Pontilikat  gezeigt,  dafs  Männer  der  Ver- 
mittelung  jetzt  nicht  an  der  Zeit  seien;  die  Zahl  der  Wähler  war 
nicht  grofs,  aber  sie  enthielt  fast  alle  Kardinalbischöfe  und  traf  eine 
Entscheidung,  wie  sie  für  ihre  Sache  sie  günstiger  nicht  treffen  konnte  : 
denn  Kardinalbischof  Otto  von  Ostia  ging  als  erwählter  Papst  aus 
•ihrer  Abstimmung  hervor  und  nahm  den  Namen  Urban  II.  an.  Sein 
Pontifikat  hat  die  auf  ihn  gesetzten  Erwartungen  vollauf  gerecht- 
fertigt. Er  war  ein  Mann  der  strengen  Richtung  und  trat  ganz  in 
Gregors  Fufstapfen,  ohne  sich  zu  extremen  Schritten  hinreifsen  zu 
la-ssen.  Am  Tage  nach  seiner  Wahl  kündigt  er  diese  den  deutschen 
Anhängern  an  und  fügt  hinzu  ^:  De  me  porro  ita  in  omnibus  con- 
fidite  et  credite  sicut  de  beatissimo  patre  nostro  papa  Gregorio. 
Cuius  ex  toto  sequi  vestigia  cupiens,  omnia  quae  respuit  respuo, 
quae  dampnavit  dampno,  que  dilexit  prorsus  amplector,  quae  vero 
rata  et  catholica  duxit  confirmo  et  approbo ,  et  ad  postremum  in 
utramque  partem  qualiter  ipse  sensit,  in  omnibus  omnino  sentio  atque 
consentio. 

Von  Wibert  haben  wir  während  des  Jahres  1088  nur  ganz  dürftige 
Nachrichten.  Wir  wissen  nichts  weiter,  als  dafs  er  sich  im  April 
1088  in  Ravenna  befand,  da  uns  Kunde  von  zwei  erzbischüflichen. 


1  Petrus  Casin.  3,  72  SS.  VII,  751;  cfr.  Jaffe-L.  I,  656. 

2  Vgl.  Giesebrecht  III,  592  ff.         ^  jaffe-L.  5348  bei  Jaffe,  Bibl.  V,  503  f. 


76    Von  der  Erhebung  Urbans  II.  zum  Papst  bis  zum  Abzüge  Heinrichs  IV.  etc. 

zu  Anfang  dieses  Monats  dort  ausgestellten  Urkunden  erhalten  ist  ^. 
Wann  und  aus  welchen  Gründen  die  Übersiedelung  von  Rom  nach 
Ravenna  vor  sich  gegangen  ist,  ob  sie  freiwillig  oder  gezwungen  war, 
ist  in  tiefstes  Dunkel  gehüllt. 

Wiberts  Abwesenheit  ermöglichte  es  Urban,  im  November  1088 
in  Rom  einzudringen  ^,  ein  Ereignis,  das  auch  seinen  Gegner  wieder 
dorthin  zurückführte.  Die  mächtige  wibertistische  Partei  bereitete 
Urban  schwere  Tage  ^ ;  er  war  auf  die  Tiberinsel  beschränkt,  ohne 
Subsistenzmittel  und  lebte  von  Almosen.  Seine  nicht  eben  glanzvolle 
und  Achtung  gebietende  Lage  hielt  ihn  aber  nicht  ab,  eine  umfang- 
reiche Thätigkeit  zu  entfalten;  er  machte  wahr,  was  er  in  seiner 
Wahlanzeige  angekündigt  hatte,  dafs  er  nämlich  ganz  in  den  Bahnen 
Gregors  wandeln  werde.  Dies  zeigt  sich  Heinrich  und  Wibert  gegen- 
über in  einem  Schreiben  aus  Rom  vom  18.  April  1089  an  Bischof 
Gebhard  von  Konstanz  ^,  das  neben  der  Ernennung  Gebhards  und 
Altmanns  von  Passau  zu  ständigen  Legaten  in  Deutschland  und  ähn- 
lichem allgemeine  Anweisungen  darüber  enthält,  wer  für  exkommuni- 
ziert zu  gelten  habe,  Anweisungen,  die  in  einem  Briefe  an  die  Ge- 
samtheit der  deutschen  Bischöfe  bestätigt  werden  ^  An  der  Spitze 
der  Verdammten  stehen  Wibert  von  Ravenna  und  Kaiser  Heinrich. 

Dafs  Wibert  in  Rom  entschieden  im  Vorteil  war,  zeigt  der  Um- 
stand, dafs  er  trotz  Urbans  Anwesenheit  in  der  Peterskirche  eine 
Synode  halten  konnte ;  in  einem  undatierten  Rundschreiben  an  die 
gesamte  Geistlichkeit  berichtet  er  selber  über  deren  Verhandlungen 
und  fordert  zur  Nachachtung  der  Beschlüsse  auf  ^  Das  Schreiben 
ist  jedenfalls  nach  der  Wahl  Ottos  von  Ostia  zum  Papst  erlassen; 
dies  geht  aus  einer  in  dasselbe  eingefügten  Ladung  hervor,  durch 
Avelche  Otto  vor  eben  die  in  Frage  stehende  Synode  gerufen  wird  '. 

In  dieser  Ladung  heifst  es :  apostohca  auctoritate  praecipimus : 


^  Jaffe-L.  5327,  5328,  Vgl.  eine  Xotiz  bei  Ginanni,  Scrittori  Ravennati  I, 
397.     Giesebrecht  III,  599  u.  1168. 

2  Jaffe-L.  5372  ff. 

^  Bern.  1089  SS.  V,  448.  Pandulfi  vita  Gelasii  II.  bei  Watterich  II,  93. 
Pandulfs  ohne  Zeitangabe  überlieferte  Nachricht  wird  durch  Bernolds  Mitteilung 
zeitlich  fixiert.     Aus  Pandulf  geht  Wiberts  Anwesenheit  hervor. 

*  Jaffe-L.  5393  (Mansi  XX,  666  u.  715).  Cfr.  Bern.  1089  SS.  V,  448  f. 
Ann.  S.  Disibodi  1085  SS.  XVII,  9. 

5  Jaffe-L.  5394  (cod.  Udalr.  74  bei  Jaffe,  Bibl.  V,  153). 

«  Jaffe-L.  I,  652  f.,  5330;  cod.  Udalr.  73  bei  Jaffe,  Bibl.  V,  145.  Ich  er- 
innere an  eine  Bemerkung  Giesebrechts  III,  1168:  „Diesen  Beschlüssen  (nämlich 
der  Synode  von  1089)  traten  die  Hirschauer  in  einer  Streitschrift  entgegen, 
gegen  welche  sich  dann  wieder  das  2.  Buch  der  Schrift  de  unitate  ecclesiae 
richtet.     Vgl.  Ewald,  Walram  von  Naumburg  S.  42,  43." 

'  Jaffe-L.  5329;  cod.  Udalr.  73  bei  Jaffe,  Bibl.  V,  150. 


Von  der  Erhebung  Urbans  II.  zum  Paj)st  bis  zum  Abzüge  Heinrichs  IV   etc.    77 

ut  ad  synodum,  quam  in  ecclesia  beati  Petri  Deo  auxiliante  c  e  1  e  - 
bramuS;  securi  penitus  veniatis;  ut  de  eo,  quod  sanctam  ecclesiam 
perturbastis,  sicut  decet,  rationem  reddatis.  Aber  Gesandte  und 
Brief  wollten  die  Gegner  weder  hören  noch  sehen.  Das  Präsens 
celebramus  zeigt  klar,  dafs  die  Synode  schon  begonnen  hat,  als  die 
Ladung  erfolgt;  dazu  besagen  auch  die  Worte,  mit  denen  diese  in 
das  Rundschreiben  eingeführt  wird,  sie  sei  erst  nach  der  Erörterung 
der  Exkommunikations-  und  der  Sakramentenfrage  ergangen.  Eine 
Ladung  zu  diesem  Zeitpunkte  hat  doch  nur  dann  einen  Sinn,  wenn 
Urban  so  nahe  ist,  dafs  er  noch  kommen  kann,  d.  h.  wenn  er  auch 
in  Rom  oder  dessen  nächster  Nähe  sich  aufhält.  Nun  befand  er  sich 
in  Rom:  November  1088  bis  Juli  1089,  Dezember  1089  bis  Sommer 
1090,  November  1093  bis  Sommer  1094.  Seit  Ende  1096  überwiegend. 
Wibert  war  in  Rom  anwesend :  Ende  1088  bis  Herbst  1089,  Früh- 
jahr 1091  bis  gegen  Mitte  1092  K  Dann  kam  er  erst  Mitte  1099 
kurz  vor  Urbans  Tode  wieder  vor  Rom  an. 

Schon  diese  Zusammenstellung  lehrt,  dafs  die  Synode  nur  in  das 
Jahr  1089  gesetzt  werden  darf. 

Die  Neueren  haben  von  hier  aus  die  Sache  nicht  betrachtet  und 
sich  über  die  Zeit  der  Synode  gestritten.  Für  1089  haben  sich  Jaffe 
und  Panzer,  dagegen  Wilmans  und  Lehmann-Danzig  für  1092  ent- 
schieden. Ersteren  hat  sich  Giesebrecht,  letzteren  Watterich  ange- 
schlossen ■-. 

Seit  Wilmans  zuerst  sich  geäufsert  hatte,  folgte  man  ihm  allge- 
mein darin,  dafs  man  Widos  von  Ferrara  Schrift  de  scismate  Hilde- 
brandi  mit  dem  Rundschreiben  Wiberts  in  Verbindung  brachte  und 
erstere  nach  letzterem  datierte.  Man  glaubte  gewisse  gleichförmige 
Gedanken  und  dieselben  Hauptpunkte  in  beiden  gefunden  zu  haben. 
Als  ich  Wilmans'  Gründe  las,  kam  mir  bereits  dieser  angebliche  Zu- 
sammenhang sehr  zweifelhaft  vor,  nachher  fand  ich  bei  Panzer  (S.  18ff.) 
eine  Auseinandersetzung,  auf  die  ich  lediglich  verweisen  kann.  Wenn 
auch  nicht  alle  seine  Gründe  gleiches  Gewicht  haben,  so  sind  doch 
unter  ihnen  so  entscheidende,  dafs  ich  seinem  Resultat  nur  zustimmen 
kann:  Widos  Schrift  hat  mit  unserem  Rundschreiben  nicht  das  ge- 
ringste zu  thun.  Übrigens,  wenn  jemand  dem  auch  nicht  beistimmt, 
so  würde  dies  nur  für  die  chronologische  Bestimmung  Widos,  nicht 
für  die  der  Synode  von  Bedeutung  sein. 


^  Vgl.  zu  diesen  Angaben  die  Ja£fe-L. sehen  Regesten. 

2  Jaffe,  Einleitung  zu  Wido  von  Ferrara  SS.  XII,  153.  Panzer,  Wido  18  ff. 
"Wilmans,  Einleitung  zu  Wido  von  Ferrara  SS.  XII,  150  f.  Lehmann-Danzig, 
Das  Buch  Widos  von  Ferrara  S.  8—14.  Giesebrecht  III,  599  u.  1168.  Watterieh, 
Vitae  pont.  I,  583  f.     Vgl.  Hefele,  Konziliengesch.  -  V,  196, 


78    VoQ  »ier  Erhebung  Urbans  II.  zum  Papst  bis  zum  Abzüge  Heinrichs  IV.  etc. 

Wenn  wir  nun  das  Schriftstück  daraufhin  durchsehen,  ob  sich 
in  ihm  selbst  noch  weitere  Anhaltspunkte  für  die  zeitliche  Fixierung 
finden,  so  ergiebt  sich  wenig,  aber  genug. 

Unmittelbar  nach  jener  Vorladung  Ottos  von  Ostia  heifst  es 
weiter  ^ :  Verum  ipsi,  nee  Deum  timentes  nee  hominem  reverentes, 
legatos  et  litteras  nostras  nee  audire  nee  videre  voluerunt.  Unde 
in  erroribus  suis  perdurantes,  ex  latebris,  quas  serp entin o  more  in- 
colunt,  ad  decipiendos  incautos  et  simplices  dira  sibila  emittunt  etc. 
Schon  Jaffe^  hat  darauf  hingewiesen,  dafs  Wibert  in  der  Peters- 
kirche dies  ganz  vortrefflich  von  dem  auf  der  Tiberinsel  weilenden 
Urban  des  Jahres  1089  sagen  könne,  der  von  da  aus  jene  beiden 
Schreiben  an  Gebhard  von  Konstanz  (18.  April  1089)  und  die  deutschen 
Bischöfe  ergehen  liefs,  durch  welche  Heinrich  und  Wibert  von  neuem 
und  zum  ersten  Male  von  Urban  für  exkommuniziert  erklärt  wurden  ^. 
Diese  erste  Bannung  konnte  sehr  wohl  den  Anlafs  geben,  die  ganze 
Streitsache  auf  der  Synode  wieder  durchzunehmen  '*. 

Dem  Einwand,  dafs  Urban  nicht  vom  März  1088,  seiner  Wahl, 
bis  längstens  Juli  1089,  seinem  Abzug  aus  Rom,  oftmals  berufen 
sein  könne  (multociens  vocatus  a.  a.  0.  S.  150),  und  dafs  Wibert  nicht 
mehrere  Konzilien  (in  praeteritis  conciliis  a.  a.  0.  S.  150)  könne  ge- 
halten haben,  ist  Jaffe  ^  dadurch  begegnet,  dafs  er  nachwies,  wie 
1049  und  1050  unter  Leo  IX.  je  vier  S3'noden  stattgefunden  hätten. 
Er  hätte  hinzufügen  können,  dafs  solches  jetzt  um  so  eher  möglich 
war,  als  etwa  seit  November  1088  beide  Gegner  in  Rom  weilten, 
und  dafs  Wibert  in  seiner  Lage  auf  die  Vollzähligkeit  der  Synode 
so  sehr  nicht  sehen  konnte,  dafs  er  sich  vielmehr  mit  einer  nicht 
eben  grofsen  Teilnahme  wird  haben  begnügen  müssen. 

Wenn  Jaife  seine  übrigens  hinreichend  begründete  Ansicht  auch 
auf  RP.  5326  stützen  wollte,  so  ist  diese  Stütze  hinfällig  ^,  da  sich 
herausgestellt  hat,  dafs  diese  Bulle  aus  dem  Jahre  1087  stammt. 

Andererseits  kann  gegenüber  den  hervorgehobenen  Lidicien  wenig 
in  die  Wagschale  fallen  —  was  Wilmans  für  1092  wesentlich  be- 
stimmt hat  — ,  dafs  von  einer  Synode  im  Jahre  1089  kein  Autor 
etwas  weifs,  dafs  dagegen  die  Annales  Ottenburani  1092^  melden: 
Wigbertus  papa  synodum  indixit,  quae  prorsus  contempta  est.  Letztere 
ist  einfach  eine  andere  neue  Synode;  wie  viele  Synoden  wohl  die 
Päpste  gehalten  haben,  von  denen  unsere  Quellen  nichts  mehr  l)e- 
richten ! 

Und  nun  ist  in  der  That  neuerdings  ein  Zeugnis  für  eine  Synode 


^  Jaffe,  Bibl.  V,  151;  cod.  Udalr.  73.         -  SS.  XII,  153. 

3  Jaffe-L.  5393,  5394.        *  Trotz  Lehmann-Danzig  S.  14.        •'  SS.  XII,  153. 

«  S.  u.  Exkurs  I.         '  SS.  y,  8. 


Von  der  Erhebung  Urbans  II.  zum  Papst  bis  zum  Abzüge  Heinrichs  IV.  etc.    79 

in  dieser  Zeit  bekannt  geworden  in  einem  griechischen  Briefe  Wiberts 
an  den  Metropoliten  Basilius  von  Kalabrien  ^  Er  ist  undatiert,  fällt 
aber,  da  von  der  kürzlich  erfolgten  Wahl  eines  Gegenpapstes  und 
von  der  nahe  bevorstehenden  Ankunft  Heinrichs  IV.  in  Italien  die 
Rede  ist,  spätestens  in  den  Anfang  des  Jahres  1090.  Am  Schlüsse 
heifst  es :  Der  Abt  von  Trutapherne  (?)  und  die  Kardinäle,  die  Ba- 
silius bei  diesem  angetroffen  habe,  seien  als  Urbanisten  und  Schis- 
matiker von  ihm  und  einer  heiligen  Synode  verdammt  worden.  Damit 
ist  eine  Synode  für  1089  auch  durch  ein  von  jenem  Hundschreiben 
unabhängiges  Zeugnis  nachgewiesen. 

Sie  ist  also  gehalten  nach  dem  18.  April  vor  dem  Juli  1089; 
episcopi,  et  abbates  et  quam  plures  honesti  viri  ex  diversis  partibus 
nahmen  an  ihr  teil;  damit  ist  einfach  der  Mund  etwas  voll  genommen, 
jedenfalls  darf  man  aus  diesen  Worten  nicht  einen  Grund  gegen  die 
Ansetzung  der  Synode  in  1089  herleiten,  wie  Lehmann-Danzig  (S.  13) 
thut,  wenn  er  behauptet,  1089  sei  die  Zeit  zu  kurz  gewesen,  als  dafs 
diese  Teilnehmer  aus  den  verschiedenen  Gegenden  hätten  zusammen- 
kommen können. 

Nach  dem  Bundschreiben  hat  die  Versammlung  zunächst  die 
Exkommunikation  des  Kaisers,  die  sich  weder  durch  weltliche  noch 
durch  kirchliche  Gesetze  rechtfertigen  lasse,  gemifsbilligt  und  dem 
entsprechend  sich  scharf  gegen  die  ausgesprochen,  die  es  für  erlaubt 
halten,  nunmehr  den  dem  Kaiser  geleisteten  Eid  zu  brechen.  Die 
Begründung  der  Mifsbilligang  pafst,  streng  genommen,  nur  auf  die 
Bannung  durch  Gregor,  auf  die  seitens  Urbans  nur  insofern,  als  sie 
erstere  bestätigt;  sie  lautet:  quod  in  eos,  qui  non  sunt  legitime  vocati 
et  rationabiliter  convicti  quique  bonis  suis  sunt  expoliati,  sententia 
dampnationis  non  sit  proferenda  (Jaffe  a.  a.  0.  S.  146). 

Dann  hat  sich  die  Synode  eingehend  mit  den  Vorwürfen  der  Gegner 
beschäftigt,  die  da  behaupten :  Taufe,  Abendmahl,  überhaupt  alle 
bischöflichen  und  priesterlichen  Amtshandlungen,  von  Nicht-Gre- 
gorianern  ausgeübt,  seien  unwirksam,  verderblich  und  bedürften  der 
Wiederholung.  Dem  gegenüber  wird  durch  zahlreiche  Stellen  der 
Kirchenväter  zu  beweisen  gesucht,  dafs  es  bei  diesen  Amtshand- 
lungen ganz  gleichgültig  sei,  wer  sie  verrichte,  ob  ein  Orthodoxer 
oder  ein  Häretiker;  sie  hätten  ganz  den  gleichen  Erfolg.  Papst 
Clemens  behauptet,  er  erkenne  auch  die  seiner  Gegner  an,  wiewohl 
diese  Schismatiker  seien. 

Dann  sind  die  Gegner  vorgeladen  worden,  das  betreffende  Schrei- 

^  Gedruckt  bei  Pitra,  Analecta  novissima  spicil.  Solesmensis  I,  479  f.;  Jafie-L. 
II,  752  No.  5326«.  An  der  Echtheit  des  Briefes  zu  zweifeln,  ist  kein  Grrund 
vorhanden. 


80    Von  der  Erhebung  Urbans  II.  zum  Papst  bis  zum  Abzüge  Heinrichs  IV.  etc. 

ben  wird  mitgeteilt.  Sie  sollten  nicht  erst  gehört  werden,  dazu  ist 
ihnen  auf  den  früheren  Synoden,  vor  die  sie  gefordert  worden  sind, 
schon  Gelegenheit  geboten  gewesen;  weil  sie  nicht  erschienen  sind, 
sind  sie  alle,  also  auch  Urban,  der  Exkommunikation  verfallen. 
Jetzt  kann  man  nicht  mehr  auf  dem  Fufse  von  Gleichberechtigten 
mit  ihnen  verhandeln,  jetzt  haben  sie  sich  nur  noch  zu  verantworten 
und  ihr  Urteil  (das  natürlich  feststand)  zu  hören,  damit  dann  die 
Einheit  der  Kirche  wiederhergestellt  werde.  Sie  sind  auch  jetzt 
nicht  gekommen,  und  wenn  all  das  unsägliche  Unheil,  welches  aus 
der  Kirchenspaltung  entstellt,  weiter  dauert,  so  tragen  die  Gegner 
die  Schuld  daran. 

Ferner  sind  strenge  Bestimmungen  gegen  die  Simonie  erlassen, 
wer  ihrer  schuldig  ist,  soll  nicht  ordiniert  werden;  vom  Nikolai- 
tismus  wird  die  Geistlichkeit  in  milder  Form  abgemahnt  und  zu  einem 
züchtigen  Leben  aufgefordert,  da  sonst  das  Volk  murre.  Diesem 
aber  wird  verboten,  von  sich  aus  nikolaitische  Geistliche  zurückzu- 
weisen, ehe  sie  vom  Papste  verurteilt  seien.  Die  Heiraten  Bluts- 
verwandter sollen  gehindert  werden. 

Der  Papst  schliefst  mit  einer  langen  und  eindringlichen  Mah- 
nung, im  wahren  Glauben  zu  beharren,  ihn  zu  verkündigen  und  den 
Häretikern  zu  widerstreiten;  was  er  selbst  nach  dem  Beispiele  seiner 
Vorgänger  stets  zu  thun  wünsche. 

In  dem,  was  es  sagt,  und  in  dem,  was  es  verschweigt,  trägt  das 
Rundschreiben  den  Stempel  des  Wibertinismus  an  der  Stirn.  Über 
die  Hauptfragen,  die  Exkommunikation  Heinrichs  und  die  Sakraments- 
erteilung, konnte  es  sich  nicht  anders  aussprechen,  wie  es  thut.  AVo 
es  sich  aber  gegen  Simonie  und  Nikolaitismus  wendet,  sieht  man. 
dafs  Wibert  sich  gern  strenger  ausgedrückt  hätte,  seinen  persön- 
lichen Anschauungen  gemäfs,  dafs  er  aber  durch  Bücksichten  auf 
so  viele  unlautere  Elemente  in  seiner  Partei  sich  daran  gehindert 
fühlte.  Von  der  Investitur  schweigt  er  ganz,  denn  niemand  unter 
seinen  Anhängern  bestritt  dies  Becht  dem  Kaiser,  auch  er  selbst  nicht. 

Den  geschilderten  Zustand  der  Dinge  ertrug  Urban  bis  in  den 
Juli  1089,  dann  wich  er  ^ 

Rasch  und  auffallend  aber  vollzog  sich  auch  ein  Umschwung 
in  der  Stimmung  Roms  gegen  Wibert.  Denn  noch  in  demselben 
Jahre  wurde  er  sjewaltsam  vertrieben,  wie  Bernold  berichtet  - :  wenn 


^  Ob  Wiberts  Sache  auf  der  Synode  von  Melfi  (September  1089)  vorge- 
kommen ist,  läfst  sich  nicht  sagen.  Bekannt  ist  nur  ein  allgemeines  statutum  de 
excommunicatis  non  recipiendis  (Jaffe-L.  I,  664).  Bern.  1089  SS.  V,  449  f.  sagt 
nur,  Urban  habe  die  aeclesiastica  statuta  seiner  Vorgänger  bestätigt. 

2  Bern.  1089  SS.  V,  450  (nach  dem  Bericht  über  die  Synode  von  Melfi  er- 


Von  der  Erhebung  Urbans  II.  zum  Papst  bis  zum  Abzüge  Heinrichs  IV.  etc.    81 

er  hinzufügt^  AVibert  sei  gezwungen  worden,  einen  Eid  abzulegen, 
nicht  ferner  nach  Rom  zurückkehren  und  den  apostolischen  Stuhl 
usurpieren  zu  wollen,  so  ist  hier  wohl  der  Wunsch  Vater  des  Ge- 
dankens gewesen.  Die  Folge  war,  dafs  Urban  Weihnachten  1089 
in  Rom  feiern  konnte,  wo  er  sich  freilich  noch  immer  nicht  dauernd 
zu  behaupten  vermochte;  schon  im  Sommer  1090  verliefs  er  den 
heifsen  Boden  der  Stadt,  die  er  erst  im  November  1093  wieder  be- 
treten sollte. 

Was  wir  nun  von  Wibert  aus  den  letzten  10  Jahren  seines 
Lebens  über  seine  persönlichen  Verhältnisse  wissen,  ist  leider  sehr 
geringfügig.  Von  1090  bis  1095  tritt  seine  Person  hinter  die  Heinrichs, 
von  1095  bis  1100  hinter  die  Kreuzzugsangelegenheit  zurück. 

Anfang  April  1090  kam  Kaiser  Heinrich  zum  dritten  Male  nach 
Italien  ^  Er  hatte  in  den  6  Jahren  seit  1084  in  Deutschland  nicht 
viel  Freude  gehabt;  nie  war  er  zur  Ruhe  gekommen,  stete  Kämpfe 
mit  seinem  Gegenkönig  Hermann  von  Luxemburg,  mit  dem  treulosen 
Markgrafen  Ekbert  von  Meifsen  und  anderen  hatten  ihn  von  einem 
Ende  des  Reiches  zum  anderen  getrieben,  Siege  und  Niederlagen 
unaufhörlich  gewechselt.  Sichtlich  aber  war  allmählich  ein  allge- 
meines Ruhebedürfnis  eingetreten,  und  Ende  1089,  Anfang  1090  war 
das  Reich  mit  Ausnahme  Schwabens  befriedet,  Heinrich,  der  alleinige 
Kaiser,  von  der  überwiegenden  Mehrheit  anerkannt. 

Da  türmten  sich  neue  Schwierigkeiten  in  Italien  auf.  Urban, 
eifrig  bemüht,  der  kirchlichen  Partei  neue  Anhänger  zu  werben, 
alte  zu  erhalten,  gewann  den  langjährigen  Gegner  Heinrichs,  den 
abgesetzten  Weif  von  Bayern,  für  sich.  Dessen  siebzehnjähriger 
Sohn  vermählte  sich  auf  Urbans  Anregung  in  einer  Scheinehe  mit 
der  vierzigjährigen  Gräfin  Mathilde,  durch  deren  reiche  Güter  ge- 
lockt, und  kam  1089  nach  Italien.  So  war  ein  Ring  der  Zähringer 
in  Schwaben,  der  Weifen  in  Bayern  und  Mathildes  in  Italien  gebildet; 
den  beschlofs  Heinrich  zu  brechen  und  zwar  in  seinem  eigentlichen 


zählt).  Giesebrecht  III,  600  u.  1168,  Vielleicht  bezieht  sich  hierauf  eine  ge- 
legentliche Erwähnung  Wiberts  durch  Urban  in  dessen  Brief  an  Erzbischof 
Hartwich  von  Magdeburg  (Jaffe-L.  5422  im  cod.  Udalr.  75  bei  Jaffe ,  Bibl.  V, 
154) ,  dessen  Zeit  unbestimmt  ist.  Da  der  Anfang  von  Urbans  Pontifikat  mit 
dem  Übertritt  Hartwichs  zu  Heinrich  zeitlich  fast  zusammenfällt,  da  Urban 
nach  seinen  eigenen  Worten  schon  mehrere  Briefe  an  Hartwich  geschrieben  hat, 
ohne  überhaupt  oder  aber  erst  spät  Antwort  erhalten  zu  haben,  so  kann  man 
den  Brief  wohl  in  die  zweite  Hälfte  von  1089  setzen.  Die  Wibert  betreffenden 
Worte  lauten :  Quoniam ,  decidente  veteri  controversia .  . ,  Baal  paulatim  con- 
fusus  est,  et  mundo  obsordet  donorum  Spiritus  sancti  fraudulentus  mercator. 
^  Vgl.  Giesebrecht  III,  600—643. 

Kühncke,  Wibert  v.  E.  6 


82    Von  der  Erhebung  Urbans  II.  zum  Papst  bis  zum  Abzüge  Heinrichs  IV.  etc. 

Mittelpunkte.  Am  10.  April  1090  war  er  in  Verona,  im  Mai  schritt 
er  zur  Belagerung  von  Mantua,  einer  Hauptposition  der  Gräfin. 

Wibert  hatte  nach  seiner  Vertreibung  aus  Rom  Ravenna  auf- 
gesucht, wo  wir  ihn  in  den  Monaten  April  und  Mai  des  Jahres  1090, 
viele  Verleihungen  an  Grund  und  Boden  vollziehend,  findend  Erst 
als  Heinrich  vor  Mantua  lag,  begab  er  sich  zu  diesem :  am  26.  Juni 
1090  wird  er  als  Intervenient  bei  Heinrich  genannt  neben  dem 
Kanzler  Oger  von  Ivrea  und  dem  Bischof  Konrad  von  Utrecht  in 
einer  Urkunde,  welche  dem  Bischof  Milo  von  Padua  die  Stadt  Padua 
nebst  anderen  Besitzungen  und  Rechten  bestätigt  -.  Ausgestellt  ist 
sie  vor  der  Burg  Rivaita  am  Mincio,  westlich  von  Mantua,  die  Hein- 
rich im  Sommer  1090  eroberte  ^. 

Des  Kaisers  Geschicke  in  Italien  gestalteten  sich  im  Anfange 
seines  Aufenthalts  sehr  günstig*;  Mantua  wurde  im  April  1091  ge- 
nommen, damit  Norditalien  bis  zum  Po  unterworfen.  Ende  1091 
erlitt  ein  Heer  Mathildes  eine  bedeutende  Niederlage  bei  Tricontai. 
Im  Sommer  1092  begann  Heinrich  die  apenninischen  Burgen  Ma- 
thildes anzugreifen  und  eroberte  mehrere.  Die  Gräfin  war  in  der 
äufsersten  Bedrängnis  während  der  Belagerung  von  Monteveglio  und 
nahe  daran,  mit  Heinrich  ihren  Frieden  zu  machen. 

Es  war  nicht  das  erste  Mal,  dafs  in  diesen  Jahren  Friedens- 
vorschläge an  Heinrich  herantraten,  alle  Verhandlungen  aber  schei- 
terten, wie  diese,  zumeist  an  der  Existenz  Wiberts,  daher  wir  hier 
auf  diese  Dinge  eingehen  müssen. 

Wiberts  Erhebung  war  einst  für  Heinrich  eine  Notwendigkeit 
gewesen,  wenn  er  die  Kaiserkrone  erlangen  wollte.  Aber  kaum  ist 
ihm  eine  Handlung  in  der  Art  verdacht  worden  und  hat  schlimmere 
Folgen  für  ihn  gezeitigt,  als  diese.  Wir  sahen  (S.  49),  dafs  er  im 
Jahre  1083  noch  geneigt  gewesen  war,  Wibert  fallen  zu  lassen. 
Dies  zu  thun  war  unmöglich,  und  der  Bruch  unheilbar  geworden, 
als  Heinrich  die  Kaiserkrone  von  dem  durch  seine  Macht  inthroni- 
sierten Wibert  erhalten  hatte ;  hätte  er  ihn  da  noch  aufgegeben,  so 
hätte  er  die  Axt  an  die  Wurzeln  seiner  eigenen  Existenz  gelegt.  Und 
seitdem  ist  Wibert  das  hauptsächlichste  Hindernis  gewesen,  das 
allemal  zwischen  den  Kaiser  und  seine  Gegner  getreten  ist,  wenn 
sie  zu  einer  Verständigung  sonst  geneigt  oder  etwa  genötigt  waren. 

Auf  Walrams  Nachrichten  über  den  Erzbischof  Hartwich  von 
Magdeburg  ''  will  ich  in  dieser  Hinsicht  so  viel  Gewicht  nicht  legen. 


'  Jaffe-L.  I,  653  nach  Rubeus  314. 

2  Jaffe-L.  I,  653.     Stumpf  2904.     Giesebrecht  III,  1176. 

=»  Donizo  2,  466  SS.  XII,  389.        ^  Vgl.  Giesebrecht  III,  643-650. 

^  Walram  de  unit,  eccl.  2,  25  ed.  Schweukenbecher  S.  91  f. 


Von  der  Erhebung  Urbans  II.  zum  Papst  bis  zum  Abzüge  Heinrichs  IV.  etc.    83 

da  sie  allem  widerstreiten,  was  wir  sonst  von  diesem  Geistlichen 
wissen.  Er  habe  sich  1088  mit  Heinrich  ausgesöhnt  und  sein  Erz- 
bistum zurückerhalten,  dann  aber  gegen  den  Kaiser  gewühlt  und 
u.  a.  erklärt:  imperatori  vero  promissam  fidem  et  promissum  servi- 
tium  libenter  conservare,  si  velit  publice  confiteri,  se  vinculo  ana- 
thematis  ligatum  esse  et  inde  solvi  per  participes  sui  Gregorii  papae, 
si  etiam  velit  Wigbertum  deponere. 

Als  aber  die  Friedenssehnsucht  in  Deutschland  immer  stärker 
wurde,  kamen  Ende  1089  die  gregorianisch  gesinnten  deutschen  Für- 
sten persönlich  mit  Heinrich  zusammen  ^  Sie  versprachen,  ihn  im 
Reiche  zu  erhalten,  wenn  er  sich  von  Wibert  lossagen  und  in  die 
kirchliche  Gemeinschaft,  rite  absolviert  zurückkehren  wolle.  Heinrich 
soll  nach  Bernold  geneigt  gewesen  sein,  auf  diese  Bedingungen  ein- 
zugehen, und  zur  Ablehnung  derselben  nur  durch  die  Vorstellungen 
der  Bischöfe  bewogen  worden  sein,  welche  von  Wibertisten  geweiht 
waren  und  nach  einer  Versöhnung  für  ihre  Stellen  fürchteten.  Die 
Glaubwürdigkeit  dieser  Nachricht  möchte  ich  bezweifeln,  Bernold 
hat  sich  die  Dinge  nach  seinem  Standpunkt  zurechtgerückt;  wollte 
Heinrich  Wibert  fallen  lassen,  so  brauchte  er  auf  die  Bischöfe  keine 
Bücksicht  zu  nehmen,  denn  er  befand  sich  durchaus  in  keiner  Zwangs- 
lage, aber  er  wollte  und  konnte  ersteres  nicht. 

Von  einem  Friedenskonvent  in  Speier  im  Februar  1090  ist  uns 
Näheres  nicht  bekannt  ^. 

Wieder  aber  kam  zur  Zeit  der  gröfsten  Waffenerfolge  Heinrichs 
im  August  1091  Herzog  Weif  von  Bayern  in  die  Lombardei  nach 
Verona^  und  machte  neue  Anerbietungen  zum  Frieden.  Die  Be- 
dingungen, die  er  stellte,  waren  Bückgabe  der  weifischen  Güter  und 
kanonische  Neubesetzung  des  von  Wibert  usurpierten  apostolischen 
Stuhles.  Erstere  Bedingung  Avar  erfüllbar  und  wurde  ja  auch  später 
(1097)  wenigstens  durch  die  Bückgabe  des  Herzogtums  Bayern  er- 
füllt. Die  Sache  scheiterte  daran ,  dafs  Heinrich  Wibert  nicht 
preisgeben  konnte,  der  eben  erst  *  von  den  Bömern  zurückgerufen 
worden  war.    Voll  Groll  kehrte  Weif  nach  Schwaben  zurück^. 


1  Bern.  1089  SS.  V,  450.  Giesebrecht  III,  641  u.  1175.  Man  kann  diese 
Verhandlungen  nicht  mit  Wiberts  Vertreibung  aus  Rom  in  Zusammenhang 
bringen,  wie  Lehmann-Danzig,  Das  Buch  Widos  von  Ferrara  S.  9  u.  14  f.  zu 
thun  geneigt  ist.     Deutsche  Verhältnisse  gaben  den  Anlafs. 

2  Ann.  Rosenveld.  1090  SS.  XVI,  101.     Ann.  Saxo.  1090  SS.  VI,  726. 
»  Ann.  August.  1091  SS.  III,  133. 

^  S.  u.  S.  86. 

•■^  Bern.  1091  SS.  V,  452.  Giesebrecht  III,  645  f.  u.  1176.  Cfr.  Ann.  August. 
1091  SS.  III,  133. 

6* 


84    Von  der  Erhebung  Urbans  II.  zum  Papst  bis  zum  Abzüge  Heinrichs  IV.  etc. 

Noch  einmal  ging  es  so ,  wie  schon  angedeutet,  während  der 
Belagerung  von  Monteveglio  (August,  September  1092).  Schon  waren 
Friedensverhandlungen  zwischen  Heinrich  und  Mathilde  im  Zuge, 
fast  hatte  man  sich  für  den  Abschlufs  des  Vertrages  entschieden, 
als  Mathilde  noch  im  letzten  Augenblicke  in  einer  Versamm- 
lung hoher,  ihr  nahestehender  Geistlicher  zu  Carpineto  den  Ent- 
schlufs  fafste,  ihn  nicht  zu  unterzeichnen.  Hauptanstofs  war  auch 
hier  die  von  Heinrich  gestellte  Bedingung,  Wibert  müsse  als  recht- 
mäfsiger  Papst  anerkannt  werden  ^ 

Noch  ist  für  die  Friedenssehnsucht,  die  sich  in  den  Jahren 
1089—91  geltend  machte,  charakteristisch  die  sogenannte  Alter- 
catio  inter  Urbanum  et  dementem  -.  Beide  werden  mit  einander 
streitend  eingeführt,  jeder  behauptet,  er  sei  der  rechtmäfsige 
Papst. 


1  Donizo  2,  625  ff.  SS.  XII,  392.     Giesebrecht  III,  648  f.  u.  1176. 

2  Cod.  Udalr.  79  bei  Jaffe ,   Bibl.  V,  158—161.     Jaffe  setzt  sie  in  das  Jahr 

1090,  Giesebrecht  III,  646  u.  1176  in  1091.  Vgl.  Lehmann-Danzig,  Das  Buch 
Widos  von  Ferrara  S.  15  f.  Die  zeitliche  Begrenzung  ergiebt  sich  folgender- 
mafsen.  Terminus  a  quo  ist  zunächst  Urbans  II.  AVahltag,  der  12.  März  1088; 
dann  aber  wird  mit  Urbans  Namen  ein  Wortspiel  getrieben,  indem  ihm  (v.  3) 
der  Vorwurf  gemacht  wird,  er  heifse  Urbanus  und  sei  doch  ab  urbe  proiectus. 
Das  war  der  Fall  Sommer  1089  bis  Winter  1089  und  Sommer  1090  bis  No- 
vember 1093.  1089  wurde  auch  Wibert  bald  vertrieben,  und  Urban  kehrte 
schnell  zurück ,  mit  mehr  Wahrscheinlichkeit  ist  daher  das  Gedicht  nach  der 
zweiten  Vertreibung  (Sommer  1090)  anzusetzen.  Der  terminus  ad  quem  wird, 
wie  Jaffe  schon  festgestellt  hat,  durch  Vers  49  u.  50  bestimmt.  Die  beiden 
Verse  zielen  unzweifelhaft  auf  Bischof  Heinrich  von  Lüttich  (1075—1091) ;  dieser 
ist  am  31.  Mai  oder  am  2.  November  1091  gestorben.  S.  Aegidii  Aureaevall. 
gesta  epp.  Leod.  3,  13  SS.  XXV,  90  u.  Anm.  12  das.  Garns  249.  Der  2.  No- 
vember stützt  sich  auf  die  Angabe  des  liber  ecclesiae  Leodiensis  defunctorum 
oder  liber  mortualis  Lambertianus  bei  Foulion  I,  246  und  scheint  mir  den  Vorzug 
zu  verdienen.  —  Das  Gedicht  fällt  also  zwischen  Sommer  1090  und  Spätherbst 

1091 ,  wenn  Heinrich  am  2.  November  gestorben  ist.  —  Kaiser  Heinrich  war 
jedenfalls  schon  in  Italien,  wozu  stimmt,  dafs  die  aufser  Heinrich  von  Lüttich 
genannten  beiden  deutschen  Bischöfe,  Erzbischof  Liemar  von  Bremen  und 
Bischof  Konrad  von  Utrecht,  Heinrich  dorthin  begleiteten  (Giesebrecht  III,  645 
nach  einer  Urkunde  vom  17,  Mai  1091,  Stumpf  2909).  —  Ich  entscheide  mich 
für  1091 ;  dazu  bestimmt  mich  wesentlich,  dafs  in  den  August  dieses  Jahres  der 
Versuch  Welfs  fällt,  mit  dem  Kaiser  seinen  Frieden  zu  machen,  wobei  ja  die 
Forderung  war,  Wibert  solle  fallen  gelassen  werden.  Das  war  ein  geeigneter 
Zeitpunkt  für  solche  Vorschläge,  wie  sie  in  unserem  Gedicht  enthalten  sind.  — 
Auch  dürfte  ins  Gewicht  fallen,  dafs  es  doch  des  komischen  Beigeschmacks  nicht 
entbehren  würde,  wenn  der  Verfasser  durch  Wiberts  Mund  Urban  vorhält,  er 
sei  aus  ßom  verjagt,  und  Wibert  sich  in  gleicher  Lage  befand.  Dieser  aber 
war  seit  Anfang  1091  das  ganze  Jahr  in  Rom.  —  Ich  bleibe  also  beim  Herbst 
1091,  nicht  lange  vor  Heinrichs  von  Lüttich  am  2.  November  1091  erfolgten  Tode. 


Vou  der  Erhebung  Urbans  II.  zum  Papst  bis  zum  Abzüge  Heinrichs  IV.  etc.    85 

Urban  will  diesen  Streit  von  einer  Versammlung  von  Geist- 
lichen und  Juristen  entscheiden  lassen.  Als  Mitglieder  derselben 
schlägt  er  sechs  französische  (einschliefslich  Besancon),  drei 
deutsche,  drei  italienische  Bischöfe  und  eine  Anzahl  Juristen 
vor.  ^  Clemens  ist  mit  dem  Modus  und  den  Personen  ganz  ein- 
verstanden, dem  Verdikte  habe  sich  der  für  unrechtmäfsig  Er- 
klärte zu  unterwerfen.  Als  Ort  und  Zeit  der  Versammlung 
bringt  er  Rom  und  den  Dreikönigstag,  6.  Januar  (1092),  in 
Vorschlag. 

Dem  stimmt  wieder  Urban  zu ,  dann  auch  der  Kaiser ,  der 
von  dieser  Übereinkunft  hört.  Er  erklärt :  wenn  einer  von  beiden 
als  der  rechtmäfsige  Papst  von  dieser  Versammlung  werde  an- 
erkannt werden,  so  wolle  er  dem  betreffenden  anhangen;  würden 
beide  verworfen,  so  wolle  er  den  anerkennen,  den  die  Versamm- 
lung zum  Nachfolger  wählen  würde,  und  ihn,  wenn  nötig,  mit  seinem 
Heere  unterstützen. 

Diese  Lösung  war  natürlich  bei  den  gegebenen  Verhältnissen 
unmöglich,  und  das  Gedicht  ist  ein  naiver  Ausdruck  der  frommen 
Wünsche  des  Verfassers,  symptomatisch  aber  für  das  Verlangen 
nach  Frieden,  das  sich  freilich  vergebens  aussprach. 

•Naturgemäfs  erstreckte  sich  der  Einflufs  des  Glückes  der  kaiser- 
lichen Waffen  auch  auf  Wiberts  Stellung.  Dieser  blieb  im  weiteren 
Verlaufe  des  Jahres  1090  bei  dem  Kaiser,  den  er  auch  auf  einem 
Streifzuge  in  die  Gegenden  am  unteren  Po  Ende  1090,  Anfang  1091 
begleitete.  Am  31.  Dezember  1090  und  am  6.  Januar  1091  ^  näm- 
lich urkundet  Heinrich  in  Padua,  am  19.  Januar  1091  ebenda 
Wibert'^,  dieser  in  paduanischen  Angelegenheiten.  Auf  Bitten 
der  Bischöfe  Milo  von  Padua  und  Robert  von  Faenza,  sowie  des 
Archidiakonen  von  Padua,  Petrus,  bestätigt  er  für  alle  Zeiten 
Existenz  und  Besitz  des  Nonnenklosters  St.  Peter  in  Padua  ^. 

In  dieselbe  Zeit  wird  eine  Urkunde  Wiberts  für  das  Nonnen- 
kloster St.  Stephan  in  der  Vorstadt  von  Padua  fallen,  die  ganz 
ohne  Datum  überliefert  ist,  aber  dieselben  Intervenienten,  Milo  von 
Padua  und  Robert  von  Faenza,  aufweist.  Auch  diesem  Kloster 
werden  sämtliche  Besitzungen  bestätigt  '^. 


^  Sollte  der  Verfasser  ein  Franzose  sein?  Jedenfalls  stimme  ich  Lehmann- 
Danzig,  Wido  16  zu,  dafs  er  Urban  geneigter  ist. 
'^  Stumpf  2905,  2906. 

3  Jaffe-L.  5332  u.  Addenda  II,  713  bei  Migne  CXLVIII,  838. 
*  S.  u.  S.  88  u.  Anm.  7  daselbst. 
^  Gloria,  Cod.  dipl.  Padovano  331,  Ja£fe-L.  II,  752  No.  5332  a. 


86    Von  der  Erhebung  Urbans  II.  zum  Papst  bis  zum  Abzüge  Heinrichs  IV.  etc. 

Nicht  lange  darauf  thaten  Heinrichs  Erfolge  ihre  Wirkung  in 
Ronij  die  Partei  Wiberts  daselbst  nahm  einen  Aufschwung,  wie 
noch  nie,  selbst  die  Engelsburg,  die  bis  dahin  noch  stets  von  den 
Gregorianern  behauptet  worden  war,  fiel  Anfang  1091  in  die  Hände 
der  Wibertisten.  Sofort  beriefen  diese  Wibert  in  die  Stadt  zurück  ^ 
Er  entsprach  ihrer  Aufforderung  auf  der  Stelle  und  zog  etwa  um 
dieselbe  Zeit  wieder  in  seine  Hauptstadt  ein  ^  zu  welcher  er  von 
Urban,  der  indessen  in  Unteritalien  von  einem  Orte  zum  anderen 
zog,  auf  der  Synode  von  Benevent  (28. — 31.  März  1091)  von  neuem 
mit  dem  Bannfluche  belegt  wurde  -. 

Das  ganze  Jahr  hindurch  hielt  er  sich  hier,  denn  Bernold  mufs 
zu  seinem  Schmerz  berichten,  dafs  Urban  das  Weihnachtsfest  1091 
aufserhalb  Roms  verlebt  habe,  da  Wibert  sich  bei  der  Peterskirche 
(domus  sancti  Petri)  dermafsen  verschanzt  habe,  dafs  er  nicht  leicht 
ohne  Blutvergiefsen  hätte  vertrieben  werden  können  •^;  solch  gewalt- 
sames Vorgehen  habe  aber  der  gutmütigen  Natur  Urbans  wider- 
strebt, der  mit  einem  Heere  sich  Roms  ohne  Mühe  hätte  bemäch- 
tigen können  ^,  d.  h.  wenn  er  eines  gehabt  hätte. 

Zum  Jahre  1092  berichten  nun  die  Annales  Ottenburani:  Wig- 
bertus  2:)apa  synodum  indixit,  quae  prorsus  contempta  est,  natürlich 
nur  von  den  Gegnern  ^.  Wohin  und  wann  des  näheren  diese  S}1iode 
berufen,  und  was  auf  ihr  verhandelt  worden  ist^  davon  kann  man 
sich  keine  Vorstellungen  machen,  da  die  eben  mitgeteilte  Nachricht 
die  einzige  Spur  ist,  die  wir  von  dieser  Versammlung  haben.  Viel- 
leicht kann  man  aus  der  Form  der  Nachricht  entnehmen,  dafs  die 
Synode  in  den  Kriegsläuften  nicht  zustande  gekommen  ist;  sie  wird 
vor  dem  Juni  angesetzt  werden  müssen,  da  Wibert  in  diesem  Monat 
nicht  mehr  in  Rom  und  dann  nach  kurzem  Aufenthalt  im  Raven- 
natischen  im  Kriegslager  Heinrichs  IV.  anwesend  war;  an  beiden 
letzteren  Orten  wird  sie  schwerlich  gehalten  oder  zu  halten  beab- 
sichtigt worden  sein. 

AVibert  verliefs  Rom  freiwillig,  denn  seine  Partei  besafs  noch 
bis  November  1093  die  Oberhand  und  konnte  Urban  von  Rom  fern- 
halten. Er  begab  sicli  zuerst  in  seine  Diözese,  während  Heinrich 
in  den  Apenninen  Mathildes  Burgen  belagerte ;  er  ahnte  wohl  nicht, 
dafs  er  Rom  nicht  wieder  betreten  würde.     Am  13.  Juni  urkundet 


1  Bern.  1091  SS.  V,  451. 

2  Bern.  1091  SS.  V,  451.  Jafte-L.  I,  653  u.  668. 

3  Bern.  1092  SS.  V,  453. 
*  Bern.  1091  SS.  V,  451. 

"^  Ann.  Ottenbur.  1092  SS.  V,  8.  S.  o.  S.  78. 


Von  der  Erhebung  Urbans  II.  zum  Papst  bis  zum  Abzüge  Heinrichs  IV.  etc.    87 

er  in  Cesena  zu  Gunsten  der  Kanoniker  von  Reggio,  deren  Be- 
sitzungen er  bestätigt  ^. 

Im  August  finden  wir  ihn  wieder  beim  Kaiser,  der  ja  längere 
Zeit  vor  der  Burg  Monteveglio  liegen  mufste  -,  ohne  sie  erobern  zu 
können.  Seine  Anwesenheit  ergiebt  sich  zunächst  aus  Donizo  ^;  weiter 
aus  einer  von  ihm  am  9.  August  1092  *  für  die  Abtei  St.  Deodat, 
d.  i.  St.  Die-en-Yosges  südöstlich  Luneville  ausgestellten  Urkunde. 
Als  Intervenient  wird  in  ihr  der  Kardinal  Anastasius  genannt  ^. 
Kanonikus  von  St.  Deodat,  der  erste,  den  Wibert  zum  Kardinal  ge- 
macht hatte.  Der  Papst  nimmt  die  Abtei  in  seinen  Schutz  und  be- 
stätigt ihre  Besitzungen  und  Hechte  ^.  Drei  Tage  darauf,  am  12.  Au- 
gust, thut  Kaiser  Heinrich  dasselbe,  und  zwar  obtentu  summi  ponti- 
ficis  ac  universalis  papae  tertii  Clementis  ',  womit  wir  ein  drittes 
Zeugnis  für  dessen  Anwesenheit  erhalten. 

Aber  schon  hatte  Heinrich  den  Höhepunkt  seiner  Machtent- 
wickelung erreicht,  ein  um  so  tieferer  Fall  folgte  ^.  Der  Oktober 
1092  war  der  Wendepunkt ;  nachdem  die  Belagerung  von  Monte- 
veglio hatte  abgebrochen  werden  müssen,  erlitt  Heinrich  eine  Nieder- 
lage bei  Canossa,  die  ihn  zum  Bückzug  hinter  den  Po  zwang,  über 
den  er  nicht  wieder  hinausgekommen  ist.  Rasch  folgten  harte  Schläge : 
im  Anfang  1093  der  Bund  lombardischer  Städte  gegen  ihn;  das 
Wiederaufleben  der  Pataria;  etwa  um  Ostern  1093  die  Empörung 
seines  ältesten  Sohnes  Konrad;  endlich  1094  die  Skandale,  welche 


1  Ja£fe-L.  5333  bei  Migne  CXLVIII,  839.  —  Um  dieselbe  Zeit  kann  auch 
die  Schenkungsurkunde  an  24  Kardinäle  von  ihm  ausgestellt  sein,  die  Fantuzzi, 
Mon.  Rav.  II,  289  No.  1  Reg.  erwähnt,  ohne  im  geringsten  nähere  Angaben  zu 
machen. 

~  Donizo  2,  616  ö".  SS.  XII,  392.         ^  Donizo  2,  622  ff.  SS.  XII,  392. 

^  Jaffe-L.  5334  bei  Pflugk-Harttung,  Acta  pontif.  I,  53. 

^  rogatu  Anastasii  apostolatus  nostri  primogeniti  cardinalis  et  dilectissimi 
filii,  ecclesiam  beati  Deodati,  cuius  ipse  canonicus  est .... 

^  Pflugk-Harttung  macht  S.  55  der  Acta  ganz  richtig  darauf  aufmerksam, 
dafs  die  corroboratio :  Quod  ut  certius  credatur  et  diiigentius  ab  omnibus  ob- 
servetur,  presentes  litteras  manus  nostre  signo  firmavimus  et  sigilli  nostri  im- 
pressione  corroborari  precepimus  auf  den  Einflufs  fremder  Kanzlei  zurück- 
zuführen sei.  Ich  denke  an  deutsche,  aus  der  kaiserlichen  Kanzlei  übernommene 
Beamte  (S.  u.  Exkurs  I  S.  130).  Ganz  ähnliche  corroboratio  (s.  Pflugk  S.  55) 
in  Jaffe-L.  5322  u.  5324  bei  Migne,  CXLVIII,  830  u.  831,  namentlich  in  5322. 
S.  auch  5323  bei  Savioli,  Ann.  Bologn.  I,  2,  133 ;  5326  im  Neuen  Archiv  II,  219. 
Und  nicht  nur  in  diesem  Punkte  zeigt  sich  Verwandtschaft  mit  der  kaiserlichen 
Kanzlei,  auch  in  anderen,  was  jedem  auffallen  wird,  der  die  Urkunde  liest. 

'  Stumpf  2915  bei  Duhamel,  Documents  de  Thist.  des  Vosges  II,  154.  S. 
Exkurs  II. 

»  Vgl.  Giesebrecht  III,  650—660. 


88    Voll  der  Erhebung  Urbans  II.  zum  Papst  bis  zum  Abzüge  Heinrichs  IV.  etc. 

seine  zweite  Gemahlin  Adelheid,  eine  Russin,  gegen  ihn  erregte.  Er 
mufste  gar  hinter  die  Etsch  weichen,  seine  Sache  war  gänzlich  ver- 
loren, er  hatte  keine  namhaften  Anhänger  mehr  und  war  zur  Ohn- 
macht verdammt. 

Diesen  Umschwung  der  Dinge  erlebte  AVibert  in  Heinrichs  Nähe. 
Um  Weihnachten  1092  waren  beide  in  der  Lombardei  ^,  Weihnachten 
1093  in  Verona  ^.  Sie  waren  in  der  entsetzlichsten  Stimmung,  vor 
allem  natürlich  Heinrich,  der  an  Selbstmord  gedacht  haben  soll  ^. 
Wibert  aber  erklärte  sich  bereit,  auf  sein  Papsttum  zu  verzichten, 
wenn  der  kirchliche  Friede  anders  nicht  hergestellt  werden  könne  ^. 
Dazu  war  es  nun  zu  spät.  Seine  Lage  wird  ihm  um  so  unerträg- 
licher gewesen  sein,  als  er  sich  von  seiner  Diözese  ausgeschlossen 
sah;  dort  hatte  er  wohl  genug  Anhänger,  aber  er  durfte  Heinrich 
nicht  verlassen,  der  wieder  seine  Verbindung  mit  Deutschland  nicht 
aufgeben  konnte.  Ravennatische  Urkunden  AViberts  haben  wir  aus 
all  diesen  Jahren  nicht. 

Und  das  Ende  dieser  Leidenszeit  war  nicht  abzusehen.  Drei 
lange  Jahre  noch  (1094,  95,  96)  war  Heinrich,  fast  von  allen  ver- 
lassen, eingezwängt  im  Osten  Italiens  zwischen  der  Etsch,  über  die 
er  nur  selten  und  wenig  hinauskam,  und  den  Alpen,  zwischen  Ma- 
thilde und  AVelf'\  AVährend  dieser  ganzen  Zeit  war  AVibert  bei 
ihm,  ebenso  ohne  Macht  und  Ansehen,  wie  Heinrich  ohne  Heer. 
Die  einzige  Spur,  die  man  von  seinem  Dasein  in  diesen  Jahren  hat, 
ist  die,  dass  er  wiederholt  als  Intervenient  in  kaiserlichen  Urkunden 
genannt  wird. 

Im  März  1095  waren  beide  in  Padua;  denn  in  einer  Urkunde 
aus  dieser  Zeit,  durch  welche  dem  Bistum  Basel  die  Abtei  Pfeffers 
geschenkt  wird,  heifst  es:  grato  interventu  domini  G.  (wohl  C.) 
apostolici  ^ ;  nach  dem  Mai  (vielleicht  im  Juni)  1095  in  Verona,  wo 
Heinrich  u.  a.  auch  auf  Bitten  AViberts  (venerabilis  domini  papae 
Clementis  interventu)  das  Nonnenkloster  St.  Peter  zu  Padua  und 
dessen  Besitzungen  in  seinen  Schutz  nimmt ".  AA^ahrscheinlich  fällt 
in  den  Mai  des  Jahres  1095  noch  eine  Urkunde  ohne  Orts-  und  Zeit- 
angabe, in  der  aber  Bischof  AValbrun  von  Verona  als  Kanzler  ge- 
nannt wird,  der  als  solcher  nur  im  Mai  und  Juni  1095  nachweisbar 


'  Bern.  1093  SS.  V,  455.         ^  Bern.  1094  SS.  V,  457. 

^  Bern.  1093  SS.  V,  456.        *  Bern.  1094  SS.  V,  457. 

■^  Vgl.  Giesebrecht  III,  673-676. 

^  Stumpf  2928  bei  Herrgott,  Genealogia  Habsburg.  II,  130  und  bei  Trouillat, 
Mon.  de  Bäle  I,  210;  Jaffe-L.  II,  752. 

^  Ja£fe-L.  I,  654.  Stumpf  2931.  Es  ist  dasselbe  Kloster,  für  welches  Wibert 
am  19.  Januar  1091  urkundete  (Jaffe-L.  5332).     S.  o.  S.  85. 


Von  der  Erhebung  Urbans  II.  zum  Papst  bis  zum  Abzüge  Heinrichs  IV.  etc.    89 

ist.  Es  werden  in  der  Urkunde  sämtliche  Privilegien  des  Bistums 
Padua  bestätigt;  unter  den  Intervenienten  befindet  sich  dominus 
Clemens  apostolicus  ^ 

Aus  dem  Jahre  1096  haben  wir  dann  noch  ein  urkundliches 
Zeugnis  in  einer  Schenkungsurkunde  für  Erzbischof  Liemar  von 
Bremen-Hamburg  -.  Die  Schenkung,  heifst  es  da,  sei  schon  in  puri- 
ficatione  sanctae  Mariae  (2.  Februar)  in  Verona  gemacht  worden,  da- 
mals sei  Papst  Clemens  nicht  anwesend  gewesen;  jetzt  werde  darüber 
eine  Urkunde  ausgestellt  und  zwar  in  Padua  presente  et  laudante 
ac  confirmante  domno  papa  Clemente.  Dies  mufs  zwischen  dem  1.  April 
(wegen  anno  imperante  XIII)  und  dem  I.  September  (wegen  ind.  IV) 
geschehen  sein,  näher  läfst  sich  die  Zeit  nicht  bestimmen. 

V^ährend  dieser  langen  gezwungenen  Unthätigkeit  Heinrichs 
und  Wiberts  konnten  die  Gegner  um  so  energischer  vorgehen. 
Nachdem  Mathildes  Waffen  den  Sieg  der  päpstlichen  Partei  ent- 
schieden hatten,  und  es  Urban  im  November  1093  gelungen  war, 
sich  wieder  in  Rom  festzusetzen,  trat  er  jene  berühmte  Reise 
an  ^,  welche  die  ganze  Welt  in  Bewegung  setzen  sollte,  und  deren 
hervorragendste  Staffeln  die  Konzilien  von  Piacenza  (März  1095) 
und  Clermont  (November  1095)  sind  *.  Auch  hierin  folgte  er 
den  Fufsstapferi  Gregors.  Den  Zug  der  Zeit  erkennend,  hat  er  es 
verstanden,  ihn  für  seine  Zwecke,  für  die  römische  Kirche  auszu- 
nutzen und  in  deren  Dienst  zu  stellen.  Und  wohl  wird  er  sich  be- 
wufst  gewesen  sein,  in  einen  wie  unendlichen  Vorteil  er  gegenüber 
den  kirchlichen  Gegnern  damit  sich  setzte.  Freilich  traf  er  während 
dieser  Reise  auf  den  Konzilien  und  sonst  noch   eine  Fülle  ander- 

^  Jaffe-L.  I,  654.     Stumpf  2994.         ^  Jaffe-L.  I,  654.     Stumpf  2934. 

3  Vgl.  Giesebrecht  III,  661—672. 

*  Während  dieser  Reise .  vielleicht  zur  Zeit  des  Aufenthaltes  Urbans  in 
Poitiers  (Januar  1096)  (Jaffe-L.  I,  684)  sind  wohl  jene  Verse  an  Wibert  ent- 
standen, die  Wilhelm  von  St.  Hilarius  zu  Poitiers  zum  Verfasser  haben.  Aus- 
beute für  die  Geschichte  Wiberts  ergeben  sie  nicht,  sie  enthalten  eine  Ermah- 
nung, den  betretenen  Weg  zu  verlassen,  umzukehren  und  bei  Urban  Verzeihung 
nachzusuchen,  von  dem  (v.  19)  gesagt  wird : 

Est  pius  indultor,  tamen  equo  criminis  ultor. 
Die  Verse  sind  neuerdings  mit  orientierenden  Bemerkungen  von  L.  Weiland  in 
den  Roman.  Forschungen  I,  418  herausgegeben;  hinzuzufügen  wäre  etwa,  dafs 
man  sie  auch  bei  Migne  GL,  1573  gedruckt  finden  kann. 

Von  Wibert  heifst  es  u.  a.  v.  11 : 

Stat  merito  Demens  nomen  tibi,  stat  male  Clemens. 
Dieses  Wortspiel  mufs  damals  beliebt  gewesen  sein.     Cfr.  Deusdedit  contra  in- 
vas.  2,  12  bei  Mai,  Nova  patrum  bibl.  VII,  3,  94:    Idem  vero  Guibertus,    qui 
multo  rectius  papa  demens ,  quam  papa  Clemens  dici  debuit  etc.     Ihm  schreibt 
es  Petrus  Casin.  3,  70  SS.  VII,  751  nach. 


90    Von  der  Erhebung  Urbans  II.  zum  Papst  bis  zum  Abzüge  Heinrichs  IV.  etc. 

weitiger  Verordnungen  allgemeiner  und  spezieller  Natur^  doch  ist 
die  Kreuzzugsfrage  die  Hauptsache.  Naturgemäfs  aber,  wenn  auch 
nicht  mehr  in  erster  Reihe,  wurde  der  Gegner  in  gewohnter  "Weise 
gedacht,  d.  h.  sie  wurden  exkommuniziert. 

Dies  hatte  schon  vor  Urbans  Reise  der  energische  päpstliche 
Legat  in  Frankreich,  Erzbischof  Hugo  von  Lyon,  am  16.  Oktober 
1094  auf  einem  französischen  Konzil  in  Autun  getlian,  wo  er  ähnlich 
wie  einst  Otto  von  Ostia  in  Quedlinburg  (s.  S.  63)  Kaiser  Heinrich, 
Wibert  und  alle  Anhänger  derselben  mit  dem  Banne  belegte  ^  Urban 
selbst  erneuerte  den  Bann  über  Heinrich,  Wibert  und  deren  An- 
hänger auf  der  Synode  zu  Piacenza  im  März  1095  ^  Ausdrücklich 
wird  uns  von  gleichzeitigen  Autoren  zwar  dasselbe  nicht  berichtet 
von  den  Konzilien  von  Clermont  (November  1095)  und  Tours  (März 
1096);  da  aber  auf  beiden  Urban  die  Beschlüsse  bezw.  von  Piacenza 
und  der  vorhergegangenen  Konzilien  bestätigte,  ist  es  wohl  inbe- 
griffen ^.  Dazu  weifs  wenigstens  der  etwas  spätere  Wilhelm  von 
Malmesbury  (-j-  1141),  dafs  in  Clermont  Heinrich  und  Wibert  ge- 
bannt worden  seien  ^. 

Im  Dezember  1096  traf  Urban  gleichzeitig  mit  den  ersten  Kreuz- 
fahrern wieder  in  Rom  ein  '\  Von  Wiberts  Stellungnahme  zum  Kreuz- 
zugsgedanken hören  wir  gar  nichts  und  sind  rein  auf  Vermutungen 
angewiesen.  Da  auf  ihm  die  Hauptstärke  seiner  Gegner  beruhte, 
konnte  er  ihm  nicht  günstig  gesinnt  sein,  dem  entsprechend  mifs- 
handelten  seine  Anhänger  in  Rom  die  Kreuzfahrer  ^.  Gleichwohl 
wird  er  sich  ihm  offen  schwerlich  entgegengesetzt  haben,  abgesehen 
davon,  dafs  ihm  die  Macht  dazu  fehlte;  denn  die  Zeitgenossen  waren 
meistens  so  sehr  von  dem  Gedanken  ergriffen ,  dafs  Wibert  seine 
ohnehin  schlechte  Stellung  damit  nur  noch  mehr  erschüttert  haben 
würde.  Aufgreifen  konnte  er  ihn  aber  auch  nicht,  da  Deutschland, 
das  doch  seine  Hauptstütze  hätte  bilden  müssen,  sich  damals  noch 
den  Kreuzzügen  gegenüber  gleichgültig  verhielt,  und  da  er  in  Frank- 
reich, wo  die  gröfste  Begeisterung  für  dieselben  herrschte,  keine 
Anhänger  hatte. 


1  Bern.  1094  SS.  V,  461.     Giesebrecht  III,  662. 

2  Bern.  1095  SS.  V,  461.     Donizo  2,  766  ff.  SS.  XII,  394.    Giesebrecht  III, 
663.     Cfr.  Jaffe-L.  I,  677  u.  No.  5538. 

»  Bern.  1095  SS.  V,  463  f.  u.  1098  SS.  V.  464.     Cfr.  Jaffe-L.  I,  681  u.  685. 
■*  Will.  Mahnesb.,  Gresta  regum  Angl.  4,  345  ed.  Hardy  II,  526. 
^  Über  die  römischen  Verhältnisse  siehe  das  Nähere  unten  S.  93  ff. 
«  S.  u.  S.  94. 


Vom  Abzüge  Heinrichs  IV.  aus  Italien  im  Jahre  1097  bis  zu  Wiberts  Tod.    91 

Neuntes  Kapitel. 

Yoin  Abziige  Heinriclis  IV.  aus  Italien  im  Jalire  1097  bis  zu 

Wiberts  Tod. 

Das  Jahr  1097  brachte  Heinrich  und  Wibert  Erlösung  aus  ihrer 
Lage  ^.  Infolge  einer  Versöhnung  mit  den  Weifen  wurden  die  Alpen- 
pässe frei  und  Heinrich  konnte  im  Frühjahr  nach  Deutschland  zu- 
rückkehren ;  er  nahm  das  Bewufstsein  mit,  dafs  seine  Macht  in  Italien 
vernichtet  war.  In  den  nächsten  Jahren  gelang  es  ihm  zwar,  mit 
den  deutschen  Fürsten  ein  Einvernehmen  zu  erzielen,  aber  nur  wegen 
der  allseitigen  Erschöpfung  und  Sehnsucht  nach  Ruhe.  Und  wurde 
er  auch  von  den  Fürsten  als  Kaiser  anerkannt,  so  war  die  mit  dieser 
AVürde  verbundene  Machtfülle  gering,  zwischen  Kaiser  und  Fürsten 
bestand  mehr  ein  Vertrags-,  denn  ein  Unterthanenverhältnis.  Dazu 
herrschte  eine  höchst  betrübende  öffentliche  Unsicherheit  im  Reiche, 
der  Heinrich  nicht  zu  steuern  vermochte.  So  war  er  daheim  genug- 
sam beschäftigt  und  nicht  imstande,  sich  irgendwie  thätigum  seinen 
Papst  in  Italien  zu  bekümmern.  Sein  trauriges  Ende  liegt  aufser- 
halb  der  Zeit,  die  wir  zu  betrachten  haben. 

Wibert  war  seit  1097  ganz  auf  sich  und  die  Hülfsquellen  an- 
gewiesen, die  ihm  Italien  zu  bieten  vermochte.  Als  er  sich  von 
Heinrich  getrennt  hatte,  gelang  es  ihm,  endlich  in  sein  Erzbistum 
zurückzukehren,  das  er  seit  5  Jahren  nicht  hatte  betreten  können. 
In  seinem  Sprengel  hielt  er  sich  bis  zum  Sommer  1099  auf  und 
stärkte  langsam  in  steter  Arbeit  seine  Kräfte ;  und  während  es  schien, 
als  ob  das  Jahr  1097  seinen  Ansprüchen  gründlich  ein  Ende  be- 
reitet habe,  gelang  es  ihm  doch  noch  wieder,  eine  Rolle  zu  spielen. 

Wie  unsicher  zu  Anfang  seine  Lage  war,  zeigt,  dafs  er  sich  in 
einem  stark  verschanzten  Kastell  zu  Argenta  am  Po  festsetzte  -, 
wodurch  er  den  Übergang  über  diesen  Flufs  hinderte.  Aber  auch 
dieses  verlor  er  Ende  1097  oder  Anfang  1098  ^,  ohne  dafs  er  bei  der 
Eroberung  durch  die  Gegner  noch  anwesend  war  ^  Doch  konnten 
diese  ihren  Erfolg  nicht  ausnutzen.  Wibert  entfaltete  eine  lebhafte 
Thätigkeit,  seine  Stellung  immer  fester  zu  machen,  wie  wir  aus  den 
noch  vorhandenen  Spuren  deutlich  erkennen  können. 


^  Vgl.  Giesebrecht  III,  675  ff. 

^  Deusdedit  contra  invas.  2,  12  bei  Mai,  Nova  patrum  bibl.  VII,  3,  94.  Hier- 
nach Petrus  Casin.  3,  70  SS.  VII,  750  f.,  der  Deusdedit  2,  11  u.  12  sinnlos  ver- 
schmolzen hat.  Vgl.  Giesebrecht,  Münch.  histor,  Jahrbuch  1866  S.  185  f.  und 
KZ.  III,  1166  u.  1181. 

•''  Bern.  1098  SS.  V,  465.         *  Cfr.  Bertoldi,  Mem.  stör.  d'Argenta  II,  170. 


92     Vom  Abzüge  Heinrichs  IV.  aus  Italien  im  Jahre  1097  bis  zu  Wiberts  Tod. 

Als  er  am  22.  September  1097  in  Cesena  weilte  \  war  er  von 
zweien  seiner  Suffragane,  Bischof  Morand  von  Imola  und  Bischof 
Wido  von  Ferrara,  und  einer  ganzen  Anzahl  weltlicher  Grofser  um- 
geben. Und  der  beurkundete  Vorgang  war  auf  die  Stärkung  seiner 
Macht  gerichtet:  Ugolinus  nämlich,  der  Sohn  jenes  Grafen  Wido  von 
Imola,  an  den  sich  einst  Gregor  in  der  Imolensischen  Streitsache 
gewendet  hatte  ^,  schwört  ihm  Treue,  sicut  vassallus  solet  iurare  do- 
mino  suo ;  dafür  dafs  er  seinen  Eid  halten  werde,  leistet  er  Bürg- 
schaft, indem  er  gewisse  Besitzungen  an  Land  zu  Händen  Wiberts 
deponiert.  Weil  er  frei  über  die  Güter  verfügt,  wird  der  alte  Graf 
Wido  verstorben  sein.  Für  1098  wird  eine  umfassende  Thätigkeit 
Wiberts  durch  Bubeus  bezeugt,  der  viele  Urkunden  aus  diesem  Jahre 
gesehen  hat"',  die  sich  auf  Güterverleihungen  beziehen;  erhalten  sind 
uns  zwei,  die  Wiberts  Anwesenheit  in  Ravenna  am  15.  Mai  und  am 
9.  Juni  1098  verbürgen  *,  beide  überweisen  Güter  an  sonst  unbekannte 
Eingesessene,  die  vom  15.  Mai  unter  dem  Vorbehalt,  dafs  der  Em- 
pfänger, Petrus  de  Berta,  nichts  gegen  die  Bavennatische  Kirche  unter- 
nehme.    Sonst  läfst  sich  für  Wibert  nichts  aus  ihnen  gewinnen. 

Schon  im  Frühjahr  1098  war  er  in  der  Lage,  einen  der  hervor- 
ragendsten Anhänger  Urbans,  Anselm  von  Canterbury,  der  nach  Rom 
reisen  wollte,  ernstlich  in  die  Furcht  zu  versetzen,  dafs  er  könnte 
abgefangen  werden.  Anselms  Begleiter  Eadmer  erzählt  nämlich  ^ : 
Supererat  quoque  ea  tempestate  Wibertus  archiepiscopus  Ravennas, 
qui  de  apostolatu,  quem  contra  ius  invaserat,  pulsus,  omni  religiosae 
personaeRomam  petenti  per  se  suosque  modis  quibus  j)oterat  struebat 
insidias.  Unde  quidam  episcopi,  monachi  et  religiös!  clerici .  ea 
seviente  persecutione,   capti,   spoliati  multisque  contumeliis  affecti, 

necati  sunt Der  Erzbischof  entging  freilich  diesen  Fährlich- 

keiten.  Noch  mehr  aber  mufs  man  sich  wundern,  dafs  Wibert  daran 
denken  konnte  und  dazu  aufforderte,  am  9.  Oktober  1098  eine  Synode 
in  Vercelli  zu  halten  ^,  auf  der  die  Angelegenheit  des  Erzbischofs 
Ruthard  von  Mainz  vorkommen  sollte,  von  welcher  weiter  unten  die 
Rede  sein  wird ;  ob  sie  zusammengetreten  ist,  wissen  wir  nicht. 


1  Mittarelli,  Ann.  Camald.  III,  56  und  Fantuzzi,  Mon.  Kav.  IV,  228.  Cfr. 
Jafife-L.  I,  654. 

•^  S.  o.  S.  23.         ^  Rubeus,  Hist.  Kav.  315. 

*  G-edruckt  bei  Amadesi,  Antist.  Rav.  II,  345  u.  346;  s.  daselbst  8.  188. 
Cfr.  Fantuzzi,  Mon.  Rav.  II,  419  No.  16  Reg. 

^  Eadmeri  bist.  nov.  in  Anglia  lib.  2  SS.  XIII,  140;   vgl.  S.  141    daselbst. 

6  Jaffe-L.  5337  im  cod.  Udalr.  89  bei  Jafte,  Bibl.  V,  174;  vgl.  Giesebrecht 
III,  694  u.  1182. 


Vom  Abzüge  Heinrichs  IV.  aus  Italien  im  Jahre  1097  bis  zu  Wiberts  Tod.     93 

Und  im  Sommer  1099  fühlte  er  sich  gar  stark  genug,  einen  Zug 
gegen  Rom  zu  unternehmen  \.  wo  er  erst  kurz  vorher,  auf  der  Synode 
vom  Ende  April  1099,  von  Urban  noch  einmal  und  zum  letzten  Male 
mit  dem  Banne  belegt  worden  war  ^. 

Wir  müssen  uns  kurz  unterrichten,  wie  sich  seit  der  ersten 
Hälfte  des  Jahres  1092,  seitdem  Wibert  Rom  verlassen  hatte,  die 
Lage  der  Stadt  und  der  Anhänger  Wiberts  in  ihr  gestaltet  hatte  '^ 
Noch  bis  Ende  1093  behaupteten  sich  diese  im  Alleinbesitze  Roms  *, 
und  Urban  mufste  Weihnachten  1092  auswärts  feiern.  Heinrichs 
sich  drängende  Niederlagen  brachten  auch  hier  einen  Umschwung 
hervor,  freilich  erst  ganz  allmählich;  seit  den  Tagen  Robert Gruiscards 
war  die  Partei  der  Gregorianer  noch  nie  wieder  recht  zu  Kräften 
gekommen.  Am  2.  November  1093  konnte  Urban  aus  Alatri  den 
südfranzösischen  Bischöfen  und  Abten  schreiben  '',  er  hoffe ,  dafs 
demnächst  die  Freiheit  des  apostolischen  Stuhles  werde  wiederher- 
gestellt werden. 

W^irklich  gelangte  er  zwischen  dem  20.  und  24.  November  1093 
nach  Rom  hinein,  ohne  dafs  er  ein  Heer  bei  sich  hatte,  und  feierte 
dort  Weihnachten  ^  Im  Anfange  aber  glich  seine  Lage  sehr  der 
von  1088/89,  noch  waren  die  Wibertisten  stärker  als  er;  indes  ver- 
mochten sie  nicht,  seinen  Verkehr  mit  der  Aufsenwelt  ganz  zu  hindern; 
Bischof  Ivo  von  Chartres  z.  B. ,  der  mit  ihm  in  Rom  eingezogen 
war,  konnte  ihn  im  Januar  1094  ungehindert  verlassen  ^,  Abt  Gottfried 
von  Vendome  bald  darauf,  zur  Fastenzeit,  freilich  im  Schutze  der 
Nacht  zu  ihm  gelangen  ^.    Urban  hielt  sich  in  einer  Befestigung  des 


^  Eine  direkte  Nachricht,  dafs  Wibert  diesen  Zug  angetreten  habe,  besitzen 
wir  nicht.  Zu  dem  Schlüsse,  dafs  er  schon  im  Sommer  1099  vor  Rom  stand, 
berechtigt  die  Datierung  von  Ja£fe-L.  5389:  Data  per  manus  Tiedrici  Albanensis 
episcopi  IV.  Kai.  Augusti,  defuncto  Urbano  VI.  Kai.  Augusti  sine  viatico 
corporis  et  sanguinis  Domini.  Urbans  Todestag  ist  aber  irrig  angegeben,  es  ist 
der  29.,  nicht  der  27.  Juli ;  Wibert  hat  wohl  ein  verfrühtes  Todesgerücht  gehabt, 
jedenfalls  konnte  er  nur  vor  Rom  dieses  Ereignis  so  schnell  erfahren. 

2  Jafie-L.  I,  700.  Bern.  1099  SS.  V,  466.  Vgl.  im  allgemeinen  Eadmeri 
hist.  nov.  lib.  2  SS.  Xill,  143  (vita  Ans.  2,  49)  und  Will.  Malmesb.,  Gesta  pont. 
Angl.  lib.  1  ed.  Hamilton  S.  103.     Giesebrecht  III,  692. 

^  Vgl.  aufser  Giesebrecht  auch  Gregorovius,  Geschichte  der  Stadt  Rom^ 
IV,  260  ff. 

*  Bern.  1093  SS.  V,  455.         &  Jaffe-L.  5494  bei  Migne  CLI,  368. 

«  Jaffe-L.  5498,  5499  I,  673,  674.  Bern.  1094  SS.  V,  457  f.  Ivo  Carnot. 
epist.  27  bei  Migne  CLXII,  40.  Goffr.  Vindocin.  epist.  1,  8  nach  Sirmonds 
Ausgabe  bei  Migne  CLVII ,  48  und  bei  Watterich ,  Vitae  pont.  I,  590.  Giese- 
brecht III,  654  u.  1177. 

'  Ivo  Carnot.  epist.  27  a.  a.  O. 

^  Goffr.  Vindocin.  epist.  I,  8  a.  a.  0.     Dagegen  fiel  ein  Gesandter  des  Her- 


94     Vom  Abzüge  Heinrichs  IV.  aus  Italien  im  Jahre  1097  bis  zu  Wiberts  Tod. 

Johannes  Frangipani  bei  der  Kirche  Sancta  Maria  Nova  am  Palatin 
auf.  Seine  Gegner  befanden  sich  namentlich  noch  im  Besitze  des 
Lateran  und  der  Engelsburg,  von  letzterer  aus  beherrschten  sie  die 
Tiberbrücke  zwischen  der  Leostadt  und  dem  jenseitigen  Rom. 

Die  eine  dieser  Positionen  gelangte  noch  Ostern  1094  in  Urbans 
Gewalt;  der  Befehlshaber  des  Lateran  nämlich,  Ferruccio,  begann 
einzusehen,  dafs  von  Heinrich  und  Wibert  nicht  mehr  viel  zu  er- 
hoffen sei.  So  wandte  er  sich  14  Tage  vor  Ostern,  am  26.  März 
1094,  durch  Unterhändler  an  Urban  und  erklärte  sich  zur  Übergabe 
des  Lateran  bereit,  wenn  man  ihn  mit  Geld  abfinde.  Urban  hatte 
indes  nur  viele  Schulden,  aber  kein  Geld.  Da  war  Abt  Gottfried 
von  Vendome  ein  Better  in  der  Not  —  worauf  er  sich  nachmals 
nicht  wenig  zu  gute  that  — ,  er  schaffte  das  Geld,  und  Urban  ge- 
hörte der  Lateran  \ 

Dafs  der  Papst  im  Sommer  1094  die  Stadt  verliefs,  um  seine 
grofse  Beise  nach  Oberitalien  und  Frankreich  anzutreten  '-,  darf  ge- 
wifs  als  ein  Anzeichen  dafür  betrachtet  werden,  dafs  nach  Urbans 
Meinung  die  Bömer,  noch  zu  grofsem  Teile  wibertistisch  gesinnt, 
vielleicht  die  Kraft  haben  würden,  ihm  die  ganze  Stadt  wieder  ab- 
wendig zu  machen,  dafs  aber,  selbst  dies  Aufserste  von  Ungunst 
gesetzt,  der  allgemeine  Gang  der  Dinge  dadurch  nicht  würde  auf- 
gehalten werden  können.  Er  überliefs  Bom  sich  selbst  in  der  Er- 
wartung, dafs  es  ihm  schon  zufallen  werde,  wenn  erst  die  anderen 
seine  Anhänger  wären.  Die  Bechnung  trog  nicht.  Freilich  erhoben 
während  seiner  Abwesenheit  die  Wibertisten  ihr  Haupt  kühner,  noch 
besafsen  sie  die  Engelsburg  und  St.  Peter.  Es  kam  wiederholt  zu 
Kämpfen  zwischen  den  beiden  Parteien.  Das  hatten  gegen  Ende 
1096  französische  Kreuzfahrer  bitter  empfinden  müssen,  welche  in 
St.  Peter  ihre  Andacht  halten  wollten,  ehe  sie  die  Beise  antraten: 
sie  wurden  von  den  Wibertisten  beraubt  und  mifshandelt  '^     Bald 


zogs  Berthold  von  Zähringen  und  des  Bischofs  Gebhard  von  Konstanz,  ein 
schwäbischer  Abt,  in  die  Gefangenschaft  der  Gegner,  als  er  die  Tiberbrücke 
überschreiten  wollte.     Bern.  1094  SS.  Y,  458. 

^  Goffr.  Vindocin.  epist.  1,  8  a.  a.  O.  Vgl.  auch  epist.  1,  9  u.  14  bei  Migne 
GL VII,  51  u.  55.  Nach  1,  9  war  auch  Petrus,  der  Sohn  Leos,  an  der  Wieder- 
gewinnung des  Lateran  in  hervorragender  "Weise  beteiligt.  —  Xach  1,  14  erhielt 
Gottfried  von  Urban  für  seine  Dienste  die  Kirche  der  heiligen  Prisca  am  Aventin 
zurück,  welche  seine  Vorgänger  schon  lange  besessen  hatten.  Da  sie  aber  Wibert 
nicht  hatten  gehorchen  wollen,  waren  sie  verjagt  worden.  Mit  der  Kirche  war 
die  Kardinals  würde  verbunden.  Näheres  in  der  ausführlichen  Anm.  37  bei  Migne 
GL VII,  49  u.  52.  —  Ja£fe-L.  I,  674,  675.     Giesebrecht  III,  656  u.  1177. 

-  Ja£fe-L.  I,  675. 

^  Fulcherius  Carnot.,  Hist.  Hierosol.  1,  2  bei  Duchesne,  Script,  hist.  Franc. 


Vom  Abzüge  Heinrichs  IV.  aus  Italien  im  Jahre  1097  bis  zu  Wiberts  Tod.     95 

darauf  kehrte  Urban  zurück  ^,  begleitet  von  neuen  Scharen  von 
Kreuzfahrern,  so  dafs  er  ohne  jeden  Kampf  einzog.  In  einem  Schrei- 
ben aus  den  ersten  Monaten  des  Jahres  1097  an  Hugo  von  Lyon 
sagt  er,  dafs  er  feierlich  eingeholt  worden  sei,  die  Stadt  zum  gröfsten 
Teil  besitze,  im  Lateran  eine  Synode  gehalten  habe  und  sich  von 
den  Bürgern  und  Regionen  einen  Eid  habe  schwören  lassen  ^.  Das 
Weihnachtsfest  1096  hatte  er  in  Rom  glanzvoll  gefeiert  ^.  Nur  ein 
Punkt  noch  befand  sich  in  den  Händen  der  Wibertisten,  nämlich 
die  Engelsburg  ^  Es  herrschte  also  jetzt  das  umgekehrte  Verhält- 
nis wie  1083 — 1091,  als  die  Engelsburg  die  letzte  Stütze  der  Gre- 
gorianer  gewesen  war.  Es  war  das  immerhin  eine  starke  Stellung, 
und  wir  dürfen  wohl  annehmen,  dafs  die  Besatzung  der  Burg  Urban 
manchen  schweren  Tag  bereitet  hat. 

Die  Lage  blieb  unverändert  bis  zum  August  1098.  Den  weitaus 
gröfsten  Teil  von  1097  verbrachte  Urban  in  Rom,  wo  er  auch  das 
Weihnachtsfest  beging  ^.  Ebenso  die  erste  Hälfte  von  1098,  wäh- 
rend er  zur  Ordnung  der  unteritalienischen  Angelegenheiten  vom 
Juni  bis  November  1098  im  Süden  Italiens  sich  aufhielt^.  Wäh- 
rend seiner  Abwesenheit  gelang  es  seiner  Partei,  einen  grofsen  Er- 
folg zu  erringen  und  den  Wibertisten  einen  Schlag  zu  versetzen, 
dessen  Folgen  noch  Wibert  bei  seinem  Erscheinen  vor  Rom  zu 
spüren  hatte. 

Noch  kurz  vor  ihrem  Falle  hatten  die  Wibertisten  stolze  Be- 
schlüsse gefafst.  Am  5.,  6.  und  7.  August  1098  nämlich  versam- 
melten sich  hohe  Geistliche,  darunter  die  Kardinalbischöfe  von 
Silva-Candida,  Ostia  und  Palestrina,  ein  Teil  des  anderen  Klerus, 
des  Adels  und  des  Volkes  von  Rom  und  verdammten  noch  einmal 
die  bereits  früher  verworfenen  Ketzereien  Hildebrands  und  seiner 
Anhänger,  die  Schismatiker  seien;  sie  beriefen  die  Gegner  zur  Ver- 
antwortung auf  eine  Synode  um  deii  1.  November  und  gewähr- 
leisteten ihnen  bis  dahin  Sicherheit ,  zu  kommen  und  zu  gehen, 
soweit  dies  in  ihrer  Macht  stehe  '.     Dies  blieb  eine  Demonstration 


IV,  820  und  bei  Bongars ,  Gesta  Dei  per  Francos  385 ,  auch  bei  Bouquet ,  Re- 
cueil  XIV,  685  Anna.  b.  Cfr.  Tudebodus,  Hist.  de  Hieros.  itin.  Hb.  1  bei  Du- 
chesne,  a.  a.  0.  IV,  778  u.  a.  Vgl.  Giesebreclit  III,  673 ;  von  Sybel,  Greschichte 
des  ersten  Kreuzzuges  332. 

'  Jaffe-L.  I,  690. 

"  Jaffe-L.  5678.  Cfr.  Otto  Frising.  chron.  7,  6  SS.  XX,  251  und  Donizo  2, 
818  ff\  SS.  XII,  395  f.     Giesebrecht  III,  673  u.  1179. 

3  Bern.  1097  SS.  V,  465.        ■»  Otto  Fris.  a.  a.  0.     Bern.  1097  a.  a.  0. 

5  Bern.   1098  SS.  V,  465.         ^  jaffe-L.  I,  691-694.     Giesebrecht  III,  688  ff. 

"  S.  das  Manifest  der  Versammelten :  omnibus  deum  timentibus  et  salutem 
Romanae  reipublicae  diligentibus  vom  7.  August  1098  bei  Sudendorf,  Registrum 


96     Vom  Abzüge  Heinrichs  IV.  aus  Italien  im  Jahre  1097  bis  zu  Wiberts  Tod. 

ohne  Folgerij  die  Synode  konnte  nicht  gehalten  werden^  denn  wenige 
Tage  darauf,  am  10.  August,  verlor  die  Partei  Wiberts  ihren  letzten 
festen  Stützpunkt,  die  Engelsburg  ^,  wie  es  scheint,  durch  Verrat - 
und  Bestechung.  Bald  darauf,  im  November,  kehrte  Urban  nach 
Rom  zurück  und  weilte  hier  bis  an  sein  Lebensende  (29.  Juli  1099)^. 
Nur  darf  man  nicht  glauben,  dafs  er  ruhig  und  sicher  sein  konnte ; 
er  starb  in  der  Burg  des  Petrus  Leonis  und  wurde  mit  Anwendung 
von  Vorsichtsmafsregeln  bestattet  ^.  Denn  noch  immer  hielt  ein 
grofser  Teil  der  Bürgerschaft  es  mit  Wibert,  dem  Vertreter  der 
kaiserlichen  Sache  ^  Und  nun  erschien  dieser  bei  solcher  Lage  der 
Dinge  im  Sommer  1099  kurz  vor  Urbans  Tode  vor  den  Thoren  der 
Stadt. 

Das  Griück  war  ihm  günstig,  da  es  ihn  dergestalt  von  seinem 
Gegner  plötzlich  befreite  ^  Nun  aber  zeigten  sich  die  Nachwirkungen 
der  Niederlage  vom  August  1098.  Hätten  seine  sonst  so  zahlreichen 
Anhänger  in  Rom  sich  im  Besitze  eines  festen  Mittelpunktes,  wie 
die  Engelsburg  war,  noch  befunden,  so  wäre  eine  Kooperation  zu 
ermöglichen  gewesen,  und  die  Aussicht,  in  Rom  eindringen  zu  können, 
steigerte  sich  in  hohem  Grade.  Nun  waren  die  in  der  Stadt  zer- 
streut; und  Wibert  selbst  scheint  allein  nicht  stark  genug  gewesen 


II,  111  ff.  No.  38.  Mansi  XX,  959.  Cfr.  Beno  de  vita  et  gestis  Hiltebr.  lib.  2 
bei  Goldast,  Apologiae  26  f.  Giesebrecht  III,  691  u.  1181.  —  Die  bei  Suden- 
dorf, Registrum  II  No.  34,  35,  36,  37,  39  Seite  45-111  u.  115  f.  gedruckten 
antigregorianischen  Schriften  hängen  zum  Teil  sicher  (wie  No.  39;  36,  wo  sich 
S,  97  fast  dieselben  Geistlichen  namhaft  machen,  wie  in  No.  38,  und  von  der 
Verbrennung  der  Dekrete  Urbans  in  der  August -Versammlung  reden),  zum  Teil 
wahrscheinlich  mit  der  Zusammenkunft  vom  August  1098  zusammen,  bieten  aber 
dem  Historiker  so  gut  wie  gar  keine  Ausbeute. 

^  Das  Datum  giebt  der  Catal.  imper.  et  pontif.  Rom.  Cencianus  SS.  XXIV, 
106;  die  Notiz  lautet:  Tempore  Urbani  pape  et  Henrici  imperatoris  terre  motus 
fuit  Rome  in  festo  sancte  Agnetis.  Et  castrum  sancti  Angeli  a  Romanis  captum 
est  in  festo  sancti  Laurentii.  Castrum  ipsum  Sancti  Angeli  traditum  est  Petro 
Leonis  in  vigilia  sancti  Bartholomei.  Der  letzte  Satz  soll  wohl  besagen,  dafs 
die  eroberte  Engelsburg  am  23.  August  dem  Petrus  Leonis  zur  Bewachung  über- 
geben wurde.  Vgl.  auch  Gregorovius,  Gesch.  der  Stadt  Rom*  IV,  280.  —  Bern. 
SS.  V,  466  meldet  zu  Weihnachten  1098,  dafs  Urban  dieses  Fest  in  Rom  ge- 
feiert habe  und  zwar  im  Besitze  der  Engelsburg,  während  man  zu  Weihnachten 
1097  davon  noch  nichts  hört. 

2  Cfr.  Otto  Frising.  chron.  7,  6  SS.  XX,  251.         ^  Jaffe-L.  I,  694—701. 

*  Petrus  Pis.,  Vita  Urb.  IL  bei  Watterich  I,  574. 

^  Eadmeri  vita  Anselmi  2,  49  SS.  XIII,  143  Anm.  (zur  Frühjahrssynode 
1099) :  Quid  referam ,  nonnuUos  cives  ürbis ,  quorum  ingens  multitudo  propter 
fidelitatem  imperatoris  ipsi  papae  erat  infesta,  nonnunquam  etc.  Vgl.  Gregoro- 
vius, Gesch.  der  Stadt  Rom  *  IV,  281. 

6  Vgl.  Giesebrecht  III,  694—698.     Jaffe-L.  I,  701-703. 


Vom  Abzüge  Heinrichs  IV.  aus  Italien  im  Jahre  1097  bis  zu  Wiberts  Tod.     97 

ZU  sein,  um  sich  die  günstige  Konstellation  zu  nutze  machen  zu 
können.  So  blieb  Rom  ruhig,  und  es  war  möglich,  am  13.  August 
einen  Nachfolger  Urbans  zu  erwählen,  am  14.  zu  konsekrieren  in 
der  Person  des  Kardinalpriesters  vom  Titel  des  heiligen  Clemens 
(des  gregorianischen  Nachfolgers  von  Hugo  Candidus)  Rainerius,  der 
den  Namen  Paschalis  II.  annahm  K  Damit  war  auch  in  diesem 
dritten  Interregnum  Wiberts  Sache  aussichtslos  geworden.  Der  neue 
Paj^st  liefs  es  sich  sehr  angelegen  sein,  seinen  Widersacher  von  Rom 
zu  verdrängen,  wozu  ihm  eine  Geldhülfe  des  Grafen  Roger  von  Sici- 
lien  im  Betrage  von  1000  Unzen  Goldes  sehr  gelegen  kam  ". 

Wibert  befand  sich  in  Albano  ^,  wohl  infolge  von  Bestechungen 
fiel  es  von  ihm  ab,  er  mufste  weichen.  Er  wandte  sich  nach  Norden 
und  setzte  sich  in  Sutri  fest  *.  Auch  von  hier  vertrieben,  warf  er 
sich  schliefslich  nach  Castellum ,  d.  i.  Civitä  -  Castellana  (Herbst 
1099)  ^,  wo  er  seitdem  ein  wenig  beachtetes  Dasein  führte :  Paschalis 
war  Sieger.  Indes  suchte  Wibert  von  Sutri  und  Civitä-Castellana 
aus  den  Gegnern  noch  möglichst  Abbruch  zu  thun  und  sie  zu  reizen, 
indem  er  die  nach  Rom  Pilgernden  anhalten  und  berauben  *^ ,  be- 
deutendere Persönlichkeiten  einfach  gefangen  setzen  liefs.  Unter 
den  vielen,  denen  es  nach  Hugo  von  Flavigny  so  ergangen  sein  soll, 
war  z.  B.  Bischof  Berard  von  Mäcon  ',  der  auf  dem  Rückwege  von 
Rom  war  und  so  verhindert  wurde,  dem  Konzil  von  Valence  (30.  Sep- 
tember 1100)  anzuwohnend  Ferner  der  Karthäuser-Prior  Landuin 
von  Lucca;  dieser  war  auf  einer  Reise  zu  Ordensbrüdern  in  Cala- 
brien  begriffen,  fiel  in  Wiberts  Hände,  widerstand  aber  allen  Ver- 
lockungen desselben  trotz  Drohungen  und  Versprechungen  und  wurde 
in  einem  Kastell  am  Fufse  des  Monte-Soratte  in  der  Nachbarschaft 
von  Civitä-Castellana  interniert^.    Dagegen  waren  im  Frühjahr  er- 


1  Jaffe-L.  I,  703. 

^  Ausführliche  Erzählung  bei  Petrus  Pis.,  Vita  Pasch.  II.  bei  Watterich  II,  4. 
Cfr.  Jaffe-L.  HP.  I,  655  u.  703. 

^  Alba  steht  bei  Petrus  Pis.,  jedenfalls  ist  Albano,  das  alte  Albalonga,  zu 
verstehen. 

*  Donizo  2,  884  ff.  SS.  XII,  397.  Ordericus  Vitalis,  Hist.  eccl.  lib.  10 
SS.  XX,  66  und  Watterich  II,  20. 

^  Petrus  Pis.  nennt  die  civitas  Castellana  gelegentlich  ihrer  Eroberung  durch 
Paschalis  II.  im  September  1105  einen  locus  natura  satis  munitus. 

«  Donizo  2,  888  f.  SS.  XII,  397.  In  Vers  886  könnte  übrigens  Romanos 
seducere  caepit  vielleicht  bedeuten,  dafs  Wibert  in  Rom  Zettelungen  gegen 
Paschalis  anzustiften  suchte. 

'  Hugo  Flav.  SS.  VIII,  475. 

8  Hugo  Flav.  SS.  VIII,  488.     Mansi  XX,  1115. 

^  Brevis  historia  ordinis  Carthusiensis  bei  Martene,  Collectio  amplissima 
VI,  162. 

Köhncke,  Wibert  v.  K.  7 


98     Vom  Abzüge  Heinrichs  IV.  aus  Italien  im  Jahre  1097  bis  zu  Wiberts  Tod. 

neute  Versuche,  Anselm  von  Canterbury  auf  seiner  am  1.  Mai  1099 
angetretenen  Rückreise  von  Rom  nach  Lyon  gefangen  zu  nehmen, 
fehlgeschlagen  ^.  Von  den  grofsen  Gefahren  der  Reise  weifs  Wilhelm 
von  Malmesbury  Näheres  ^.  Anselm  habe  den  direkten  Weg  nach 
Lyon  gar  nicht  einschlagen  können,  sondern  sei  auf  Umwegen  durch 
Berg  und  Wald  gezogen.  Es  habe  nämlich  geheifsen,  Wibert  habe 
einen  Maler  nach  Rom  geschickt,  der  Anselms  Bildnis  angefertigt 
habe,  damit  er  in  jeder  Verkleidung  erkannt  werden  könne. 

Unterdes  hatte  Wibert  in  einem  Leben  voll  Thätigkeit,  Auf- 
regung und  Enttäuschungen  ein  hohes  Alter  erreicht,  er  zählte  viel- 
leicht 70  bis  80  Jahre  ^,  seine  körperlichen  Kräfte  waren  erschöpft, 
und  er  verfiel  in  Krankheit  *,  bis  ihn  am  8.  September  1100  in  Civitä- 
Castellana  der  Tod  aus  einem  freudelosen  Dasein  abrieft  Dieses 
Ereignis  melden  im  allgemeinen  fast  alle  zeitgenössischen  Annalen 
und  Schriftsteller  ^,  die  näheren  Daten  ergeben  sich  aus  folgenden 
Nachrichten. 

Den  Ort  nennen  Ordericus  Vitalis  und  Peter  von  Pisa  ',  den 
Tag  des  Todes  näher  zu  bezeichnen  hält  letzterer  bei  diesem  Ketzer- 
führer für  nicht  der  Mühe  wert,  indes  läfst  sich  das  Datum  noch 
ermitteln.  Die  Annales  Besuenses  ^  wissen:  Hoc  anno  (1101)  obiit 
Wibertus,  successit  ....  et  conciliabulum  ....  con  ....  II.  Kai. 
Octbr.,  also  endete  AVibert  vor  dem  30.  September.  Dazu  stimmt 
Hugo  von  Flavigny  ^,  der  ihn  in  der  Zeit  des  Konzils  von  Valence 
sterben  läfst,  das  nach  seiner  eigenen  Angabe  um  den  30.  September 
1100  versammelt  war.  Genau  endlich  ergiebt  sich  der  Tag  aus  den 
Angaben  über  den  Tod  des  Karthäuser-Priors  Landuin,  der  sieben 


^  Eadmeri  hist.  novorum  in  Anglia  lib,  2  SS.  XIII,  144. 

2  Will.  Malmesb.,  Gesta  pont.  Angl.  1,  55  SS.  XIII,  187. 

^  Donizo  2,  896  SS.  XII,  397  bezeichnet  ihn  als  lenex  hebes. 

*  Donizo  a.  a.  0.  899:  dolore  gravi  tactus. 

^  Vgl.  Giesebrecht  III,  697  u.  1182.  Angeblich  hat  er  kurz  vor  seinem 
Tode  alle  Gefangenen  freigegeben  und  den  Bischof  von  Macon  beauftragt,  sich  in 
Rom  bei  Paschalis  pro  sua  ereptione  zu  verwenden,  Hugo  Flav.  SS.  VIII,  490. 
Ich  bin  wenig  geneigt,  dieser  Nachricht  Glauben  zu  schenken. 

6  Ann.  Wirzib.  1100  SS.  II,  246.  Ann.  August.  1100  SS.  III,  135.  Ann. 
Benevent.  1100  SS.  III,  183.  Ann.  Laub.  1099  SS.  IV,  21.  Die  Lütticher 
Annalen  in  den  Ann.  Leod.  1100  SS.  IV,  29  und  den  Ann.  S.  Jacobi  Leod. 
1100  SS.  XVI,  639.  Ann.  Ottenbur.  1100  SS.  V,  8.  Flor.  Wigorn.  1122  (1100) 
SS.  V,  565.  Ekkeh.  1100  SS.  VI,  218  u.  219.  Sigeb.  1100  SS.  VI,  368.  Ann. 
Casin.  1100  SS.  XIX,  308  (danach  Petrus  Casin.  4,  20  SS.  VII,  771).  Donizo 
2,  890  ff.  SS.  XII,  397. 

'  Verse  des  Petrus  Leo  bei  Ordericus  Vit.,  Hist.  eccl.  lib.  10  SS.  XX,  66 
und  Watterich  II,  20.    Petrus  Pis.,  Vita  Pasch.  II.  bei  AVatterich  II,  4. 

8  Ann.  Besuenses  1101  SS.  II,  250.        »  Hugo  Flav.  SS.  VIII,  488  u.  490. 


Vom  Abzüge  Heinrichs  IV.  aus  Italien  im  Jahre  1097  bis  zu  Wiberts  Tod.     99 

Tage  nacli  dem  Wiberts  erfolgte  ^.  Als  dessen  Todestag  wird  der 
14.  September  genannt-,  also  ist  Wibert  am  8.  September  1100 
gestorben. 

Selbst  im  Grabe  sollte  ihm  Ruhe  nicht  beschieden  sein.  Man 
hatte  ihn  bestattet,  wo  er  gestorben  war,  in  Civita-Castellana  '^  Bald 
entdeckten  seine  Anhänger,  dafs,  wie  es  damals  bei  l)edeutenden 
Kirchenfürsten  sich  einzustellen  pflegte,  auch  am  Grabe  Clemens'  III. 
Zeichen  und  Wunder  geschähen ;  wir  haben  darüber  einen  Bericht 
des  Bischofs  Petrus  von  Padua  an  Kaiser  Heinrich  IV.,  der  seine 
Angaben  auf  ein  Schreiben  des  kompetentesten  Zeugen,  des  Bischofs 
Johannes  von  Civita-Castellana,  stützt  *.  Das  mufste  natürlich  die 
nach  Wiberts  Tode  stetig  im  Aufblühen  begriffene  kirchliche  Partei 
stark  erbittern,  und  dies  geschah  in  dem  Mafse,  dafs  im  Jahre  1106 
Paschalis  II.  sich  zu  dem  unschönen  Befehl  hinreifsen  liefs,  man 
solle  Wiberts  Leichnam  ausgraben  und  dem  Tiber  überliefern.  Der 
Befehl  wurde  ausgeführt ;  gleichzeitig  erfolgte  die  Annullierung  aller 
Dekrete  Wiberts  ^ 


^  Brevis   bist,  ord,  Carthus.  bei  Marlene ,   Coli.  ampl.  VI.  162;    s.  o.  S.  97. 

2  Cfr.  Mabillon,  Ann.  ordinis  Benedicti  (Paris  1713)  V,  417.  Ja£fe-L.  I,  655. 
Die  bei  Mabillon  citierte  Stelle  Labbe,  Nova  bibl.  manuscr.  I,  639  war  mir 
nicht  möglich  einzusehen. 

3  Ordericus  Vit.,  Hist.  eccl.  lib.  10  SS.  XX,  66  und  Watterich  II,  20. 
Ekkeh.  1106  SS.  VI,  233  irrt,  wenn  er  angiebt,  Wibert  sei  in  Ravenna  begraben 
gewesen.  Wo  er  den  Tod  erzählt  (S.  219),  sagt  er  selber:  nee  Roma  tunc  nee 
Ravenna  bene  usus.  S.  das  gleich  im  Text  über  die  Wunder  am  Grabe  Wiberts 
Mitgeteilte. 

*  Im  cod.  Udalr.  108  bei  Jaffe,  Bibl.  V,  194 — 196.  Da  von  einem  anniver- 
sarius  von  Wiberts  Tode  die  Rede  ist,  ist  der  Bericht  mindestens  nach  dem 
8.  September  1101  abgefafst.  Nach  Gams,  Series  episc.  798  wurde  Petrus  1106 
vom  bischöflichen  Stuhl  von  Padua  entfernt,  also  fällt  der  Bericht  zwischen 
1101  u.  1106,  wohl  näher  an  1101  als  an  1106.  Cfr.  Ann.  S.  Disibodi  1099  SS. 
XVII,  17. 

'-  Ekkeh.  1106  SS.  VI,  233  f.  cfr.  Ann.  S.  Disibodi  1099  SS.  XVII,  17. 
Ekkehard  berichtet  noch,  dafs  auch  in  Deutschland  die  Leichen  der  im  Banne 
gestorbenen  schismatischen  Bischöfe  aus  den  Gräbern  in  Kirchen  entfernt  wurden. 
Diese  Vorgänge  waren  Folge  päpstlicher  Anordnung,  wie  aus  Jaffe-L.  6252  her- 
vorgeht (Paschalis  II.  au  Bischof  Gebhard  von  Konstanz) :  u.  a.  excommuni- 
catorum  cadavera  de  sanctorum  basilicis  proiicienda  esse. 

Am  Schlüsse  dieses  Kapitels  will  ich  eine  Bemerkung  zu  Jaffe-L.  5340  an- 
fügen, die  ich  sonst  nicht  unterbringen  kann.  Es  ist  No.  5340  eine  Verordnung 
an  alle  Bischöfe  gegen  den  Mifsbrauch  des  zur  Taufe  geweihten  Wassers.  Kein 
Getaufter  soll  es  berühren,  abgesehen  natürlich  von  den  taufenden  Priestern. 
Die  Geistlichen  sollen  streng  auf  die  Beobachtung  dieses  Gebotes  halten,  Löwen- 
feld hat  in  den  Regesten  seinem  Zweifel  Ausdruck  gegeben,  ob  diese  Verord- 
nung Wibert  wirklich  gehöre.  Abgedruckt  ist  sie  bei  Sudendorf,  Registrura 
II,  36  No.  30,,  und  wird  dort  Wibert  zugeteilt.     In   den   dem  2.  Bande  vorge- 

7* 


100  Wiberts  Stellung  in  Italien  und  Deutschland. 

Zehntes  Kapitel. 
Wiberts  Stellung'  in  Italien  und  Deutschland. 

Was  Wibert  in  Italien  galt,  und  wie  weit  dort  seine  Macht 
reichte,  geht  im  wesentlichen  aus  unserer  bisherigen  Erzählung  her- 
vor. Es  erübrigt  nur,  einige  Beziehungen  zu  erörtern,  die  bisher 
nicht  berücksichtigt  werden  konnten  und  im  Zusammenhange  nach- 
geholt werden  sollen. 

AViberts  Hauptstützpunkt  war  Oberitalien,  sein  eigenes  Erzbistum 
und  die  Lombardei  besonders.  Von  einem  der  angesehensten  kirch- 
lichen Würdenträger  Oberitaliens  wird  ausdrücklich  berichtet,  dafs 
er  die  Verleihung  des  Palliums  von  Wibert  nachgesucht  habe,  von 
dem  er  auch  ordiniert  worden  sei :  es  ist  der  Patriarch  Udalrich  von 
Aquileja,  Abt  von  St.  Gallen,  der  1086  von  Heinrich  zum  Patriarchen 
ernannt  wurde  ^ ;  die  Verleihung  des  Palliums  wird  noch  in  dasselbe 
Jahr  fallen  -. 

Von  Beziehungen  zu  Mittel-  und  Unteritalien  haben  wir  nur 
geringe  Spuren. 

In  Mittelitalien  beschränkte  sich  AViberts  Einflufs  wesentlich 
auf  Rom  und  dessen  Umgebung.  In  letzterer  scheint  einer  der  ihm 
sichersten  Punkte  Sutri  gewesen  zu  sein.  Hier  hatte  er  bald  nach 
seiner  Inthronisation,  aber  erst  nach  dem  Abzüge  Robert  Guiscärds  •' 

druckten  Addenda  aber  sagt  derselbe  Sudendorf,  unser  Schreiben  sei  schon  von 
Clemens  II.  in  der  Zeit  vom  25.  Dezember  1046  bis  9.  Oktober  1047  erlassen, 
und  beruft  sich  dafür  auf  Berthold  1077  SS.  V,  293.  Hier  nun  wird  erzählt: 
König-  Rudolf  feierte  Ostern  1077  in  Augsburg;  da  erlassen  die  anwesenden 
päpstlichen  Legaten  eine  Verordnung:  ne  ultra  omnino  usurpatio  haec  in  aec- 
clesia  fieret,  quae  a  nonnullis  simplicioribus  fratribus  temere  et  praesumptuose 
contra  decreta  Clementis  papae  actitatur.  Solent  namque  in  sabbatho  sancto 
paschae  ante  infusum  chrisma  in  aquam  baptismi,  omnes  circumstantes  ex  ipsa 
aspergere,  et  ea  in  vasis  suis  accepta,  sie  per  totam  quinquagesimam  huius 
modi  tantum  abutuntur  usurpativa  et  inordinata  aspersione  etc.  Unter  den 
angezogenen  decreta  Clementis  papae  ist  zweifellos  die  bei  Sudendorf  veröffent- 
lichte Verordnung  (Jaffe-L.  5340)  zu  verstehen,  die  demnach  einzig  und  allein 
Pa]3st  Clemens  II.  zugeschrieben  werden  kann. 

1  Cfr.  Casuum  S.  Galli  cont.  II.  c.  7  SS.  II,  159. 

^  Casus  monast.  Petrishus.  3,  29  SS.  XX,  656.  Uodalscalcus  de  Eginone  et 
Herimanno  c.  12  SS.  XII,  437.  Bestes  Zeugnis  aber  Jaffe-L.  6626  (Ewald. 
Neues  Archiv  III,  172),  ein  Brief  Paschalis'  II.  an  Bischof  Wido  von  Chur: 
Aquileiensis  preter  concessionem  nostram  pallio  utitur  Guibertino. 

^  In  dem  Schreiben  der  Gräfin  Mathilde  nach  Deutschland  bei  Hugo  Flav. 
SS.  VIII,  463,  welches  zwischen  Heinrichs  und  Robert  Guiscards  Abzüge  aus 
Rom  im  Jahre  1084  geschrieben  ist,  heilst  es,  dafs  Sutri  und  Nepi  wieder  in 
Gregors  Gewalt  seien;  was  also  nur  vorübergehend  der  Fall  gewesen  sein  kann. 
Dafs  die  Ernennung  Odos  überhaupt  in  das  Jahr  1084  fällt,  geht  aus  dem  Zu- 
sammeuliaüÄ-iijaiLErzählung  bei  Order.  Vit.,  Hist.  eccl.  lib.  7  SS.  XX,  59  hervor. 


Wiberts  Stellung  in  Italien  und  Deutschland.  101 

einen  seiner  Neffen,  Odo,  als  Grafen  eingesetzt,  der  auf  das  eifrigste 
für  das  Interesse  seiner  Partei  thätig  war  und  vor  Gewalt  nicht 
zurückscheute,  wenigstens  nach  dem  Zeugnis  des  Ordericus  Vitalis. 
Noch  in  den  ersten  Jahren  Urbans  wird  er  erwähnt  und  wie  eben 
geschildert  \  Bald  nach  Urbans  Ende  1096  erfolgter  Rückkehr  nach 
Rom  scheint  er  gestorben  zu  sein^,  doch  blieb  Sutri  wibertistisch 
gesinnt  ^  In  Velletri  hatte  Wibert  „pravas  constitutiones  vel  ex- 
actiones"  eingetrieben,  die  Paschalis  II.  schon  am  6.  April  1101 
wieder  aufhebt,  indem  er  die  alten  Steuerprivilegien  der  Leute  von 
Yelletri  wiederherstellt  ^.  In  Palestrina  fungierte  Hugo  Candidus  (der 
AYeifse)  als  Kardinalbischof  und  erhielt  die  Stadt  der  wibertistischen 
Sache  ^.  Des  eifrig  kaiserlich  gesinnten  Klosters  Farfa  Gunst  hätte 
Wibert  bald  verscherzt,  da  er  zur  Zeit  des  Abtes  Rainald  (November 


1  Order.  Vit.,  Hist.  eccl.  lib.  8  SS.  XXVI,  22.  Donizo  2,  318  ff.  SS.  XII, 
386,  wo  er  de  Tuliore  genannt  wird.  Wahrscheinlich  ist  er  der  in  einer  Ur- 
kunde Urbans  IL  vom  8.  Juli  1089  ( Jaffe-L.  5403)  erwähnte  Otto ,  es  heifst 
dort:  Nee  ignotum  vobis  esse  cognoscimus ,  qua  immani  crudelitate  Guibertus 
heresiarcha,  sedis  apostolicae  Invasor,  per  apostatas  et  tiramnos  s.  ecclesiae, 
Hugonem  album  et  Johannem  Portuensem  antyepiscopos ,  et  Petrum  quondam 
cancellarium  (vgl.  unten  S.  104),  Wezelonem  et  Otonem  tiramnum  membra 
diaboli  seduxerit  filios  Dei.  Freilich  ist  die  Echtheit  dieser  Urkunde  von  Pflugk- 
Harttung  bestritten,  s.  die  Regesten  I,  663  u.  II,  713  und  neuerdings  Pflugk 
im  Histor.  Jahrbuch  der  Görres-Gesellschaft  VII,  234 — 237.  Aber  der  eben 
citierte  Teil  geht  jedenfalls  auf  eine  echte  Vorlage  zurück,  die  auch  bei  Bern. 
1085  SS.  V,  443  benutzt  ist.  Denn  dafs  ein  Fälscher  in  Velletri  sollte  Bernold 
ausgeschrieben  haben,  wie  Pfl.-Hartt.  auch  für  möglich  zu  halten  scheint,  daran 
ist  doch  gar  nicht  zu  denken. 

2  Donizo  2,  832  SS.  XII,  396.  Vgl.  Giesebrecht  III,  563,  692,  1164,  1181. 
Gregorovius,  Gesch.  der  Stadt  Rom"^  IV,  260. 

3  S.  oben  S.  97.        ^  Jaffe-L.  5865  bei  üghelli,  Italia  sacra  I,  46. 

^  Siehe  den  jedenfalls  verwendbaren  ersten  Teil  der  Urkunde  Urbans  vom 
8.  Juli  1089,  s.  o.  Anm.  1.  Nur  in  ihr  wird  Hugo  albus  als  antyepiscopus 
bezeichnet,  zugleich  zum  ersten  Male.  1085  anläfslich  seiner  Legation  nach 
Deutschland  (s.  u.  S.  104)  finden  wir  von  einem  solchen  Titel  nichts 
(Bern.  1085  SS.  V,  443).  Ist  nachher  von  dem  Bischof  von  Palestrina  die  Rede, 
so  heifst  er  stets  nur  Hugo.  Das  erste  sichere  Zeugnis  ist  aus  dem  Jahre  1093, 
ein  Altar  in  Cava  aus  diesem  Jahre  trägt  die  Inschrift:  anno  domin.  ine.  1093 
Ind.  I.,  III.  Nonas  Aprilis  Romano  Pontifice  IIL  demente  ab  Ugone  Prae- 
nestino  Ep.  dedicatum.  Cfr.  Cecconi,  Storia  di  Palestrina  241.  Gregorovius, 
Gesch.  der  Stadt  Rom^  IV,  260.  Giesebrecht  III,  563  u.  1164.  Da  Hugo 
Kardinal  sein  mufs,  da  nur  noch  ein  anderer  Kardinal  Hugo  bekannt  ist,  der 
an  ihn  als  Bischof  von  Palestrina  ein  Schreiben  richtet  (Sudendorf,  Registrum 
II,  91  No.  35),  laut  welchem  er  erst  unter  Urban  IL  zu  Wibert  abgefallen  ist, 
so  ist  höchst  wahrscheinlich  allerdings  Hugo  der  Weifse  Kardinalbischof  von 
Palestrina  gewesen.  Noch  bei  der  Augustzusammenkunft  1098  ist  er  beteiligt 
(Sudendorf  a.  a.  0.  II,  97  u.  111). 


102  Wiberts  Stellung  in  Italien  und  Deutscliland. 

1089  bis  Juni  1090)  sich  in  die  den  Mönchen  zustehende  Abtswahl 
einzumischen  versuchte.  Aber  die  Mönche  verteidigten  ihre  Frei- 
heiten und  Rechte  kraftvoll,  er  mufste  nachgeben  und  suchte  sie  dann 
nur  um  so  eifriger  an  sich  zu  ketten  \ 

Einen  überraschenden  Ausblick  auf  bisher  ganz  unbekannte  Be- 
ziehungen Wiberts  zu  Unteritalien  und  dem  Patriarchen  von  Kon- 
stantinopel bietet  ein  von  ihm  an  den  Metropoliten  von  Calabrien. 
Basilius,  gerichtetes  Schreiben  -.  Dieser  Basilius  wird  ein  Erzbischof 
von  Beggio  in  Calabrien  sein,  von  dem  ich  aber  bei  Garns  nichts 
finde  '■^.  Der  Brief  ist  undatiert,  aber  spätestens  1090  geschrieben, 
nach  einer  vor  nicht  zu  langer  Zeit  vollzogenen  Neuwahl  eines  Gegen- 
papstes (12.  März  1088),  kurz  vor  der  Ankunft  Kaiser  Heinrichs  IV. 
in  Italien  (April  1090);  beide  Ereignisse  werden  im  Briefe  angeführt. 
Auf  diese  Zeit  passen  auch  die  Anspielungen,  dafs  das  Schisma  für 
ihn  (Wibert)  viele  Verwirrung  im  Gefolge  gehabt  habe ,  und  dafs 
Basilius  eine  Weile  das  Unrecht  tragen  möge,  das  man  ihm  zufüge, 
gleich  wie  auch  er,  Wibert,  es  thue :  denn  im  Herbst  1089  war  Wibert 
aus  Born  vertrieben  worden ;  der  Brief  ist  wohl  aus  Ravenna  ge- 
schrieben. 

Sein  Inhalt  betrifft  zunächst  Basilius.  Dieser  konnte  seinen 
Bischofsstuhl  nicht  einnehmen  und  hatte  in  auffallender  Unkenntnis 
der  Verhältnisse  Wibert  gebeten,  er  möge  sich  für  ihn  bei  Herzog 
Roger  von  Apulien,  Robert  Guiscards  Sohn,  brieflich  verwenden  *. 
Nun  macht  ihn  Wibert  aufmerksam,  dafs  doch  seit  kurzem  wieder 
ein  Schisma  in  der  Kirche  bestehe;  er  bezweifle  keinen  Augenblick, 
dafs  seine  Gegner  den  kürzeren  ziehen  würden,  aber  er  könne  des 
Basilius  Bitte  nicht  erfüllen,  weil  ihm  bekannt  sei,  dafs  der  Herzog 
und  die  Normannen  zu  den  Gegnern  zählten  •'.    Doch  möge  Basilius. 


^  Näheres  in  Grregorii  Catinensis  chronica  c.  10  SS.  XI,  562. 

2  Pitra,  Analecta  novissima  spicilegii  Solesmensis  I,  479  f.  Auf  dieses 
Schreiben  hat  mich  Herr  Dr.  Löwenfeld  aufmerksam  gemacht,  noch  bevor  es 
in  die  RP.  II,  752  No.  5326«  Aufnahme  gefunden  hatte. 

•^  Gams,  Series  episc.  916.  1092  ist  ein  Rangerius  nachweisbar,  ein  Anhänger 
Urbans,  anwesend  bei  der  Weihe  der  Trinitatiskirche  zu  Kloster  Cava  (5.  Sep- 
tember 1092).  Muratori,  Script,  rerum  Ital.  VI,  238.  Jaffe-L.  I,  670.  Am 
7.  September  1086  findet  sich  nach  Ughelli,  Italia  sacra  IX,  324  ein  Erzbischof  U. 
Der  Arnoldus,  den  Ughelli  zwischen  beide  stellt,  ist  1081  konsekriert,  mufs  aber 
mindestens  1086  tot  sein,  da  ü.  begegnet;  woher  Ughelli  seine  Nachricht  hat, 
weifs  ich  nicht.  Man  wird  annehmen  können,  dafs  1090  in  Reggio  ein  Schisma 
zwischen  dem  Urbanisten  Rangerius  und  dem  Wibertisten  Basilius  bestand. 

^  dia  yQatfTjs  tzqos  rbv  dov/av  xal  vlov  rov  'Poifi7t€?.rov  =  Roberti ,  nämlich 
Robert  Guiscards.     Unter  (podyy.oi  sind  die  Normannen  zu  verstehen. 

^  Dies  stimmt  durchaus  mit  den  anderen  uns  bekannten  Thatsachen  überein ; 
Herzog  Roger  nahm  z.  B.  im  September  1089  an  Urbans  Sj'node  zu  Melfi  teil. 


"Wiberts  Stellung  in  Italien  und  Deutschland.  103 

auch  wenn  er  Unrecht  leiden  müsse,  noch  eine  Weile  ausharren. 
Wenn  die  Dinge  erst  wieder  ins  alte  Geleise  gebracht  worden  seien, 
werde  er  gewifs  seinen  Sitz  wiedererhalten ,  das  sei  sein  Recht, 
welches  ihm  auch  bleiben  solle.  Bessere  Zeiten  seien  nahe,  da 
Kaiser  Heinrich  nächstens  in  Italien  eintreffen  und  dann  alles  ordnen 
werde.  Wenn  es  ßasilius  möglich  sei,  so  solle  er  zu  ihm  kommen, 
doch  seien  ja  die  unruhigen  Zustände  in  den  Gebieten  zwischen 
Reggio  und  Ravenna  ein  grofses  Hindernis.  Indes  möge  er  ihm 
seine  günstigen  Gesinnungen  weiter  erhalten. 

Ohne  ein  solches  Zeugnis  würde  man  schwerlich  daran  gedacht 
haben,  dass  Wibert  in  Unteritalien  Anhänger  gehabt  haben  könne, 
da  die  Macht  der  Normannen  ganz  auf  der  Seite  seiner  Gegner  stand. 
Und  man  sieht  ja  aus  diesem  Schreiben,  dafs  es  einem  Wibertisten 
dort  unten  übel  erging,  er  mufste  aufserhalb  seines  Bischofssitzes 
weilen,  den  er  nicht  erlangen  konnte. 

Aber  noch  eine  andere  merkwürdige  Thatsache  ergiebt  sich  aus 
diesem  Schreiben:  eine  Verbindung  Wiberts  und  des  Patriarchen 
Nikolaus  Grammatikus  von  Konstantinopel  (1084 — 1111)  ^.  Freilich 
nur  diese  Thatsache ;  so  interessant  nähere  Nachrichten  wären,  wir 
müssen  uns  hierbei  bescheiden.  Der  Patriarch  hatte  mehrere  Briefe 
an  Basilius  gerichtet,  die  sich  über  eine  uns  unbekannte  streitige 
Angelegenheit  verbreitet  haben  müssen.  Dessen  hatte  Basilius  gegen 
Wibert  Erwähnung  gethan,  und  dieser  bittet  nun,  falls  Basilius  nicht 
selber  zu  ihm  kommen  könne,  um  Zusendung  der  Briefe.  Er  habe 
nämlich  Anlafs  zu  antworten  und  sei  geneigt,  die  Wünsche,  welche 
der  Patriarch  ausgesprochen  habe,  zu  erfüllen  ^.  Danach  wird  an- 
zunehmen sein,  dafs  Wibert  es  war,  der  sich  zuerst  brieflich  an  den 
Patriarchen  wendete,  vielleicht  mit  der  Hoffnung  im  Hintergrunde, 
dafs  allmählich  bei  dem  oströmischen  Kaiser  dann  etwas  zu  erreichen 
sei;  es  ist  fraglich,  ob  sein  Schritt  irgendwelche  Folgen  gehabt  habe, 
bekannt  ist  uns  weiter  nichts.  Von  Kaiser  Alexius  I.  aber  wissen 
wir,  dafs  er  zwar  Heinrich  IV.  auf  seinem  Romzuge  in  den  achtziger 
Jahren  mit  Geld  gegen  Gregor  VII.  unterstützt  hatte  —  es  war 
damals  sein  eigenstes  Interesse ,  er  mufste  darauf  hinwirken ,  dafs 
Robert  Guiscard  den  Osten  verliefs  — ,  dafs  er  aber  etwa  1088  mit 
Urban  in  Verbindung  trat  und  in  freundlichem  Verhältnis  zu  ihm 
blieb  3. 

Jaffe-L.  I,  664.  Romualdi  Salernit.  Ann.  1090  SS.  XIX,  412.  Cfr.  Coli.  Brit. 
Urb.  ep.  47,  Ewald,  Neues  Archiv  V,  366. 

^  Vgl.  Muralt,  Chronographie  ßyzantine  I,  54  u.  109. 

^  So  scheint  der  betreffende  Satz  verstanden  werden  zu  müssen,  er  ist  im 
griechischen  Text  recht  dunkel. 

3  Giesebrecht  III,  551,  598.     Er  giebt  die  Quellen  Seite  1161,  1168.     Gre- 


104  Wiberts  Stellung  in  Italien  und  Deutschland. 

Näheres  Eingehen  erfordern  WibertsBeziehungen  zu  Deutschland. 

Auf  den  Gang  der  deutschen  Dinge  im  grofsen  wirkte  er  na- 
mentlich im  Jahre  1085  ein.  Im  Oktober  1084  hatte  Heinrich 
Wezilo  zum  Erzbischof  von  Mainz  ernannt,  er  wurde  sogleich  ge- 
weiht und  von  einem  Legaten  Wiberts  mit  dem  Pallium  versehen  ^ 
Die  Verleihung  des  letzteren,  das  ja  erst  erbeten  werden  mufste  -, 
möchte  ich  als  auf  dem  Konzil  zu  Mainz  von  1085  oder  kurz  vorher 
geschehen  erachten. 

Als  nämlich  Heinrich  im  Jahre  1084  aus  Italien  nach  Deutsch- 
land als  Kaiser  zurückkehrte,  mufste  er,  gestützt  auf  seine  Erfolge, 
wünschen  und  konnte  hoffen  durchzusetzen,  dafs  die  Spaltung  der 
Kirche  in  Deutschland  dadurch  beseitigt  werde,  dafs  seine  Anhänger 
überall  eingesetzt  würden  und  die  Oberhand  erhielten.  AYibert  wird 
bei  seiner  energischen  Art  wesentlich  darauf  hingewirkt  haben,  dafs 
Heinrich  in  diesem  Sinne  kräftig  auftrete.  Um  dem  Nachdruck  zu 
geben,  sandte  er  im  Anfang  des  Jahres  1085  Legaten  nach  Deutsch- 
land, welche  die  kaiserliche  Macht  durch  die  päpstliche  Autorität 
unterstützen  sollten  ^.  Es  waren  drei  Männer :  Kardinal  Hugo  der 
Weifse,  Wiberts  vertrauter  Freund  seit  Jahren  und  mit  den  deut- 
schen Verhältnissen  nicht  unbekannt,  da  er  ja  schon  1076  das  Konzil 
von  Worms  besucht  hatte  *.  Dann  der  Kardinalbischof  Johann  von 
Porto  und  der  ehemalige  Kanzler  Gregors,  Kardinal  Petrus,  beide 
aus  Gregorianern  Wibertisten  geworden  ^.  Dafs  diese  drei  Männer 
die  Legaten  waren,  ist  nicht  ausdrücklich  überliefert,  folgende  Er- 
wägung legt  es  aber  nahe.  Bernold  ^  zählt  die  auf  der  Synode  der 
päpstlichen  Partei  in  Quedlinburg  im  April  1085  Gebannten  auf 
und  nennt  Wibert,  unsere  drei  Kardinäle  und  eine  grofse  Reihe 
deutscher  Erzbischöfe   und  Bischöfe.     Dann  fährt  er  fort:   Sed  hi 


sandte  des  Kaisers  forderten  auf  der  Synode  von  Piacenza  zur  Hülfe  gegen  die 
Seldschucken  auf.     Giesebrecht  III,  663  nach  Bern.  1095  SS.  V,  462. 

1  Ann.  August.  1084  SS.  III,  131.  Cfr.  Bern.  1084  SS.  V,  441.  Giese- 
brecht  III,  604.     Böhmer- Will,  Reg.  archiep.  Mag.  I,  217. 

^  Hinschius,  Kirchenrecht  II,  8  u.  28. 

3  Die  Zeugnisse  s.  u.  S.  105  Anm.  3.        ^  Giesebrecht  III,  353 ;  s.  o.  S.  27. 

^  Beide  werden  von  Beno  de  vita  et  gestis  Hiltebrandi  bei  Goldast,  Apo- 
logiae  S,  1  in  dem  Verzeichnis  der  von  Gregor  Abgefallenen  genannt,  Petrus 
ganz  sicher,  der  andere  ist  wohl  unter  Joannes  cardinalis  zu  suchen.  —  Hugo 
Flav.  SS.  VIII,  463  berichtet,  gestützt  auf  ein  Schreiben  der  Gräfin  Mathilde 
nach  Deutschland,  dafs  Heinrich  bei  seinem  Abzüge  von  Rom  im  Mai  1084  den 
Bischof  von  Porto,  der  einst  Vertrauter  Gregors  gewesen  sei,  als  seinen  An- 
hänger mitgeführt  habe.  —  Alle  drei  Gesandten  werden  in  Jaffe-L.  5403  vom 
8.  Juli  1089  als  solche  genannt,  die  besonders  für  AVibert  gewirkt  hätten;  s.  o. 
S.  101  Anm.  1. 

ö  Bern.  1085  SS.  V,  443. 


Wiberts  Stellung  in  Italien  und  Deutschland.  105 

omnes  adversarii  aeclesiae  Dei  in  tercia  epdomada  post  finitam 
sinodum,  suam  Mogontiae  collegerunt  non  sinodum  set  conciliabu- 
lum.  Wozu  sollten  nun  die  drei  Kardinäle  in  Deutschland  partikulär 
exkommuniziert  worden  sein,  wenn  sie  nicht  gerade  für  die  deut- 
schen Zustände  eine  besondere  Bedeutung  gehabt  hätten,  d.  h.  in 
Deutschland  zu  irgendwelchen  Entscheidungen  anwesend  gewesen 
wären,  wie  denn  Bernold  sie  mit  unter  die  Teilnehmer  der  Mainzer 
Synode  von  1085  begreift.  Wo  Walram  ^  von  den  drei  Gesandten 
spricht,  bestätigt  er  durch  einen  Irrtum  diese  Vermutung:  er  nennt 
Petrus  scilicet  episcopus  Portuensis  ecclesiae  et  duo  cardinales  Po- 
manae  ecclesiae :  er  hat  den  Namen  eines  der  Kardinäle  mit  dem 
Titel  des  Kardinalbischofs  zusammengebracht. 

Diesen  seinen  Legaten  hatte  Wibert  noch  dazu  das  Schreiben 
mitgegeben  —  so  wird  man  wohl  annehmen  können  — ,  dessen  In- 
halt Walram  mitteilt ",  und  das  an  die  deutschen  Bischöfe  gerichtet 
war.  Es  sei  sein  Wille,  erklärte  er,  dafs  die  verlassenen  Diöcesen 
wieder  Hirten  erhielten,  wenn  die  bestellten  trotz  an  sie  ergangener 
Aufforderungen  nicht  zur  einigen  Kirche  zurückkehren  wollten.  Er 
befehle  deshalb  den  deutschen  Bischöfen,  auf  einer  allgemeinen  Sy- 
node über  die  Angelegenheit  der  widerspenstigen  Bischöfe  zu  ver- 
handeln, die  sich  selbst  schon  verurteilt  hätten,  was  durch  eine  Auf- 
zählung ihrer  Vergehen  des  näheren  erwiesen  wird. 

Während  nun  die  Gegner  in  der  ersten  Woche  nach  Ostern  in 
Quedlinburg  ihre  Synode  hielten,  war  der  von  Wibert  gegebenen 
Anregung  entsprechend  von  Heinrich  im  Verein  mit  den  drei  Kardi- 
nälen als  päpstlichen  Legaten  und  dem  Erzbischof  Wezilo  von  Mainz 
(der  sich  so  für  das  Pallium  bedankte)  als  erstem  Geistlichen  Deutsch- 
lands und  anderen  Bischöfen  ^  nach  Mainz  noch  vor  Beginn  der 
Fastenzeit  *  zur  Herstellung  der  kirchlichen  Einheit  in  Deutschland 
eine  Synode  berufen  worden,   welche   in  der  dritten  Woche  '^  nach 

^  Walram  de  unit.  eccl.  2,  19  ed.  Schwenkeubecher  S.  76. 

^  Walrara  de  unit.  eccl.  2,  18  ed.  Schwenkenbecher  S.  73  f.  Es  wäre  in 
den  Regesten  nachzutragen.  Die  Inhaltsangabe  beginnt  bei  den  Worten  decrevit 
desertis  ecclesiis  und  geht  bis  usi  fuissent  manibus  impiorum  ad  occisionem  mul- 
torum  hominum.  Vielleicht  sind  die  Worte  in  2,  22  S.  81  von  cupiens  bis  re- 
ducere  ein  Stück  der  Arenga  des  päpstlichen  Schreibens.  Cfr.  Ana.  Ratisbon. 
fragm.  1085  SS.  XIII,  49. 

^  Diese  geben  als  Einberufer  an  die  Ann.  August.  1085  SS.  III,  131.  Für 
die  Teilnahme  der  Legaten  haben  wir  noch  Zeugnisse  bei  Ekkeh.  1085  SS.  VI, 
205;  Ann.  Ratisbon.  fragm.  1085  SS.  XIII,  49;  Ann.  S.  Disibodi  1085  SS.  XVII, 
9;  Walram  de  unit.  eccl.  2,  19  ed.  Schwenkenbecher  S.  76  (Bern.  1085  SS. 
V,  443). 

*  Ann.  Ratisbon.  fragm.  1085  SS.  XIII,  49. 

^  So  Bern.  1085  SS.  V,  443  und  Ann.  Ratisbon.  fragm.  1085  SS.  XIII,  49, 


106  Wiberts  Stellung  in  Italien  und  Deutschland. 

Ostern,  Anfang  (4.  bis  10.)  Mai,  1085  in  der  St.  Albanskirche  zu- 
sammentrat ^.  Sie  war  zahlreicher  besucht,  als  vielleicht  die  eif- 
rigsten Anhänger  der  kaiserlichen  Partei  hatten  hoffen  können  -. 
Persönlich  anwesend  waren  die  Erzbischöfe  von  Mainz,  Köln,  Trier 
und  16  Bischöfe;  durch  Gesandte  waren  vertreten  Erzbischof  Lie- 
mar  von  Bremen  und  3  Bischöfe.  Aus  Italien  und  Frankreich  waren 
Zustimmungserklärungen  eingegangen.  Heinrich  liefs  die  Anwesen- 
den noch  einmal  Gregors  Absetzung  und  Wiberts  Inthronisierung  feier- 
lich durch  Unterschrift  anerkennen  ^  Die  übrigen  Beschlüsse  inter- 
essieren uns  hier  weniger,  sie  gehören  in  die  Beichsgeschichte.  Sie 
verdienen  hier  nur  insofern  Beachtung  und  Erwähnung,  als  aus  ihnen 
hervorgeht,  dafs  Heinrichs  Wunsch,  Wiberts  Mahnung  und  die  Teil- 
nahme der  Legaten  in  ihrem  Zusammenwirken  das  erreichten,  was 
sie  wollten,  indem  sie  die  Versammlung  zu  nachdrücklichen  Be- 
schlüssen gegen  die  Gregorianer  vermochten,  denen  die  Ausführung 
auf  dem  Fufse  folgte.  2  Erzbischöfe  (Gebhard  von  Salzburg  und 
Hart  wich  von  Magdeburg)  und  13  Bischöfe  wurden  abgesetzt  und 
exkommuniziert,  einigen  alsbald  Nachfolger  gegeben.  AVeiter  wurde 
der  Gegenkönig  Hermann  von  Luxemburg  gebannt  '*,  endlich  ein 
Gottesfriede  für  das  ganze  Reich  festgesetzt  •'. 

Von  Beziehungen  Wiberts  zu  einzelnen  deutschen  geistlichen 
und  weltlichen  Fürsten  haben  wir  folgende  Nachrichten. 

Ein  burgundischer  Bischof  ist  unseres  Wissens  von  Wibert 
ordiniert  worden,  Lambert  von  Lausanne  nämlich,  der  Sohn  Lam- 
berts, Grafen  von  Grandson  und  Nachfolger  des  Bischofs  Burchard 
(■f  24.  Dezember  1088)  ^.  Dies  geht  hervor  aus  einem  Privileg 
Papst  Eugens  HL  vom  13.  April  1146  an  Bischof  xlmadeus  von 
Lausanne  (1145 — 59)  ^,  durch  welches  alle  Vergabungen  an  Kirchen- 
gut, welche  Lambert  vorgenommen  hatte,  für  ungültig  erklärt  werdend 


während  die  Ann.  August.  1085  SS.  III,  131  und  Walram  de  unit.  eccl.  2,  19 
a.  a.  0.  S.  76  die  zweite  Woche  nach  Ostern  als  Zeitpunkt  des  Zusammentrittes 
angeben. 

1  Vgl.  Giesebrecht  III,  609  f.  u.  1169  f.  Böhmer-Will,  Keg.  archiep.  Ma- 
gunt.  I,  220,  wo  sich  eine  Zusammenstellung  der  Quellenstellen  findet.  Nach- 
zutragen wären:  Ann.  Ratisbon.  fragm.  1085  SS.  XIII,  49;  Rodulfi  gesta  abb. 
Trudon.  3,  l  SS.  X,  240. 

"  Cfr.  Walram  de  unit.  eccl.  2,  19  ed.  Schwenkenbecher  S.  76 — 78. 

3  Sigeb.  1085  SS.  VI,  365.     Cfr.  Ann.  S.  Disibodi  1085  SS.  XVII,  9. 

*  Walram  de  unit.  eccl.  2,  28  ed.  Schwenkenbecher  S.  97. 

5  Ekkeh.  1085  SS.  VI,  205  f.  und  MG.  LL.  II,  55.  Im  übrigen  s.  die 
Quellennachweise  nach  Anm.  1  dieser  Seite. 

6  Bern.  1089  SS.  V,  448.        '  Gams,  Series  episc.  283. 

8  Jaffe-L.  8899.    Hidber,  Schweizer.  Urkundenregister  II,  23  f.    Vgl.  Stumpf 


Wiberts  Stellung  in  Italien  und  Deutschland.  107 

Was  die  eigentlichen  deutschen  Bischöfe  betrifft,  so  stand  Wi- 
bert  längere  Zeit  in  freundlichen  Beziehungen  zu  Eigilbert  von 
Trier.  Am  13.  November  1078  war  Erzbischof  Udo  gestorben^; 
zum  Nachfolger  hatte  Heinrich  den  Propst  Eigilbert  von  Passau, 
der  dort  von  seinem  Bischof  Altmann  exkommuniziert  worden  war. 
ernannt  und  am  6.  Januar  1079  trotz  des  eben  erst  (19.  November 
1078)  auf  einer  römischen  Synode  erneuerten  Verbotes  -  investiert  'l 
Die  Wahl  war  unter  grofsem  Widerspruch  vor  sich  gegangen,  und 
6  Jahre  lang  fand  sich  kein  Bischof,  der  Eigilbert  konsekrieren 
wollte.  Im  Juni  1080  z.  B.  lehnte  Dietrich  von  Verdun,  sein 
Suffragan  und  sonst  Anhänger,  wegen  der  Ungunst  der  Zeitverhält- 
nisse ab,  diesen  Schritt  zu  thun  *.  Offenbar  aber  lag  König  Hein- 
rich die  Sache  sehr  am  Herzen,  denn  es  war  doch  wichtig  und  er- 
wünscht, einen  der  vornehmsten  Erzstühle  des  Beiches,  den  ein  er- 
gebener Anhänger  einnahm,  endgültig  und  ordnungsmäfsig  zu  be- 
setzen; dafür  wufste  er  naturgemäfs  auch  Wibert  zu  interessieren. 
Und  sobald  AViberts  Inthronisation  und  seine  eigene  Krönung  voll- 
zogen war,  nahm  Heinrich  diese  günstige  Gelegenheit  wahr;  und 
der  Schlufs  seines  oben  (Kapitel  6)  des  öfteren  citierten  Briefes 
an  Dietrich  von  Yerdun,  den  er  auf  der  Bückkehr  nach  Deutsch- 
land 1084  schrieb,  enthält  die  bestimmte  Aufforderung^:  Insuper 
mandat  tibi  apostolicus  Clemens  et  Imperator  Heinricus,  ut  sicut 
nos  diligas ,    ita  archiepiscopum  Treverensem   velociter  consecrare 


3491.  Gallia  christ.  XV,  343,  wo  irrtümlich  von  einer  Bestätigung  Alexanders  III. 
die  Rede  ist.  Cfr.  Cononis  gesta  episcop.  Lausannensium  c.  11  u.  15  SS.  XXIV, 
800  u.  801. 

Im  Neuen  Archiv  III,  198  hat  Waitz  die  Obedienzerklärung  Lamberts  ver- 
öffentlicht; er  leistet  sie  als  schon  ordinierter  Bischof  dem  Erzbischof  Hugo  III. 
von  Besangon,  der  somit  auch  der  kaiserlich -wibertistischen  Partei  damals  an- 
gehört haben  wird,  wenigstens  kein  Ärgernis  an  dem  bei  Lambert  vorliegenden 
Faktum  einer  Ordination  durch  Wibert  genommen  zu  haben  scheint.  Nach 
allem,  was  wir  sonst  von  ihm  wissen,  gehört  er  später  zu  Urbans  Partei,  cfr. 
Grallia  christ,  XV,  38  und  instr.  15.  So  war  er  im  Juli  1096  auf  dem  Konzil 
zu  Nimes  anwesend:  Mansi  XX,  937  f.  Der  Verfasser  der  Altercatio  (s.  o. 
S.  84  f.)  läfst  auch  Hugo  von  Urban  zu  jener  Versammlung  berufen  werden, 
die  über  die  Rechtmäfsigkeit  Urbans  und  Wiberts  entscheiden  sollte.  Diese 
Versammlung  wird  merkwürdigerweise  ernst  genommen  und  dazu  noch  Wibert 
als  der  Einberufer  bezeichnet  in  der  Gallia  christ.  XV,  38  und  bei  Richard, 
Hist.  de  Besannen  I,  289,  der  sonst  zu  vergleichen  ist. 

1  Gesta  Trever.  SS.  VIII,  183  und  Anm.  81. 

2  Greg.  VII.  Registrum  6,  5  bei  Jaffe,  Bibl.  II,  332  f. 

3  Gesta  Trever.  SS.  VIII,  184.     Berth.  1078  SS.  V,  314. 
*  Cod.  Udalr.  63  bei  Jaffe,  Bibl.  V,  130. 

5  Stumpf  2859.     Gesta  Trever.  SS.  VIII,  185  f. 


108  Wiberts  Stellung  in  Italien  und  Deutschland. 

properes.  Das  half  endlich ;  Dietrich  zögerte  zwar,  als  aber  die  Zeit 
herannahte,  zu  der  Heinrich  in  Deutschland  sein  v/ollte  (29.  Juni), 
und  Dietrich,  Heinrichs  Willen  entsprechend,  nach  Augsburg  auf- 
brach, sprach  er  zunächst  in  Mainz  vor,  wo  er  noch  andere  Bischöfe 
traf,  die  zu  Heinrich  reisen  wollten.  Unter  Assistenz  dieser  —  der 
Mainzer  Erzstuhl  war  durch  Siegfrieds  Tod  (16.  Februar  1084)  er- 
ledigt —  weihte  er  im  Juni  1084  Eigilbert,  da  die  anderen  Suffra- 
gane  (Hermann  von  Metz,  Pibo  von  Toul)  dazu  nicht  mitwirken 
wollten  ^. 

Auch  weiterhin  zeigte  sich  Wibert  dem  Erzbischof  geneigt. 
Eigilbert  begegnete  nämlich  einer  starken  Opposition  in  seiner  Diö- 
cese ;  als  das  ieiunium  quattuor  temporum  nahte,  Aveigerten  sich  die, 
welche  zu  Geistlichen  ordiniert  werden  sollten  —  w^as  in  den  Tagen 
zu  geschehen  pflegt  — ,  die  Weihen  von  ihm  zu  empfangen,  da  er 
das  Pallium  nicht  besitze.  Das  müsse  er  notwendig  von  Gregor 
haben  und  sich  daher  vor  diesem  demütigen  -.  Dieser  Vorgang 
veranlafste  ihn  zu  einem  entscheidenden  Schritte.  Er  sandte  wenige 
Tage  darauf  einen  Mönch,  Theoderich  mit  Namen,  an  Wibert,  der 
für  ihn  um  das  Pallium  bitten  sollte.  Natürlich  antwortete  der 
Papst  mit  der  sofortigen  Übersendung  des  erbetenen  Abzeichens 
und  schrieb  dazu  einen  Brief,  der  eine  Anweisung  enthielt,  wann 
es  zu  verwenden  sei,  einen  Brief,  den  die  Gesta  Treverorum  mit- 
zuteilen nicht  für  der  Mühe  wert  erachtet  haben.  Diese  Gescheh- 
nisse spielten  also  Ende  1084  und  Anfang  1085  und  enthalten  eine 
bedeutsame  Anerkennung  Wiberts  durch  einen  der  ersten  Kirchen- 
fürsten  Deutschlands. 

Auch  in  die  Verhältnisse  des  Bistums  Konstanz  einzugreifen, 
hatte  Wibert  Gelegenheit.  Hier  war  Bischof  Otto,  ein  Anhänger 
der  kaiserlichen  Sache,  im  Jahre  1086  gestorben  ^;  ihm  stand  schon 
seit  Ende  1084  ein  gregorianischer  Bischof  in  der  Person  Gebhards, 
eines  Sohnes  des  Herzogs  Berthold  von  Zähringen,  gegenüber^, 
dessen  Stellung  sich  zusehends  befestigte ,  zumal  er  am  18.  April 
1089  zum  ständigen  päpstlichen  Legaten  ernannt  wurde  ^    Heinrich 


1  Gesta  Trever.  SS.  VIII,  186  f. 

-  Gesta  Trever.  SS.  VIII,  187.  Nach  dem  Bericht  daselbst  fällt  dieser 
Vorgang  noch  in  das  Jahr  1084.  Da  Eigilbert  erst  im  Juni  geweiht  wurde, 
sind  entweder  die  Fasten  nach  Kreuzes  Erhöhung  (14.  September)  oder  die 
nach  Lucia  (13.  Dezember)  zu  verstehen.  —  Jafie-L.  5321. 

^  Ladewig,  Regesta  episcoporum  Constantiensium  I,  67  No.  518. 

^  Ladewig  a.  a.  0.  I,  67  f.  No.  520.  Giesebrecht  III,  639  u.  1175.  Hen- 
king,  Gebhard  III.  von  Konstanz  S.  19  ff, 

^  Ladewig  a.  a.  O.  I,  71  No.  546.  Jaffe-L.  5393.  Bern.  1089  SS.  V,  448. 
Henking  a.  a.  O.  35  ff.    S.  o.  S.  76. 


Wiberts  Stellung  in  Italien  und  Deutschland.  109 

ersetzte  den  verstorbenen  Otto  seinerseits  durch  einen  Mönch  aus 
St.  Gallen,  Namens  Arnold,  einen  Grafen  von  Heiligenberg,  aber 
erst  nach  einem  Zwischenraum  von  6  Jahren  ^  Ostern  (28.  März) 
1092;  eher  scheinen  für  einen  kaiserlichen  Bischof  keine  Aussichten 
gewesen  zu  sein.  Und  auch  jetzt  liefs  sich  Heinrich  auf  die  Sache 
nur  ein,  weil  der  Abt  von  St.  Gallen  und  Patriarch  von  Aquileja, 
Udalrich ,  ihm  versprach,  für  die  Einsetzung  in  das  Bistum  wolle 
er  sorgen ;  sein  Versuch  dazu  mifslang  aber  -.  Post  aliqua  inter- 
sticia  temporum  erhielt  nun  dieser  Arnold  von  Wibert  in  Ravenna 
die  Bischofsweihe  auf  Verwendung  seines  Metropolitans,  des  Erz- 
bischofs Ruthard  von  Mainz  ^.  Diese  Weihe  wird  nach  dem  Ver- 
such, in  Konstanz  einzudringen,  erzählt,  kann  auch  nicht  eher,  d.  h. 
nicht  vor  1093  stattgefunden  haben,  da  Arnold  vorher  noch  die 
Priesterweihe  erhalten  mufste  ^  Da  Wibert  vor  1097  nicht  wieder 
in  Ravenna  weilte,  müfste  Arnold  erst  dann  geweiht  worden  sein, 
wobei  aber  die  Schwierigkeit  entsteht,  dafs  seit  Anfang  1097  die 
Mifshelligkeiten  zwischen  Wibert  und  Ruthard  von  Mainz,  die  wir 
gleich  berühren  werden,  begannen.  Vielleicht  liegt  in  der  Ortsan- 
gabe ein  Fehler,  und  wir  müssen  uns  begnügen,  die  Weihe  als 
zwischen  1093  und  1097  erfolgt  anzusetzen  ■^. 

Was  aber  die  Gesta  der  Erzbischöfe  von  Magdeburg  ^  über  einen 
Konsens  Wiberts  zu  der  Ernennung  eines  Paderborner  Bischofs  be- 
richten, wird  zu  eliminieren  sein.  Es  wird  dort  erzählt:  Hartwichs 
von  Magdedurg  Nachfolger  wurde  1103  Heinrich.  Dieser  war  einst 
zum  Bischof  von  Paderborn  designiert  gewesen.  Zu  der  Zeit  be- 
lagerten gerade  Heinrich  und  AVibert  Rom  und  Gregor.  Da  kam 
Graf  Heinrich  von  Werla  mit  seinem  Bruder  Konrad  ins  Lager, 
und  ersterer  erkaufte  das  Bistum  durch  Vermittelung  des  letzteren. 


^  Dies  geht  hervor  aus  Casuum  S.  Galli  cont.  II.  c.  7  SS.  II,  160:  Impe- 
rator Heinricus  cum  Mantue  pascha  perageret  etc.  und  aus  Casus  monast. 
Petrishus.  3,  31  SS.  XX,  657,  verglichen  mit  Bern.  1092  SS.  V,  455.  Vgl.  Hen- 
king  a.  a.  0.  46  ff.,  ferner  hierzu  wde  zum  Folgenden  Meyer  von  Knonau  in  den 
St.  Galler  Mitteilungen  XVII,  85  ff.,  namentlich  die  Anmerkungen  227,  230, 
231,  235. 

2  Ladewig  a.  a.  0.  I,  72  No.  557  u.  82  f.  No.  665,  666.  Casuum  S.  Galli 
cont.  II.  c.  7  SS.  II,  160  und  Casus  monast.  Petrishus.  3,  29  u.  31  SS.  XX. 
656  u.  657.  Ann.  August.  1084  SS.  III,  131.  Bern.  1092  SS.  V,  455.  Giese- 
brecht  III,  647,  1176. 

3  Ladewig  a.  a.  0.  I,  83  No.  669.  Casuum  S.  Galli  cont.  IL  c.  7  SS.  II, 
160.  Ann.  August.  1084  SS.  III,  131.  Cfr.  Casus  monast.  Petrishus.  3,  31  SS. 
XX,  657,  die  sich  in  Zeit  und  Ort  (1103  und  Rom)  irren, 

4  Ladewig  a.  a.  0.  I,  83  No.  667. 

5  Ladewig  a.  a.  0.  I,  83  No.  669.     Henking  a.  a.  0.  48. 

6  Gesta  archiepisc.  Magdeburg,  c.  23  SS.  XIV,  407. 


110  "Wiberts  Stellung  in  Italien  und  Deutschland. 

wurde  von  Heinrich  zum  Bischof  ernannt  und  fand  auch  Wiberts 
Zustimmung.  Diesem  Heinrich  gelang  es ,  sich  zu  behaupten  und 
jenen  anderen  Heinrich  zu  nötigen,  in  Magdeburg  seine  ZuÜucht 
zu  suchen.  Nun  aber  starb  der  Vorgänger  der  beiden  Heinriche, 
Bischof  Poppo  von  Paderborn ,  erst  am  28.  November  1084  ^,  als 
Kaiser  Heinrich  längst  wieder  in  Deutschland  war;  damit  fällt  wohl 
diese  Erzählung,  soweit  sie  Vorgänge  in  Italien  und  Wibert  be- 
trifft ■^. 

In  den  letzten  Jahren  seines  Pontifikats  beschäftigte  Wibert 
lebhaft  die  Angelegenheit  des  Erzbischofs  Buthard  von  Mainz,  die 
teilweise  ihren  Ursprung  in  den  Judenverfolgungen  der  Kreuzfahrer 
hatte,  mit  denen  bekanntlich  diese  ihr  frommes  Werk  1096  in  Deutsch- 
land begannen  '^.  In  der  Not  und  gezwungen  waren  viele  Juden 
zum  Christentum  übergetreten ;  als  nun  Heinrich,  aus  Italien  zurück- 
kehrend, seit  dem  24.  Mai  1097  *  längere  Zeit  in  Begensburg  weilte, 
wandte  man  sich  an  ihn ,  und  er  gestattete  den  zwangsweise  Be- 
kehrten den  Bücktritt  zum  Judentum'^.  Anders  Wibert,  der  mit 
dieser  unkirchlichen  Handlungsweise  gar  nicht  einverstanden  war 
und  zwar  nicht  direkt  an  den  Kaiser,  aber  an  Bischof  Bupert  von 
Bamberg  schrieb  ^ :  Belatum  est  nobis  a  quibusdam ,  quod  Judeis 
baptizatis  nescio  qua  ratione  permissum  sit  apostatare  ritumque  Ju- 
daismi  excolere.  Quod  quia  inauditum  est  et  prorsus  nefarium,  te 
et  omnes  fratres  nostros  verbo  Dei  constringimus :  quatinus  id  se- 
cundum  canonicam  sanctionem  et  iuxta  patrum  exempla  corrigere 
festinetis;  ne  sacramentum  baptismi  et  salutifera  invocatio  nominis 
Domini  videatur  annullari.     Indes  hört  man  nicht,    dafs  Heinrich 


^  Necrol.  Abdinghov.  bei  Schalen,  Ann.  Paderborn.  I,  612.  Erhard,  Re- 
gesta  historiae  Westfaliae  I,  201. 

^  Über  die  beiden  Heinriche  haben  wir  in  der  Zeit,  wo  es  sich  um  die 
Neubesetzung  des  Stuhles  von  Paderborn  handelt,  folgende  Notizen :  Der  kirch- 
lich gesinnte  Heinrich  erscheint  als  Teilnehmer  am  Kolloquium  von  Gerstungen 
(20.  Januar  1085)  [Giesebrecht  III,  605]  beim  Annal.  Saxo  1085  SS.  VI,  723 
und  in  den  Ann.  Magdeburg.  1085  SS.  XVI,  176:  Heinricus  Patherbrunnensis 
designatus  et  adhuc  tantum  subdiaconus.  In  Mainz  (Mai  1085)  war  der  kaiser- 
lich gesinnte  Heinrich  (Henrichus  Paderbrunnensis  episcopus)  anwesend,  während 
der  andere  exkommuniziert  wurde:  Henrichus  alter  Paderbrunnensis  episcopus, 
per  studia  partium  subintroductus ,  sed  ne  adhuc  [1092,  wo  AValram  schreibt] 
quidem  initiatus :   Walram  de  unit.  eccl.  2,  19  ed.  Schwenkenbecher  S.  77  u.  78. 

^  Vgl.  Giesebrecht  III,  677  f.        ''  Ann.  August.  1097  SS.  III,  135. 

"  Ekkeh.  1097  SS.  VI,  208.  Ann.  Rosenveld.  1097  SS.  XVI,  102.  Ann. 
S.  Disibodi  1097  SS.  XVII,  16  (s.  Watterich  I,  607  Anm.  1).  Giesebrecht  III, 
687.  Waitz,  Verfassungsgesch.  V,  373.  Buchholz,  Würzb.  Clironik  53  und 
Ekkehard  105  f.,  106,  131. 

^  Jafie-L.  5336  im  cod.  Udalr.  90  bei  Jaffe,  Bibl.  V,  175. 


Wiberts  Stellung  in  Italien  und  Deutschland.  111 

seine  Erlaubnis  zurückgenommen  habe,  die  ich  mit  Buchholz  (S.  107) 
freilich  auch  lieber  mit  finanziellen  Erwägungen  als  mit  Humanitäts- 
ideen in  Verbindung  bringen  möchte. 

In  Mainz  war  die  Judenverfolgung  besonders  heftig  gewesen, 
der  Erzbischof  selber  hatte  sich  an  ihr  beteiligt  und  bereichert.  Als 
Heinrich  zurückgekehrt  war,  liefs  er  auch  die  Mainzer  Vorgänge 
untersuchen,  ohne  sich  an  Einwendungen  Ruthards  zu  kehren.  Es 
scheint  sich  aber  lediglich  um  die  Hinterlassenschaft  der  gemordeten 
Juden  gehandelt  zu  haben,  nicht  um  die  Bestrafung  der  verübten 
Morde  ^  Der  Erzbischof,  selbst  schuldig,  entfloh  nach  Thüringen, 
wo  er  8  Jahre  im  Exil  zubringen  mufste,  und  war  seitdem  erklär- 
licherweise ein  unversöhnlicher  Gegner  Heinrichs  IV.  - 

Schon  vorher  war  Buthard  von  Bischof  Rupert  von  Bamberg 
und  anderen  schwerer  Vergehen  bei  Wibert  angeklagt  worden  und 
hatte  von  diesem  durch  die  Kardinäle  Warinus,  Anastasius  und  Adal- 
marius  den  29.  September  1097  als  Termin  für  seine  Verantwortung 
erhalten  ^  Auf  demselben  sollten  auch  Rupert  und  die  übrigen 
Ankläger  erscheinen ,  um  die  Beschuldigungen ,  die  sie  gegen 
den  Abwesenden  erhoben  hatten ,  dem  Anwesenden  gegenüber  zu 
wiederholen.  Ruthard  kam  nicht,  denn  eine  zweite  Ladung  wurde 
nötig,  welche  durch  die  Bischöfe  Dietrich  von  Albano  und  Robert 
von  Faenza  erfolgte*,  wohl  im  Anfang  1098,  als  Ruthard  noch  in 
Mainz  war;  er  solle  auf  einer  Synode  erscheinen,  wurde  ihm  auf- 
gegeben. Er  versprach  zu  folgen ;  als  aber  die  Gesandten  sich  ent- 
fernt hatten,  handelte  er  in  einer  anderen  schwebenden  Angelegen- 
heit nach  seinem  Kopfe,  der  Legat  kehrte  zurück  und  gebot  ihm 
aufrichtigen  Gehorsam ,  wie  ihn  auch  die  übrigen  leisten  müfsten. 
Da  behauptete  Ruthard ,  er  habe  einen  Gesandten  an  Wibert  ge- 
schickt und  sei  von  diesem  von  dem  Besuche  der  Synode  entbunden 
worden.  Als  man  hiervon  Wibert  in  Kenntnis  setzte,  war  er  sehr 
erzürnt,  weil  die  Synode  damit  in  Frage  gestellt  wurde,  denn  auch 
die  Suffragane  von  Mainz  wären  gewifs  ferngeblieben.  Jenen  Ge- 
sandten Ruthards  forderte  er  unter  scharfen  Drohungen  mit  schwerer 
Exkommunikation  auf  den  29.  September  1098  zur  Verantwortung 
vor  sich ;  an  Ruthard  aber  erging  iterum  atque  iterum  die  dringende 


^  Worüber  ßuchholz,  Ekkehard  107. 

2  Vgl.  Giesebrecht  III,  678  u.  687  f.,  Quellen  S.  1179,  1181,  1182.  Böhmer- 
Will,  Reg.  archiep.  Mag.  I,  227  u.  228. 

^  Das  ergiebt  Jaffe-L.  5336  im  cod.  Udalr.  90  bei  Jaffe ,  Bibl.  V,  175  zu- 
sammengehalten mit  Ja£fe-L.  5339  bei  Jaffe,  Bibl.  III,  377.  Vgl.  Böhmer-Will, 
Reg.  archiep.  Mag.  I,  228. 

*  Jaffe-L.  5339  a.  a.  0.     In  5337  ist  nur  von  Robert  von  Faenza  die  Rede. 


112  Wiberts  Stellung  in  Italien  und  Deutschland. 

Aufforderung,  am  9.  Oktober  1098  auf  der  geplanten  Synode  von 
Vercelli  ^  zu  erscheinen  und  alle  seine  Suffragane  zum  Kommen 
ebenfalls  anzuhalten  -.  Dieses  Schreiben  —  die  dritte  Ladung  — 
wird  der  Kardinaldiakon  Hugo  überbracht  haben  ^.  Seine  Ankunft 
mag  gerade  in  die  Zeit  gefallen  sein,  wo  auch  der  Streit  zwischen 
Heinrich  und  Ruthard  ausgebrochen  war.  Die  Stellung,  die  nun 
Ruthard  einnahm,  machte  ihm  ein  Nachgeben  unmöglich,  er  erschien 
auch  auf  die  dritte  Aufforderung  nicht. 

Und  so  erliefs  Wibert  am  29.  Juli  1099  sein  letztes  Schreiben 
in  dieser  Sache  an  den  Propst  Godebold  und  den  gesamten  clerus 
und  populus  von  Mainz '^.  Er  beklagt  zunächst  das  Unglück  und  die 
Leiden  der  Mainzer  Kirche  und  zählt  dann  noch  einmal  auf,  wie 
Ruthard,  der  Simonie  beschuldigt^  dreimal  durch  zuständige  Per- 
sonen vor  ihn  citiert  worden  sei.  Dennoch  sei  er  ungehorsam  ge- 
blieben, habe  nur  noch  neue  Verbrechen  den  alten  hinzugefügt,  Treu- 
bruch und  Nachstellungen  gegen  den  Kaiser,  Verbindung  mit  dessen 
und  der  Kirche  Gegnern,  Diebstahl.  Nach  all  diesem  habe  ihn  die 
römische  Kirche  verurteilt,  und  es  sei  ihm  ein  Nachfolger  zu  setzen. 
Stelle  er  sich  innerhalb  eines  Jahres  nicht,  so  sei  er  endgültig  ver- 
dajnmt.  Ihm  sei  vor  Kaiser  und  römischen  Legaten  Ort  und  Zeit 
unter  Gewährleistung  von  Sicherheit  zur  Verantwortung  gesetzt  ge- 
wesen, aus  Schuldbewufstsein  habe  er  diese  Gelegenheit  nicht  be- 
nutzt. Demnach  werden  die  Mainzer  des  Gehorsams  gegen  Ruthard 
entbunden,  jeglicher  Verkehr  mit  ihm  wird  bei  Strafe  des  Anathems 
untersagt.  Dabei  blieb  es  zunächst  und  so  lange  Wibert  noch  lebte ; 
einen  Nachfolger  erhielt  Ruthard  von  Heinrich  überhaupt  nicht. 

Nur  von  zwei  weltlichen  Fürsten  wissen  wir,  dafs  sie  mit  Wibert 
in  Verbindung  getreten  sind.  Der  eine  ist  Herzog  Liutold  von  Kärnten, 
ein  langjähriger  treuer  Anhänger  des  Kaisers,  der  im  Jahre  1090 
starb  ^.  Nicht  lange  vor  seinem  Tode  hatte  er  seine  Frau  verstofsen 
und  eine  andere  genommen,  wozu  er  von  Wibert  besondere  Erlaubnis 
erhalten  hatte;  wurde  der  Papst  in  dieser  Weise  angegangen,  so 
konnte  er  sich  aus  politischen  Rücksichten  kaum  versagen,  mochte 


1  S.  0.  S.  92. 

-  Jaffe-L.  5337  im  cod.  Udalr.  89  bei  Jaffe,  Bibl.  Y,  174.  Vgl.  Böhmer- 
Will,  Reg.  archiep.  Mag.  I,  227. 

^  Jaft'e-L.  5339  a.  a.  0. 

*  Ja£fe-L.  5339  a.  a.  0.     Vgl.  ßöhmer-Will,  Reg.  archiep.  Mag.  I,  228  f. 

^  Bern.  1090  SS.  V,  450.  —  Im  Jahre  1096  transsumiert  Kaiser  Heinrich 
eine  Urkunde  des  Herzogs  Heinrich  II.  von  Kärnten,  durch  welche  das  Kloster 
Lambrecht  dem  Papst  unmittelbar  unterstellt  wird,  doch  ist  die  Urkunde  nach 
Stumpf  verdächtig.  Stumpf  2933.  S.  Tangl,  Archiv  für  österr.  Geschichts- 
quellen XII,  138  ff. 


Wiberts  Stellung  in  Italien  und  Deutschland.  113 

ihm  die  Gewälirung  solcher  Wünsche,  vom  rein  kirchlichen  Stand- 
punkte aus  gesehen,  noch  so  unliebsam  sein. 

Mit  Böhmen  dagegen  hat  Wibert  dauernde  Beziehungen  unter- 
halten. 

Kaiser  Heinrich  hielt  während  der  Fastenzeit  1086  wahrscheinlich 
im  März  ^  eine  Synode  und  einen  Reichstag  in  Mainz,  der  von  4  Erz- 
bischöfen (Mainz,  Köln,  Trier,  Bremen),  12  Bischöfen  und  vielen 
weltlichen  Grofsen  besucht  war  -.  Auch  päpstliche  Legaten  waren 
wie  auf  dem  Mainzer  Reichstage  von  1085  anwesend^;  doch  waren 
es  wohl  andere  Persönlichkeiten  wie  im  Vorjahre,  denn  Hugo  Candi- 
dus,  einer  der  drei  vorjährigen  Gesandten,  war,  wie  ich  oben  (S.  70  f.) 
wahrscheinlich  zu  machen  gesucht  habe ,  Ende  1085  schon  wieder 
in  Italien.  Hier  erhielt  der  in  mannigfacher  Weise  um  Heinrich 
verdiente  Herzog  Wratislaw  von  Böhmen  den  Königstitel  *,  während 
seinem  Bruder,  dem  bisherigen  Kanzler  für  Deutschland,  Bischof 
Gebhard  von  Prag,  die  Vereinigung  der  Bistümer  Prag  und  Olmütz 
(Böhmen  und  Mähren)  zugestanden  wurde  ^ 

Das  war  der  Ausgangspunkt  für  Verhandlungen  mit  Wibert,  da 
die  anwesenden  Legaten  mit  Vollmachten  für  diese  Angelegenheiten 
wohl  nicht  versehen  waren.  Man  hatte  beide  Akte  vorgenommen, 
ohne  nach  Wibert  sonderlich  auszusehen ;  und  war  auch  seine  Zu- 
stimmung wünschenswert,  so  war  doch  Heinrich  ohne  Zweifel  be- 
rechtigt, allein  zu  handeln,  rücksichtlich  der  Standeserhöhung  jeden- 
falls. Konnte  sich  Wibert  durch  dies  Vorgehen  schon  verletzt  fühlen, 
so  kam  hinzu,  dafs  Wratislaw  sich  nicht  sehr  bemüht  hatte,  sein 
Wohlgefallen  zu  erwerben;  wir  werden  gleich  sehen,  worüber  er  sich 
bei  dem  Herzog  zu  beklagen  hatte. 

Kosmas  berichtet®:  Similiter  eodem  anno  (1086)  Heinrico  impe- 
ratore  demandante  etMaguntino  archiepiscopo  Wezlone  interveniente, 


^  Nicht  im  April,  da  Heinrich  am  3.,  9.  u.  29.  in  Regensburg  war.  Stumpf 
2880,  2881,  2882. 

2  Cosmas  Prag.  2,  37  SS.  IX,  91.  Vgl.  Giesebrecht  III,  615  f.  u.  1170. 
Böhmer- Will,  Reg.  archiep.  Mag.  I,  222. 

^  Stumpf  2882  in  dessen  Acta  imperii  No.  76  S.  79.  Cosmas  Prag,  2,  38 
SS.  IX,  93. 

^  Er  wurde  am  St.  Veitstage  (15.  Juni)  von  Erzbischof  Eigilbert  von  Trier 
in  Prag  gekrönt. 

5  Cosmas  Prag.  2,  37,  38  SS.  IX,  91—93.  Die  Urkunde  für  Gebhard  ist 
am  29.  April  in  Regensburg  ausgestellt  (Stumpf  2882,  bester  Druck:  Stumpf, 
Acta  imp.  No.  76  S.  79).  Aus  Kosmas  hat  Ann.  Saxo  1086  SS.  VI,  724  falsch 
geschlossen:  Acta  sunt  hec  Mogontie  III.  Kai.  Mai. 

«  Cosmas  Prag.  2,  38  SS.  IX,  93;  cfr.  2,  41  S.  95.  Vgl.  Giesebrecht  III, 
617.     Böhmer-Will,  Reg.  archiep.  Mag.  I,  222. 

Köbncke,  Wibert  v.  R.  8 


114  Wiberts  Stellung  in  Italien  und  Deutschland. 

perlegatos  apostolicij  qui  eidem  interfuerunt  concilio,  domnus  Clemens 
papa  secundum  praedictos  terminos  suo  privilegio  corroborat  Pra- 
gensem  episcopatum,  id  efflagitante  et  suggerente  Gebehardo  episcopo 
per  suum  capellanum  nomine  Albinum,  quem  cum  legatis  apostolici 
exMaguntia  hac  de  eadem  causa  miserat  Romam.  Am  15.  Mai  1086 
war  nun  Wibert  noch  in  ßavenna  ^,  wo  ihn  die  Legaten  wohl  noch 
erreicht  haben,  da  die  Mainzer  Synode  schon  im  März  gehalten  worden 
war.  Auf  alle  Fälle  glaube  ich  nicht,  dafs  man  aus  dieser  Kosmas- 
Stelle  auf  einen  Aufenthalt  Wiberts  in  Rom  im  Jahre  1086  schliefsen 
darf;  es  liegt  zu  nahe,  bei  einer  Gresandtschaft  an  den  Papst  nur 
an  Rom  zu  denken. 

Ein  grofser  Apparat  wurde  also  für  die  Erreichung  des  Zieles 
in  Bewegung  gesetzt.  Der  Kaiser  und  der  Erzbischof  von  Mainz 
bitten,  ihnen  schliefsen  sich  die  päpstlichen  Legaten  an,  der  Bischof 
schickt  noch  einen  Spezialgesandten  in  seinem  Kaplan  Albinus.  Dazu 
war  das  Diplom  vom  29.  April  1086  -  vorsichtig  so  abgefafst,  dafs 
es  Wiberts  Empfindlichkeit  nicht  erregen  konnte.  Obwohl  Wratislaw 
schon  seit  dem  März  König  war,  heifst  es  in  der  Urkunde  da,  wo 
die  in  Mainz  Anwesenden  aufgezählt  werden :  cum  assensu  laicorum, 
ducis  Boemiorum  AVratizlai.  Diese  Schwierigkeit  hat  Dobner  mit 
Glück  so  gelöst,  dafs  er  annahm,  dieser  Titel  sei  mit  Rücksicht  auf 
Wibert  gewählt,  dessen  Anerkennung  der  Königswürde  eben  noch 
ausstand;  man  wollte  der  zu  bestätigenden  Urkunde  kein  Hindernis 
anhängen  '^.  Den  vereinten  Bemühungen  gelang  es,  die  Bestätigung 
der  Verfügung  Heinrichs  über  die  Vereinigung  der  Sprengel  Prag 
und  Olmütz  von  Wibert  zu  erreichen,  was  im  Sommer  1086  geschehen 
sein  mag. 

Von  einer  Bestätigung  der  Königswürde  sagt  Kosmas  nichts. 
Indes  hatte  Wezilo,  als  er  der  Bitte  um  Bestätigung  des  Bistums 
Prag  in  seiner  neuen  Ausdehnung  seine  Unterstützung  lieh,  gleich- 
zeitig auch  ein  Schreiben  an  Wibert  gericlitet,  das  die  Frage  der 
Königswürde  betraf*.    Wratislaw  that  es  nicht  selber,  weil  sein  Ver- 


1  Jaffe-L.  5323.         ^  stum])f  2882. 

^  Hagecii  Ann.  Bohemiae  ed.  Dobner  V,  517.     Gfr.  SS.  IX,  92  Anm.  87. 

*  Pez,  Thesaurus  anecdot.  VI,  1,  288  No.  73.  Vgl.  Böhmer-Will,  Reg.  ar- 
chiep.  Mag.  I,  222  f.  Giesebrecht  III,  1171.  Giesebrecht  hat  zuerst  darauf  auf- 
merksam gemacht ,  dafs  der  Brief  von  Wezilo  von  Mainz  herrühre.  Übrigens 
stimme  ich  Böhmer  und  Giesebrecht  nicht  zu,  wenn  sie  ihn  in  die  zweite  Hälfte 
1086  nach  der  feierlichen  Krönung  vom  15.  Juni  setzen,  denn  nicht  diese,  son- 
dern der  Vorgang  von  Mainz  ist  das  Entscheidende,  auch  erhielt  schon  hier 
Wratislaw  einen  circulus  regalis  von  Heinrich  aufgesetzt.  Die  Legaten  werden 
AVezilos  Brief  mitgenommen  haben,  der  also  schon  im  März  oder  Ai)ril  1086 
«•eschrieben  ist. 


Wiberts  Stellung  in  Italien  und  Deutschland.  115 

liältnis  zu  Wibert  getrübt,  AVezilo  aber  persona  grata  war.  Die 
Anrede  und  die  Einleitung  des  Briefes  bilden  eine  captatio  bene- 
volentiae  im  höchsten  Grade,  die  Schmeicheleien,  die  Wibert  gesagt 
werden,  berühren  fast  unangenehm.  Wratislaw,  Wezilos  Auftrag- 
geber, wird  salva  vestri  (sc.  Clementis)  reverentia  rex  Boloniorum  ^ 
genannt.  Wezilo  bittet  um  Nachsicht  wegen  der  Annahme  des  Königs- 
titels, denn  der  Kaiser  und  das  ganze  Reich  seien  einverstanden  ge- 
wesen. Eindringlich  wird  an  die  grofsen  Verdienste  Wratislaws  um 
Kaiser  und  Papst  erinnert,  ohne  ihn  Aväre  alles  aus  den  Fugen  ge- 
gangen. Es  wird  versichert,  dafs  Wibert  des  Gehorsams  Wratislaws 
sich  versehen  könne,  der  ihm  von  grofsem  Nutzen  sein  werde.  Des- 
halb möge  er  mit  dem  König  nicht  ins  Gericht  gehen  und  seiner, 
Wezilos,  Vermittelung  diese  Sache  anvertrauen.  Der  Brief  hat  die 
gewünschte  Wirkung  nicht  gehabt,  die  Ursachen  dürften  im  Folgenden 
zu  finden  sein. 

Einmal  hatte  Wratislaw  von  Alexander  II.  als  eine  Art  Aus- 
zeichnung den  Gebrauch  der  Mitra  zugestanden  erhalten,  den  ihm 
Gregor  bestätigte  -.  Dafür  zahlte  er  einen  Zins  von  100  Mark  Silbers, 
für  dessen  Entrichtung  ihm  beispielsweise  Gregor  noch  am  22.  Sep- 
tember 1074  dankt  ^.  Ob  er  ihn  noch  Ende  der  70  er  Jahre  geleistet 
hat,  weifs  man  nicht,  jedenfalls  hat  er  die  Kirchenspaltung  als  will- 
kommenen Anlafs  ergriffen,  seine  Zahlungen  trotz  wiederholter  Mah- 
nungen Wiberts  einzustellen  *.  Dann  schwebte  noch  eine  zweite  Ange- 
legenheit zwischen  beiden,  die  das  Bistum  Meifsen  betraft  Der 
dortige  Bischof  Benno  befand  sich  unter  denen,  die  auf  der  Synode 
von  Mainz  1085  abgesetzt  und  exkommuniziert  wurden  ^  Ihm  ward 
wohl  zu  Anfang  1086  '  ein  Nachfolger  bestellt  in  der  Person  eines 


^  Statt  Boloniorum  ist  wohl  ßoemiorum  zu  lesen,  denn  dafs  Polen  durch 
diese  Vorgänge  in  keiner  Weise  berührt  wurde,  hat  neuerdings  erwiesen  Wersche, 
Das  staatsrechtliche  Verhältnis  Polens  zum  deutschen  Reich,  Zeitschrift  des 
Vereins  für  die  Greschichte  des  Grofsherzogtums  Posen.  1887.  S.  270 — 273. 

2  Greg.  VlI.  Reg.  1,  38  bei  Jaöe,  Bibl.  II,  56;  Jaffe-L.  4812.  Dabei  ist 
nicht  an  eine  ßischofsmitra  zu  denken,  wie  Ducange  V,  427  s.  v.  mitra  lehrt, 
sondern  an  eine  Bedeckung  des  Hauptes  unter  der  Krone  nach  Art  der  Mitra. 

3  Greg.  VII.  Reg.  2,  7  bei  Jaffe,  Bibl.  II,  119;  Jaffe-L.  4880.  Vgl.  Giese- 
brecht  III,  226  u.  1119. 

*  Jaffe-L.  5324;  s.  u.  S.  116  Anm.  5. 

^  Vgl.  cod.  dipl.  Saxoniae  regiae,  I.  Hauptteil,  1.  Band,  Einleitung  S.  103, 
105,  108  f. 

^  Walram  de  unit.  eccl.  2,  19  ed.  Schwenkenbecher  S.  78. 

'  Dafs  dies  erst  nach  dem  April,  bezw.  15.  Juni  1086  geschehen  sei,  wie  im 
cod.  dipl.  Sax.  reg.  I,  1,  Einltg.  S.  105  Anm.  126  behauptet  wird,  ergeben  die 
dort  angeführten  Briefe  (Pez ,  Thes,  VI ,  1  No.  72  u.  74)  nicht ;  sie  sind  aller- 
dings erst  geschrieben,  nachdem  Wratislaw  König  geworden  ist,   sprechen  aber 

8* 


116  AViberts  Stellung  in  Italien  und  Deutschland. 

gewissen  Felix  ^,  wie  am  deutlichsten  aus  einem  Briefe  des  kaiser- 
lichen Gegenerzbischofs  Hartwich  von  Magdeburg  an  Wratislaw  her- 
vorgeht '^.  Dafür,  dafs  Felix  in  den  Besitz  seines  Bistums  gelange, 
sollte  Wratislaw,  der  auf  die  thüringischen  Marken  Einflufs  hatte  '^, 
seine  Macht  geltend  machen ;  es  mufs  ihm  aber  nicht  recht  gewesen 
sein,  denn  er  that  nichts  und  liefs  einen  durch  einen  Gesandten  über- 
mittelten Brief  Wiberts  unberücksichtigt  ^. 

Statt  nun  Wratislaws  Königswürde  anzuerkennen  oder  einen 
Schritt  zu  thun,  den  man  so  hätte  auslegen  können,  erliefs  Wibert 
vielmehr  wohl  ziemlich  gleichzeitig  mit  der  Bestätigung  des  Prager 
Bistums  ein  Schreiben  an  den  König,  das  die  Adresse  führt :  Clemens 
episcopus,  servus  servorum  Dei,  W.  glorioso  principi  Boemiorum  etc.*'' 
In  diesem  ist  ausschliefslich  von  den  beiden  zwischen  dem  Papst  und 
dem  König  schwebenden  Angelegenheiten  die  Rede.  AVibert  beklagt 
sich,  dafs  Wratislaw  so  lange  schon  die  Zahlungen  an  den  heiligen 
Petrus  nicht  geleistet  habe,  wiewohl  er  dazu  schon  oft  väterlich  er- 
mahnt worden  sei,  eine  Ermahnung,  die  in  dringender  Form  wieder- 
holt wird.  AVas  den  designierten  Meifsener  Bischof  Felix  angehe  — 
weder  dieser  Name  noch  das  Bistum  werden  genannt,  aber  nach  der 


von  Felix  nicht  als  von  einem  erst  neu  eingesetzten,  sondern  beklagen  nur,  dafs 
der  König  seinerseits  noch  keine  Hand  für  ihn  gerührt  habe  (in  novo  episcopo 
eligendo  [auch  seinerseits]  et  constituendo),  sonst  iam  foret  locatus.  Auch  war 
in  dieser  Sache  schon  vorher  ein  Brief  abgegangen.  Vgl.  zu  diesen  Vorgängen 
auch  cod.  dipl.  Sax.  reg.,  2.  Hauptteil  I,  Vorrede  S.  XVI  f. 

^  Felix  war  ein  Günstling  Wratislaws.  Giesebrecht  III,  612.  Hartwich  von 
Magdeburg  nennt  ihn  in  seinem  Briefe  an  Wratislaw  Felicem  tuum.  AVahr- 
scheinlich  war  er  Ende  1079  Gesandter  seines  Herzogs  an  Gregor.  Greg.  VII. 
Reg.  7,  11  bei  Jaffe,  Bibl.  II,  394;  Jaffe-L.  5151.  Hagecii  Ann.  Bohemiae  ed. 
Dobner  V,  481. 

2  Pez,  Thes.  anecd.  VI,  1,  289  No.  74  und  cod.  dipl.  Sax.  regiae  1.  Haupt- 
teil I,  347;  2.  Hauptteil  I,  40. 

^  Er  hatte  sie  bis  1081  besessen  und  besetzte  sie  1087  wieder.  Giesebrecht 
III,  526  u.  623.     Codex  dipl.  Sax.  regiae,  1.  Hauptteil  I,  Einltg.  S.  110  f. 

■*  Jaffe-L.  5324,  s.  folgende  Anm. 

•^  Jaffe-L.  5324  bei  Pez ,  Thes.  anecd.  VI,  1 ,  286  No.  72  und  im  cod.  dipl. 
Sax.  regiae,  2.  Hauptteil  I,  39;  1.  Hauptteil  I,  346.  Gänzlich  undatiert.  Giese- 
brecht III,  1171  setzt  das  Schreiben  in  1084  oder  1085,  Jafte-L.  in  1086  nach 
dem  15.  Juni.  Dafs  es  nach  dem  15.  Juni  fallen  müsse ,  wird  sich  bindend 
kaum  behaupten  lassen;  aber  1086  ist  Giesebrechts  Annahme  vorzuziehen,  und 
zwar  ist  die  Zeit  nach  der  Mainzer  Versammlung  anzunehmen  wegen  der  Adresse. 
Wratislaw  war  schon  König,  darum  sagt  Wibert  nicht  dux,  um  ihn  nicht  zu 
verletzen,  aber  auch  nicht  rex,  was  er  nicht  anerkennen  wollte,  sondern  wählt 
den  indifferenten  Titel  princeps.  —  Am  Schlüsse  wird  hervorgehoben,  dafs  ein 
neues  Siegel  zur  Anwendung  gekommen  ist. 


Wiberts  Stellung  in  Italien  und  Deutschland.  117 

ganzen  Lage  der  Dinge  kann  gar  kein  anderes  gemeint  sein  ^  — ,  so 
sei  keiner  treuer  als  dieser.  Wiederholt  bitte  er  daher^  ihm  zu  seinem 
Bistum  zu  verhelfen ;  noch  habe  er  sich  darüber  mit  dem  Kaiser 
nicht  ins  Benehmen  gesetzt,  und  wenn  Wratislaw  nur  seinen  Bitten 
schon  willfahre,  so  werde  er  es  ihm  hoch  anrechnen.  Jedenfalls 
möge  er  eine  Antwort  senden. 

Ob  Wratislaw  gezahlt  hat,  wissen  wir  nicht,  unwahrscheinlich 
ist  es.  Die  Meifsener  Angelegenheit  aber  nahm  einen  eigenen  Ver- 
lauf, durch  den  sie  aufhörte,  zu  Streit  zwischen  Wibert  und  Wratislaw 
Anlafs  zu  geben.  Bischof  Benno  nämlich  fand  es  geraten  einzulenken ; 
denn  Ekbert,  der  Markgraf  von  Meifsen,  hielt  es  bald  mit  Heinrich, 
bald  mit  dessen  Gegnern,  auf  ihn  war  kein  Verlafs,  und  die  Nähe 
Wratislaws  war  immerhin  bedrohlich.  Benno  —  der  deshalb  von 
Walram  von  Naumburg  sehr  gelobt  wird  —  begab  sich  im  Laufe 
des  Jahres  1086  zu  Wibert  und  erlangte  Verzeihung,  wurde  von 
diesem  mit  einem  Schreiben  an  Kaiser  Heinrich  gesendetj  auch  von 
ihm  zu  Gnaden  angenommen  und  seinem  Bistum  wiedergegeben  -. 
Damit  war  die  Sache  aus  der  Welt  geschafft,  Felix  aufgegeben.  Zwar 
richtete  der  kaiserliche  Gegenerzbischof  Hartwich  von  Magdeburg 
wohl  noch  in  der  zweiten  Hälfte  des  Jahres  1086  —  er  spricht  näm- 
lich zuerst  seine  Glückwünsche  wegen  der  Königswürde  aus  —  ein 
Schreiben  an  Wratislaw  des  Inhalts  '^:  der  in  Mainz  abgesetzte  Bischof 
Benno  von  Meifsen  sei  aus  Italien  zurückgekehrt,  angeblich  mit  dem 
Papste  versöhnt ;  seinen  Wünschen  sei  aber  unmöglich  zu  willfahren, 
weil  er  kein  sicheres  Zeichen  der  Versöhnung  habe,  und  wegen  des 
Felix,  der  ihm  schon  in  kanonischer  Weise  nachgefolgt  sei.  Benno 
wolle  durch  Überraschung  seinen  Sitz  wiedergewinnen,  Wratislaw 
möge  sich  vorsehen  und  es  nicht  zulassen.  Aber  das  nützte  natürlich 
nichts  mehr,  Benno  wufste  sich  aufs  beste  mit  Wratislaw  zu  stellen, 
wie  wir  durch  Kosmas  wissen  ^. 

Als  Wratislaw,  in  seiner  Stellung  zu  Heinrich  schwankend  ge- 
worden, im  Jahre  1088  in  Streitigkeiten  mit  seinem  Bruder  Gebhard 
geriet  und  trotz  der  Privilegien  Heinrichs  und  Wiberts  die  Sprengel 
Prag  und  Olmütz  wieder  trennte,  wollte  sich  Gebhard  um  Schutz 
zu  Wibert  begeben,  starb  aber  am  26.  Juni  1089,  ehe  er  seinen  Ent- 


^  Jedenfalls  nicht  das  Bistum  Olmütz,  wie  Boczek,  Cod.  dipl.  Moraviae  I, 
174  meint. 

^  Walram  de  unit.  eccl.  2,  25  ed.  Schwenkenbecher  S.  89.  Vgl.  Giesebrecht 
III,  624. 

^  Pez,  Thes.  anecd.  VI,  1,  289  No.  74  und  cod.  dipl.  Sax.  regiae,  1.  Haupt- 
teü  I,  347;  2.  Hauptteü  I,  40. 

*  Cosmas  Prag.  2,  40  SS.  IX,  94. 


118  Wiberts  Stellung  in  Italien  und  Deutschland. 

sclilufs  zur  Ausführung  gebracht  hatte  ^  Wie  Wibert  sich  zu  Wratis- 
laws  Vorgehen  verhielt,  ist  unbekannt,  doch  mufste  er  die  Dinge 
gehen  lassen^  wie  sie  gingen. 

Dabei  dauerten  seine  freundlichen  Beziehungen  zu  Böhmen  fort, 
auch  nach  Wratislaws  am  14.  Januar  1092  erfolgten  Tode  -,  in  diesem 
Lande  wurde  er  bis  an  sein  Ende  als  Papst  angesehen.  Gegen  den 
Schlufs  des  Jahres  1092  z.  B.  wurde  von  Herzog  Bretislaw  und 
Bischof  Kosmas  von  Prag  ein  gewisser  Robert  aus  Cavaillon  in  der 
Provence,  der  sich  für  einen  langjährigen  Bischof  dieser  Stadt  aus- 
gab, es  aber  nie  gewesen  war,  auf  Grund  der  Aussage  eines  gewissen 
Ozel,  der  seine  Angaben  bestätigte,  zu  bischöflichen  Amtshandlungen 
zugelassen,  deren  er  auch  viele  verrichtete.  Um  Ostern  1093  er- 
schien nun  ein  Geistlicher ,  der  wufste ,  wie  es  mit  Robert  stand. 
Dieser  mufste  seine  Entlarvung  befürchten  und  ging  schleunigst  zum 
grofsen  Erstaunen  des  Herzogs  und  des  Bischofs  nach  Sachsen.  Als 
dann  die  Sache  ruchbar  wurde,  vergewisserten  sich  beide  bei  dem 
Bischof  Desiderius  von  Cavaillon  und  erhielten  die  Auskunft,  dafs 
es  dort  niemals  einen  Bischof  Robert  gegeben  habe.  Da  sandte  man 
denn  auch  an  AVibert,  wie  es  mit  den  Amtshandlungen  dieses  Mannes 
gehalten  werden  solle.  Wibert  traf  eine  durchaus  angemessene  und 
vernünftige  Entscheidung  '^ :  ecclesias  ex  integro  reconsecrare,  bap- 
tizatos  crismate  pseudoepiscopi  non  rebaptizari,  sed  tantum  confir- 
mare,  similiter  ordinatos  non  reordinari,  sed  solummodo  inter  ordi- 
nandos  stare  ad  ordinationem ,  et  per  solam  manus  inpositionem 
recipere  benedictionem. 

Und  noch  in  seinem  letzten  Lebensjahre  stand  er  mit  Böhmen 
in  Verbindung.  Sein  Legat  nämlich,  Kardinal  Robert,  konsekrierte 
in  Vertretung  seiner  am  8.  April  1100  in  Mainz  den  als  Nachfolger 
des  Kosmas  erwählten  Bischof  Hermann  von  Prag  ^.  Dies  hätte  zu- 
nächst dem  Erzbischof  Ruthard  von  Mainz  zugestanden,  der  aber  ja 
mit  dem  Kaiser  zerfallen  war  und  sich  flüchtig  in  Thüringen  auf- 
hielt; Robert  that  es  auf  Befehl  des  Kaisers  und  mit  Zustimmung 
der  Mainzer  Suffragane. 

Solches  wird  uns  über  die  Verbindungen  Wiberts  mit  einzelnen 
deutschen  Bischöfen  und  Fürsten  überliefert.  Es  kann  nicht  meine 
Aufgabe  sein,  nachzuweisen,  wer  sonst  zu  seinen  Anhängern  gehörte 


^  Cosmas  Prag.  2,  41  SS.  IX,  95  f.  Oiesebrecht  III,  624,  631,  1171  f.  Cod. 
dipl.  Sax.  regiae,  1.  Hauptteil  I,  Einltg.  S.  110.  Böhmer- Will ,  Reg.  archiep. 
Mag.  I,  223. 

2  Cosmas  Prag.  2,  50  SS.  IX,  100.         ^  Cosmas  Prag.  2,  51  SS.  IX,  101. 

*  Cosmas  Prag.  3,  10  SS.  IX,  106.  Vgl.  Giesebrecht  III,  684.  Böhmer- 
Will,  Reg.  archiep.  Mag.  I,  229. 


Wiberts  Stellung-  zu  den  übrigen  Ländern  Europas.  119 

und  wer  nicht.  Im  allgemeinen  läfst  sich  sagen,  dafs  in  Deutsch- 
land bei  geistlichen  und  weltlichen  Fürsten  Kaiser  Heinrich  stets 
in  erster  Linie  stand.  Hinter  ihm  kam  Wibert.  Wer  Heinrich  als 
Kaiser  anerkannte,  sah  dann  in  Wibert  seinen  Papst,  aber  auch  nur 
darum,  nicht  aus  Begeisterung  für  Wiberts  Person  oder  Sache.  Mufste 
man  sich  an  den  Papst  wenden,  so  ging  man  eben  an  ihn,  aber  er 
blieb  in  Deutschland  fremd.  Und  gern  entzog  man  sich  seinen  Ver- 
pflichtungen ihm  gegenüber,  er  hatte  nicht  die  Macht  und  das  An- 
sehen, um  dagegen  wirksam  einschreiten  zu  können.  Bei  Wratislaw 
von  Böhmen  haben  wir  dies  schon  gesehen.  Ebenso  aber  mufste 
sich  Wibert  im  Jahre  1097  bei  Bischof  Rupert  von  Bamberg,  einem 
erprobten  Anhänger  der  kaiserlichen  Sache,  den  er  auch  wegen  seines 
Eifers  für  ihn  selber  lobt,  beklagen,  dafs  er  so  lange  der  römischen 
Kirche  vorenthalten  habe,  was  ihr  gebühre.  Er  mahnt  ihn  und  be- 
fiehlt ihm  energisch:  ut,  quod  debes,  solvas  ablatumque  temere  re- 
stituere  non  differas.  Eventuell  droht  er  mit  einer  Beschwerde  beim 
Kaiser  ^  Wo  Heinrich  und  Wibert  anerkannt  wurden,  war  die  welt- 
liche der  geistlichen  Macht  übergeordnet. 


Elftes  Kapitel. 
Wiberts  Stellung  zu  den  übrigen  Ländern  Europas. 

Um  es  gleich  vorweg  zu  sagen:  zu  keinem  anderen  Lande  Europas 
hat  Wibert  irgend  nennenswerte  Beziehungen  unterhalten. 

Vom  Norden  Europas,  mit  dem  Gregor  in  lebhafter  Verbindung 
stand^  hören  wir  gar  nichts.  In  Ungarn  gab  es  zahlreiche  Anhänger 
der  wibertistischen  Sache,  denn  Papst  Urban  nimmt  am  27.  Juli  1096 
Anlafs  ^,  den  König  Koloman  eindringlich  zu  ermahnen,  die  Partei 
der  Ketzer  zu  verlassen  und  die  Fahne  des  wahren  katholischen 
Glaubens  aufzurichten ;  indes  erfahren  wir  nichts  von  einem  Verkehr 
mit  Wibert. 

In  England  regierte  nach  Wilhelm  I.  dem  Eroberer  (1066 — 1087) 
dessen  sehr  gewaltthätiger  Sohn  Wilhelm  II.,  der  nicht  lange  vor 
Wibert  am  2.  August  1100  starb.  An  der  Spitze  der  Geistlichkeit 
stand  der  Erzbischof  von  Canterbury,  seit  1070  der  bekannte  Lanfrank 
von  Bec  (f  24.  Mai  1089).  Sein  Nachfolger  wurde  erst  1093  der 
ebenso  berühmte  Anselm  (-|-  21.  April  1109).  Solange  Lanfrank 
lebte  und  noch  manches  Jahr  nach  seinem  Tode  kümmerte  man  sich 
in  England  um  die  Kämpfe  Gregors  und  Wiberts  nicht,  der  König, 

1  Jaffe-L.  5336  im  cod.  Udalr.  90  bei  Jaffe,  Bibl.  V,  175. 

2  Jaffe-L.  5662  bei  Migne  CLI,  480. 


120  Wiberts  Stellung  zu  den  übrigen  Ländern  Europas. 

im  ganzen  Gregor  ergeben,  wollte  doch  völlig  freie  Hand  behalten  ^. 
Man  entschied  sich  demzufolge  auch  nicht  für  einen  der  beiden,  wofür 
wir  ein  klassisches  Zeugnis  von  Erzbischof  Lanfrank  selbst  in  einem 
Briefe  haben  ^,  der  an  einen  sonst  unbekannten  Hugo  gerichtet  ist. 
Zwar  mifsbilligt  er  an  diesem,  dafs  er  Gregor  tadle  und  Clemens 
lobe,  man  könne  nicht  wissen,  wie  beide  vor  Gott  daständen ;  gewifs 
aber  habe  der  Kaiser  nicht  ohne  wichtige  Gründe  gehandelt,  habe 
auch  nicht  ohne  grofse  Hülfe  Gottes  einen  solchen  Sieg  erringen 
können.  Welch  milde  Beurteilung  einer  Thatsache,  die  sonst  ent- 
weder mit  grofsem  Jubel  oder  mit  Wutgeschrei  aufgenommen  wurde. 
Weiter  geht  aus  dem  Briefe  hervor,  dafs  Hugo  die  Absicht  gehabt 
hatte,  nach  England  zu  kommen;  Lanfrank  rät,  vorher  die  Erlaubnis 
des  Königs  einzuholen,  und  nun  folgt  der  entscheidende  Satz :  Nondum 
insula  nostra  priorem  (sc.  Greg.  VII.)  refutavit,  nee,  utrum  huic 
(sc.  Clementi  III.)  obedire  debeat,  sententiam  promulgavit. 

So  geben  versclnedene  englische  Annalen  zum  Jahre  1084  an, 
dafs  AVibert  Papst  geworden  sei  ^. 

Auch  späterhin  lassen  die  Nachrichten,  die  wir  haben,  deutlich 
erkennen,  mit  wie  wenig  Teilnahme  man  den  Kämpfen  der  Päpste 
in  Italien  gegenüberstand.  Durchgängig  heifst  es:  Man  sprach  in 
England  davon,  dafs  es  zwei  Päpste  gäbe  und  ähnliches.  Eadmer 
z.  B.  sagt  an  einer  Stelle,  die  zu  Ende  1094,  Anfang  1095  gehört  "*: 
Erant  quippe  illo  tempore  duo^  ut  in  Anglia  ferebatur,  qui  dicebantur 
Romani  pontifices,  a  se  invicem  discordantes  et  ecclesiam  Dei  inter 
se  divisam  post  se  trahentes:  Urbanus  ....  et  Clemens  ....  Que 
res,  ut  de  aliis  mundi  partibus  sileam,  per  plures  annos  ecclesiam 
Anglie  in  tantum  occupavit,  ut,  ex  quo  venerande  memorie  Gregorius, 
qui  antea  vocabatur  Hildebrandus ,  defunctus  fuit,  nulli  loco  pape 
usque  ad  hoc  tempus  subdi  vel  obedire  voluerit ;  und  an  einer  anderen 
Stelle  zum  Jahre  1095*'^:  Erant  .  .  .  namque  Romae  in  Ulis  diebus, 

i^äheres  giebt  Giesebrecht  III,  222  ff.,  514,  545,  594. 

-  Lanfranci  epist.  59  ad  Hugonem  Wibertinum  directa  bei  Migne  CL,  548, 
geschrieben  nach  dem  24.  März  1084  (Inthronisation  Wiberts)  vor  dem  25.  Mai 
1085  (Tod  Gregors  VII.). 

3  Chron.  Anglo-Scoticum  SS.  XXVII,  60 :  Wibertus  papa  sedem  accepit.  — 
Annales  de  Margan  SS.  XXVII,  428:  Withbertus  papa  sedem  accepit. 

^  Eadmeri  bist,  novorum  in  Anglia  lib.  1  SS.  XIII,  139.  Nach  ihm  Flor. 
Wigorn.  1113  (1091)  SS.  V,  564.  Will.  Malmesb.,  Gesta  pont.  Angl.  1,  49  SS. 
XIII,  136. 

5  Eadmeri  bist.  nov.  in  AngHa  lib.  2  SS.  XIII,  139  Anm.  3.  Allen  diesen 
Nachrichten  gegenüber  bedarf  Ordericus  Vitalis,  Hist.  eccl.  lib.  8  SS.  XXVI,  22 
sehr  der  Einschränkung,  wenn  er  im  Hinblick  auf  England  etwa  zum  Jahre 
1089  meint:  Galli  vero  et  Angli  aliaeque  gentes  pene  omnes  per  orbem  Urbano 
pie  obsecundabant. 


Wiberts  Stellung  zu  den  übrigen  Ländern  Europas.  121 

sicut  praediximus,  duo  pontifices,  qui  a  diversis  apostolici  nuncupa- 
bantur ;  sed  quis  eorum  canonice,  quis  secus  fuerit  institutus,  ab  Anglis 
usque  id  temporis  ignorabatur  ^. 

Freilich  safs  in  Anselm  von  Bec  seit  1093  ein  entschiedener 
Anhänger  Urbans  auf  dem  Stuhl  von  Oanterbury,  der,  bevor  er  die 
erzbischöfliche  Würde  annahm ,  sich  offen  darüber  erklärt  hatte  -. 
Doch  König  Wilhelm  II.  hielt  ihm  zunächst  das  Gegengewicht,  er 
beabsichtigte,  keine  Entscheidung  zu  treffen,  war  aber  Wibert  ge- 
neigter, ohne  dafs  dieser  irgendwelchen  Nutzen  davon  hatte  ^.  Es 
dauerte  denn  auch  nicht  lange,  so  traten  Zerwürfnisse  zwischen  dem 
König  und  dem  Erzbischof  ein,  die,  mit  Mühe  beschwichtigt,  bald 
von  neuem  ausbrachen  und  Anselm  1097  veranlafsten,  England  zu 
verlassen,  da  er  den  Zorn  des  Königs  zu  sehr  erregt  hatte ;  erst  nach 
dessen  Tode  (1100)  kehrte  er  dahin  zurück^. 

Was  Frankreich  betrifft,  so  trat  Wibert  mit  Erzbischof  Manasse 
von  Rheims  in  Berührung.  Dieser  beteiligte  sich  nämlich  wie  Wibert 
an  Heinrichs  IV.  erstem  Romzuge  im  Jahre  1081,  nach  Benzo  an- 
geblich als  Gesandter  König  Philipps  I.  ^  Das  ist  aber  eine  Er- 
findung Benzos.  Manasses  Anwesenheit  wird  freilich  auch  sonst  be- 
stätigt ^,  sie  hatte  aber  einen  ganz  anderen  Grund :  seine  Diöcesanen 
hatten  ihn  vertrieben,  nachdem  Gregor  VII.  ihn  verworfen  hatte  "'. 

Eine  andere  Spur  von  Beziehungen  Wiberts  zu  Frankreich  wird 
sich  als  sehr  trügerisch  erweisen.  Der  Bischof  Frotardus  von  Alby 
am  Tarn  in  Südfrankreich  hatte  sein  Bistum  vom  Bischof  Froterius  von 
Nimes  und  dessen  Bruder  Bernhard  gekauft  ^  und  war  deshalb  wegen 

^  Vgl.  über  dieses  Schwanken  in  England  auch  Anselmi  Cantuar.  epist.  3,  36 
bei  Migne  CLIX,  67—70  (68). 

^  Anselmi  Cant.  ep.  3,  24  bei  Migne  CLIX,  53,  an  Erzbischof  Hugo  von 
Lyon  anfangs  1094  geschrieben:  Raptus  ad  archiepiscopatum ,  antequam  prae- 
berem  assensum,  palam  dixi ,  me  favere  domino  papae  Urbano  et  Guiberto  ad- 
versari. 

3  Eadmeri  hist.  nov.  in  Anglia  lib.  1  SS.  XIII,  139.  Wül.  Malmesb.,  Gesta 
pont.  Angl.  1,  49  SS.  XIII,  136. 

*  Die  unmittelbare  Veranlassung  und  die  Geschichte  des  Streites  erzählt 
Anselm  selbst  epist.  3,  40  bei  Migne  CLIX,  74.  Cfr.  Eadmeri  hist.  nov.  in 
Anglia  lib.  1  u.  2  und  vita  Anselmi  2  SS.  XIII,  139—144,  ausführlich  die  hist. 
nov.  bei  Migne  CLIX,  379  ff.  u.  898  ff.,  die  vita  Ans.  2,  23  ff.  bei  Migne  CLVIII, 
90  ff.  _  Will,  Malmesb.,  Gesta  pont.  Angl.  1,  49—51  ed.  Hamilton  S.  86—95. 

5  Benzo  lib.  6  praef.  SS.  XI,  657. 

^  Guibertus  de  Novigento  de  vita  sua  1,  11  bei  Migne  CLVI,  853  f.  und 
Gallia  christiana  X,  74. 

'  Cfr.  Greg.  VII.  Registrum  7,  12,  20;  8,  17—20  bei  Jaffe,  Bibl.  II,  394. 
411,  447—452.     Hugo  Flav.  SS.  VIII,  421  f. 

^  Zu  dem  Einflufs  dieser  auf  die  Besetzung  des  Stuhles  von  Alby  vgl.  die 
Urkunde  Gallia  christ.  I,  instr.  S.  4. 


122  Wiberts  Stellung  zu  den  übrigen  Ländern  Europas. 

Simonie  von  Gregor  nach  Rom  citiert  worden,  auch  erschienen  und 
bestraft  (repulsus).  Nun  begab  er  sich  zu  Wibert  nach  Eavenna 
und  bat  um  dessen  Unterstützung,  die  er  erhielt,  indem  ihm  Wibert 
ein  Schreiben  mitgab.  Dieses  verheimlichte  er  nach  seiner  Rückkehr 
und  zeigte  statt  dessen  ein  angeblich  von  Gregor  herrührendes  vor, 
welches  so  lautete,  dafs  er  von  seiner  Diöcese  wieder  aufgenommen 
wurde.  Nach  wenigen  Tagen  aber  kam  die  Sache  durch  seinen  Be- 
gleiter Hugo,  einen  Schreiber  (grammaticus),  ans  Licht,  der  das  als 
Schweigegeld  versprochene  Maultier  nicht  erhielt  und  den  wahren 
Sachverhalt  verriet.  Frotard  wurde  von  dem  päpstlichen  Legaten, 
Erzbischof  Hugo  von  Lyon ,  vor  eine  Synode  zu  Toulouse  geladen 
und  dort  exkommuniziert,  zumal  er  nicht  erschienen  war.  So  weit 
die  wenig  scharf  gefafste  Erzählung  ^ ,  die  zu  schweren  Zweifeln 
Veranlassung  giebt. 

Ihr  anonymer  Autor,  offenbar  ein  Kanoniker  von  Alby.  hat  erst 
gegen  die  Mitte  des  12.  Jahrhunderts  geschrieben  -,  zahlreiche  Irr- 
tümer zeigen,  dafs  er  über  eine  ziemlich  weit  hinter  ihm  liegende 
Zeit  berichtet.  Er  erzählt  die  Wibert  betreffende  Geschichte  und 
die  Exkommunikation,  die  er  an  sie  knüpft,  vor  einem  längeren 
Bericht  darüber,  wie  das  Kloster  Vieux  in  die  Gewalt  des  Klosters 
Orillac  gekommen  sei  ^.  Letzteres  wird  aber  im  Besitze  des  ersteren 
von  Gregor  VII.  schon  am  12.  April  1080  bestätigt,  wobei  auf  den 
Konsens  des  Bischofs  Frotard  hingewiesen  wird  ^.  Danach  müfste 
die  Exkommunikation  Erotards  mitsamt  dem ,  was  von  Wibert  er- 
zählt wird,  vor  1080  fallen.  Die  notitia  berichtet  weiter  (Bouquet 
S.  51),  dafs  auf  derselben  Synode  von  Toulouse,  auf  welcher  Frotard 
exkommuniziert  worden  sei,  Bischof  Pontius  von  Rodez  die  Kon- 
sekration erhalten  habe.  Dieser  w^ar  Bischof  seit  1076  und  begegnet 
sicher  1079  ^  Sonach  wäre  diese  Synode  vor  1080  anzusetzen,  wie 
es  auch  Mansi  thut,  der  sie,  auf  unsere  Notiz  und  auf  ein  Zeugnis 
über  Urkunden  von  Rodez  fufsend,   1075  einreihte''.    Ein  fernerer 


1  Notitia  de  ecclesia  de  Viancio  (Vieux)  bei  Baluze,  Mise.  VI,  432  der  1., 
I,  124  der  2.  Ausgabe  und  bei  Bouquet,  Recueü  XIV,  49.     Jaffe-L.  .5316. 

2  Bouquet,  Recueil  XIV,  49  Anm.  a.     Cfr.  Gallia  christ.  I,  11  u.  12. 

^  Die  Aktion  dafür  setzte  angeblich  2  Jahre  nach  der  Exkommunikation 
Frotards  ein.  Aber  es  treten  während  derselben  Kanoniker  auf  (Bouq.  S.  51), 
die  nach  einer  Urkunde  von  1072  (Gallia  christ.  I,  instr.  S.  5  f.)  damals  ihrer 
Würden  entsagt  haben.  Schon  dies  läfst  eine  grofse  chronologische  Verwirrung 
befürchten. 

*  Greg.  VII.  Reg.  7,  19  bei  Jaffe,  Bibl.  II,  409  f.;  Jaöe-L.  5162. 

^  Gallia  christ.  I,  204  f.  und  instr.  49  f.     Gams,  Series  episc.  612. 

*^  Mansi  XX,  457.  Er  will  sie  nachträglich  in  1079  setzen,  da  die  Heraus- 
geber der  Gallia   christiana   als  Anfangsjahr  des  Pontius  1079  annähmen.     Dies 


Wiberts  Stellung  zu  den  übrigen  Ländern  Europas.  123 

Anstofs  findet  sich  (Bouquet  S.  50) :  es  wird  erzählt,  wie  Romanae 
ecclesiae  legatus,  Amatus  nomine,  missus  ad  partes  Aquitanicas  et 
Hispanicas ,  Chrisma  (Salböl)  auf  den  Boden  gegossen  habe,  als  er 
erfuhr,  dafs  es  von  dem  exkommunizierten  Frotard  geweiht  worden 
sei.  Die  Gesandtschaft  des  Amatus  nach  Spanien  fällt  aber  in  das 
Jahr  10771. 

Nach  diesem  steht  fest;  dafs  Frotard  überhaupt  exkommuniziert 
worden  ist,  und  zwar  um  das  Jahr  1076  '-;  der  Grund  wird  Simonie 
gewesen  sein^;  aber  die  Geschichte  der  Veranlassung  der  Exkom- 
munikation ist,  abgesehen  höchstens  von  der  Reise  nach  Rom,  nicht 
haltbar,  leidet  auch  an  inneren  Unwahrscheinlichkeiten.  Wie  sollte 
Frotard  seinem  Begleiter,  der  um  den  ganzen  Handel  wufste,  die 
versprochene,  so  geringe  Belohnung  nicht  geleistet  haben!  Und 
wozu  brauchte  er  noch  Briefe  Wiberts ,  wenn  er  solche  Gregors 
fälschte ! 

Mit  Wibert  kann  also  Frotard  nichts  zu  thun  gehal)t  haben ; 
wie  aber  konnte  die  Erzählung  entstehen?  Aus  der  notitia  geht 
hervor,  dafs  Vieux  früher  den  Kanonikern  von  Alby  gehörte;  nach 
Gregors  Aussage  ^  war  es  an  Orillac  gekommen  a  principibus  ipsius 
terrae  consensu  episcopi  et  clericorum,  zu  denen  aber  die  Kano- 
niker gewifs  nicht  gehörten.  Denn  auch  nach  Frotards  Tode  (dessen 
Jahr  nicht  bekannt  ist)  blieb  es  in  den  Händen  der  Mönche  von 
Orillac  nur  sub  continua  Albiensium  canonicorum  querela.  Unter 
Bischof  Bertrand  endlich   (1115  —  1125)^  ward   es  ihnen  zurückge- 


ist,  wie  ich  mich  überzeugt  habe,  ein  Irrtum  Mansis.  Grallia  christ.  I,  205  steht : 
Hinc  consequens  est,  Pontium  iam  infulis  donatum  fuisse  an.  1076.  Ebenso  irrt 
Bouquet  S.  51.     Hefele,  Konziliengesch.  ^  V,  55. 

Eine  synodus  Tolosana  wird  erwähnt  Jaffe-L.  5192  bei  Jaffe,  Bibl.  II,  563 
in  der  Narbonnensischen  Angelegenheit  (1080).  In  diesem  Schreiben  fordert 
Grregor  den  vicecomes,  clerus  und  populus  von  Narbonne  zur  Unterstützung  des 
rechtmäfsigen  Erzbischofs  Dalmatius  gegen  Petrus  auf.  Die  Narbonnensische 
Verwickelung  spielte  freilich  schon  1076  (Jaffe,  ßibl.  II,  223),  war  aber  noch 
lange  nicht  so  weit  gediehen,  dafs  unter  der  synodus  Tolosana,  auf  die  Gregor 
anspielt,  eine  solche  von  1076  verstanden  werden  könnte;  spätestens  1076  mufs 
aber  die  uns  hier  angehende  fallen,  wie  wir  gleich  sehen  werden, 

1  Jaffe-L.  5041  u.  5042  bei  Jaffe,  Bibl.  II,  283  (Reg.  4,  28)  und  II,  547 
(Ep.  coli.  21). 

^  Dafs  Hugo,  damals  noch  Bischof  von  Die,  als  Lugdunensis  episcopus  be- 
zeichnet wird,  ist  einer  jener  oben  (S.  122)  erwähnten  Irrtümer. 

^  Frotard  wird  sich  später  gefügt  haben,  denn  noch  1083  begegnet  er  als 
Bischof.  Gallia  christ.  I,  11.  d'Auriac,  Hist.  des  eveques  d'Alby  46  bringt  für 
unsere  Zwecke  nichts  bei. 

^  Greg.  VII.  Reg.  7,  19  bei  Jaffe,  Bibl.  II,  410;  Jaffe-L.  5162. 

•^  Gallia  christ.  I,  13. 


124  Wiberts  Stellung  zu  den  übrigen  Ländern  Europas. 

stellt,  wofür  dieser  von  unserem  den  Kreisen  der  Kanoniker  offenbar 
angehörenden  Anonymus,  der  bald  darauf  schrieb,  grofses  Lob  er- 
hält. Frotard  hatte  der  Abtretung  an  Orillac  zugestimmt,  der  Hafs 
gegen  diesen  leuchtet  aus  vielen  Stellen  unseres  Berichtes  hervor. 
Unter  diesem  Gesichtspunkte  wird  man  ihn  aufzufassen  haben.  Was 
von  JFrotard  Schlechtes  zu  sagen  war,  übertrieb  der  Autor  und  er- 
sann Eigenes  hinzu ;  um  aber  das  Andenken  des  Bischofs  zu  schmä- 
lern, konnte  es  kein  besseres  Mittel  geben,  als  seinen  Namen  mit 
dem  des  berüchtigten  Ketzerführers  Wibert  zusammenzubringen. 

In  Hinsicht  auf  Frankreich  erhalten  wir  somit  ein  völlig  nega- 
tives Ergebnis.  Es  ist  vollkommen  richtig,  was  Ernaldus  im  Leben 
des  heiligen  Bernhard  von  Clairvaux  von  diesem  Lande  aussagt  ^ : 
Neque  enim  Francia,  caeteris  regionibus  proclivibus  ad  scismata. 
aliquando  Guiberti  vel  Burdini  susceptione  fedata  est,  nee  maligno- 
rum  acquievit  erroribus,  nee  fabricata  est  ydolum  in  aecclesia  nee 
venerata  in  Petri  kathedra  monstrum.  Nee  enim  talibus  in  causis 
principalia  aliquando  eos  terruerunt  edicta,  aut  generalibus  utili- 
tatibus  privata  commoda  pretulerunt,  nee  declinantes  in  partem,  per- 
sonis  detulere,  sed  causis.  Sed,  si  quid  oportuit,  fortiter  persecu- 
tionibus  obviarunt,  nee  dampna  nee  exilia  formidarunt -.  Gerade 
in  Frankreich  fanden  Gregor  YII.  und  Urban  IL  ibre  eifrigsten 
Anhänger,  das  bezeugen  Gregors  Registrum  und  Urbans  Heise.  Eine 
anfängliche  Opposition  gegen  Gregor  VII.  war  1080  bereits  über- 
wunden und  konnte  Wibert  nichts  mehr  nützen. 

Dagegen  haben  wir  merkwürdigerweise  eine  vereinzelte  Spur 
von  Beziehungen  Wiberts  zur  Iberischen  Halbinsel,  mit  der  aber 
nicht  viel  anzufangen  ist.  In  dem  Leben  des  Erzbischofs  Gerald 
von  Braga  wird  gelegentlich  erwähnt,  dafs  dessen  Vorgänger  vor 
vielen  Jahren,  der  Bischof  Petrus,  das  Pallium  und  ein  Privileg 
von  Papst  Clemens  erhalten  habe  und  deshalb  von  dem  Legaten 
Urbans,  dem  Erzbischof  von  Toledo,  abgesetzt  worden  sei  ^.  Es  ist 
mir  nicht  möglich  gewesen,  etwas  aufzufinden,  was  zur  Kontrolle 
dieser  Notiz  dienen  könnte  '*.  Ich  beschränke  mich  deshalb  darauf, 
zu  bemerken,   (Ulfs  am  15.  Oktober  1088  Erzbischof  Bernhard  von 


'  Ex  vitae  S.  ßernardi  Claraevall.  lib.  2  auct.  Ernaldo  SS.  XXVI,  101. 

■'  Unter  den  Anhängern  Urbans  wird  Frankreich  besonders  betont  bei  Ead- 
mer,  Hist.  nov.  in  Anglia  lib.  1  SS.  XIII,  139;  Will.  Malmesb.,  Gesta  pont. 
Angl.  1,  49  SS.  XIII,  136;  Order.  Vitalis,  Hist.  eccl.  lib.  8  SS.  XXVI,  22. 

^  Bernaldi  vita  Geraldi  archiepiscopi  Bracarensis  c.  6  bei  Baluze,  Mise.  III, 
182  der  1.,  I,  132  der  2.  Ausgabe.     Jaffe-L.  5331. 

*  Auch  Florez,  Espana  sagrada,  bot  die  erhoffte  Ausbeute,  soweit  icli  sehen 
konnte,  nicht. 


Schlufs.  125 

Toledo  das  Pallium  von  Urban  II.  erhielt  und  Primas  von  Spanien 
wurde  ^ ;  seitdem  erst  bestanden  nähere  Beziehungen  zum  römischen 
Stuhl  -.  Demnach  läfst  sich  nicht  viel  mehr  thun.  als  mit  Löwen- 
feld die  Thatsache  auf  etwa  1090  zu  fixieren  ^. 


Zwölftes  Kapitel. 
Sehlufs. 

Am  Schlüsse  unserer  Untersuchungen  angelangt,  müssen  wir 
uns  fragen,  wie  wir  Wibert  zu  beurteilen  haben  ^.  Das  ist .  wie 
stets  in  so  sehr  zurückliegenden  Zeiten ,  von  denen  eine  wirklich 
lebendige  Anschauung  zu  erhalten  mir  kaum  möglich  scheint,  eine 
mifsliche  Sache.  Denn  erstens  ist  das  Material  mangel-  und  lücken- 
haft; zweitens  werden  uns  wohl  die  Thatsachen  mitgeteilt,  die  Mo- 
tive aber,  aus  denen  die  Menschen  so  und  so  gehandelt  haben,  er- 
fahren wir  entweder  gar  nicht,  oder  wir  erhalten  entstellte  und  er- 
fundene Angaben,  denen  gegenüber  grofse  Vorsicht  nötig  ist.  Im 
ganzen  müssen  wir^  wenn  wir  die  Thatsachen  nach  Möglichkeit  er- 
gründet haben ,  auf  die  wahrscheinlichen  Motive  zurückschliefsen, 
und  wenn  ich  im  Folgenden  mitteile,  wie  ich  mir  das  Bild  Wiberts 
denke,  so  kann  es  nicht  fehlen,  dafs  viel  Subjektives  ihm  anhaftet. 

Dafs  die  Anhänger  ihren  Meister  mit  Lob  bedenken,  ist  kein 
Wunder,  könnte  uns  aber  nur  bedenklich  machen,  wenn  nicht  in 
gewissen  Dingen  die  Gegner  deren  Urteil  beistimmten.  So  sind 
Freund'^  und  Feind  ^  darin  einig,  dafs  sie  Wibert,  der  ja  sehr  vor- 

1  Jaffe-L.  5366.         ^  Giesebrecht  III,  218  u.  597  f. 

^  Garns,  Series  episc.  94,  kennt:  Erzbischof  Petrus,  16,  Oktober  1049  —  1084; 
Erzbischof'  Gerald,  B.  Juli  1095  bis  5.  Dezember  1109.  —  Burdinus,  der  Gegen- 
papst von  1118,  war  bekanntlich  Erzbischof  von  Braga.  Es  ist,  als  ob  eine  ge- 
wisse Tradition  hier  gewirkt  hätte. 

*  Vgl,  Giesebrecht  III,  504  ff.  u.  1154,  Lehmann-Danzig,  Das  Buch  Widos 
von  Ferrara  82.     Martens,  Besetzung  des  päpstlichen  Stuhls  200—203. 

•^  Schrift  de  papatu  bei  Floto,  Heinrich  IV.,  1,  438.  Vgl.  Scheffer-Boichorst, 
Die  Neuordnung  der  Papstwahl  136  u,  140:  Die  Charakteristik  findet  sich  nur 
im  Brüsseler,  nicht  auch  im  Pariser  Kodex,  während  der  Wiener  am  Ende  ver- 
stümmelt ist,  —  Wido  Ferr,  1,  20  SS.  XII,  165.    Auch  Ekkeh.  1100  SS,  VI,  219. 

«  Hugo  Flav.  SS.  VIII,  460.     Donizo  2,  119  f,  SS.  XII,  382: 

Maior  erat  cunctis  (sc.  pontificibus  malignis)  Guibertus,  episcopus  urbis 
Ravennae,  doctus,  sajiiens,  et  nobilis  ortus. 
Zu  beachten  ist,  dafs  bei  Donizo  Wibert  als  Verwandter  Mathildes  gelegentlich 
Lobsprüche  erhält,  während  sich  im  allgemeinen  lange  Schmähreden  finden, 
z.  B.  lib.  2,  153  &.  S.  382  f.,  218  ff.  S.  384  u.  890  ff,  S.  397.  Hier  ist  Vorsicht 
am  Platze.  Vgl,  Pannenborg,  Studien  zur  Geschichte  der  Herzogin  Mathilde 
von  Canossa.     Göttingen  1872  (Gymn.-Progr.)  S.  5. 


126  *  Schlufs. 

nehmer  Abkunft  war,  als  einen  Mann  bezeichnen,  dessen  Person 
ehrwürdig,  dessen  von  Natur  sehr  bedeutende  geistige  Schärfe,  Leb- 
haftigkeit und  Klugheit  durch  eine  umfassende  Bildung  gesteigert 
war,  die  sich  nicht  nur  auf  die  kirchlichen  Wissenschaften  be- 
schränkte, dessen  Beredsamkeit  namentlich  eine  hervorragende  ge- 
nannt werden  mufste.  Ein  gegnerischer  Autor  sagt  sogar  ^ :  (Gui- 
bertus)  homo  literatus  et  nobilis  et  qui  Deo  forsitan  placuisset,  nisi 
hoc  piaculum  (sc,  schisma)  fieret;  ein  anderer-,  ebenfalls  Gegner: 
Erat  litteris  adprime  eruditus  et  lingua  facundissimus  et,  si  iustus, 
huic  officio  satis  erat  idoneus  ^.  Gregor  selber  urteilt  in  den  Briefen 
aus  der  Zeit,  da  das  Verhältnis  zwischen  ihm  und  Wibert  noch 
ein  leidliches  war,  über  dessen  geistige  Begabung  ebenso,  wiewohl 
man  seine  Höflichkeiten  nicht  zu  ernst  nehmen  darf^. 

Sein  Wille  war  kräftig,  er  handelte  energisch,  aber  ohne  Über- 
eilung. Man  betrachte  nur  seine  Kanzler-  und  seine  erzbischöfliche 
Zeit.  Auch  später  hat  er  noch  viel  erreicht,  es  ist  wahrhaftig  zu 
bewundern,  dafs  er  sich  nach  dem  Jammer  der  Jahre  1093 — 1097 
in  dem  Mafse  wieder  aufraffte,  wie  es  geschah.  Und  an  seinem 
Wollen  und  Können  lag  es  nicht,  wenn  sich  im  ganzen  seine  Lage 
als  Papst  trüb  gestaltete ,  die  Machtmittel ,  über  die  er  verfügte, 
standen  nicht  im  Verhältnis  zu  seiner  Stellung. 

Was  seinen  moralischen  Charakter  angeht,  so  hat  keiner  der 
Gegner  ihm  das  geringste  Unsittliche  nachgewiesen.  Gregor  hätte 
es  in  seinen  späteren  heftigen  Briefen  sicher  nicht  unterlassen,  wäre 
er  dazu  in  der  Lage  gewesen.  Es  will  nicht  viel  sagen,  wenn  Wido  '"* 
ihn  virum  nobilem  non  moribus  minus  quam  genere  nennt,  aber 
um  so  bedeutsamer  ist  Gregors  Zeugnis  ^  Am  25.  November  1078, 
am  21.  Juli  und  am  15.  Oktober  1080  macht  er  ihm  ausdrücklich 
nur  den  Ruin  des  Erzbistums  Ravenna  und  sein  schismatisches  Ge- 
baren zum  Vorwurf.  Zwar  schreibt  er  noch  am  25.  November 
1078:  bis  malis  aliisque  quam  pluribus  flagitiis  irretitus  atque  pol- 
lutus  und  nennt  Wibert  am  21.  Juli  1080  hominem  per  Universum 


*  Pandulfi  vita  Gelasii  II.  bei  Watterich  II,  92. 

2  Casus  monast.  Petrishus.  2,  30  SS.  XX.  645. 

•^  Ob  aus  dem  sfriechischen  Briefe  erschlossen  werden  darf,  dafs  Wibert 
selber  griechisch  verstand,  bezweifle  ich;  vielleicht  darf  man  behaupten,  dafs  es 
wahrscheinlich  ist. 

^  S.  0.  S.  23  (Jafie-L.  4781).  Am  4.  Januar  1075  erhofft  Gregor  zu  der 
bevorstehenden  Synode  den  Beistand  auch  von  Wiberts  prudentia  et  spiritualis 
tam  fortitudo  quam  sapientia.     Vgl.  oben  S.  27,  Jaöe-L.  4919. 

">  Wido  Ferr.  1,  20  SS.  XII,  165. 

">  Jaöe-L.  5091,  5177,  5186,  5187  bezw.  R^g.  6,  10;  8,  5,  12,  13  bei  Jaffo. 
Bibl.  II,  339,  432,  441,  443. 


Schlufs.  127 

Romanum  orbem  nefandissimis  sceleribus  denotatum.  Aber  ich 
kann  mich  hier  einmal  mit  Martens  ^  durchaus  einverstanden  er- 
klären, wenn  er  schreibt:  „Da  Gregor  VII.  in  seinen  Sentenzen 
die  flagitia  und  scelera  Wiberts  nicht  weiter  spezialisiert,  so  wird 
man  annehmen  dürfen ,  dafs  er  nur  das  ihm  absolut  verwerflich 
erscheinende  schismatische  Treiben  des  Gegners  urgieren  wollte, 
ohne  demselben  gemeine  sittliche  Verbrechen  zuzuschreiben"  ^. 

Persönlich  stand  er  den  grofsen  Fragen  der  Kirchenreform 
durchaus  nicht  feindlich  gegenüber.  Er  war  ein  Gegner  der  Simo- 
nie, wie  sein  sehr  energisch  gehaltenes  Verbot  derselben  durch  das 
Rundschreiben  von  1089  und  sein  Vorgehen  gegen  Ruthard  von  Mainz 
beweisen'^.  Dem  Nikolaitismus,  dem  er  auch  persönlich  abgeneigt 
war,  konnte  er  nur  aus  politischen  Rücksichten  nicht  scharf  ent- 
gegentreten ^.  Und  nur  das  eine  trennte  ihn  auch  persönlich  ent- 
schieden von  seinen  Gegnern,  dafs  er  am  Investiturrecht  des  Kaisers 
streng  festhielt  ^. 

Soweit  sich  Wiberts  Persönlichkeit  bis  hierher  erkennen  läfst, 
scheint  sie  mir  durchaus  die  oben  (S.  126)  berührte  Bemerkung  der 
Chronik  von  Petershausen  zu  bestätigen,  Wibert  wäre  wohl  geeignet 
gewesen  für  den  päpstlichen  Stuhl,  wenn  er  gerecht,  d.  h.  nicht 
Schismatiker  gewesen  wäre.  Und  so  erschien  seine  Person  auch 
Fernstehenden  ^ ;  ihre  Macht  und  ihr  Ruf  war  so  stark,  dafs  noch 
30  bis  40  Jahre  nach  Wiberts  Tode  der  Kanonikus  von  Alby  " 
ihn  als  Schreckbild  verwenden  konnte. 

Eine  Eigenschaft  indes  besafs  Wibert  vielleicht  in  höherem 
Grade,  als  gut  war,  den  Ehrgeiz ;  ein  äufserliches  Symptom  desselben 
ist  seine  mehrfach  bestätigte  Prachtliebe,  schon  als  Erzbischof  pflegte 
er  sich  mit   dem  Glänze    eines  Herrschers  zu  umgeben  ^.     Hat  ihn 


^  Martens.  Besetzung  des  päpstlichen  Stuhls  203. 

^  Was  Bonizo  660  ff.  über  Wiberts  Treiben  in  Rom  1074  erzählt,  ist  der- 
mafsen  vom  Hafs  diktiert,  dafs  man  seine  Behauptungen  über  Wiberts  sittlichen 
Charakter  nur  ablehnen  kann ;  die  Thatsachen ,  die  er  berichtet ,  bleiben  be- 
stehen, sie  waren  eben  nur  die  Einleitung  zum  späteren  Schisma,  daher  der 
Zorn  und  die  Verleumdungen  Bonizos.  S.  Martens  a.  a.  0.  202  f.  S.  o.  S.  25.  — 
Nicht  weniger  dürfte  eine  Nachricht  des  späten  Paul  von  Bernried,  Vita 
Grreg.  VII.  c.  108  bei  Watterich  I,  538  einfach  abzuweisen  sein:  (Guibertum) 
iam  pridem  a  Grregorio  nostro  propter  incestum  et  alia  flagitia  sua  synodali  sen- 
tentia  damnatum. 

5  S.  o.  S.  80  u.  111  f.         ^  S.  o.  S.  44  f.  u.  80.         "^  S.  o.  S.  66. 

«  Will.  Malmesb.,  Gesta  pont.  Angl.  1,  49  SS.  XIII,  136:  Erant  his  diebus 
duo  competitores  Romani  praesulatus,  Guibertus  et  Urbanus,  summi  ambo  et 
praestantes  viri,  neuterque  alteri  pro  persona  cedebat, 

'  S.  o.  S.  124. 

^  Bonizo  655:  Guibertus  Ravennam  intravit  in  multitudine  gravi  et  in  magno, 


128  Sclilufs. 

aber  der  Ehrgeiz  bewogen,  seine  Hand  nach  der  päpstlichen  Würde 
auszustrecken,  und  ihn  so  auf  die  abschüssige  Bahn  geführt?  Ich 
glaube,  nein. 

Vielmehr  wiesen  ihn  schon  seine  Antecedenzien  auf  die  kaiser- 
liche Seite ;  durch  der  Kaiserin  Agnes  Gunst  war  er  Kanzler,  nach- 
her Erzbischof  von  Ravenna  geworden.  Und  von  da  an  ist  das  der 
Grundzug,  der  durch  sein  ganzes  Auftreten  von  Anfang  bis  zu  Ende 
geht:  unentwegte  Treue  gegen  den  Kaiser,  seinen  Herrn. 

Als  Erzbischof  mufs  er  eine  gute  Verwaltung  geführt  haben, 
trotz  Gregors  gegenteiliger  Behauptung  (s.  o.  S.  42,  44  f.,  70) ;  in 
all  den  zwanzig  Jahren  steter  Kämpfe  fand  auch  nicht  der  ge- 
ringste Versuch  statt,  von  ihm  abzufallen. 

Nun  bedurfte  Heinrich  eines  Papstes  der  Kaiserkrone  halber; 
während  Thedald  von  Mailand  diese  ihm  zugedachte  Würde  ab- 
lehnte, nahm  Wibert  sie  an.  Kaum  aus  Ehrgeiz,  der  durch  die 
angesehene  erzbischöfliche  Stellung  befriedigt  worden  sein  wird. 
Schwerlich  kann  er  gewünscht  haben,  sie  mit  dem  dornenvollen 
Posten  eines  kaiserlichen  Papstes  zu  vertauschen.  Ein  kluger 
Mann,  wie  Wibert  war,  mufste  sehen,  dafs  er  einen  schlechten  Tausch 
machte. 

Denn  das  Papsttum  beanspruchte  jetzt,  über  der  weltlichen 
Macht  zu  stehen,  diesem  Anspruch  konnte  sich  kein  Inhaber  der 
Würde  mehr  entziehen.  Ein  von  der  weltlichen  Macht  erhobener 
und  gehaltener,  von  ihr  abhängiger  Papst  litt  darum  sofort  an  einem 
inneren  Widerspruch  in  seiner  Stellung  und  mufste  daran  scheitern. 

Nahm  Wibert  doch  an,  so  that  er  es  innerlich  widerstrebend; 
aber  treu  dem  Kaiser,  der  kaum  noch  einen  anderen  geeigneten 
Kandidaten  für  den  päpstlichen  Stuhl  gehabt  hätte.  Und  so  ge- 
winnt sein  mehrfach  berichtetes  Wort  (S.  51 ,  66) ,  er  habe  seine 
Stellung  invitus  auf  sich  genommen,  um  den  Kaiser  in  seiner  Würde 
zu  erhalten,  eine  gewisse  Bedeutung.  Wibert  war  ein  Opfer  der 
Politik  Heinrichs. 

Als  er  die  Würde  nun  besafs,  suchte  er  sich  natürlich  auch  in 
ihr  zu  behaupten.  Durch  20  Jahre  hielt  er  sich,  oft  nicht  ohne 
Glück  dank  seiner  Begabung  und  seinem  Geschick.  Seine  Person 
hielt  die  Partei  zusammen  und  aufrecht,  denn  nach  seinem  Tode 
sank  sie  in  Ohnmacht  zurück,  nach  wenigen  bald  mifslungenen  Ver- 
suchen, sich  aufzuraffen.  Aber  er  konnte  es  zu  keiner  ganzen  Stel- 
lung bringen  und  hatte  infolgedessen  wenig  Ansehen.     Er  war  eben 


ut  sui  moris  est,  potentatu.     Cfr,  673  (Leichenbegängnis  des  Cencius).     Donizo 
2,  155  SS.  XII,  382:  Pompam  mundanam  plus  ipso  nullus  amabat. 


ScMufs.  129 

nur  das  Instrument  Heinrichs  zur  Erlangung  cTer  Kaiserwürde,  das 
vor  1084  leicht  beiseite  geschoben  werden  konnte,  wenn  es  schien, 
als  bedürfe  man  seiner  nicht  mehr  (S.  48  f.).  Heinrich  kümmerte 
sich  um  Wiberts  Interessen  nur,  wenn  sie  zugleich  die  seinen  waren. 
Wohin  Heinrichs  Arm  nicht  reichte,  dort  bedeutete  auch  Wibert 
nichts  ^  Er  mufste  seine  Ansichten  verleugnen  und  zu  halben 
Mafsregeln  greifen,  um  dies  nicht  ganz  zu  thun  und  doch  seine  An- 
hänger nicht  vor  den  Kopf  zu  stofsen.  Um  dieser  unbefriedigenden 
Stellung  willen  mufste  er  die  heftigsten  und  giftigsten  Vorwürfe 
der  Gegner,  namentlich  den  des  Eidbruchs,  aber-  und  abermals 
über  sich  ergehen  lassen  ^.  Und  so  verdient  er  im  ganzen,  wenn 
auch  nicht  unsere  Bewunderung,  so  doch  unser  Mitleid. 


^  Cfr.  Deusdedit  contra  invas.  2,  12  bei  Mai,  Nova  patrum  bibl.  VlI,  3,  94 
(danach  Petrus  Casin.  3,  70  SS.  VII,  751).  Will.  Malmesb.,  Gesta  pont.  Angl. 
1,  49  SS.  XIII,  136.     Ordericus  Vitalis,  Eist.  eccl.  lib.  8  SS.  XXVI,  22. 

2  Gregor  VII.  in  Ja£fe-L.  5177,  5186,  5187.  Bonizo  676.  Gebhard  von 
Salzburg  bei  Hugo  Flav.  SS.  VIII,  459  und  im  cod.  Udalr.  69  bei  Jaffe,  Bibl. 
V,  141  f.  Vita  Anselmi  Luc.  auct.  Bardone  c.  18  SS.  XII,  19.  Deusdedit 
contra  invas.  2,  11  u.  12  bei  Mai,  Nova  patrum  bibl.  VII,  3,  93  f.  (Danach 
Petrus  Casin.  3,  70  SS.  VII,  750  f.)  Bern.  1083,  1084  SS.  V,  438,  440.  Cfr. 
Bern,  opusc.  6,  7  S.  358  (Ussermann,  prodr.  Germ,  sacrae  IL). 


Köhncke,  Wibert  v.  R. 


Erster  Exkurs. 
Zu  der  Urkunde  Wiberts  yom  8.  Juni  1087  (Jaffe-L.  5826). 

Die  Urkunde  Wiberts  vom  8.  Juni  1087  hat  ihre  Schicksale 
gehabt.  Cfr.  Jafie-L.  5326  und  Addenda  II,  713.  Der  beste  Druck 
ist  der  von  Ewald  im  Neuen  Archiv  II,  219,  das  Original  befindet 
sich  in  Karlsruhe. 

Es  ist  eine  Konfirmationsurkunde ,  eine  Bulle ,  durch  welche 
Wibert  auf  Bitten  des  Abtes  Libo  von  Selz  im  Elsafs  eine  Fest- 
setzung desselben  bestätigt,  nach  welcher  der  Abt  die  Einkünfte  ge- 
wisser Besitzungen  zu  Gunsten  der  Fremden  und  Armen  anweist. 

Über  die  Datierung  haben  viele  Zweifel  bestanden.  Grandidier, 
Hist.  d'Alsace  II,  147  druckte  in  der  Datumzeile  statt  anno  nostri 
pontificatus  IV  irrtümlich  VI,  wodurch  Jaffe  verleitet  wurde,  auch 
auf  diese  Urkunde  gestützt,  eine  Synode  Wiberts  für  das  Jahr  1089 
in  Anspruch  zu  nehmen  (s.  o.  S.  78).  Diesem  stehen  gegenüber  die 
Drucke  bei  Würdtwein,  Monast.  Palat.  VI,  172,  und  Mone,  Zeit- 
schrift für  die  Geschichte  des  Oberrheins  XIV,  184,  und  die  Zeug- 
nisse Ewalds  und  Löwenfelds. 

Ewald  aber  dachte  an  Clemens  III.  (1187 — 1191)  und  hielt  die 
Urkunde,  da  nach  seinen  eigenen  Angaben  ihre  innere  Form  und 
Datierung  damit  in  unlöslichem  Widerspruche  standen,  für  eine 
Fälschung ;  beide  Annahmen  sind  irrtümlich.  Gegen  den  8.  Juni  1087 
ist  nichts  einzuwenden  \  Ewald  hält  freilich  auch  noch  Neues  Archiv 
VIII,  420  an  seiner  Ansicht  fest  wegen  der  Datierung :  Datum  Bome 
ad  S.  Petrum  VI.  Idus  Junii  anno  nostri  pontificatus  quarto,  diese 
Art  der  Datierung  von  Bullen  komme  erst  lange  nach  dem  11.  Jahr- 
hundert auf. 


^  Pflugk-Harttimgs  Datierimo-  NA.  YIII,  243  u.  246   beruht   auf  Flüchtig- 
keitsfehlern, wie  Ewald  schon  im  NA.  VIII,  420  f.  gezeigt  hat. 


Zu  der  Urkunde  Wiberts  vom  8.  Juni  1087  (Jaffe-L.  5326).  131 

Hier  möge  nun  eine  Zusammenstellung  der  Datierungen  sämt- 
licher erhaltenen  Bullen  Wiberts  Platz  finden  (die  Nummern  nach 
Jaffe-Löwenfeld) : 

5319.  Actum  Ravennae  anno  domin.  incarn.  1084.  ind.  VII. 
Datum  per  manum  Roberti  card.  presbyt.  anno  III.  ordinat.  dom. 
Clementis  III.  pp.  VI.  Non.  Martii  feliciter. 

5322.  Acta  sunt  haec  Havennae  in  plenaria  synodo  in  matrice 
ecclesia,  quae  dicitur  Agiae  Anastaseos,  anno  domin.  ine.  1086,  imper. 
Henrico  III.  Rom.  Augusto,  anno  imp.  eins  II.  ind.  IX.  tertio  KaL 
Martis. 

5332.  Anno  domin.  incarn.  1091  ind.  XIV.  anno  autem  ponti- 
ficatus  domni  Clementis  III.  papae  VII.,  XIV.  Kai.  Februarii. 

Datum  per  manum  Bernerii  vice  cancellarii  Petri  in  urbe  Pa- 
duana,  actum  feliciter. 

5332«.    Ist  ohne  jegliche  Datierung  überliefert. 

5333.  Datum  apud  Cesenam  per  manum  Bernerii  vice  Petri 
cancellarii  anno  domin.  incarn.  1092  ind.  XV.  anno  autem  ponti- 
ficatus  domni  Clementis  III.  papae  IX.  Idibus  Junii. 

5334.  Datum  V.  Idus  Augusti  apud  Montem  veterem,  qui  alio 
nomine  Mons  Belli  dicitur,  per  manus  Roberti  Faventini  episcopi 
vice  cancellarii  Petri  anno  domin.  incarn.  1092  ind.  XV. 

Man  sieht^  das  ist  ein  ganzes  Kaleidoskop  von  Datierungen,  keine 
gleicht  der  anderen  ganz,  in  irgend  einem  Punkte  weicht  jede  von 
jeder  ab,  so  dafs  die  Bezeichnung  „zerfahren",  die  Stumpf  der  Kanzlei 
Wiberts  gegeben  hat  (NA.  VIII,  420  nach  Ewalds  Mitteilung),  wohl 
verdient  erscheint. 

Allerdings  ist  unsere  Bulle  die  einzige,  welche  weder  Inkarna- 
tionsjahr noch  Indiktion  hat;  dafs  ersteres  fehlt,  braucht  keinen 
Anstofs  zu  erregen,  man  vergleiche  z.  B.  Jaffe-L.  4865,  eine  Bulle 
Gregors  VII. :  Datum  Lateranis  in  Kai.  Maii  per  manus  Petri  sanctae 
Romanae  ecclesiae  presbiteri  cardinalis  ac  bibliothecarii,  anno  primo 
pontificatus  domini  Gregorii  VII.  papae,  ind.  XI.,  ebenso  No.  4957. 
Ungewöhnlich  ist  allein  das  Fehlen  der  Indiktion,  aber  ein  mildernder 
Umstand  ist,  dafs  die  Urkunde  aus  Wiberts  Kanzlei  kommt. 

Ganz  auffallend  ist  in  einer  päpstlichen  Urkunde,  die  nicht  auf 
einer  Synode  erlassen  ist,  die  verbale  Invokation:  In  nomine  sanctae 
et  individuae  trinitatis;  weiter  das  Fehlen  des  päpstlichen  Namens, 
der  dann  allerdings  mitten  in  der  Urkunde  steht,  und  jeglicher  in- 
scriptio.  Diese  Abweichungen  berechtigen,  glaube  ich,  zu  dem  Schlüsse, 
dafs  die  Urkunde  von  einem  aus  der  kaiserlichen  Kanzlei  übernom- 
menen Schreiber  verfafst  ist,  der  die  Formeln  der  kaiserlichen  mit 
denen  der  päpstlichen  Urkunden  vermischte;  vgl.  S.  87  Anm.  6  zu 

9* 


132     2u  der  Urkunde  Heinrichs  IV.  vom  12.  August  1092  (Stumpf  2915). 

Jaffe-L.  5334.  Man  beachte  z.  B.  auch  die  Worte :  proprioque  sigillo 
munivi,  namentlich  aber  die  eben  mitgeteilten  Datierungen :  während 
die  päpstliche  Datierung  aus  zwei  Formeln  besteht,  welche  durch  die 
Worte  scriptum  und  datum  eingeleitet  und  bezeichnet  werden,  finden 
sich  bei  Wibert  bald  zwei  Formeln,  bald  eine,  aber  nie  die  scriptum- 
Zeile,  sondern  entsprechend  dem  Gebrauche  der  kaiserlichen  Kanzlei 
datum  und  actum. 

Schliefslich  bemerke  ich,  dafs  Pflugk-Harttung  unsere  Urkunde 
für  eine  Original-Nachbildung  (NA.  VIII,  246)  hält,  während  sie 
nach  Löwenfeld  (Jaffe-L.  I,  652)  ein  Original  ist. 


Zweiter  Exkurs. 

Zu  der  Urkunde  Heinrielis  IT.  rom  13.  August  1092 

(Stumpf  3915). 

Stumpf  hielt  die  Urkunde  Heinrichs  TV.  vom  12.  August  1092 
für  die  Abtei  zu  St.  Die  (No.  2915  bei  Duhamel,  Documents  de  l'hist. 
des  Yosges  II,  154)  für  eine  Fälschung;  wenn  ich  seine  Andeutungen 
in  den  Regesten  recht  verstehe,  weil  die  Datierung  ungewöhnlich  sei, 
im  Text  der  Kanzler  für  Italien,  Bischof  Burchard  von  Lausanne, 
als  mediator  vorkomme,  obwohl  er  schon  am  24.  Dezember  1088 
(Bern.  1089,  SS.  V,  448)  umgekommen  sei ;  weil  endlich  der  Ausstell- 
ort: apud  Montem  veterem,  qui  alio  nomine  Mons  Belli  dicitur,  wohl 
mit  Bezugnahme  auf  die  Bulle  Wiberts  vom  9.  August  (Jaffe-L.  5334) 
gemacht  sei.  Was  Burchard  angeht,  so  irrt  sich  Stumpf;  die  be? 
treffende  Stelle  lautet:  Heinrich  nimmt  die  Kirche  St.  Deodati  in 
Schutz,  confirmantes  ei .  . .  familiam  quoque  eiusdem  ecclesiae,  quam 
tertio  anno  secundi  ingressus  nostri  in  Italiam  integre  illi  restitui 
iussimus ,  mediante  Burchardo  Losanensi  episcopo ,  nostro  Italiae 
cancellario,  concedentibus  etiamduceTlieoderico,  praedictae  ecclesiae 
defensore  et  advocato,  et  Oduino  post  ducem  prelibati  loci  similiter 
advocatö  et  Tullensis  ecclesiae  Pibone  episcopo.  Diese  Stelle  bezieht 
sich  also  auf  eine  frühere  Verleihung  im  3.  Jahre  des  2.  Zuges  nach 
Italien,  d.  i.  1083;  es  liegt  somit  kein  Anachronismus  vor.  Der  Vor- 
gang wird  auch  in  der  Urkunde  Wiberts  erwähnt,  hier  lautet  es: 
sive  familia  ecclesiae,  quae  iussu  Henrici  quarti  dilectissimi  iilii  nostri 
imperatoris  tertii  integre  illi  restituta  sunt,  mediante  Burchardo  Lau- 
sanensi  episcopo  Italiae  cancellario,  concedentibus  etiam  duce  Theo- 
derico  eiusdem  ecclesiae  defensore  et  advocato  et  Tullensis  ecclesiae 
Pibone  episcopo. 


Zu  der  Urkunde  Heinrichs  IV.  vom  12.  August  1092  (Stumpf  2915).     133 

Aber  allerdings  ist  bis  zu  dieser  Zeit  niemals  eine  Kaiserurkuncle 
so  datiert  worden,  wie  die  unsere,  nämlich :  Data  II.  Idus  Augusti 
apud  Montem  veterem,  qui  alio  nomine  Mons  Belli  dicitur,  per  manus 
Ogerii  Iporiensis  episcopi,  Italiae  cancellarii,  anno  dominicae  incarn. 
1092  ind.  XV.  epacta  IX.  Daneben  stelle  ich  die  Datierung  der 
Urkunde  Wiberts  vom  9.  August:  Datum  V.  Idus  Augusti  apud 
Montem  veterem,  qui  alio  nomine  Mons  Belli  dicitur,  per  manus 
Koberti  Faventini  episcopi  vice  cancellarii  Petri  anno  domin.  incarn. 
1092  indict.  XV.  Offenbar  ist  die  Datierung  der  Kaiserurkunde 
nach  der  der  Papsturkunde  angefertigt;  die  Formel  „datum  per  manus" 
kommt  aber  in  späterer  Zeit  in  Kaiserurkunden  vor,  z.  B.  Stumpf 
4736  vom  17.  Februar  1192;  5080  vom  27.  September  1197;  der 
vorliegende  Fall  wäre  der  erste. 

Inhaltlich  sind  beide  Urkunden  ganz  gleich,  dazu  sind  ganze 
Sätze  von  Anfang  bis  zu  Ende  gleichlautend,  so  die  corroboratio 
(s.  S.  87  Anm.  6) ;  man  vergleiche  noch  die  Stelle  über  Burchard 
von  Lausanne  (S.  132)  und  folgende  Worte  aus  der  Strafan- 
drohung: Wiberts  Urkunde:  si  quis  . .  .  contra  hoc  nostrum  decretum 
consenserit,  fecerit,  consiliatus  fuerit,  vel  quocunque  modo  infringere 
illud  et  violare  temptaverit,  in  praesenti  seculo  iram  omnipotentis 
Dei  incurrat  etc.  Heinrichs  Urkunde:  si  quis  .  .  .  contra  hoc  nostrum 
decretum  consiliatus  fuerit,  consenserit,  fecerit  vel  quocunque  modo 
infringere  illud  vel  violare  tentaverit,  iram  imperialis  nostri  vigoris 
incurrat,  et  centum  libras  etc. 

Ferner  ist  zu  beachten,  dafs  die  Invokation  durchaus  selten  ist : 
In  nomine  patris  et  filii  et  Spiritus  sancti.  Jede  promulgatio  fehlt. 
In  der  Straffestsetzung  ist  einmal  das  in  Wiberts  Urkunde  fehlende 
Wort  gastaldio  neu  hinzugefügt ;  weiter  findet  sich  die  auffallende 
Wendung:  et  centum  libras  auri  probatissimi  proculdubio  se  com- 
positurum  sciat,  medietatem  camerae  sacri  scrinii  nostri,  reli- 
quam  partem  praedictae  ecclesiae  eiusque  congregationi. 

Auch  bei  den  nicht  gleichlautenden  Sätzen  sieht  man  indes  deut- 
lich, dafs  sie  durch  Umarbeitung  entstanden  sind,  abgesehen  höch- 
stens von  der  meist  neu  gemachten  sehr  redseligen  Arenga. 

Gleichwohl  ist  es  nicht  nötig,  die  Urkunde  für  eine  Fälschung 
zu  halten;  denn  Benutzung  der  Urkunde  Wiberts  als  Vorlage  in 
der  Reichskanzlei  reicht  aus,  die  Unregelmäfsigkeiten  zu  erklären. 
Dazu  ist  in  der  Kaiserurkunde  aufser  Bischof  Burchard  von  Lau- 
sanne, Bischof  Pibo  von  Toul  und  Herzog  Theoderich  von  Ober- 
lothringen noch  ein  mediator  Oduinus  genannt,  den  freilich  ein 
etwaiger  Fälscher  aus  der  Verleihung  Heinrichs  von  1083  entnehmen 


134     Zu  der  Urkunde  Heinrichs  IV.  vom  12.  August  1092  (Stumpf  2915). 

konnte,  ebenso,  wie  die  zeitliche  Fixierung  der  letzteren,  die  wir  auch 
nur  der  Urkunde  Heinrichs  vom  12.  August  1092  verdanken.  Woher 
endlich  hätte  ein  Fälscher  den  Namen  des  Kanzlers  Oger  von  Ivrea 
wissen  sollen?  Da  ferner  nicht  der  geringste  sachliche  Anstofs  vor- 
liegt, so  glaube  ich  die  Urkunde  für  echt  erklären  zu  dürfen. 


Gr.  Pätz'sche  Buoluir.  (.Lippert  &  Co.),  Naumburg  a,S. 


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PÜNTIFICAL  INSTIIUTE  OF  MEDIAtVAL  STUÜIES 

59  QUEEN'S  PARK  CRESCENT 
TORONTO— 5,    CANADA 

19256  ' 


G.  H.  NEWLANDS 

Bookbinder 
Caledon    East,    Ont.